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Vulkanische Gegend in Afrika

Demokratische Republik Kongo: Es begann am Tag der Unabhängigkeit - es begann mit dem Tod Patrice Lumumbas

Von Lutz Herden

Für den König kann der Affront kaum größer sein. Der neue Premierminister des Kongo, Monsieur Patrice Lumumba, besitzt die Stirn, ihm offen ins Gesicht zu sagen, die scheidende Kolonialmacht hinterlasse keine Gleichheit zwischen Weiß und Schwarz. Sie habe statt dessen gedemütigt und versklavt. Baudouin, König der Belgier, fühlt sich beleidigt und geht. Man schreibt den 30. Juni 1960 und feiert in der Hauptstadt Léopoldville, dem heutigen Kinshasa, den ersten Tag der Unabhängigkeit des Kongo. Es wird der Tag sein, an dem die Regierung Belgiens beschließt, Lumumba nicht nur zu entmachten, sondern auszuschalten. "Lumumba muss unschädlich gemacht werden", erklärt der damalige Außenminister Pierre Wigny Ende Oktober 1960 bei Gesprächen in London.

Über 40 Jahre später, am 16. November 2001, zitiert ein in Brüssel veröffentlichter Parlamentsreport - es ist der erste über die koloniale Vergangenheit Belgiens - diesen Satz wie ein Schuldgeständnis: Die Kampagne gegen Lumumba damals kennt keine Skrupel. Er wird im November 1960 verhaftet, deportiert und seinen schlimmsten Feinden, den Katanga-Separatisten des Moise Tschombe, ausgeliefert, der Lumumba samt seinen Begleitern Maurice Mpolo und Joseph Okito erschießen lässt. Im Beisein dreier belgischer Offiziere und eines belgischen Polizeikommissars.

Bruderschaft

"Lumumba muss unschädlich gemacht werden", damit beginnt die Geschichte einer Unabhängigkeit. Die Ermordung seines ersten Ministerpräsidenten lastet wie ein Schatten über dem Kongo. Kein bedauerliches Malheur, keine Folge unglücklicher Umstände, sondern eine katastrophale Prophezeiung.

Ende der sechziger Jahre beginnt die bleierne Zeit des Autokraten Sese-Seko Mobutu, ob seiner Habgier Reptil genannt, ob seiner Mordlust "Mob-Hutu". In Brüssel, vor allem in Paris ist er lange willkommen, die "Cellule Africaine" im Elysée-Palast, die Präsidenten Pompidou, Giscard d´Estaing und Mitterrand - ob Gaullist, Zentrist oder Sozialist - sie können und wollen sich auf Mobutu verlassen. Ein dekadenter Diamantenhändler im Kaufhaus des Westens, der ob der humanitären Standards seines Waren- und Wertekorbs so gern das Weihrauchfässchen schwingt. Erst 1997, nachdem sie 30 Jahre mit ihm paktiert haben, wenden sich die Franzosen von Mobutu ab. Zu spät, wie sich zeigen soll.

Als die Alliance des Forces Démocratiques pour la Libération du Congo-Zaïre (AFDL) des Laurent-Désiré Kabila unaufhaltsam von Osten her auf Kinshasa vorrückt, sind es amerikanische Instrukteure, die ihn beraten und führen. Präsident Clinton glaubt, im Kongolesen Kabila einen der "neuen Führer Afrikas" zu erkennen, antiautoritär, antifranzösisch, antikolonial. Letzteres besonders ausgeprägt. Der Herausforderer Mobutus gewährt kanadischen und US-Unternehmen generöse Konzessionen für die Kupfer-, Titan- und Diamanten-Minen, die am Wege liegen, als er auf Kinshasa marschiert. Aber was ändert das schon? Kabila in Kongo-Zaïre, wie es damals noch heißt, Yoweri Museveni in Uganda, Paul Kagame in Ruanda, Meles Zenawi in Äthiopien gelten als die "neuen Männer Afrikas". Eine Bruderschaft ehemaliger Rebellenführer, ideologisch unverkrampft, stattdessen dem Freihandel, der Marktwirtschaft und westlicher Demokratie ergeben. Als sich diese Vorzüge in einer weiteren Ära der Bürgerkriege entladen, ist Clinton schon nicht mehr Präsident der Vereinigten Staaten, Kabila durch ein Attentat getötet (s. Zeittafel) und das "amerikanische Zeitalter" in Afrika vorbei, bevor es richtig begonnen hat. Die Europäer können zurückkehren.

Hängepartie

Was wäre die kongolesische Tafelrunde andererseits ohne ihre afrikanischen Kostgänger? Ohne den Nachbarn Uganda zum Beispiel? Als dessen Geschöpf im Kongo operiert der Mouvement de Libération du Congo (MLC), eine Rebellenbewegung, die im Norden ansässig ist und bis heute die Goldminen von Kilo kontrolliert. Oder ohne Ruanda, das seit Jahren immer wieder im Osten des Kongo interveniert, um Enklaven marodierender Hutu-Milizen aufzuspüren? Deren Macheten-Bataillone waren die Vollstrecker des Völkermords an 800.000 ruandischen Tutsi im Frühjahr 1994. Den kleinen ostafrikanischen Staat traf eine Mordorgie, wie es sie nie zuvor auf dem schwarzen Kontinent gegeben hatte. Möglich geworden, weil die so genannte Staatengemeinschaft - die USA, Westeuropa, die UNO - in feiger Lethargie zusah. Ruanda wirkt seither wie ein afrikanisches Sparta. Unbeugsam und wehrhaft: Was im Kongo passiert, lässt uns nicht gleichgültig. Die Hutu-Schlächter können zurückkehren. Wir sind keine Selbstmörder! Deshalb protegiert Ruanda als seine kongolesische Dependance das Rassemblement Congolais pour la Démocratie (RCD-Goma), das wiederum einen Teil der Titan- und Diamanten-Vorkommen in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu verwaltet.

Gleichfalls wären Angola, Simbabwe und Namibia als Paten des kongolesischen Dramas zu nennen. Im Sommer 1998, als der vorerst letzte Bürgerkrieg im Herzen Afrikas beginnt, sind es Soldaten dieser drei Staaten, die Kinshasa gegen den Ansturm der Rebellenarmeen aus dem Osten verteidigen und Laurent-Desiré - bis auf weiteres - Amt und Leben retten.

Es bliebe Sambia, als südlicher Nachbar seit langem Auffanglager kongolesischer Flüchtlinge und letztes Refugium der Diplomatie, wenn die allgemeine Erschöpfung im Kongo dazu zwingt. Eine erste Verständigung zwischen allen Konfliktparteien, unmittelbar nach dem Anschlag auf Präsident Kabila am 16. Januar 2001, gelingt in der sambischen Kapitale Lusaka. Man einigt sich auf eine Waffenruhe und richtet demilitarisierte Zonen ein. Ohne dieses Vorspiel hätte es Ende 2002 den Friedensvertrag von Südafrika vermutlich nicht gegeben, dem auch die nun anstehenden Wahlen zu verdanken sind. Dieses Abkommen gewährt Joseph Kabila, der sofort nach dem Tod seines Vaters als Präsident vereidigt wird, eine Gnadenfrist im Amt und verschafft ihm vier Vizepräsidenten. Das sichtbarste Zeichen einer bei den Verhandlungen in Johannesburg fein austarierten Machtbalance, mit der sich alle in Schach halten können. Zwei Vizepräsidenten nominieren die beiden Rebellenformationen MLC und RCD-Goma (s. o.), einer kommt aus Joseph Kabilas Entourage, den vierten stellt die zivile Opposition. Außerdem werden 28 Ministerien unter den Vertragsparteien aufgeteilt. Derart extensiv und pluralistisch ist der Kongo seit der Unabhängigkeit von 1960 noch nie regiert worden. Die Allparteien-Koalition von Kinshasa bleibt stabil genug, um bis heute zu überleben. Und sie erscheint fragil genug, um nicht als Dauerzustand missverstanden zu werden. Wenn die Konstruktion trotz allem hält, dann hat daran die UNO mit ihrer Kongo-Mission (MONUC) einen Anteil, auch wenn sie nicht wirklich befrieden, sondern lediglich eine bis zu den Wahlen gültige Hängepartie absichern kann.

Denn alle Fraktionen wahren ihre Pfründe, alle Warlords behalten ihre Armeen. Sollte der 18. Juni 2006 daran etwas ändern, weil dieser Wahltag Sieger und Verlierer hinterlässt, könnte die Macht der Gewehre erneut gefragt sein. Die Wahlen sind nicht mehr als eine Fortsetzung des Bürgerkrieges mit anderen Mitteln und unter internationaler Aufsicht. Niemand wird nach diesem Votum selbstlos aufgeben, worüber er jetzt verfügt. Dank ihrer ethnischen Färbung wird etwa das RCD-Goma außer in den Kivu-Provinzen kaum anderswo Stimmen holen, gesamtnational abgeschlagen sein und den Anspruch auf eine Vizepräsidentschaft verlieren. Nicht auszuschließen, dass die Niederlage den Teufel Rebellion weckt und einen seit Jahrzehnten schwelenden Separatismus anfacht.

Ein anderes Szenarium betrifft die Garde Spéciale de Sécurité Présidentielle (GSSP). Da bisher keine Nationalarmee entstanden ist, wie es der Friedensvertrag von 2002 vorsah, blieb in Kinshasa das Monopol der GSSP unangetastet - 15.000 Elitesoldaten, die auch in Lubumbashi und in Kisangani Garnisonen unterhalten. Wie werden sie reagieren, sollte ihr Dienstherr Joseph Kabila die Wahlen verlieren und die GSSP Privilegien wie einen festen Sold, Ausrüstung und Unterkunft?

Muss man in Kassandra-Rufe ausbrechen? Nein, man muss nicht. Nur blieb es dem Kongo bislang verwehrt, so etwas wie eine nationale Identität zu finden. Es waren derer zu viele, die etwas davon hatten, dass es nie dazu kam.

Der Kongo nach dem Sturz von Diktator Mobutu (1997-2006)


Mai 1997 - nach der Einnahme Kinshasas wird Laurent-Désiré Kabila als neuer Staatschef vereidigt und das Land in "Demokratische Republik Kongo" umbenannt. Es wird eine Alleinregierung der Kabila-Partei Alliance des Forces Démocratique pour la Libération du Congo-Zaïre (AFDL) gebildet

Mai/Juni 1998 - es kommt zum Bruch Kabilas mit den einst im Kampf gegen Diktator Mobutu verbündeten Staaten Uganda und Ruanda. Auch die US-Regierung geht auf Abstand. Nur dank militärischer Hilfe Simbabwes, Angolas und Namibias kann sich Kabila in Kinshasa gegen das Vorrücken aufständischer Rebellenformationen aus dem Osten des Landes halten.
Oktober 2000 - die im Kongo mit Streitkräften präsenten Staaten einigen sich in Maputo (Mosambik) auf eine Truppenentflechtung. Durch Vermittlung Südafrikas stimmt Kabila nach langem Widerstand dem Einsatz von UN-Friedenstruppen (Mission MONUC) zu.

Januar 2001 - unter bis heute nicht geklärten Umständen fällt Kabila einem Attentat zum Opfer, wofür später der ugandische Geheimdienst verantwortlich gemacht wird. Kurz darauf wird Kabilas ältester Sohn Joseph (31), bis dahin Armeebefehlshaber, als neuer Staatschef vereidigt.

Dezember 2002
- alle kongolesischen Konfliktparteien und die Regierung von Joseph Kabila unterzeichnen in Südafrika ein Friedensabkommen, das eine unbefristete Waffenruhe sowie eine Machtteilung vorsieht. Der Bürgerkrieg hat bis dahin 1,7 Millionen Menschenleben gekostet Spätestens 2005 sollen allgemeine Wahlen stattfinden.

Januar 2003 - Amtsantritt der Allparteien-Regierung. Die UN-Truppen im Kongo - sie kommen größtenteils aus afrikanischen Staaten - werden auf 8.700, später auf über 10.000 Mann erhöht.

Mai 2003
- der UN-Sicherheitsrat beschließt, zusätzlich zu den MONUC-Kontingenten eine UN-Mission mit robustem Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta in den Kongo zu entsenden. Auf ihrem Gipfel in Thessaloniki Ende Juni 2003 beschließen die EU-Regierungschefs gemäß diesem Auftrag eine EU-Kampfformationen (1.400 Mann) unter Führung Frankreichs in den Kongo zu schicken.

September 2005
- angesichts der instabilen Lage und schleppender Wählerregistrierung werden die Wahlen auf 2006 verschoben. Anträge von UN-Generalsekretär Annan auf mehr UN-Truppen im Kongo scheitern im Sicherheitsrat vorzugsweise am Widerstand der USA.

März 2006
- die EU beschließt eine eigenständige Militärmission (ohne NATO-Beteiligung) im Kongo unter deutscher Führung, um - wie es heißt - "einen reibungslosen Ablauf der ersten Präsidentschafts- und Parlamentswahl nach 45 Jahren zu gewährleisten".

 Quelle: Freitag - Die Ost-West-Wochenzeitung 13 vom 31.03.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Lutz Herden und des Verlags.

Veröffentlicht am

04. April 2006

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