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Vieles erinnert an die Zeit vor dem Kosovo-Krieg

Im Gespräch: Der Nahost- und Energie-Experte Mohssen Massarrat über das iranische Sicherheitsdilemma und eine europäische Diplomatie im Dienste der amerikanischen Schlachtordnung

FREITAG: Die EU-3 haben die Atomverhandlungen mit Teheran für gescheitert erklärt - hatten sie Anlass dazu?

MOHSSEN MASSARRAT: Ja, weil sie selbst gescheitert sind. Die EU-3 sind seit zwei Jahren nicht in der Lage, irgendeinen Kompromiss anzubieten, um auf die Gegenseite einzugehen und Irans Forderungen nach Sicherheitsgarantien ernst zu nehmen. Es war klar, dass - wenn die EU-3 bei ihren harten, kompromisslosen Positionen bleiben, die völkerrechtlich nicht gedeckt, sondern nur einseitig politisch motiviert sind - die Verhandlungen irgendwann scheitern müssen. Und sie sind prompt gescheitert.

War es überhaupt sinnvoll, für die EU zwei Staaten verhandeln zu lassen, die wie Frankreich und Großbritannien selbst Atommächte sind?

Es hätte sinnvoll sein können, wenn sich die europäische Seite wirklich ehrlich auf Abrüstung und Entspannung sowohl im Nahen Osten wie in Europa - auch mit Blick auf dessen Beziehungen zu dieser Region - orientiert hätte. Das hätte allerdings vorausgesetzt zu sagen: Wenn Iran auf die Urananreicherung verzichtet und auf jede Option, selbst Atomwaffen zu entwickeln, dann wird Europa eigene Abrüstungsschritte in Aussicht stellen und dabei die israelischen Potenziale nicht länger ausklammern. Europa hätte damit die historische Chancen besessen, einen eurasischen Abrüstungsprozess anzustoßen, der allein deshalb sinnvoll gewesen wäre, weil er einer multilateral-pluralistischen Welt gedient hätte. Die strategischen Arsenale europäischer Mächte sind ohnehin Schrott, weil sie keine militärische Funktion mehr haben.

So honorig dieser Auffassung sein mag, ist sie nicht vollkommen unrealistisch?

Es erscheint immer alles unrealistisch, was mit Abrüstung zu tun hat. Dennoch gibt es Möglichkeiten, die machbar sind. Immerhin ist denkbar, eine potenzielle Atommacht wie den Iran zu verhindern, wenn gleichzeitig Israel Zugeständnisse macht. Und dies kann die EU vorantreiben, wenn erstens Israel Sicherheitsgarantien gewährt würden, und Europa sich zweitens entschließen könnte, eigene Atomwaffen zur Disposition zu stellen. Damit wäre der Beginn einer Abrüstung realistisch.

Nun äußert sich Kofi Annan sehr mäßigend und will, dass mit Teheran wieder verhandelt wird. Sollten auf der anderen Seite des Tisches dann weiter Frankreich, Deutschland und Großbritannien sitzen?

Das hätte nur dann einen Zweck, würde die EU allmählich begreifen, dass ihre Politik nicht länger darauf ausgerichtet sein darf, dem Aufbau einer amerikanischen Drohkulisse Vorschub zu leisten, um Iran mit Sanktionen und sogar mit Krieg zu bedrohen. Sollten die Europäer bei ihrer bisherigen Position bleiben, wird Kofi Annan mit seinen Bemühungen bestenfalls eine Zuspitzung des Konflikts aufschieben, ohne dass es eine Lösung gibt.

Heißt UN-Sicherheitsrat, dass damit automatisch eine Eskalationsdynamik ausgelöst wird, die bis zum Militärschlag führen kann?

Das ist sogar so geplant. Die amerikanische Taktik läuft seit anderthalb Jahren darauf hinaus, die potenziellen Gegner von möglichen Militärschlägen auf das diplomatische Parkett zu schicken, selbst aber gegenüber Teheran keinerlei Konzessionen zu machen, damit jede Diplomatie zum Scheitern verurteilt ist. Die Weltöffentlichkeit soll den Eindruck haben, der Westen hat alles getan und alles gegeben, der Westen hat stets vernünftig reagiert - trotzdem bricht der Iran das Völkerrecht und will Atomwaffen. Diese Stimmung haben die Amerikaner meines Erachtens meisterhaft herbei geführt, die Europäer waren in diesem Spiel …

… nützliche Idioten?

Ja, nützliche Idioten. Und dabei fühlen sie sich als die eigentlichen Akteure. Das ist das Traurige, wenn man jetzt die aggressive Rhetorik solcher Figuren wie Steinmeier und Straw erleben muss. Es ist wirklich eine Tragik, dass die EU soweit herunter gekommen ist, das Werkzeug der Amerikaner zu sein, ohne es selbst zu merken.

Ist das auch eine Erklärung dafür, dass sich die EU nun auffallend hastig entschlossen hat, die Iran-Frage vor den Sicherheitsrat zu bringen und dies auch noch durch ihren Außenbeauftragten Solana verkünden zu lassen?

Für mich gibt es dafür zwei Erklärungen, entweder will die EU jetzt endgültig das Heft des Handelns an die Amerikaner abgeben, da sie sich über ihre Konzeptionslosigkeit in der Nahost- und Iran-Frage im Klaren ist. Warum sollte man gegenüber Teheran weiter eine Hinhaltetaktik verfolgen, ohne selbst irgendetwas in der Hand zu haben, was die Verhandlungen voran bringen könnte. Die andere Erklärung - ich gehe davon aus, dass die EU intern bereits Sanktionen und in der Konsequenz einem Krieg der Amerikaner gegen Iran zugestimmt hat. In diesem Fall wären die Außenminister Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands potenzielle Alliierte, die mit ihrer aggressiven Polemik in der Öffentlichkeit eine Art psychologischer Kriegsvorbereitung betreiben. Das alles erinnert mich stark an die Situation vor dem Kosovo-Krieg 1999. Die öffentliche Meinung soll darauf eingeschworen werden, dass ein militärisches Vorgehen gegen Iran unausweichlich ist.

Kann Teheran in dieser Lage den Sicherheitsrat nicht nutzen, um diplomatisch in die Offensive zu gehen?

Diese Frage stellt sich in der Tat. Ich kann überhaupt nicht verstehen, weshalb die iranische Führung defensiv bleibt und nicht das entscheidende Problem - das eigene Sicherheitsdilemma und die israelischen Nuklearpotenziale - auf die Tagesordnung setzt. Statt dessen wird durch eine propagandistische Offensive wie das In-Frage-Stellen des Holocaust und eine anti-israelische Polemik indirekt gesagt, worum es eigentlich geht. Dieses Vorgehen entbehrt jeder politischen Vernunft und vermittelt der Weltöffentlichkeit genau den Eindruck, den die USA brauchen. Warum vermeidet es die Regierung in Teheran, ein Junktim herzustellen zwischen der friedlichen Nutzung der Atomenergie und den eigenen Sicherheitsrisiken? Man hat stets erklärt, innerhalb der Möglichkeiten, die der Atomwaffensperrvertrag einräumt, sich auf legalem Wege technologische Fähigkeiten auf nuklearem Gebiet anzueignen. Nur hat diese Position jeden Sinn verloren, wenn die Weltöffentlichkeit ohnehin glaubt: Teheran will Atomwaffen. Wenn die iranische Führung die eigene Sicherheitslage glaubhaft machen würde, gäbe es überhaupt eine Chance, Amerikaner und Europäer zu veranlassen, endlich auch über die Konfliktstrukturen zu reden, wie sie im Nahen Osten bestehen.

Wenn der Iran jetzt seine Nuklearforschung wieder aufgenommen hat, verstößt das nicht gegen den Atomwaffensperrvertrag, sollte man festhalten. Man fragt sich nur, warum wurde dieser Schritt ausgerechnet jetzt getan?

Weil der Präsident intern unter Druck steht - unter dem Druck der über 4.000 Wissenschaftler und Ingenieure, die in der Atomforschung arbeiten und darauf warten, ihrem Job nachzugehen - und das für richtig halten. Ahmadinejad steht mindestens ebenso unter dem Druck seiner Anhänger, denen er gesagt hat, wir werden nicht zulassen, dass man uns diskriminiert und von uns verlangt, auf die Urananreicherung zu verzichten, obwohl wir ein Recht dazu haben. Die iranische Führung betreibt ein Machtspiel, auch mit dem Kalkül, regionale Atommacht zu werden. Man weiß aber, es reicht auf Dauer nicht, dies nur zu artikulieren - der Mobilisierung, die zur Legitimation dieser Politik in Iran stattgefunden hat, müssen nun Taten folgen. Aus der Machtperspektive von Ahmadinejad ist das logisch, um so mehr, wenn sich jetzt eine nicht friedliche Entwicklung abzeichnet.

Diese Logik galt allerdings für einen Präsidenten Khatami ebenso wie jetzt für einen Präsidenten Ahmadinejad.

Das ist wohl wahr, nur sieht sich Ahmadinejad nun zum Handeln gedrängt, nachdem die Europäer den Iranern nichts angeboten haben, was ihren Sicherheitsinteressen gerecht wird.

Wäre das Angebot aus Moskau, die Aufbereitung iranischer Brennstäbe in Russland vorzunehmen, ein Ausweg?

Ich hielt das immer für ausgeschlossen, wenn die Iraner sich selber und ihrer Argumentation treu bleiben - und da gibt es einen Wettbewerb im Parlament und zwischen dem Parlament und der Regierung -, dass es ihr Recht ist, langfristig von jedem Staat unabhängig zu sein, wenn es um die Lieferung nuklearer Brennstäbe geht. Diese Haltung ist in sich logisch, denn will man die Abhängigkeit von den eigenen fossilen Ressourcen überwinden, ergibt es keinen Sinn, diese durch die Abhängigkeit von anderen Staaten zu ersetzen. Die russische Erpressung der Ukraine gibt Iran eigentlich Recht in seiner Haltung. Im Übrigen hat sich auch Russland durch Bush instrumentalisieren lassen. Der erste, der Putin gratuliert hat, als der Vorschlag mit der Urananreicherung in Russland auf dem Tisch lag, war Bush, weil völlig klar war: Teheran wird das nicht akzeptieren. Russland kann letzten Endes erklären, auch wir haben nichts erreicht, und auf die konfrontative Linie der Amerikaner einschwenken. Das gehört aus meiner Sicht mit zur US-Kriegsvorbereitung.

Das Gespräch führte Lutz Herden

Mohssen Massarrat, geboren im Iran, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück. Seit Jahren aktiv in der Friedensbewegung war er Mitbegründer der “Koalition für Leben und Frieden”. Mohssen Massarrat hat zahlreiche Bücher zu den internationalen Wirtschaftsbeziehungen, zum Mittleren Osten sowie zur Friedens- und Konfliktforschung geschrieben, unter anderem Globalisierung und Nachhaltigkeit. Bausteine einer neuen Weltordnung sowie Amerikas Weltordnung. Hegemonie und Kriege um Öl.


Der Atomwaffensperrvertrag und die Uran-Anreicherung

Auch wenn zuweilen der Eindruck erweckt wird - es ist mitnichten so, dass der Atomwaffensperrvertrag Iran die Anreicherung von Uran und dazu erforderliche nukleare Forschungen verbietet. Als das Abkommen am 5. März 1970 geschlossen wurde, gab es ein Agreement zwischen den damaligen Kernwaffen-Mächten USA, Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich sowie China und dem “Rest der Welt”. Die genannten Länder wurden unter der Bedingung als einzig legitime Nuklearstaaten anerkannt, dass sie sich zum Abbau ihrer Arsenale verpflichten. Im Gegenzug erklärten alle Nicht-Nuklearstaaten - soweit sie den Atomwaffensperrvertrag unterzeichneten - auf Entwicklung, Bau und Lagerung von Kernwaffen zu verzichten. Dafür wurde ihnen das Recht zugestanden, alle verfügbaren Technologien für die friedliche Nutzung der Kernenergie, einschließlich des Baus von Atommeilern, anwenden zu können. Die dafür in Anspruch genommenen Anlagen - so die Verpflichtung - sollten aber Kontrollen durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) zugänglich sein. Die wichtigsten Artikel des “Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen” im einzelnen:

Artikel 1 - die Atomwaffenstaaten verpflichten sich, Kernwaffen nicht weiterzugeben und niemanden zu unterstützen oder zu ermutigen, derartige Waffen herzustellen oder zu erwerben.

Artikel 2 - die Nichtatomwaffenstaaten verzichten auf Kernwaffen.

Artikel 3 - die Kontrolle erfolgt durch die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA).

Artikel 4 - es gibt das Recht auf die zivile Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie und auf Hilfe bei Ausrüstungen und Informationen dazu.

Artikel 5 - es gibt das Recht auf Kernexplosionen zu friedlichen Zwecken.

Artikel 6 - alle Vertragsstaaten haben die Pflicht zur nuklearen beziehungsweise zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung.


Szenario einer Eskalation

August 2002 - die iranische Regierung stimmt Kontrollen der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) in seiner Uran-Anreicherungsanlage in Natans zu.

Februar 2003 - Präsident Khatami gibt bekannt, dass sein Land Forschungen betreibe, um einen eigenen nuklearen Brennstoff-Kreislauf aufzubauen und eine unabhängige Energieversorgung zu sichern.

August 2003 - nach Verhandlungen mit den EU-3 stimmt Teheran strengeren Kontrollen der IAEA in seinen Atomanlagen zu.

Februar 2004 - der pakistanische Atomwissenschaftler Abdul Quadeer Khan teilt mit, er habe technologisches Wissen an iranische Forscher weitergegeben, das auch zum Bau von Kernwaffen genutzt werden könnte.

September 2004 - Erklärung von Außenminister Powell vor dem Sicherheitsrat: Es sei Zeit, Sanktionen gegen Iran zu verhängen

November 2004 - Iran verpflichtet sich im Pariser Abkommen zur Aussetzung der Urananreicherung für die Dauer der Verhandlungen mit der EU, keineswegs aber bis zum Abschluss eines Abkommens mit der IAEA oder der EU, wie jetzt zuweilen behauptet wird.

August 2005 - Iran nimmt die Anlage in Isfahan - dort lässt sich aus Uranerz das Gas Uranhexafluorid (ein Ausgangsstoff zur Urananreicherung) gewinnen - wieder in Betrieb, nachdem die EU-3 erneut jeden Lösungsvorschlag schuldig geblieben sind, mit dem iranische Sicherheitsbelange respektiert werden. Die EU-3 stellen danach die Verhandlungen ein, ohne sie für gescheitert zu erklären.

Januar 2006 - Präsident Ahmadinedjad kündigt vor dem Parlament an, ab dem 9. Januar den Betrieb der Urananreicherungsanlagen wieder aufzunehmen. Am 12. Januar erklären daraufhin die Außenminister Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands die Verhandlungen für gescheitert.




Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 03 vom 20.01.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

21. Januar 2006

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