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Die IDF herrscht auch in den Krankenhäusern

Von Amira Hass, Haaretz, 07.12.2005

Es stellt sich heraus, dass das israelische Militär nicht nur die Westbank beherrscht. Das Urteil eines 19-jährigen Soldaten und eines Militärpolizisten (MP) haben mehr Macht als der Arzt, wenn es sich um die Situation eines Patienten handelt, der als Gefangener gilt. Ein 14-jähriger Palästinenser wurde von der IDF verwundet und ins Schneider-Hospital gebracht - die Hände und die Füße in Handschellen, obwohl er von zwei MPs bewacht wurde, und er wegen seiner Verletzungen gar nicht gehen konnte. Das fachärztliche Urteil der Krankenhausärzte war, dass der verwundete Jugendliche, der zwei Tage zuvor eine medizinische Behandlung an seinem Bein erhalten hatte, von den Handschellen befreit werden sollte - aber sie wurden zurückgewiesen.

Nach den Regeln des Gesundheitsministeriums von 1999 “liegt die Genehmigung, einen Patienten im Krankenhaus zu fesseln, bei der (militärischen) Durchsetzungsbehörde, die für den Patienten verantwortlich ist und ihn bewachen muss. Auf jeden Fall sollte das Fesseln des Patienten, wenn es nach Meinung der behandelnden Ärzte für die medizinische Behandlung nicht förderlich oder ihrer Meinung nach auch nicht nötig ist, vom Wachpersonal verlangt werden können, den Patienten von den Fesseln zu befreien. Im Falle unterschiedlicher Meinung sollte ein Entscheidungsgremium von Krankenhausvertretern und der Sicherheitsbehörde entscheiden.

Doch behaupten verschiedene Quellen, dass das Gesundheitsministerium seit einiger Zeit mit veränderten Regeln arbeitet, dass der medizinisch-professionelle Standpunkt und gesunde Menschenverstand von der Haltung der Durchsetzungsbehörde überstimmt wird: die Patienten werden gefesselt und die Argumente der Ärzte ignoriert. Anscheinend haben die ständigen Klagen der Ärzte für Menschenrechte (PHR) und anderer Institutionen über die Bereitschaft der Sicherheitsleute, Handschellen anzuwenden, und die Sorge der Ärzte, bei “Beurteilungen” der Polizisten oder Soldaten zu intervenieren, Wirkung gezeigt.

Dr. Ytzhak Kedman vom “Israelischen Nationalrat für das Kind” schrieb an den stellvertretenden Direktor Dr.Yitzhak Berlowitz vom Gesundheitsministerium als Antwort auf einen Artikel in Haaretz über den gefesselten Jungen: “In der Vergangenheit korrespondierten wir über einen ähnlichen Fall und Sie machten mir klar, dass Sie gegen das Fesseln von Patienten sind, wenn es noch Minderjährige sind, und besonders dann, wenn es andere Mittel gibt, dass sie nicht entfliehen …”

Die militärische Logik für das Fesseln kann in der Antwort der IDF gegenüber Haaretz (1.12) gefunden werden: “Der Junge und zwei andere wären beobachtet worden, wie sie Molotow-Cocktails auf vorüberfahrende israelische Wagen werfen wollten.” Die IDF jagte hinter den Jugendlichen her. “Während der Jagd versuchten die Jungen Molotowcocktails auf die Soldaten zu werfen. Deshalb seien sie auf untere Körperteile angeschossen worden. So sei er verwundet worden. Sein Status - auch im Krankenhaus - sei also der eines Verhafteten.”

Es ist auch zur Genüge bekannt, dass die IDF sich jenseits dessen bewegt, was rechtlich korrekt ist. Der Sprecher formulierte seine Antwort (als eine von Soldaten und ihren Offizieren gelieferte Version), als ob er nie gehört hätte, dass nach dem Gesetz “eine Person solange unschuldig ist, bis ihre Schuld bewiesen ist”. Sie fügten nicht einmal das Wort “vermutlich” hinzu. Der Junge dagegen leugnete energisch die IDF-Version und sagte, er habe seinem Vater geholfen, Propangasflaschen an die Dorfbewohner von Ma’adma zu verteilen. Die IDF-Antwort reflektiert die vorherrschende Haltung gegenüber jedem palästinensischen Verhafteten, einschließlich einem 14 Jährigen: er ist schuldig, solange nicht das Gegenteil bewiesen wird - und es ist sehr schwierig, das Gegenteil zu beweisen.

Das für diesen Jungen gesetzte Verfahren ist wohlbekannt: Nach dreieinhalb Tagen im Krankenhaus wurde er in das medizinische Zentrum des Gefängnisses verlegt. Das militärisch-rechtliche System hält automatisch jeden verhafteten Palästinenser bis zum Ende des Gerichtsverfahrens gegen ihn fest. Auch gegen Kinder, die verdächtigt wurden, Steine geworfen zu haben - nicht nur gegenüber Mordverdächtigen. Wenn ein Anwalt eine faire Gerichtsverhandlung mit vorgeladenen Zeugen, Verhören der Soldaten und mit Kreuzverhören führen möchte und Widersprüche aufdeckt - kann die Haftstrafe “bis der Prozess vorüber ist” - sich als länger erweisen, als die Strafe die der Jugendliche letztendlich erhält.

Der Druck des Systems auf Anwälte und Verhaftete, besonders wenn es sich um einen verwundeten Minderjährigen handelt, ist enorm. Dabei ist während der militärischen Gerichtsverhandlung die IDF, die den Jugendlichen verwundete, gleichzeitig der Ankläger, Zeuge und der Richter. Und die verborgene große Jury ist die israelische Öffentlichkeit, die keine Zweifel an oder irgendwelche Klagen über das Wesen des militärisch-rechtlichem Systems in den besetzten Gebieten hat.

Dieses Mal ging es etwas anders als üblich. Der Vater des verwundeten Jungen wandte sich an eine Aktivistin von Machsom Watch und berichtete über den Vorfall und wie sein Sohn in ein israelisches Krankenhaus gebracht wurde, nämlich ohne Begleitung eines erwachsenen Verwandten und obwohl er kein Hebräisch kann. Die Aktivistin kontaktierte die Ärzte für Menschenrechte . Einer ihrer Mitarbeiter, Prof. Zwi Bentwich, benachrichtigte den Krankenhausdirektor über den Fall des Jungen und dass er in Handschellen sei.

Aktivisten von PHR und Machsom Watch besuchten den Patienten - gegen den Willen der MP - und erreichten, dass der Onkel eine Besuchserlaubnis erhielt. Ein Anwalt der PHR wurde auch hinzugezogen. Und auf einmal wurde der Junge, der so gefährlich war, dass er gefesselt im Krankenhausbett liegen musste, und der angeblich versuchte, Soldaten zu verletzen, am Montagabend - nach Hause entlassen.

Deutsche Übersetzung: Ellen Rohlfs

Veröffentlicht am

14. Dezember 2005

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