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Likud mit Schlagseite

Wechselfieber in Israel: Ariel Sharon mit neuer Partei - die Arbeitspartei mit neuem Vorsitzenden

Von Ludwig Watzal

Ariel Sharon hat in Israel ein politisches Erdbeben ausgelöst: Mit seiner Entscheidung, die national-konservative Likudpartei zu verlassen und mit der neu gegründeten “Nationalen Verantwortungspartei” in vorgezogene Parlamentswahlen zu ziehen, wirbelt er das Parteiensystem durcheinander. Dabei dürfte es zu erheblichen Wählerverschiebungen kommen und damit zu einem Aderlass bei der frommen Shas- und der säkularen Shinui-Partei. Sharons Befreiungsschlag erfolgte nicht ohne Bedacht. Seit dem Abzug aus dem Gaza-Streifen sah sich der Premier mit erheblichem parteiinternen Widerstand konfrontiert, der ihm das Regieren immer schwerer machte. Angeführt wurde die so genannte Rebellion innerhalb des Likud von Benyamin Netanyahu und Uzi Landau.

Sharon dürfte die Trennung von seiner Partei nicht leicht gefallen sein, gehörte er doch zu den maßgeblichen Begründern des Likud. Nach dem Austritt von Sharon und zehn seiner Minister erscheint diese Formation momentan kaum überlebensfähig. Ob sich daran etwas ändert, wenn Leute wie Netanyahu die Groß-Israel-Ideologie beschwören, bleibt zweifelhaft. Sharon hingegen beansprucht mit seiner neuen Partei die Mitte des politischen Spektrums, direkt neben sich die Konkurrenz von der Arbeitspartei mit ihrem neuen Chef Amir Peretz.

Gegenüber ihrem scheidenden Vorsitzenden zeigt sich die Likud-Spitze wenig freundlich: Mit dem Weggang von Sharon habe die Korruption die Partei verlassen, tönt Uzi Landau. Und Netanyahu nennt den ehemaligen Weggefährten gar einen “Diktator”, der Israel in die Tyrannei führe. Es versteht sich, dass bei diesen Scharmützeln und einer in Bewegung geratenen politischen Landschaft die Linke, insbesondere das Friedenslager, wieder hoffen darf, mehr Gehör zu finden als in den vergangenen Jahren.

Zweifellos hängt Sharons schnelle Entscheidung auch mit der Wahl von Amir Peretz zum Vorsitzenden der Arbeitspartei zusammen. Der ehemalige Chef der Einheitsgewerkschaft Histratrut wird an der Spitze seiner Partei keinen leichten Stand haben. Für den Fall eines Misserfolgs stehen seine Rivalen schon bereit. Wie gnadenlos die Arbeitspartei mit erfolglosen Vorsitzenden umzugehen pflegt, war in der Vergangenheit des öfteren zu erleben.

Peretz’ Ziele sind ambitioniert: er will sowohl Frieden mit den Palästinensern schließen, als auch die soziale Schieflage der israelischen Gesellschaft bekämpfen. Von seinen Vorgängern hebt er sich politisch deutlich ab. So führte er bereits in den achtziger Jahren Gespräche mit der PLO, mithin zu einem Zeitpunkt da dies noch unter Strafe stand. Für Peretz bedurfte es weder der ersten noch der zweiten Intifada, um zu begreifen, dass Israel ohne palästinensische Selbstbestimmung niemals zu mehr Sicherheit kommen wird. Die Besatzung begreift Peretz als eine moralische, sicherheitspolitische und wirtschaftliche Hypothek. Bei einem solchen realpolitischen Ansatz trennen ihn Welten von anderen Spitzenpolitikern seiner Partei. Es waren auch sozialdemokratische Minister wie Shimon Peres und Benjamin Ben-Eliezer, die dabei halfen, die Infrastruktur der palästinensischen Autonomiebehörde zu zerstören und der ehemalige Ministerpräsident Ehud Barak bezeichnete in nationalistischer Selbstüberhöhung Israel einst als “Villa im Dschungel”, womit den Palästinensern indirekt der Status von Wilden zuerkannt wurde.

Zum ersten Mal seit vielen Jahren verfügt die Arbeitspartei mit Amir Peretz nun über einen Vorsitzenden, der die sozialen Nöte der unterprivilegierten Schichten kennt und vor allem als Politiker nicht zu ignorieren gedenkt. Peretz prangert schon jetzt die neoliberale Politik von Ex-Finanzminister Netanyahu an, die zu Lasten der Schwachen der Gesellschaft ging. Insofern ist absehbar, dass mit dem Wahlkampf zwischen der neuen Partei von Ariel Sharon und der Arbeitspartei zugleich ein heftiger Wettstreit um die ärmeren Schichten der israelischen Bevölkerung entbrennen wird, zu denen besonders die sephardischen Juden gehören. Peretz riskiert dabei allerdings, mit allzu viel sozialistischen Anleihen die Yuppie-Generation in seiner Partei zu verprellen.

Im israelisch-palästinensischen Konflikt wird sich bis zu den Wahlen 2006 wenig bewegen. Auch die Palästinenser wollen im Januar über ihr künftiges Parlament entscheiden. Den reibungslosen Ablauf dieses Votums werden sie mit Israel noch aushandeln müssen. Gegenwärtig erscheinen freie Wahlen in den palästinensischen Gebieten nur eingeschränkt möglich angesichts der Abriegelung dieser Region und den über 300 Straßensperren der Israelis. Zugleich wird der Ausgang der Knesset-Wahlen maßgeblich vom Verhalten der radikalen Palästinensergruppen wie der Hamas, dem Islamischen Jihad und den Al-Aqsa-Brigaden abhängen, denn jeder weitere Terroranschlag treibt den Scharfmachern Wähler in die Arme.

Ob die Palästinenser von einer neuen israelischen Regierung die Wiederaufnahme ernsthafter Verhandlungen erwarten können, ist mit Blick auf die jüngste Vergangenheit eher fraglich. Amir Peretz hat sich zwar zum Oslo-Prozess bekannt und will nach einem Wahlsieg die Friedensgespräche wieder aufnehmen - aber auch unter ihm dürfte der Bau von Sicherheitszaun und Mauer fortgesetzt werden, deren Linie die endgültige Grenze Israels markieren soll.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 47 vom 25.11.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Ludwig Watzal und Verlag.

Veröffentlicht am

26. November 2005

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