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Schnapsauto und Atomkraft

Internationale Reaktionen auf steigende Ölpreise: Der Markt allein führt keine Energiewende herbei

Von Michael Jäger

Dass die Ölvorkommen in wenigen Jahrzehnten erschöpft sein werden, ist längst bekannt. Um so erbitterter ringen die Großmächte um den vorhandenen Rest, die Beherrschung der wichtigsten Felder. So antwortet Politik auf Prognosen. Doch sie muss auch aufs aktuelle Marktgeschehen reagieren. Während man sich vorausschauend ums Restöl schlägt, steigt heute schon der Ölpreis drastisch an, weil die Förderung immer kostspieliger wird. Folglich kann die Frage nach Ersatzgütern nicht mehr aufgeschoben werden. Überall auf der Welt ist die Politik mit ihr beschäftigt.

So hat derselbe Präsident Bush, der sich vom Irakkrieg nicht abhalten ließ, sein Land jetzt aufgefordert, vom Öl unabhängiger zu werden. In seiner diesjährigen Rede zur Lage der Nation stellte er es geradezu als eine Krankheit der USA dar, dass sie “süchtig nach Rohöl” seien. Wer wird ihm da widersprechen? Im Jahr 2004 importierten die USA fast fünf Milliarden Fass Rohöl. Etwas mehr als diese Menge - zwei Drittel der Ölbestände, über die das Land überhaupt verfügte - wurde im selben Jahr von 230 Millionen zugelassenen Autos verbrannt. Die Folgen für die Erdatmosphäre beunruhigten Bush nur mäßig. Doch nun ist die Mobilitätsmaschine vom Stillstand bedroht. Darauf reagiert der Präsident mit dem Aufruf, bis 2025 sollten 75 Prozent der Rohölimporte aus dem Nahen Osten durch Alternativsprit ersetzt sein. Er denkt vor allem an Bioalkohol. Eine unerwartete, fast witzige Wende; manche Zeitungen reden vom “Schnapsauto”. Tatsächlich könnten schon heute fünf Millionen US-Autos ohne technische Umrüstung mit Äthanol fahren, der überwiegend aus Maiskolben gewonnen wird. Er wird aber nur in den Bundesstaaten des Maisgürtels im Mittleren Westen angeboten, so dass die meisten Autobesitzer von der Möglichkeit gar nichts ahnen. Bush will Bioalkohol auch aus Getreidestroh, Häcksel, Hirse und Sägemehl gewinnen lassen.

Noch aufregender als Bushs Rede war der Hinweis der New York Times auf Brasilien, das die nationale Selbstversorgung auf Basis von Bioalkohol schon erreicht hat. Das Thema zieht offenbar Kreise: Larry Page und Sergey Brin, die Gründer des Internetunternehmens Google, machten das Weltmarktforum in Davos auf Brasiliens Bioalkoholprogramm aufmerksam. Da könnten die USA also einfach ihre Importpolitik umstellen, indem sie einen großen Teil der Öleinfuhren durch den Alkohol-Rohstoff Brasiliens ersetzten - das Zuckerrohr. Zuckerrohr verbilligt die Alkoholgewinnung enorm. Außerdem hat Brasilien vorgesorgt. Der Aufbau der Alkoholtechnologie wurde dort schon in den siebziger Jahren hoch subventioniert. Ende der Achtziger fuhren bereits neun von zehn neu gebauten Autos mit Alkohol. Zwischenzeitlich brach der Umsatz zwar ein, aber seit 2003 bekam das “Schnapsauto” neuen Auftrieb mit der Einführung der Flex-fuel-Motoren, die wahlweise mit Alkohol, Benzin oder einer Mischung aus beidem betrieben werden können. Erfreulich sind Brasiliens ungeheure Rohstoff-Reserven. Bisher werden lediglich 1,5 Prozent der verfügbaren Anbaufläche genutzt. Im Übrigen bauen auch andere Länder Zuckerrohr an. Das Wichtigste aber: Dieser Rohstoff wird nie erschöpft sein; er erneuert sich selbst, er bereichert sogar den Boden, auf dem er wächst, mit Nährstoffen.

Wie sich die Waagschale neigt

Ist das die Energiewende, auf die wir längst warten? Aus Brüssel hört man, die Europäische Kommission will Herstellung und Nutzung von Biokraftstoffen stärker fördern. Für den Anbau geeigneter Getreide- und Zuckerrübensorten sollen mehr Möglichkeiten geschaffen werden. Man denkt auch an mehr Alkoholimport, denn der Liter Alkohol kostet in Europa dreimal so viel wie in Brasilien. Der Anteil von Bioäthanol und Biodiesel am Verbrauch der EU-Autos soll bis 2010 von 1,4 auf 5,75 Prozent steigen. Eine vorsichtige Wende, aber immerhin. Doch zerrinnt sie nicht zwischen den Fingern? Aus dem Bundesfinanzministerium hört man, die bestehende Steuerbegünstigung von Biokraftstoffen werde mit dem Jahresende abgeschafft. Biodiesel wird dann etwas teurer sein als fossiler Diesel. Der energiepolitische Sprecher der Grünen, Hans-Josef Fell, verweist protestierend auf die Alkoholpolitik des US-Präsidenten.

Ein Blick auf Schweden macht erste Risse im Bild der Energiewende sichtbar. Die schwedische Ministerin für nachhaltige Entwicklung hat jetzt angekündigt, ihr Land wolle bis 2020 “die erste ölfreie Wirtschaft der Welt” werden. Dabei denkt sie nicht primär an Bioalkohol. 2004 fuhren überhaupt nur rund 5.000 der vier Millionen schwedischen Autos mit Alternativsprit, davon wieder nur rund 3.000 mit einer Benzin-Äthanol-Mischung. In diesem Land setzt man vor allem auf die reichlich vorhandene Wasserkraft, außerdem auf Biogas, nur am Rand auch auf Windenergie. Schon heute wird der Strom zur Hälfte durch Wasserkraft erzeugt. Aber nun kommt das dicke Ende: Für die andere Hälfte steht Atomenergie ein. Mit 49 Prozent Anteil an der Stromerzeugung gehört Schweden zu den stärksten Nutzern dieser Kraft in Europa. Zwar sollen nach einer Volksabstimmung alle Kernkraftwerke bis 2010 abgeschaltet sein. Aber vor zwei Jahren beschloss das Parlament einen Ausstieg “in den nächsten 30 bis 40 Jahren”. In dieser Zeit soll die Kapazität der Kernkraftwerke deutlich erhöht werden.

Während Schweden zwischen Atomkraft und Bioenergie schwankt, hat sich anderswo die Waagschale schon geneigt. Von den alten EU-Staaten beschloss zuerst Finnland den Bau neuer Atomanlagen. Dasselbe erwägen jetzt auch die Niederlande. Pieter Van Geel, Staatssekretär im Umweltministerium, hat Atomkraft noch 2003 als zu riskant zurückgewiesen - im Februar 2006 sagt er, Kernenergie sei ein “notwendiges Übel”, und stellt drei Standorte für einen Neubau von Reaktoren zur Debatte. Das gleiche Bild in Großbritannien. Die Regierung kündigt eine grundsätzliche Überprüfung ihrer Energiepolitik an. Vor zwei Jahren noch hat sie in einem Weißbuch davon gesprochen, Großbritannien könne sich langfristig von der Kernkraft verabschieden. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Es wird zwar angekündigt, dass der Kernkraftanteil der britischen Elektrizität bis 2020 von 19 auf sieben Prozent fallen werde: “Aber nach dem globalen Rückzug aus diesem Sektor in den vergangenen 15 Jahren planen jetzt viele Länder wieder neue Kernkraftwerke”, geht es dann weiter mit Verweis unter anderem auf Finnland.

Marginalie Ökologie

Neben schwachen Tendenzen zur Biokraft stehen also stärkere, zum Ausbau der Atomkraft zurückzukehren. Dieser Befund veranlasst uns, noch einmal auf die USA zu schauen. Präsident Bushs Schnapsauto-Initiative ist nicht etwa gegen die Kernkraft gerichtet. In Vorbereitung seines Indien-Besuchs Anfang März bot er an, die USA könnten dem Subkontinent beim Ausbau seiner Atomanlagen helfen. “Der Ausbau der Kernenergie wird als grundlegend betrachtet”, hatte er in einem indischen Expertenbericht gelesen. Bushs Angebot hat natürlich geostrategischen Sinn. Es beugt möglichen energiepolitischen Allianzen Indiens mit Iran oder China vor und impliziert die international kontrollierte Trennung von ziviler und militärischer Nutzung. Aber Bush will auch US-Konzerne in Stellung bringen, die im Schatten des Atomgeschäfts Turbinen, Autos und Flugzeuge verkaufen könnten. Werden das nur Schnapsautos, Schnapsflugzeuge sein? Wenn man liest, welche CO2-Mengen der indische Bericht für 2030 prognostiziert, sieht man, dass Bush praktisch Beihilfe zur Schaffung eines zweiten Umweltverschmutzers von der Größe der USA anbietet. Übrigens ist ihm Frankreichs Präsident Chirac zuvorgekommen, der im Februar bereits einen Vorvertrag zur zivilen Nutzung der Kernenergie mit Indien geschlossen hat.

Kurzum, die Großmächte ringen miteinander; dabei geht es nicht so sehr um Ökologie. Es scheint eher eine Marginalie zu sein, dass mit der Schnapsauto-Förderung auch ein kleiner bioenergetischer Zug in Bushs Agenda kam. Dies wird dadurch unterstrichen, dass in den vergangenen 30 Jahren kein amerikanischer Präsident mit vergleichbaren Vorstößen erfolgreich war. Schon Jimmy Carter hatte vorgeschlagen, bis 1990 sollten die USA vom Rohöl aus Nahost unabhängig werden. Die Initiative verlief im Sande. Gewiss will die Politik aufs Marktgeschehen reagieren, aber die Konzerne können das eben viel besser. Wenn es auch außerhalb Brasiliens eine Marktbeherrschung durch Biokraftunternehmen gäbe, ja, dann wäre Hoffnung. Aber in den USA zum Beispiel sind eher die Ölgiganten stark. Die mussten sich zwar den Vorwurf anhören, sie investierten nicht genug Geld in die Erschließung neuer Energiequellen. Doch dann sagt zum Beispiel ExxonMobil, am sinnvollsten sei der Ausbau bestehender Kapazitäten. Und wenn sie einmal neue Wege beschreiten wollen, ist es dann nicht am bequemsten, vom Ölgeschäft einfach aufs Atomgeschäft umzusteigen? Dem Weltfrieden wäre nicht geholfen. Es sind Systemgründe, die der unzeitgemäßen Produktion die größte Marktmacht verschaffen.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 09 vom 03.03.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Michael Jäger.

Veröffentlicht am

04. März 2006

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