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Ahmadinedschads präventiver Krieg

Iran: Der Nobody im Präsidentenamt ist in der arabischen Welt ein populärer Politiker, bei den Radikalen gar ein Held

Von Mohssen Massarrat

Der Präsident in Teheran hat es gleich mehrfach geschafft, sich mit antiisraelischen Verbalattacken in Szene zu setzen. George W. Bush besitzt endlich den Beweis für die Richtigkeit seiner Stigmatisierung der Islamischen Republik als “Schurkenstaat”. Ariel Sharon darf sich in seinem Befehl an den israelischen Sicherheitsapparat bestärkt fühlen, einen Schlag gegen iranische Atomanlagen für Ende März vorzubereiten. In Deutschland verlangen nicht wenige Medien von der Bundesregierung, außer Solidaritätsbekundungen mit Israel auch zu handeln, etwa durch den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Teheran. Manch einer lässt sich gar zu der dreisten Forderung an die Regierung Merkel hinreißen, einen israelischen Militärschlag gegen Irans Atomanlagen zu billigen.

Allerdings bleibt bei allen die Frage offen, was Mahmud Ahmadinedschad mit seinem Israel feindlichen Populismus eigentlich will. Ist er ein verwirrter Irrer oder ausgerasteter Fundamentalist, will er von seinem innenpolitischen Versagen ablenken, wie von vielen behauptet wird? Warum hat er seine Attacken wiederholt und jedes Mal verschärft? Warum hält sich sein ernstzunehmender Rivale Rafsandjani mit Kritik zurück, warum pflichtet ihm der Revolutionsführer Khamenei indirekt sogar bei, warum distanzieren sich die Führer in der arabisch-islamischen Welt nicht vom iranischen Präsidenten?

Tatsache ist, dass Ahmadinedschad im Iran nach wie vor bei den benachteiligten Schichten populär ist. Er bereist eine Provinz nach der anderen, vornehmlich jene Gebiete, die bisher völlig vernachlässigt wurden. Dort macht er großzügige Finanzierungszusagen für den Bau von Straßen, Krankenhäusern, Schulen, Staudämmen und mobilisiert gleichzeitig seine Anhänger bei den Revolutionswächtern und in der Armee. Eine machtpolitisch entscheidende Klientel, auf deren Gunst auch das islamische Establishment angewiesen ist. In den Augen vieler - nicht nur im Iran, sondern in der arabisch-islamischen Welt überhaupt - erscheint Ahmadinedschad als jemand, der wie kein anderer vor ihm offen ausspricht, was viele dort über Israel denken. Als Opfer israelischer Besatzungspolitik und angesichts der Erniedrigung, unter der die Palästinenser tagtäglich zu leiden haben, weigern sich Araber und Moslems - ob es uns nun gefällt oder nicht - den Holocaust als ein singuläres Verbrechen zu akzeptieren.

Der Umstand, dass endlich jemand den Westen für seine einseitige und Israel freundliche Politik herausfordert, findet in der islamischen Welt auf jeden Fall Zuspruch, weil Palästina immer noch besetzt ist, und es keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass die Palästinenser je ihren eigenen Staat bekommen. Der Nobody Ahmadinedschad ist in der arabischen Welt ein populärer Politiker, bei den Radikalen gar ein Held. Er ist dabei nicht wie Phönix aus der Asche aufgestiegen, er ist viel mehr die Quittung dafür, dass die islamische Elite Irans, einschließlich der Reformer, gescheitert ist. Letztere haben sich in den zurückliegenden acht Jahren allein auf die Demokratisierung des politischen Systems konzentriert, übersahen jedoch die ebenso wichtige Mission, den Wohlstand gerechter zu verteilen und ein wachsendes Massenelend zu beseitigen. Ahmadinedschad gewann mit dem Versprechen, “die Öleinnahmen in die Hütten der Armen zu bringen”, die Wahlen, und zwar ohne Unterstützung des Establishments.

Er ist momentan damit beschäftigt, die gesamte Führungsetage im Staatsapparat mit seinen Anhängern zu besetzen und könnte sogar den Schritt wagen, mit Hilfe seiner Machtbasis bei den Revolutionswächtern ein autoritär-militaristisches Regime zu errichten. Mahmud Ahmadinedschad ist nicht zuletzt die Antwort auf den Versuch der USA und der EU, Irans Sicherheitsproblem im Konflikt um die Atomanlagen systematisch zu ignorieren und Israels Position als Atommacht zu verteidigen. Seine Botschaft in diesem Kontext ist eindeutig: Wenn ihr - Amerikaner und Europäer - es für rechtens haltet, dass Israel Atomwaffen besitzt und wir dies nicht dürfen, dann stellen wir das Existenzrecht Israels insgesamt in Frage. Ahmadinedschad folgt dabei seinem Machtinstinkt und könnte mit der Absicht spielen, den bisher verfolgten Kurs der iranischen Diplomatie zu beenden. Das hieße, es wird nicht länger versucht, auf legalem Wege das eigene Nuklearprogramm auszubauen - es werden Vorkehrungen für die Abwehr einer militärischen Intervention Israels und der USA getroffen. Mit seiner antiisraelischen Propaganda führt Iraks Präsident schon jetzt einen Präventivkrieg, indem er in psychologischer Hinsicht das Terrain bereitet, damit militante Gruppen aus der gesamten Region ihre Operationen gegen Israel und die US-Armee im Irak, in Afghanistan und Saudi-Arabien verstärken.

Eine höchst besorgniserregende Perspektive. Ahmadinedschad ist zum aktiven Teil eines Krieges um Hegemonie, Öl und Nuklearwaffen geworden, den die US-Neocons in Afghanistan begannen, im Irak fortsetzten und nun im Iran vollenden könnten. Die EU bleibt sowohl im Palästina-Konflikt wie im Iran-Atomkonflikt im Schlepptau der amerikanischen Hegemonial- und der israelischen Besatzungspolitik. Sie hat sich durch ihre Konzeptionslosigkeit als eigenständiger weltpolitischer Akteur de facto aus dem Spiel manövriert. Die EU-Regierungen sollten aufhören, durch die zur Schau gestellte Empörung über Ahmadinedschad davon abzulenken, dass ihre Mittel- und Nahostpolitik vollends gescheitert ist. Jetzt kann nur noch eine Allianz der Vernunft helfen - eine Initiative der friedliebenden und weitsichtigen Menschen aus Amerika, Europa, Israel, Iran und anderer Staaten der Region, um die Logik der Kriegseskalation von Bush, Sharon und Ahmadinedschad zu durchkreuzen. Das Eintreten für eine regionale Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit bleibt immer noch hoch aktuell und ein existenziell wichtiger politischer Auftrag.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung , 51/52 vom 23.12.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Mohssen Massarrat und Verlag.

Veröffentlicht am

26. Dezember 2005

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