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Der Weg raus aus dem Irak

Von Norman Solomon - ZNet 22.11.2005

Zu Beginn der diesjährigen Thanksgiving-Woche schrieb die New York Times: “Ganz Washington ist emsig mit der Debatte beschäftigt, welche Richtung der Krieg im Irak nimmt”. Diese - längst überfällige - Debatte ist sicherlich ein herber Schlag für die Kriegsplaner in Washington. Dennoch wird Amerikas Krieg (im Irak) noch jahrelang weitergehen - falls die Friedensbewegung nicht in Fahrt kommt und ihn stoppen kann.

Es gibt diesen klischeehaften Spruch: Der Krieg ist zu wichtig, um ihn den Generälen zu überlassen. Noch wichtiger: Der Frieden ist zu wichtig, um ihn Kongressmitgliedern und Gurus zu überlassen, denn diese Leute sind meist gegen die Option eines schnellen Abzugs der US-Truppen aus dem Irak.

Am 17. November brach ein profilierter Verfechter des militaristischen Kurses im Kongress plötzlich mit jener Position, die als Common Sense gilt, nämlich, dass ein sofortiger Abzug undenkbar sei: “Die amerikanische Öffentlichkeit ist uns Meilen voraus”, so der Abgeordnete John Murtha in einem schriftlichen Statement. Sein Fazit in Großbuchstaben, das die politischen Großeliten unseres Landes erschüttert hat: “Unser Militär hat alles erfüllt, was von ihm verlangt wurde. Militärisch können die USA im Irak nicht mehr erreichen. ES IST ZEIT, SIE HEIMZUHOLEN”.

Murthas Statement hat den Bann gebrochen. Nach wie vor aber stellt die weiße Magie des amerikanischen Militarismus das Haupthindernis für die Heimholung unserer Truppen dar - Truppen, die man nie in den Irak hätte entsenden sollen.

In den Redaktionen bzw. auf dem Kapitolshügel sind aber keineswegs die Gewissensbisse ausgebrochen. Das politische bzw. journalistische Klima im offiziellen Washington ist nach wie vor geprägt von tödlichem Opportunismus. Zwar mag sich in den nächsten Tagen der Schwerpunkt des Opportunismus verschieben, aber das Pendel der mächtigsten Stimmen in der amerikanischen Medienwelt bzw. in der US-Politik schlägt nach wie vor reichlich einseitig in Richtung jener Position aus, die Präsident Bushs am Sonntag so formuliert hat: “Ein sofortiger Rückzug unserer Truppen aus dem Irak würde nur die Hand der Terroristen stärken - im Irak und im Krieg gegen den Terror allgemein”.

“Sofortiger Rückzug” ist eigentlich nicht der korrekte Begriff für das, was Murtha fordert, obwohl er es so genannt hat. Worauf Murtha drängt, ist vielmehr der komplette Abzug aller US-Truppen aus dem Irak innerhalb der nächsten 6 Monate. Seine Haltung ist viel klarer als die von Senator Russell Feingold, der im Sommer den vollständigen Abzug bis Ende 2006 gefordert hatte. Für seine Haltung hat er damals viel Lob vonseiten der Progressiven geerntet - und das, obwohl Feingold praktisch für 16 weitere Monate US-Krieg im Irak plädiert hatte. Verglichen mit Murtha wirkt Feingolds Pullout-Deadline rückblickend direkt kriegsbefürwortend.

Für die Pundits und den Capitol Hill bedeuten die ausbleibenden Militärerfolge der Bush-Administration, dass der Krieg politisch zunehmend anfechtbar wird. Ihre Kritik lässt dem Weißen Haus dennoch viel Spielraum, um zu behaupten (wenn auch wenig glaubwürdig), das US-Militär und die Verbündeten in der irakischen Regierung könnten die Wende noch schaffen und auf eine ‘Irakisierung’ des Krieges hoffen. Die Linie des Weißen Hauses, “wir sehen das Licht am Ende des Tunnels”, erinnert an das Gerede von einer Vietnamisierung des Vietnamkriegs vor 35 Jahren.

Hätte das Pentagon es geschafft, die irakische Bevölkerung zu unterwerfen, würden heute wohl nur sehr wenige Schlagzeilen bzw. Kongressmitglieder diesen Krieg verurteilen. Dies ist nur eine von vielen Parallelen, die es zwischen der innenpolitischen Dynamik des Irakkriegs und dem Verlauf des Vietnamkriegs gibt. Die Betonung des Vorrechts, Kriege zu führen, steht nicht in der Kritik. Daher wird die vorhersehbare Reaktion in diesem Fall wohl sein: Wir müssen den Krieg noch effektiver führen.

Genau das meinte der große Journalist I.F. Stone, als er Mitte Februar 1968, also nach den ersten Jahren des Vietnamkriegs, schrieb: “Es wird Zeit, etwas Abstand zu gewinnen und zu sehen, wohin wir gehen - und uns selbst genau zu beobachten. Die erste Ein-Sicht lautet: Wir messen der Frage unseres nationalen Gewissens zu große Bedeutung bei. Ein Großteil des Protests gegen den (Vietnam-)Krieg hängt schlicht mit der Tatsache zusammen, dass wir dabei sind zu verlieren. Ginge es nicht um die hohen Kosten, Politiker wie die Kennedys (Robert u. Edward) und Organisationen wie ADA (liberale Amerikaner für Demokratische Aktion) wären noch immer genauso mit diesem Krieg einverstanden, wie sie es vor einigen Jahren waren”.

Während die Lügen hinter dem Irakkrieg immer offensichtlicher werden und der Sieg in immer weitere Ferne rückt, dreht sich in den USA der Protest gegen den Krieg schwerpunktmäßig um die toten und leidenden US-Soldaten. Diese Fokussierung ist innenpolitisch ein scharfes Schwert - aber eben auch ein zweischneidiges. Man gibt die Definition aus, der Krieg sei in erster Linie zu bedauern, weil Amerikaner leiden. Eine mögliche Gefahr, die ich sehe: Ein Prozess des Truppen-Teilabzugs wird eingeleitet werden, bei gleichzeitiger Steigerung der US-Airpower - Luftschlagkraft, die durch eskalierendes Bombardement noch mehr Tod und noch mehr Terror bringt (wie das in Vietnam über mehrere Jahre der Fall war, nachdem Präsident Nixon Mitte 1969 seine “Guam-Doktrin” der Vietnamisierung des Kriegs verkündete). Eine effektive Friedensbewegung hätte die Aufgabe, gegen jenen Chauvi-Narzismus vorzugehen, der den Krieg hauptsächlich aufgrund der amerikanischen Opfer problematisiert.

Noch immer gibt es viele Pundits und Politiker, die die Bush-Administration kritisieren, weil sie über keine effektive Irak-Strategie verfügt. Aber dieser Krieg ist nicht schiefgelaufen. Er war schon immer schief, das heißt, falsch. Das Grundproblem mit dem US-Krieg im Irak heute ist doch, dass er überhaupt stattfindet.

Norman Solomon ist Autor von: ‘War Made Easy: How Presidents and Pundits Keep Spinning Us to Death’ siehe www.WarMadeEasy.com

Quelle: ZNet Deutschland vom 24.11.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Getting Out of Iraq

Veröffentlicht am

24. November 2005

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