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Von Weimar nach Ramallah

Menschheitsbotschaft: Mit ihrem “West-Eastern Divan Orchestra” weisen Daniel Barenboim und Edward Said einen Ausweg aus dem west-östlichen Kampf der Kulturen

Von Ekkehart Krippendorff

Als in Deutschland 1813/14 die Befreiungskriege vom napoleonischen Regime eine publizistisch geschürte fremdenfeindliche Haßkampagne gegen “die Franzosen” auslösten - Schlagt sie tot! Das Weltgericht fragt euch nach den Gründen nicht (Kleist) - da meldete sich aus Weimar bekanntlich Goethe zu Wort mit einem programmatisch fremdenfreundlichen Gedichtband, dem West-östlichen Divan.

Zu seinem 250. Geburtstag im Jahr 1999 wurde Weimar Kulturhauptstadt Europas - und hier gründeten in eben diesem Jahr der Palästinenser Edward Said und der weltbürgerliche Israeli Daniel Barenboim ein paritätisch aus israelischen und arabischen Musikern zusammengesetztes Jugendorchester. Sie gaben ihm den sinnträchtigen Namen “West-Eastern Divan Orchestra”.

Dass Deutschland im Allgemeinen und Weimar im Besonderen historisch besonders geeignet seien als Geburtsstätte dieser Initiative, machte eine Exkursion der jungen Orchestergemeinschaft in Buchenwald bewegend deutlich. Für viele Araber war es die erste konkrete Begegnung mit dem (in ihren Ländern ja oft geleugneten oder zumindest heruntergespielten) Holocaust. Später hat das Orchester einen festen Standort in Andalusien gefunden - eine weitere historisch gesättigte Kulturlandschaft arabisch-jüdischer und europäischer Beziehungen mit einer langen Geschichte fruchtbaren Zusammenlebens und brutaler Vertreibung von Muslimen und Juden gleichermaßen nach der christlichen “Reconquista” (1492).

2003 verfassten Said und Barenboim hier das “Manifest von Sevilla”, das an die besondere historische Legitimation gerade Deutschlands und Spaniens im Kontext der Europäischen Union zur Vermittlung im israelisch-palästinensischen Konflikt appellierte. Symbolisch löste die spanische Regierung einen Teil dieser Verpflichtung im vergangenen Jahr ein: Um den jungen Musikern die absurden staatsbürgerlichen Hindernisse bei der Durchreise durch Israel und der Einreise nach Palästina aus dem Wege zu räumen, ließ Ministerpräsident Zapatero ihnen allen kurzerhand spanische Pässe ausstellen - denn der Höhepunkt der Konzerttournee war ein Konzert in Ramallah, dem Sitz der palästinensischen Autonomiebehörde, am 21. August 2005.

Der aufregende lange Weg von Deutschland nach Palästina, von Weimar nach Ramallah und dann das Konzert selbst liegen nunmehr in einer außerordentlichen DVD-Dokumentation vor - außerordentlich sowohl hinsichtlich des in der Tat historisch zu nennenden Projekts selbst, als auch in seiner die enorme dramatische Spannung emotional vermittelnden filmischen Bearbeitung. Es gehört zum Bewegendsten, was über die eingreifende Rolle der Musik in Politik und Gesellschaft gesagt werden kann - und vor dem aktuellen Hintergrund der anscheinend nicht mehr zu bändigenden “Konfrontation der Kulturen”, des Islam mit dem “Westen”, wird hier ein ermutigendes Signal der Hoffnung gesetzt, ein Weg aufgezeigt, wie man aus dem Teufelskreis von Hass und Missverstehen, von Recht gegen Recht vielleicht ausbrechen kann. Musik spricht eine andere politische Sprache als die der Gewalt.

Barenboim eröffnete mit Mozart (Konzertante Symphonie für Oboe, Klarinette, Fagott und Horn, KV 297b) - und als der palästinensische Regierungsvertreter anschließend das Wort ergriff, sprach er ohne Manuskript vom sublimen Dialog der Musiksprache, die ihn offensichtlich tief bewegt hatte: Er hatte die Botschaft verstanden. Schon ein solcher Moment war diese abenteuerliche und nicht ungefährliche Reise wert und will gesehen werden, um miterlebbar zu sein. Dann Beethovens Fünfte - kein Berufsorchester spielt mit solcher Leidenschaft und einem körpersprachlich sichtbaren Engagement wie diese jungen Musiker: Barenboim hat sie fast durchweg paritätisch an die Pulte gesetzt - so hatten sie zusammen üben und spielen müssen und sich ohne Worte verständigt, die sich sonst nie gesehen, nie gesprochen hätten, die politisch verfeindeten Gesellschaften angehören; welche psychologischen Schwierigkeiten der verbalen Kommunikation es gab, ehe sie zu diesem Punkt kommen konnten, auch darüber gibt die Dokumentation eindrucksvoll Auskunft.

Barenboims kurze Rede nach dieser im Kontrast zu Mozart kämpferischen Menschheitsbotschaft Beethovens (man hört sie mit Blick auf das ungewöhnliche Publikum in diesem spannungsgeladenen Rahmen - plötzlich ganz neu und anders!) ist ein ergreifend-bescheidenes Bekenntnis zur Kraft der Musik: Sie und das “Divan-Projekt” (der 2003 gestorbene Mitbegründer und enge Freund Barenboims war ständig präsent) werden den Frieden nicht bringen, aber sie können den Boden bereiten für das zuhörende Gespräch zwischen zwei Völkern mit gleichem historischen Anspruch auf ein gemeinsam zu bewohnendes Territorium. Mit einer geradezu seraphischen “Enigma-Variation” von Edward Elgar entstand dann doch für einen kurzen Augenblick, von dem man hätte sagen mögen: “verweile doch, du bist so schön”, der in Musik gefasste Frieden.

Ebenso eindrucksvoll wie das hier auf das Glücklichste für die historische Erinnerung als Auftrag an die Zukunft aufbewahrte Konzert ist die Dokumentation seiner Vorgeschichte. Dazu gehört unter anderem der dramatische Auftritt Daniel Barenboims in der Knesset, wo ihm 2004 der hoch angesehene Wolf-Preis verliehen wurde. Dort musizierte er einmal nicht, sondern beschränkte sich auf eine kurze Dankesrede, in der er an die großen Ideale der Staatsgründung erinnerte - Gleichberechtigung aller Bürger unabhängig von Rasse, Religion und Geschlecht, Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden - und fragte, was daraus geworden sei. Empört ging die Kultusministerin ans Pult und beschuldigte den gerade Geehrten, er habe sein Rederecht missbraucht und Israel angegriffen und beleidigt, wofür sie einigen Beifall erhielt; darauf ging Barenboim noch einmal ans Rednerpult: er habe nur den Wortlaut der israelischen Unabhängigkeitserklärung zitiert …

Selten kommt es vor, dass historische Dokumentationen auch den Rang von kleinen Kunstwerken haben - hier ist so ein Fall. Wichtiger aber ist das kleine Bäumchen der Hoffnung, das in den Herzen der beteiligten jungen Musiker gepflanzt wurde. Wer dies als Zuschauer nacherlebt, auf den kann der Funken dieser Hoffnung auch überspringen.

The Ramallah Concert/Knowledge Is The Beginning. West-Eastern Divan Orchestra, Daniel Barenboim. DVD, Warner Classics 2006, 17,99 EUR

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 09 vom 03.03.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Ekkehart Krippendorff und der Redaktion.

Veröffentlicht am

12. März 2006

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