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Die Angst vor der islamischen Bombe

Theran Psycho: Die Ursprünge des iranischen Atomprogramms gehen auf Schah Rezah Pahlevi und Henry Kissinger zurück

Von Torsten Wöhlert

Wenn der gewählte Präsident Irans Israel von der Landkarte verschwinden lassen möchte, dann klingt das so absurd, dass man eigentlich zur Tagesordnung übergehen müsste. Leider geht das nicht. Es geht nicht, weil Mohammed Ahmadinedschad mit seinen Ausfällen durchaus gängige Auffassungen in der arabisch-islamischen Welt nicht einfach nur bedient, sondern mit diesen Teehaus-Parolen für die populistische Begleitmusik im Streit um das iranische Atomprogramm sorgt. Eine bessere Steilvorlage für all jene, die lieber einen Krieg als die Gefahr einer iranischen Atombombe riskieren wollen, ist kaum denkbar.

Weil aber die Islamische Republik im Iran nun bereits in ihr 27. Jahr geht und das Regime in dieser Zeit mehrfach unter Beweis gestellt hat, dass seine scheinbar irrationale Politik durchaus strategischem, oft mörderischem, aber nie selbstmörderischem Kalkül folgt (man denke an den Krieg mit dem Irak 1980-1988) darf es bei Empörung über die antisemitischen Ausfälle Ahmadinedschads nicht bleiben. In einer derart aufgeheizten Krisensituation ist mehr denn je nüchterne Analyse gefragt.

Als “Teufelszeug” auf Eis gelegt

Die Angst vor der grünen Gefahr und der islamischen Bombe ist so alt wie die Islamische Revolution. Das iranische Atomprogramm hingegen ist wesentlich älter und geht zurück auf den 1979 gestürzten Schah Rezah Pahlevi. Der ließ die diktatorische Modernisierung Irans und die eigene, hemmungslose Bereicherung im Zuge seiner “Weißen Revolution” in den sechziger und siebziger Jahren zwar aus wachsenden Erdölexporten finanzieren, hatte jedoch zugleich erkannt, dass der fossile Reichtum begrenzt und als Basis der heimischen Energieversorgung langfristig zu kostbar ist - es gab nur eine technologische Alternative und die hieß: Kernkraft.

Mit Hilfe der USA begann vor fast 50 Jahren der Aufbau eines eigenen ambitionierten Atomprogramms. Ein erster Forschungsreaktor wurde von Washington bereits 1959 gelieferte. Acht Jahre später folgte der nächste. 1975 unterzeichnete der damalige Außenminister Kissinger das National Security Decision Memorandum 292, mit dem die Atomkooperation USA-Iran auf eine neue Stufe gehoben wurde. Es sah nicht nur den Bau von zwei Dutzend Kernkraftwerken vor, sondern enthielt auch das Angebot, einen kompletten Nuklearkreislauf zu etablieren. Das war - zu Ende gedacht - eine Einladung an Teheran, dem Club der Atomwaffenbesitzer beizutreten und damit ein glatter Verstoß gegen den 1968 geschlossenen und von den USA 1970 ratifizierten Atomwaffensperrvertrag, der genau dies verhindern sollte.

Washington hatte damals keine Hemmungen, Iran nuklear aufzurüsten. Konventionell gab es zu dieser Zeit ohnehin keinen potenteren Abnehmer amerikanischer Militärtechnik in der Region. Die regionale Achse Teheran-Jerusalem wurde in den sechziger und siebziger Jahren zum entscheidenden Stützpfeiler einer amerikanischen Nahostpolitik, die ganz im Zeichen des Kalten Krieges stand. Im Unterschied zu Israel, das primär aus politischen Motiven unterstützt wurde, versprach die Aufrüstung Teherans auch wirtschaftlich satte Gewinne. Kurzfristig durch den profitablen Technologie-Export und langfristig dank gesicherterer Öl-Importe zu politischen Preisen, die wenig mit den Weltmarkt-Preisen zu tun hatten.

Zur Ironie der Geschichte gehört, dass es schließlich die Westdeutsche Kraftwerk-Union - ein Joint Venture von Siemens AG und AEG Telefunken - war, die 1974 einen Vertrag über den Bau des ersten iranischen Kernkraftwerkes nahe der Stadt Bushehr am Persischen Golf abschloss, in dieses Projekt mehr als 2,5 Milliarden Dollar investierte und nie eine Rendite sah.

Wer die gespannten, oft von Irrationalität geprägten Beziehungen zwischen Teheran, Washington und Jerusalem heute verstehen will, muss sich den Schock vergegenwärtigen, den die islamische Revolution des Ayatollah Khomenei 1979 ausgelöst hat. Er prägt die politischen Eliten in allen beteiligten Ländern bis heute. Iran verabschiedete sich innerhalb weniger Wochen aus einer die Region damals existenziell prägenden Blockkonfrontation, die ihrerseits zehn Jahre später durch den Zusammenbruch des Ostblocks obsolet wurde. Khomeinis Slogan “Weder Ost noch West, sondern Islamische Republik” zeugte von einer fast prophetischen Sicht auf jene “Neue Weltordnung”, die Samuel Huntington eine Dekade später als möglichen “Kampf der Kulturen” publicityträchtig vermarktet hat.

Das Atomprogramm des gestürzten Schahs wurde von den islamischen Revolutionären 1979 als “Teufelszeug” zunächst völlig auf Eis gelegt. Dies geschah zum einen aus ideologischen Gründen, die nichts mit der Nukleartechnologie an sich zu tun hatten, sondern primär mit der daraus resultierenden technologischen Importabhängigkeit. Hinzu kam ein praktischer Grund: Für den prognostizierten Output der beiden zu 85 und 50 Prozent fertiggestellten Reaktoren fand sich in der revolutionsgeschwächten Ökonomie Irans auf absehbare Zeit kein Abnehmer.

Nachdem diese Anlagen im irakisch-iranischen Krieg schwer beschädigt wurden, unterzeichneten Iran und Russland 1995 einen Vertrag über deren Wiederaufbau und Fertigstellung. Verhandlungen darüber begannen bereits 1990. Nach dem Tod Khomeinis nahm Teheran darüber hinaus Kontakt zu den benachbarten Nuklearmächten China und Pakistan auf, die seitdem aktiv - legal und illegal - am iranischen Atomprogramm beteiligt sind. Fortan wurde die nukleare Option konsequent verfolgt und ein adäquates Forschungs- und Produktionspotenzial aufgebaut. Der Iran unterschrieb den Atomwaffensperrvertrag und unterwarf sich 2003 freiwillig dem nicht unterzeichneten Zusatzprotokoll, das unangekündigte Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) erlaubt. Die entscheidende Frage jedoch blieb bis heute unbeantwortet: Zu welchem Zweck beharrt Teheran auf der nuklearen Option?

Wer jetzt Öl in dieses Feuer gießt

Energiepolisch und technologisch sind die einst plausiblen Einsichten des gestürzten Schahs längst überholt. Iran hätte, auch als Öl- und Gasexporteur, mittel- und langfristig andere Alternativen, die prekäre Versorgungslage im eigenen Land zu sichern. Es gibt Studien, die zeigen, dass eine Umstellung auf regenerative Energien auch volkswirtschaftlich sinnvoll in Angriff genommen werden könnte. Der technologische Fortschritt, von dem Schwellenländer wie Iran einen ökonomischen Schub erwarten dürfen, hat sich längst weg vom Atom hin zur gerade in dieser Region relevanten Solartechnologie entwickelt. Wenn Teheran solchen etwa vom Wuppertal-Institut beförderten Analysen nur eingeschränktes Vertrauen schenkt, ist dies nicht nur kontroversen Positionen in Sachen Demokratie und Menschenrechte geschuldet, sondern auch dem Umstand, dass man im Iran sehr wohl registriert, wie wenig die solaren Propheten in ihren eigenen Ländern gelten.

Man muss sich nur einen Moment in die Lage der Regierung Ahmadinedschad versetzen, die mit den kaum lösbaren sozialen Problemen eines an sich reichen, aber nicht zu wirtschaftlicher Entfaltung kommenden Landes konfrontiert ist, um zu begreifen, warum eine derart desperate Führung auf den nuklearen Zug springt. Die verbale Bereitschaft zur Aufrüstung ist ein imaginiertes Faustpfand Teherans; eine Frage des inszenierten nationalen Stolzes, die Anlass zu propagandistischer Überspannung bietet und gerade deshalb besonnene Reaktion erfordert.

Irans Präsident provoziert, um abzulenken. Die Botschaft scheint nach außen gerichtet und ist dennoch primär innenpolitischer Natur. Ahmadinedschads Rhetorik hat mit dem ambivalenten Status des iranischen Atomprogramms wenig zu tun. Sie ist inakzeptabel, aber kein Grund für Kriegstreiberei. Statements wie das von US-Senator McCain: “Nur eins ist noch schlimmer als eine militärische Aktion, und das ist ein atomar bewaffneter Iran” bedienen die verbale Aufrüstung und bereiten den Boden für einen nächsten Krieg. Oder für “begrenzte, gezielte” Militärschläge gegen den Iran, die jedes Potenzial haben, einen veritablen Flächenbrand auszulösen. Daher ist vor allem eines gefragt: Eine europäische Krisendiplomatie, die selbstbewusst zwischen Teheran, Washington und Jerusalem agiert.

Das gerade verhandelte Moskauer Angebot, die über eine zivile oder militärische Nutzung entscheidende Art der Urananreicherung gemeinsam mit Iran auf russischem Gebiet vorzunehmen, hat das Misstrauen gegenüber den friedlichen Absichten Teherans zur unausgesprochenen Voraussetzung. Dieses Misstrauen ist angesichts zahlreicher Ungereimtheiten, die von der IAEO bei diversen Kontrollen in den vergangen Monaten und Jahren aufgedeckt wurden, durchaus berechtigt.

Iran hat als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages das ausdrückliche Recht, einen eigenen, zivilen Kernkreislauf zu entwickeln, ist aber gehalten, sich dabei Kontrollen zu unterwerfen. Und genau die haben in der Vergangenheit den Verdacht der IAEO auf militärischen Missbrauch geweckt. Wohlgemerkt: einen Verdacht. Deshalb die Entscheidung, den Fall an den UN-Sicherheitsrat zu überweisen, der mehrere Optionen hat. Er kann den Verdacht als schwerwiegend bewerten und entsprechende Maßnahmen - Sanktionen etwa - beschließen. Er kann den Fall letzten Endes auch wieder der IAEO übergeben - zur Prüfung mit erweitertem Mandat.

Das hier grob skizzierte Verfahren gleicht einem Katz-und-Maus-Spiel mit politisch leicht inszenierbaren und instrumentalisierbaren Verdächtigungen. Es bleibt geprägt von einer Ambivalenz, die sich aus der nuklearen Technologie selbst ergibt und sicherheitspolitisch auch von einer Institution wie der IAEO nicht aufgehoben werden kann. Deshalb scheint der Moskauer Vorschlag ein tauglicher Versuch, diesen gordischen Knoten wenigstens für den Augenblick zu zerschlagen. Er verlangt allerdings, Souveränität aufzugeben, um einem Verdacht zu begegnen, dessen Berechtigung Teheran heftig bestreitet. Das wiederum muss für Mahmoud Ahmadinedschad ungeachtet seiner verbalen Ausfälle innenpolitisch vermittelbar bleiben. Ultimativer, öffentlich orchestrierter Druck auf die iranische Regierung vermindert die Chance für eine solche gesichtswahrende Lösung. Wer jetzt Öl in dieses Feuer nachgießt, will keinen noch so schwierigen Verhandlungspartner. Der will einen Feind - mit allen fatalen Konsequenzen.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 09 vom 03.03.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Torsten Wöhlert und der Redaktion.

Veröffentlicht am

05. März 2006

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