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Nach dem Hungerstreik von Bischof Fr. Luiz: Regierung lässt Projekt nicht Infragestellen

Informationen zur Situation des von der brasilianischen Regierung geplanten Projektes zur Ableitung des Franciscoflusses

Von Maria Oberhofer / Harald Schistek - Juazeiro, 26.12.2005

Am 15 Dezember 2005 fand in Brasília ein Gespräch zwischen dem Präsidenten Lula und dem Bischof Fr. Luiz Flavio Cappio statt. Außerdem waren VertreterInnen der Regierung, der Basisorganisationen und der Kirche anwesend. Die Basisorganisationen hatten vorher an zwei Tagen, zusammen mit Bischof Fr. Luiz, drei Dokumente ausgearbeitet, die ein umweltgerechtes Entwicklungskonzept für das Einzugsgebiet des Rio Sao Francisco und für die semi-aride Region Brasiliens als Ganzes aufzeigen und erklären, warum die Basisorganisationen gegen die Ableitung eines Teiles des Wassers vom Rio Sao Francisco sind.

Es folgt eine Zusammenfassung der Dokumente, die dem Präsidenten Lula überreicht wurden:

Die Problematik des von der Regierung vorgeschlagenen Ableitungsprojektes

  • Es ist sozial ungerecht: Die 1,7 Milliarden Euro Anfangskosten sind gewaltig und bindend. Staatliche Mittel für weitere angepasste Investitionsmaßnahmen im semi-ariden Gebiet werden für viele Jahre fehlen. Das Projekt erreicht nicht die Familien, die wirklich Wasser benötigen, sondern ist in erster Linie bestimmt für Bewässerungsprojekte, Shrimpszucht und Industriebedarf.
  • Unbedeutend ist die räumliche Ausdehnung: Es wird im Höchstfall ein Gebiet von 7% der semi-ariden Region erreichen. Über 90% der zumeist zerstreut lebenden Bevölkerung im semi-ariden Gebiet wird weiterhin nur ungenügenden Zugang zu Wasser haben.
  • Es gibt ausreichend Wasser im Zielgebiet der Ableitung; im Norden des semi-ariden Gebietes hat z.B. der nördliche Bundesstaat Ceara ein Wasserpotenzial, das viermal den gegenwärtigen Wasserbedarf decken würde.
  • Das Projekt der Ableitung manipuliert und verschweigt offizielle Daten und Informationen. Für die Berechnung des Wasserdargebotes im Einzugsgebiet des Sao Franciscoflusses wurden andere Kriterien verwendet, als für das Zielgebiet der Ableitung. Auch wurde das Potenzial der unterirdischen Wasservorräte in die Endsumme nicht berücksichtigt.
  • Das Ableitungsprojekt bringt keinen sozialen Fortschritt und keine nachhaltige Entwicklung für den Nordosten. Das Projekt bringt einen Rückschritt im nachhaltigen Entwicklungskonzept, das seit Jahren in der Region verfolgt wird. Vor allem wird der Demokratisierung des Zugangs zu Wasser und der partizipativen Verwaltung der Wasserquellen nicht Rechnung getragen. Das abgeleitete Wasser hätte einen fünfmal höheren Preis als zurzeit und würde folglich ihren Produkten ihren Preisvorteil im globalen Markt entziehen. Wer zur Kasse gebeten werden soll, ist die urbane Bevölkerung, die durch eine signifikante Preiserhöhung die Rentabilität von Bewässerung- und Shrimpsproduktion übernehmen muss.
  • Hinter dem Ableitungsprojekt steht eine starke Lobby, die sich einerseits von den Bauarbeiten, andererseits im Zielgebiet durch Produktionsprojekte begünstigen will. In der Tat sollen die Wasserkanäle dutzende bis hunderte Kilometern entfernt, von den wahrhaft bedürftigen Regionen durch die Gegend verlegt werden.
  • In dem Ableitungsprojekt wird dem wirtschaftlichen Bedarf Vorzug gegeben, statt den gesetzlichen Bestimmungen zu folgen, das Wasser erstrangig für den menschlichen und tierischen Bedarf zu nutzen.
  • Das Projekt verletzt die verfassungsgemäß garantierten Rechte der angestammten Bevölkerung: der 34 Indianerstämme, 156 Quilombogemeinden und die der unzähligen UferbewohnerInnen.
  • Die Vorgehensweise der Regierung ist von Willkür gezeichnet: Der von der Regierung bezeichnete Dialog war nichts anderes als die Vorstellung des fertigen Projektes. Kritiken und Vorschläge zur Änderung, seitens der Zivilgesellschaft wurden nie akzeptiert.

Grundelemente eines nachhaltigen Entwicklungskonzeptes für das semi-aride Gebiet, im Rahmen der Konviventia mit dem semi-ariden Klima

  • Das semi-aride Gebiet benötigt eine Wasserreform, die das Wasser der schon vorhandenen 70.000 Staudämme demokratisiert und die Wasserversorgung der ländlichen und städtischen Bevölkerung der Landkreise im Einzugsgebiet des Sao Franciscoflusses sichert. Das Oberflächenwasser und die unterirdischen Vorräte müssen nachhaltig genutzt und die Wasserverschwendung bei der Verteilung vermieden werden. Bereits benutztes Wasser kann wieder verwendet werden, das effiziente Auffangen des Regenwassers wird das Angebot erhöhen - vom jährlichen Niederschlag von 750 Milliarden m³ werden bisher nur 30 Milliarden m³ genutzt.
  • Eine neue Art von Landreform wird benötigt, die den größeren Landbedarf in der semi-ariden Region berücksichtigt. Die großen, sich in staatlicher Hand befindlichen Grundflächen, sind mit einzubeziehen, es müssen günstige Kredite für die Familienlandwirtschaft und Landreformprojekte bereitgestellt werden. Außerdem muss eine Entwicklungspolitik, die auf der Konviventia mit dem semi-ariden Klima aufbaut, begonnen werden. Es bedarf der Vermessungen und grundbuchmäßigen Eintragungen des Landes der indianischen Urbevölkerung und der Quilombogemeinden, der Uferbevölkerung sowie der traditionellen kollektiven Weideflächen.
  • Sozio-Kulturelle Aspekte: Wir benötigen eine neue Dynamik, die die Interessen der lokalen Bevölkerung in Betracht zieht und die auf die Vielfältigkeit der ethnischen und kulturellen Geschichte eingeht. Bei der Ausarbeitung von Entwicklungsprogrammen, Projekten und Forschungsvorhaben müssen die Interessen der traditionellen Landgemeinden und deren Autonomie geachtet werden. Außerdem bedarf es Projekte im Pädagogik- und Schulbereich, die von der kulturellen, sozialen und ökologischen Realität ausgehen und nicht von außen her aufgezwungen werden.
  • Die gesamte Struktur der Regierung, Gesetzgebung, Exekutive und Rechtsprechung muss in harmonischer Weise ein auf das Trockengebiet abgestimmtes Entwicklungsprogramm planen und durchführen. Dazu muss ein permanenter Entwicklungsrat der semi-ariden Region, unter Teilnahme der Staatsregierung und der Basisorganisationen, geschaffen und mit den entsprechenden Finanzmitteln ausgestattet werden.
  • Die biologische Vielfalt der heimischen Pflanzen- und Tierwelt muss geschützt und darf nur nachhaltig genutzt werden. Schutzgebiete müssen ausgewiesen, das Ökosystem darf nicht durch den Anbau von Monokulturen oder nicht angepasster Pflanzen zerstört werden. Einheimische Pflanzen und Tiere müssen erforscht und die Nutzungsmöglichkeiten überprüft werden.
  • Energiegewinnung: Es bedarf einer sauberen, dezentralen und nachhaltigen Energiegewinnung zur Sicherung der permanenten Autonomie, z.B. über Sonnenenergie, Biomasse etc.
  • Die Degradation von Landflächen muss abgefangen und desertifizierte Gebiete müssen wieder hergestellt werden. Durch nicht angepasste Technologien und Maßnahmen, z.B. Rinderzucht, Abholzung zum Anbau von Futterpflanzen für Rinder, Brandrodung und Großbewässerungsprojekte, befinden sich große Flächen im Desertifizierungs- und Degradierungsprozess. Vorschläge und Projekte in dieser Richtung dürfen nur in partizipativer Art erstellt und unter sozialer Kontrolle durchgeführt werden.

Gespräch mit dem Präsidenten Lula am 15.12.2005

Bei dem Gespräch wurde seitens des Präsidenten und der Regierungsvertreter (Minister der Integration, Ciro Gomes und Minister für interne Angelegenheiten, Jaques Wagner) auf die Notwendigkeit des Projektes der Ableitung hingewiesen und als Entwicklungsprojekt für die semi-aride Region dargestellt, um das Wasserproblem zu lösen.

Der Bischof Fr. Luiz und VertreterInnen der Basisorganisationen und Kirche bekräftigten jedoch, dass das semi-aride Gebiet eines Entwicklungskonzeptes bedarf, das die nachhaltige Entwicklung für die Bevölkerung und der Region sichert und Rechte der Familien garantiert, was aber bei dem Ableitungsprojekt genau das Gegenteil bewirkt. Es bedarf eines ganzheitlichen Entwicklungsprogrammes, das vom Konzept der Konviventia mit dem semi-ariden Klima ausgeht.

Starke Kritik wurde seitens des Bischofs und der Basisorganisationen geäußert, weil es bei dem Ableitungsprojekt von Anfang an keinen Dialog gab und keine umfassende, transparente und partizipative Diskussion mit der Zivilgesellschaft und den Basisorganisationen stattfand - so wie es von der Regierung behauptet wird. Außerdem wurden bereits die ersten Bauarbeiten (durch Soldaten von Pioniereinheiten - trotz gegenteiliger richterlicher Entscheidung) begonnen; die Zivilgesellschaft wurde nicht darüber informiert, weiter fand kein Dialog statt.

Eine entscheidende Vereinbarung, die zwischen dem Regierungsvertreter und dem Bischof in Cabrobó getroffen wurde und die u.a. zur Beendigung des Hungerstreiks führte, war die Zusicherung, dass es zu einem umfassenden Dialog und Diskussion kommen würde, in Ehrlichkeit und Transparenz, in Richtung von Lösungen, die die ärmste Bevölkerung im semi-ariden Gebiet berücksichtigt.

Es wurde jetzt klar, dass die Regierung in keinem Moment daran dachte, das Projekt neu zu diskutieren. Das Projekt sollte ohne Rücksicht, so wie geplant, durchgeführt werden. Der Baubeginn war für spätestens Januar/Februar 2006 vorgesehen.

Präsident Lula behauptete, dass am Anfang der Planung des Ableitungsprojektes im Auftrag der Regierung eine Umwelt- und Verträglichkeitsprüfung stattgefunden habe, denn er wäre verantwortungsbewusst und hätte es ohne diese Prüfung nicht akzeptiert! Außerdem bestätigte er, dass das Projekt noch umfangreicher ist, denn es plant auch die teilweise Ableitung des Wassers des Tocantins zum Francisco- und zum Parnaibafluss.

Den Bau von Regenwasserzisternen dagegen versteht der Präsident Lula nur als zusätzliche Maßnahme zur Ableitung.

Bei dem Gespräch war bezeichnend, dass die Regierungsleute den Bischof Frei Luiz als realitätsfremd darstellten, ihm zwar gute Absichten nicht absprachen, aber als williges Instrument in der Hand der Vertreter der rechten Partei PFL klassifizierten.

Es ist jetzt wichtig, dass der Bischof, Basisorganisationen, Forscher, Kirche, etc. “beweisen”, dass das Konzept der Ableitung falsch ist; nur ein Projekt, das auf der Konviventia mit dem semi-ariden Klima aufbaut, kann den Familien und der Region eine echte nachhaltige Entwicklung und Zugang zu Wasser bringen. Dies muss innerhalb kurzer Zeit geschehen.

Neueste Information

Am 21.12.2005 hat der oberste Bundesgerichtshof die Genehmigung für den Bau der Ableitung des Wassers aus dem Rio Sao Francisco aufgehoben. Dies bedeutet, dass die Regierung jetzt nicht stillschweigend in den Ferien und Karnevalsmonaten den Bau beginnen kann. Es muss eine neue Ausschreibung gemacht werden und die interessierten Bauunternehmen müssen neue Projektvorschläge einreichen. Mit der Entscheidung des obersten Bundesgerichtshofes erleidet das Projekt der Ableitung jetzt eine signifikative Verzögerung und kann höchstens ab März 2006 begonnen werden. Das Jahr 2006 ist aber ein Wahljahr (Präsidentenwahl), in dem sich manches noch ändern kann.

Jeglicher Zeitgewinn ist jetzt wichtig, damit verhindert wird, dass unser Land - vor allem die semi-aride Region - wieder einmal in mega Bauprojekte abtaucht, die mit lügnerischen Argumenten falsche Hoffnungen wecken, besonders derjenigen Menschen, die unter Trockenheit und Armut im semi-ariden Gebiet leiden.

Veröffentlicht am

04. Januar 2006

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