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Die Iran-Politik der USA

Von Lee Sustar - ZNet 22.02.2006

Ein militärischer Angriff der USA auf Nuklearanlagen im Iran wäre ein Instrument, die Besatzung des Irak neu zu organisieren - als Teil des “langen Kriegs” Washingtons gegen den “radikalen Islam” - es wäre ein Mittel, um Israel Blankovollmacht zur Niederschlagung der Palästinenser zu erteilen und schüfe eine Legitimationsgrundlage für weitere Akte US-imperialer Aggression im Mittleren Osten.

Genau dieselbe Logik steckt hinter dem immer stärkeren Bemühen der USA, den Iran dazu zu zwingen, sein Urananreicherungsprogramm aufzugeben. Dabei lassen die internationalen Verträge einen solchen Prozess (der Urananreicherung) durchaus zu. Die USA und deren europäische Helfershelfer aber stellen es so dar, als diene das Ganze als Vorwand für ein (iranisches) Atomwaffenprogramm.

Der Druck wächst. Der Iran gelobt, sein Atomanreicherungsprogramm zu starten, der UN-Sicherheitsrat bereitet sich auf eine Sanktionsdebatte und andere Maßnahmen gegen Iran vor.

Die Mainstream-Medien in den USA - die dem Weißen Haus damals seine fabrizierten “Beweise” über Massenvernichtungswaffen im Irak zum Behuf des Einmarschs abkauften -, ziehen erneut mit. Es gibt aber einen gewaltigen Unterschied: Diesmal sind alle drei wichtigen EU-Regierungen mit an Bord: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, ein multilateraler Prozess.

Die Europäische Union will ebenso wenig wie die USA, dass der Iran Atomwaffen erhält, denn dies würde zu einer Veränderung des Kräfteverhältnisses im Nahen/Mittleren Osten führen und hätte eine Abschreckungswirkung auf Interventionen von außen (sprich: imperialistische Interventionen). Daher stehen die wichtigsten Mächte Westeuropas sowie Russland hinter dem Bestreben der USA, den Iran, über die IAEA (Internationale Atomenergiebehörde), vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen, wo man über mögliche Sanktionen beraten wird.

Auf was die Europäer bauen, ist die Zerstrittenheit der iranischen Regierung. Sie vertrauen darauf, dass der Iran unter Druck einem Deal zustimmen wird. Damit wären jene beträchtlichen Investitionen abgesichert, die Europa im Iran getätigt hat (vor allem in der Öl- und Erdgasindustrie, aber zum Beispiel auch im Bereich der Autofabrikation).

Derweil versucht Irans Präsident, Mahmoud Ahmadinedschad, den Showdown für sich zu nutzen - um die zerstrittene herrschende Klasse des Iran zur Einheit zu zwingen. 2005 hatte Ahmadinedschad im Wahlkampf eine populistische Kampagne geführt und versprochen, den Armen im Iran - denjenigen, die von der Politik des Freien Marktes, wie sein Vorgänger Mohammad Chatami sie praktizierte, vergessen worden waren -, zu helfen und wurde gewählt. Mittlerweile ging Ahmadinedschad aber der politische Antrieb verloren.

Vergessen sind diese Wahlkampfversprechungen, in der Hauptstadt Teheran wurde mit repressiven Mitteln gegen einen Busfahrerstreik vorgegangen. Die staatlichen Religionsgesetze erzürnen die liberale Mittelklasse bzw. die Studenten, und das Business-Establishment hält entschlossen an Chatamis Reformen des Freien Marktes fest und hat im Parlament versucht, den von Ahmadinedschad favorisierten Kandidaten für den ultrawichtigen Posten des Ölministers auszumanövrieren und zu blocken.

In der Gesellschaft stößt das iranische Atomprogramm auf breite Unterstützung. Die Gründe sind nationaler Art. Indem er sich als Verteidiger des Programms aufführt, hofft Ahmadinedschad, die Unterstützung im eigenen Land zurückzuerobern.

Aber selbst wenn der Iran wirklich beabsichtigen sollte, Atomwaffen herzustellen: Die iranische Regierung ist Jahre von diesem Ziel entfernt.

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Washingtons kurzfristiges Ziel ist nicht etwa, einer möglichen iranischen Atombombe zuvorzukommen. Washington geht es um etwas viel, viel Kurzfristigeres: die Besatzung des Irak auf das Niveau eines Low-intensity-Konflikts zu reduzieren. Dazu sollen die Truppen des irakischen Marionettenregimes zum Einsatz kommen; der Kern der bisherigen Besatzungstruppen hingegen soll für eine neue Aufgabe freigestellt werden; sie sollen die amerikanische Kontrolle über das Öl im Persischen Golf konsolidieren.

Dem Weißen Haus wäre es so möglich, die Irakbesatzung (und die Besatzung in Afghanistan) auf eine neue Grundlage zu stellen, und sie hätte eine neue Legitimationsgrundlage für die Präsenz von US-Truppen in der Region: verhindern, dass Ahmadinedschad an Atomwaffen gerät, verhindern, dass der Iran zuviel Einfluss auf die Schia-Parteien im Irak gewinnt.

Ein umfassender Einmarsch im Iran dürfte hingegen nicht das Ziel des ohnehin überstrapazierten US-Militärs sein. Die Schlüsselfiguren in Washington sähen es lieber, wenn die iranische Regierung nachgibt, ohne dass man zum Mittel der Gewalt greifen muss. General Peter Pace vom Marine Corps / Vorsitzender des US-Generalstabs (Chair of the Joint Chiefs of Staff) spielt die Möglichkeit eines Militärschlags gegen den Iran denn auch herunter. Und Außenministerin Condoleezza Rice verlangt $75 Millionen, um einige oppositionelle Gruppen im Iran zu sponsern. Man will einen “Regimewechsel” von Innen bewirken.

Andererseits hatte Dick Cheney 2005 persönlich eine Studie zu einem Iran-Angriffsplan in Auftrag gegeben. Andere führende US-Politiker rühren die Kriegstrommel - etwa Senator John McCain (Republikaner aus Arizona) oder Joe Lieberman (Demokrat aus Connecticut).

Die Alternative wäre, den Job an Israel auszulagern, das sich derzeit im Wahlkampf befindet. Mehrere israelische Politiker haben versprochen, sowohl der neuen, Hamas geleiteten Palästinenserbehörde als auch Ahmadinedschad gegenüber eine harte Linie zu fahren. Ahmadinedschad hatte ja gesagt, Israel gehöre “von der Karte getilgt”.

Die USA bereiten sich darauf vor, Israel bei einem Programm der Wirtschaftssanktionen gegen Hamas zu unterstützen. Die Rhetorik des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad - etwa seine Leugnung des Holocaust - dient der Bush-Administration als Vorwand für eine härtere Gangart. Sollte sich Hamas tatsächlich, wie geplant, vom Iran finanziell unterstützen lassen, um die Folgen der Sanktionen durch Israel/USA zu umgehen, könnte dies zur Folge haben, dass beide Konflikte schnell miteinander verschmelzen.

Treibstoff der Konfrontation ist aber weder Hamas noch die iranische Führung, sondern die US-Besatzung im Irak bzw. der israelische Versuch, den Griff um Palästina zu verstärken - wobei beides zunehmend als Kampf gegen den “radikalen Islam” dargestellt wird. Auch die Krise nach dem Karikaturenstreit (ein Konflikt, bei dem es um mehrere, in Dänemark erschienene antiislamische Cartoons geht) wird dazu benutzt, dieses Ziel voranzutreiben.

Konfrontation mit dem Islam - darum geht es auch in der neuesten Ausgabe der ‘Quadrennial Defense Review’ des Pentagon. In dem Strategiepapier ist von einem “langen Krieg” gegen den Terror die Rede.

“Die Feinde in diesem Krieg sind keine traditionellen, konventionellen Militärkräfte sondern verstreut und global (operierende) Terroristen-Netzwerke, die den Islam benutzen, um ihre radikalen politischen Ziele zu verfolgen”, heißt es in dem Dokument. “Diese Feinde verfolgen das eingeschworene Ziel, sich nukleare und biologische Waffen zu verschaffen und einzusetzen, sie wollen Hunderttausende Amerikaner und andere auf der ganzen Welt ermorden… Derzeit sind der Irak und Afghanistan wichtige Schlachtfelder, doch der Kampf geht weit über deren Grenzen hinaus. Die USA müssen sich gemeinsam mit ihren Partnern und Verbündeten darauf einstellen, diesen Krieg zu führen und zwar an mehreren Orten gleichzeitig und über mehrere Jahre hinweg”.

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Über mehrere Jahre hinweg - diese Formulierung sollte uns jede Illusion rauben, dass die amerikanische Besatzung des Irak demnächst zu Ende geht, nicht ohne zusätzlichen Druck vonseiten der US-Friedensbewegung und vonseiten des irakischen Widerstands jedenfalls. Pläne für einen amerikanischen Truppenabbau im Irak und Pläne für eine “Irakifizierung” der Besatzung zielen auf etwas anderes ab: den Irak unter Kontrolle Washingtons zu halten - allerdings zu akzeptableren militärischen, politischen und wirtschaftlichen Kosten.

Ähnlich argumentiert auch Edward Luttwak, eine frühere Schlüsselfigur des außenpolitischen Establishments der USA. Luttwak - 1999 “Cheerleader” des US-Nato-Kriegs im Kosovo - schrieb letzten Herbst einen Artikel für ‘Foreign Affairs’, der in seinen Kreisen für einiges Aufsehen sorgte, Titel: “Iraq: The Logic of Disengagement’ (mit dem Titel wollte er auf Howard Zinns berühmtes Vietnam-Buch ‘Vietnam: The Logic of Withdrawal’ anspielen).

“Die US-Militäroperationen im Irak könnten… reduziert werden, ohne dass dies negative Folgen hat”, so Luttwak. “Die vernünftigste Option wäre ein geregelter Abzug der US-Truppen - in sorgfältig koordinierter Absprache mit allen Kräften, sowohl mit den Offiziellen als auch mit dem Militär. Einige US-Kräfte könnten jedoch auf unabsehbare Zeit bleiben - so lange, wie US-Regierung und irakische Regierung dies wollen -, zur Stabilisierung des Landes und um Eindringlinge von außen abzuschrecken”.

Mit “Reduzierung der Truppenstärke” im Irak ist, wohlgemerkt, nicht etwa gemeint, dass die USA sich aus dem Mittleren Osten zurückziehen - vielmehr spricht Luttwak von einer Konsolidierung der dominanten Rolle Washingtons in der Gesamtregion. In einem aktuellen Kommentar schreibt er dazu, im Falle eines US-Angriffs auf den Iran könnten einige ethnische Minderheiten im Land “die Demütigung ihrer Unterdrücker”, das heißt, der herrschenden Klasse im ehemaligen Persien, durchaus “begrüßen”.

Erinnern wir uns an die Voraussage, man werde die US-Soldaten im Irak als “Befreier” begrüßen. Dies hier ist die neue - nicht minder blödsinnige - Version, diesmal in Hinblick auf Iran.

Die Lügen, die zur Legitimierung des Irakkriegs herhalten mussten, werden recycelt, um die Militärschläge gegen den Iran vorzubereiten. Grund: Gesamtziel des US-Imperialismus seit dem 11. September war und ist es, Washingtons Dominanz im Mittleren Osten und in Zentralasien sowie über die dortigen Ölvorkommen zu konsolidieren.

Die USA können nicht einfach zugeben, dass sie eine Niederlage erlitten haben und aus dem Irak abziehen. Wenn sie ihren Griff lockern, müssen sie sich zuerst einen besseren Halt verschaffen - das heißt, den Krieg ausweiten (unter dem Motto: Stoppt den “radikalen Islam”; eine Ausrede, so gut wie jede andere).

Ein Präzedenzfall für die Ausweitung eines (beinah) verlorenen Kriegs ist der “geheime” US-Einmarsch in Kambodscha und Laos und die entsprechenden Bombardierungen. Damit wollten die USA im Jahr 1970 eine Wende im Vietnamkrieg herbeiführen.

Damals schrieb Noam Chomsky: “(D)ie amerikanische Politik des “Antikommunismus” - präziser, der Versuch zu verhindern, dass sich indigene Bewegungen entwickeln, die ihre (jeweilige) Gesellschaft aus der Hand eines integralen Weltsystems, dominiert vom US-Kapital, herauswinden -, (diese Politik) zieht die amerikanische Regierung tragischerweise Schritt für Schritt in einen endlosen Krieg gegen das asiatische Volk hinein, wobei die unweigerliche Nebenwirkung eine Entwicklung hin zu massiver Repression und Gesetzesverachtung im eigenen Land ist.”

Ersetzen Sie “Kommunismus” durch “radikalen Islam” und “Asien” durch “Mittlerer Osten”, und seine Analyse ist so aktuell wie nie.

Das Washingtoner Kriegsgetrommel gegen Iran ist nicht nur diplomatisches Manöver und nicht nur Ablenkungsmanöver in einem Wahlkampfjahr. Die Friedensbewegung der USA sollte sich von diesen Kriegstrommeln warnen lassen, Dringlichkeitsstufe Eins: Die Antikriegsbewegung muss eine breitere Perspektive entwickeln - gegen das US-amerikanisches Imperialprojekt im gesamten Mittleren Osten.

Quelle: ZNet Deutschland vom 26.02.2006. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Iran Policies

Veröffentlicht am

27. Februar 2006

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