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Der Widerständigen Lähmung

Offshoring (II): Die Gewerkschaften sind beim globalen Job-Transfer als Gegenmacht gefragt, aber bis auf weiteres klar überfordert

Von Wolfgang Müller

Im ersten Teil seiner Betrachtungen zu einem sich ausweitenden Job-Export (>> “Der Big Bang steht noch bevor” ) in Niedrig-Lohnländer hatte sich Wolfgang Müller mit Konsequenzen des “Offshorings” nicht nur für den deutschen Arbeitsmarkt, sondern auch für das Innovationsvermögen ganzer Branchen und Volkswirtschaften beschäftigt. Er verwies darauf, dass dieser Exodus inzwischen die Kernkompetenzen großer Firmen erfasse und dazu führe, auch Forschungs- und Entwicklungskapazitäten auszulagern.

Aber nicht nur für die Industrie habe sich die Job-Verlagerung beschleunigt, davon erfasst seien gleichfalls klassische Bürotätigkeiten wie in der Versicherungsbranche - hier stehe besonders in Westeuropa der “Big Bang” noch bevor. Es stelle sich die Frage, so der Autor, welche Perspektiven den betroffenen Arbeitnehmern, aber auch den Gesellschaften blieben, in denen sie leben. Eine Frage nicht zuletzt nach dem Sinn gewerkschaftlicher Intervention.

Die Verlagerung von qualifizierten Arbeitsplätzen aus Deutschland wird in den nächsten Jahren nicht abreißen. Im Gegenteil, sie dürfte an Fahrt gewinnen und unter dem Druck der Märkte kaum aufzuhalten sein. Betriebsräte und Gewerkschaften sollten daher zu einer zielbewussten Strategie finden, die sie in die Lage versetzt, mit den heraufziehenden Konflikten umzugehen. Denn die Gewichte sind in diesem Fall nur allzu ungleich verteilt, eine Win-Win-Situation wie bei manch anderen betrieblichen Auseinandersetzungen gibt es nicht.

Betriebsräte haben kein Mitspracherecht bei unternehmerischen Offshoring-Entscheidungen, sie haben allerdings Anspruch auf eine Information über die wirtschaftlichen Hintergründe derartiger Planungen. Sie sollten eigene Sachverständige bemühen, um vom Management erwogene Szenarien zu überprüfen und Alternativkonzepte zu unterbreiten. Solange die Beratungen darüber nicht abgeschlossen sind, dürfen laut Betriebsverfassungsgesetz die Unternehmenspläne nicht umgesetzt werden. Dies maximal auszureizen, sollte für Betriebsräte zum Berufsethos gehören. Es muss darum gehen, einen Job-Exodus wenigstens zu verzögern, nur dann lassen sich bessere Konditionen für die Betroffenen aushandeln.

20 Millionen Arbeitsplätze in China

Davon abgesehen kann die Gewerkschaft die Auslagerung von Arbeitsplätzen zum Tarifthema erklären, indem sie in den Katalog ihrer Tarifforderungen aufnimmt, wie vom Outsourcing betroffene Arbeitnehmer abgefunden und weitergebildet werden sollen - Forderungen, für die dann auch gestreikt werden darf (s. Infineon Müchen-Perlach). Das ist durch die Rechtsprechung bei Konflikten in Stadthagen (Firma Otis) und in Kiel (Heidelberger Druck) sanktioniert worden.

Entscheidend aber wird sein, ob und wie es gelingt, den Druck auf die Politik massiv zu erhöhen: Die dramatischen Marktverzerrungen durch die Subventionierung des Jobexports in der EU, wie sie mit der Vergabe von Fördermitteln stattfindet, durch die steuerliche Absetzbarkeit der Verlagerungen und durch minimale Steuersätze auf Gewinne aus Auslandsinvestitionen sind Katalysatoren des Offshorings. Es ist wahrlich ein perverser Zustand, dass die Verfechter des freien Welthandels ständig die Gesetze des freien Marktes für Arbeitnehmer geltend machen, sich selbst aber eben diesen Gesetzen durch Sonderregelungen entziehen.

Die simple Empirie spricht dagegen, dass in absehbarer Zeit eine Angleichung von Löhnen und Gehältern wenigstens auf mittlerem Niveau für Abhilfe sorgen könnte. Als Portugal vor mehr als 20 Jahren in die EU aufgenommen wurde, lag das dortige Durchschnittseinkommen bei 25 Prozent des Niveaus in der Bundesrepublik Deutschland. Heute gibt es nach vorliegenden statistischen Daten teilweise noch immer das Verhältnis von 1:4. Gleichzeitig liegen die Löhne in den neuen EU-Staaten - beispielsweise in der Slowakei und in Tschechien, - oder beim EU-Aspiranten Rumänien wiederum deutlich unter vergleichbaren Werten in Portugal oder Spanien. Bescheidene Zuwächse des Nominallohns in Deutschland vorausgesetzt und kräftige Einkommensschübe um etwa zehn Prozent in den osteuropäischen Mitgliedsstaaten der EU unterstellt - die Einkommenskurven würden auch dann auf Abstand bleiben. Insofern ist es nur schwer vorstellbar, wie eine gemeinsame europäische Tarifpolitik denn aussehen soll, die von den Gewerkschaften derzeit diskutiert wird.

Dabei ist schon die Prämisse für die Aufholjagd in den Low-Cost-Ländern falsch, sie geht von einer globalen Verknappung an Arbeitskräften aus - genau der gegenläufige Trend ist zu beobachten. Die erhoffte Aufholjagd findet auch deshalb nicht statt, weil alle relevanten Akteure in den Low-Cost-Regionen, einschließlich der Gewerkschaften, genau wissen, dass sie damit einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil verlieren. Wenn Unternehmen weltweit ihre Fertigung und Entwicklung verteilen, fallen die Standortentscheidungen bei vergleichbarer Qualität der verfügbaren Arbeitskräfte in Abhängigkeit von deren Preis.

Auf einer internationalen Konferenz im März 2005 in Shanghai erklärten chinesische Sozialwissenschaftler zur globalen Rivalität auf den Arbeitsmärkten und zur Anerkennung von Mindeststandards für Arbeitsbedingungen: China brauche jedes Jahr mindestens 20 Millionen neuer Arbeitsplätze, da bleibe keine Zeit für einen fairen Wettbewerb im Welthandel. Man sei auf Billigexporte existenziell angewiesen.

Ohnehin bleiben die Gewerkschaften in den meisten Low-Cost-Ländern eher machtlose Akteure. In Osteuropa ist die Transformation vom “Transmissionsriemen” der einstigen Staatspartei zum selbstbewussten, vor allem selbstständigen Anwalt der Arbeitnehmer nicht abgeschlossen. Zudem erscheint die dortige Gewerkschaftsbewegung oft über alle Maßen zersplittert, so dass von Verhandlungsmacht kaum die Rede sein kann.

Standards für die Low-Cost-Länder

Um es deutlich zu sagen, auch internationale Mindestnormen für geltende Arbeitsbedingungen sind nicht definiert worden, um Job-Exporte zu erschweren, sondern um den prekärsten Formen von Ausbeutung in den Schwellenländern zu begegnen. Entsprechend niedrig sind diese Standards - der Lohnkonkurrenz können sie kaum etwas anhaben.

In verschiedenen, zumeist europäischen Konzernen sind mit den jeweiligen Betriebsräten wie auch den internationalen Gewerkschaftsverbänden Vereinbarungen über die Einhaltung von Kernarbeitsnormen getroffen worden, wie sie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), ein Fachgremium der Vereinten Nationen, beschlossen hat. Allerdings wird dieses Muster von vielen UN-Mitgliedsstaaten, darunter China und Indien, nur partiell übernommen, geschweige denn in lokales Recht umgesetzt, so dass die betriebliche Realität davon weitgehend unberührt bleibt. Dieser Kodex ist überdies darauf fixiert, die Konditionen der Arbeit, nicht deren Entgelte zu beeinflussen - das international enorme Gefälle zwischen Löhnen und Gehältern wird dadurch nicht im geringsten eingeebnet.

Im Übrigen sind gerade die europäischen Konzerne international eher geneigt, derartige Mindeststandards einzuhalten. Gerade deshalb sind sie begehrte Arbeitgeber in den Low-Cost-Ländern. Außerdem zahlen sie in der Regel mehr als den ortsüblichen Lohn. Ein nicht zu unterschätzender Grund dafür, dass eine multilaterale Gewerkschafts-Kooperation auf Branchen- und Konzernebene der Lohnkonkurrenz kaum wirksam entgegen treten kann. Sie kann bestenfalls helfen - bei Anerkennung der Interessengegensätze zwischen Hochlohn- und Low-Cost-Gebieten - die schmutzigsten Tricks des Managements bei der Ausnutzung dieses Lohngefälles zu enthüllen.

Wolfgang Müller ist in München Beauftragter der IG Metall für Siemens und die IT-Branche.

>> Offshoring Teil I: Der Big Bang steht noch bevor . Der Job-Export zerstört die Innovationskraft ganzer Volkswirtschaften

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 49 vom 09.12.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Wolfgang Müller und Verlag.

Veröffentlicht am

10. Dezember 2005

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