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Neblig bei klarer Sicht - wie die US-Medien die Berichterstattung über den Luftkrieg im Irak scheuen

Von Norman Solomon - ZNet 07.10.2005

Die US-Regierung führt einen Luftkrieg im Irak. “In den letzten Monaten scheint sich das Tempo des US-Bombardements verstärkt zu haben”, schreibt Seymour Hersh in The New Yorker vom 5. Dezember. “Die meisten Ziele liegen offensichtlich in den feindlichen, überwiegend sunnitischen Provinzen um Bagdad und an der syrischen Grenze”. Hersh: “Bis heute hat zu diesem Luftkrieg weder im Kongress noch in der Öffentlichkeit eine ernsthafte Debatte oder Diskussion stattgefunden”.

Ein wichtiger Grund hierfür: Wenn es um die Dimension des Pentagon-Luftbombardements im Irak geht, stecken unsere großen US-Nachrichtenblätter den Kopf in den Sand - eine Verweigerungshaltung, die umso problematischer ist, da eine Reduzierung der US-Truppen im Irak mit ziemlicher Sicherheit zu einer Intensivierung des Luftkriegs führen wird.

Ich forsche im LexisNexis, wie oft der Begriff “air war” (Luftkrieg) - im Zusammenhang mit dem aktuellen US-Militärengagement im Irak - im Jahr 2005 in der New York Times abgedruckt wurde.

Bis Anfang Dezember waren es exakt null mal.

Und in der Washington Post?

Die Antwort lautet ebenfalls null.

Wie häufig stand der Begriff “air war” 2005 im Time Magazine, dem größten amerikanischen Nachrichtenmagazin?

Null mal.

Diese extreme Vogel-Strauß-Politik unserer Medien muss sich ändern und zwar umgehend, zumal das aktuelle Gerede aus Washington - Teilabzug der US-Truppen aus dem Irak - den Boden bereitet für weiteres militärisches Töten im Irak, nämlich aus der Luft.

Die letzten Wochen haben einen dramatischen Umschwung in der nationalen Debatte zur amerikanischen Irakkriegspolitik gebracht. Die Möglichkeit eines raschen Abzugs aller US-Truppen - eine Option, die die meisten Parteiführer und Medien-Gurus bislang für undenkbar hielten -, wird plötzlich in den Mainstream-Medien erörtert und das allen Ernstes.

Zumindest implizit vermittelt die Nachrichtenberichterstattung in den USA den Eindruck, dass es hinsichtlich des amerikanischen Kriegsbeitrags im Irak vor allem auf die “boots on the ground” ankomme, die Soldatenstiefel vor Ort. Deshalb wird in der öffentlichen Debatte - fälschlicherweise - davon ausgegangen, dass eine Verringerung der amerikanischen Truppen im Irak bedeutet, dass das Pentagon künftig in weniger Gräuel im Irak verwickelt wäre.

Die Wahrheit (unter der Oberfläche des Massenmedien-Diskurses) sieht so aus: Es gibt Anzeichen, die sehr dafür sprechen, dass das amerikanische Militäroberkommando das Bombardement des Irak verstärken wird - bei gleichzeitiger Reduzierung der US-Besatzungstruppen im Irak. Dies soll noch vor den US-Kongresswahlen im nächsten Herbst erfolgen, denn dem Weißen Haus ist sehr daran gelegen, Fortschritte beim amerikanischen Rückzug aus dem Irak vorweisen zu können. Machen wir uns daher auf einen massiven Medien-Spin rund um jeden möglichen Truppenteilrückzug im Jahr 2006 gefasst.

“Der amerikanische Luftkrieg im Irak ist momentan vielleicht der wichtigste - kaum berichtete - Aspekt im Kampf gegen den Aufstand”, schreibt Hersh in seinem Artikel für den New Yorker. Die Dimension des amerikanischen Bombardements bleibt der amerikanischen Medienberichterstattung verborgen. Schließlich verlässt sie sich auf Informationen, die ihr das Pentagon mit dem Löffelchen füttert. “Die Militärbehörden in Bagdad und Washington versorgen die Presse nicht mit täglichen Berichten über die Missionen, die die Air Force, die Navy oder Einheiten des Marine-Korps fliegen beziehungsweise über die Tonnen, die sie abwerfen; beim Vietnamkrieg wurde das routinemäßig gemacht”.

Aber die Medien-Spindocs im Weißen Haus sind sich sicher wohlig der Tatsache bewusst, dass das Radar der US-Medien den Luftkrieg im Irak kaum erfasst. Eine Ignoranz, die dem Szenario eines Truppenteilabzugs bei gleichzeitig intensiviertem Luftkrieg sehr zuträglich sein dürfte. Hershs Artikel lässt darauf schließen, dass uns genau das bevorsteht: “Ein Schlüsselelement der Truppenreduzierungspläne - das in den öffentlichen Statements des Präsidenten verschwiegen wird -, ist, die abziehenden amerikanischen Bodentruppen durch amerikanische Airpower ersetzen zu wollen. Schnelle, tödliche Schläge durch US-Kriegsflugzeuge - das wird als Weg angesehen, die Schlagkraft selbst noch der schwächsten irakischen Kombateinheiten drastisch zu stärken.”

Die Mainstream-Nachrichtenberichterstattung in den USA zieht die Möglichkeit nicht in Betracht, dass das US-Militär nach einer Reduzierung der amerikanischen Soldaten im Irak eventuell noch mehr Iraker töten könnte - eine Möglichkeit, die ebenso real wie problematisch ist. “Was viele vorschlagen, nämlich eine Reduzierung der US-Truppen und parallel dazu einen noch brutaleren Luftkrieg sowie die Schaffung einer irakischen Klientenarmee, würde die Zahl der getöteten Iraker sehr wahrscheinlich weiter in die Höhe treiben”, so Joseph Gerson vom American Friends Service Committee. “Die ‘Farbe der Leichen’ würde sich ändern - und so den fortdauernden Krieg für die amerikanische Öffentlichkeit akzeptabler machen”.

Ein gutes Vorbild für eine solche politisch motivierte Strategie war die sogenannte “Vietnamisierung” des Vietnamkriegs, deren Beginn Präsident Richard Nixon Mitte 1969 einläutete. Diese Politik sah eine Reduzierung der US-Truppen in Vietnam um fast eine halbe Million vor (über einen Zeitraum von 3 Jahren hinweg). Im gleichen Zeitraum wurde die Zahl der US-Bombentonnen, die über Vietnam abgeworfen wurden, gesteigert.

Ganz ähnlich könnten sich die Ereignisse im nächsten Jahr entwickeln - das heißt, vor den Wahlen im November 2006, die darüber entscheiden werden, welche Partei das Repräsentantenhaus und den Senat bis zum Jahr 2008 dominiert. Präsident Bush steckt in der Zwickmühle. Einerseits will er keine militärische Niederlage im Irak, andererseits muss er die innenpolitischen Chancen seiner Republikaner - auf dem Hintergrund des unpopulären Kriegs - verbessern. Daher scheint wahrscheinlich, dass Bush den US-Luftkrieg im Irak weiter ausweiten wird, während er gleichzeitig (einige) Truppen abzieht. Bush hat gute Gründe zu hoffen, dass die amerikanischen Nachrichtenmedien das Thema Luftkrieg - beziehungsweise die horrenden Folgen dieses Luftkriegs für das irakische Volk - auch in Zukunft scheuen werden.

Norman Solomon ist Autor von ‘War Made Easy: How President and Pundits Keep Spinnging Us to Death’ - siehe www.WarMadeEasy.com

Quelle: ZNet Deutschland vom 09.12.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Hidden in Plane Sight: U.S. Media Dodging Air War in Iraq

Veröffentlicht am

11. Dezember 2005

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