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Mein Lied ist ein freies Lied - zum Gedenken an Victor Jara

Von Gabriel San Roman - ZNet 17.09.2005

“Mein Lied endet in Stille und in Schreien”, klagte der legendäre chilenische Volkssänger Victor Jara in seinem letzten Gedicht. Er schrieb es unter Schmerzen, als Gefangener im Stadion von Santiago de Chile. Nach tagelanger Folter wurde Jara vom chilenischen Militär exekutiert - auf den Tag genau vor 32 Jahren. Am 11. September 1973 hatte ein Staatsstreich die demokratisch gewählte Regierung Präsident Salvador Allendes gestürzt. Die Diktatur des Augusto Pinochet nahm ihren Anfang. Jara - und viele andere mit ihm - fielen dem Coup zum Opfer. Jara war ein wichtiger Künstler der sich entwickelnden chilenischen Liedermacher-Bewegung und machte sich in seinen Liedern für Präsident Allende stark. Während der Pinochet-Jahre waren seine Platten nur auf dem schwarzen Markt zu bekommen. Jaras Musik unterlag praktisch der Zensur. Aber was die Pinochet-Diktatur auch unternahm, Jaras Musik und die Erinnerung an ihn überlebten - und leben heute in der demokratischen Gegenwart Chiles fort.

Jara war ein Meister der sogenannten ‘La Nueva Cancion Chilena’, eine neue Art Musik, die in der ländlichen Volkskultur Chiles wurzelte. Volkssänger wie Jara (und vor ihm Violeta Parra) verbanden die Tradition der ruralen Musik mit linken Liedertexten. Im musikalischen Mittelpunkt dieser Folkbewegung stand die Gitarre - von der elitären Kultur gern als “Instrument der Armen” bezeichnet.

Victor Jara wurde in Lonquén geboren. Seine Mutter Amanda sang und spielte auf Hochzeiten, Beerdigungen und Taufen. Victor beobachtete sie. Als die Familie nach Santiago umzog, begann Victors Karriere - zunächst nicht als Musiker sondern am Theater. Aber Victors Interesse an der Musik ebbte nicht ab sondern nahm, im Gegenteil, zu. Anfang der 60ger Jahre befreundete er sich mit Violeta Parra, die sein musikalische Talent erkannte und ermutigte. Victors erste Folkgruppe hieß Cuncumén.

1964, anlässlich des Präsidentenwahlkampfs, sang der junge Jara auf Veranstaltungen der FRAP-Koalition von Salvador Allende. Chiles Folk-Musiker konzentrierten sich auf das neue politische Bündnis. Gleichzeitig hatte die kommerziellere chilenische Volksmusik ihren Zenit überschritten und verlor nach und nach an Bedeutung. Für den Rest der 60ger galt: Volksmusik gleich La Nueva Cancion. Große Bedeutung für das Wachsen der neuen kulturellen Bewegung sollte den sogenannten “Penas” zukommen - informellen Treffen von Musikern und deren Freunden. Sie bildeten den kreativen Hintergrund der neuen Bewegung. 1965 - ein Jahr, nachdem Allende mit seiner Präsidentschaftskandidatur gescheitert war -, riefen Violetas Kinder Angel und Isabel die ‘Pena de los Parra’ ins Leben. Kurz darauf breiteten sich die Penas in Chile aus. Viele wichtige neue Musikgruppen gingen aus ihnen hervor - beispielsweise Inti Illimani.

Chiles Musikszene der 60ger Jahre ist nur auf dem komplexen politischen Hintergrund jener Jahre zu begreifen. Die Chilenen begannen zunehmend, mit linken Idealen zu sympathisieren. Dies stärkte und beeinflusste die Musikerbewegung. Das Volk wurde immer unzufriedener mit Eduardo Frei und seiner US-gestützten Regierung. Entsprechend wuchs die Fangemeinde des La Nueva Cancion. Victor Jara wurde zum furchtlosen Protestsänger. Einer seiner Songs hieß: ‘Fragen über Puerto Montt’ (Preguntas Por Puerto Montt). Darin bringt er den gerechten Zorn der Massen über die immer repressivere Regierung Eduardo Frei zum Ausdruck.

1970 hatte die Koalition Unidad Popular mit ihrem Kandidaten Salvador Allende eine reelle Chance, die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Der musikalische Schwerpunkt der La Nueva Cancion verschob sich. Die Stimmen waren reifer als 1964 und die neue Liedermacherbewegung bereit, die kulturelle Stimme der Unidad Popular zu werden. Der populäre Victor Jara begann, eine wichtige Rolle zu spielen. Von Jara stammt die Originalversion von ‘Venceremos’ (Wir werden siegen). Das Lied wurde zur inoffiziellen Hymne der Unidad Popular und gibt die Stimmung des Wahlkampfs wider, die geprägt war von visionärem Enthusiasmus. ‘Fragen zu Puerto Montt’ ist ein Lied mit großem Chor. Der Refrain wurde zum machtvollen Slogan.

Am 4. September 1970 gewann Allende die Präsidentschaftswahlen - mit relativer Mehrheit. Vom Kongress wurde sein Wahlsieg bestätigt. Victor Jara und die Bewegung La Nueva Cancion brauchten nicht länger Lieder des Protests anzustimmen. Die Unidad Popular war an der Macht. Der musikalische Schwerpunkt verschob sich erneut. Jetzt wurde die Regierung Allende gelobt. Das erste Jahr der Präsidentschaft Salvador Allendes verlief relativ erfolgreich. Victor schrieb einige seiner kreativsten und optimistischsten Lieder in dieser Zeit. In ‘Vamos Por Ancho Camino’ (Gehen wir die breite Straße entlang) kommt diese Euphorie am deutlichsten zum Ausdruck. Jara und andere in der Bewegung begannen sich als inoffizielle Kulturbotschafter der Unidad Popular zu betätigen. Sie reisten und traten in Ländern wie Peru und Kuba auf. Jedes Mal, bevor sie ein entsprechendes Lied anstimmten, sprachen sie ausführlich über die Politik Chiles - siehe ‘Habla y Canto’ (Sprechen und Singen).

Die Situation in Chile wurde immer prekärer. Am Horizont zeichnete sich ein Bürgerkrieg ab. Entsprechend ernst wurden Jaras Lieder. Er beschwor die Einheit. Dass sein Schicksal und das der Unidad Popular untrennbar miteinander verbunden waren, vermitteln seine nachdenklichen Lieder aus jener Zeit in geradezu prophetischer Weise. Jara schrieb ein Lied, das viele für sein Vermächtnis halten: ‘Manifesto’. Warum? Jara erklärt es in einer Liedzeile: “Ich singe nicht, weil ich das Singen liebe/ Oder weil ich eine gute Stimme habe/ Ich singe, weil meine Gitarre/ Gefühl hat und Verstand”.

Dann der Staatsstreich vom 11. September 1973. Durch seine provokante Arbeit war Jara natürlich Zielobjekt. Am 11. September sprach er an der Technischen Universität von Santiago. Gemeinsam mit vielen anderen wurde er dort eingekreist und ins Stadium von Santiago de Chile gebracht. Jara hoffte, er werde nicht erkannt. Seinen Ausweis hatte er weggeworfen. Vergebens - sie erkannten ihn doch. Er wurde verprügelt und später von den anderen getrennt. Man zwang ihn zu singen, während man ihn folterte. Es heißt, man habe ihm die Hände gebrochen. Es heißt aber auch, dass er, in einem letzten Aufbäumen nach all der Qual, das Militär mit lauter Stimme herausforderte, indem er eine Strophe von ‘Venceremos’ anstimmte. Kurz darauf wurde Victor Jara exekutiert. Todesursache: multiple Schusswunden.

Zum dreißigsten Jahrestag des chilenischen Staatsstreichs von 1973 wurde das Stadium von Santiago de Chile endlich in Victor-Jara-Stadium (Estadio Victor Jara) umbenannt. Der Kampf für Gerechtigkeit dauert an. Im vergangenen Jahr wurde im Zusammenhang mit Jaras Tod ein Mann verhaftet - ein pensionierter Oberst namens Mario Manriquez. Am 10. Dezember 2004 wurde gegen Manriquez Anklage erhoben. Für viele Chilenen bewegt sich das Räderwerk der Gerechtigkeit zu langsam - aber zumindest bewegen sich die Räder inzwischen in die richtige Richtung. Es ist wichtig, dass Victor Jaras mutige Lieder nicht in Vergessenheit geraten, und es ist wichtig, ihn als Märtyrer für die Demokratie in Erinnerung zu behalten - gerade in einer Zeit, in der solche Begriffe in zynischer Weise missbraucht werden, um Kriege zu rechtfertigen.

Anmerkungen:

  • Gabriel San Román ist assistierender Produzent des Radioprogramms Uprising (auf KPFK, Pacifica Radio).

Quelle: ZNet Deutschland vom 19.09.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: My Song Is A Free Song: Remembering Víctor Jara

Veröffentlicht am

03. Oktober 2005

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