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Die USA und die steigende Flut der Armut

Von William Fisher - ZNet 04.09.2005

New York, 2. September (IPS) - “Die Reichen werden reicher und die Armen werden ärmer.” Dieser Satz wird sehr oft dafür benutzt, um die wirtschaftliche Not in unterentwickelten Ländern zu beschreiben. Aber letzte Woche wurde der Satz dazu verwendet, die Wirtschaft der einzigen Supermacht auf der Erde zu beschreiben: die Vereinigten Staaten von Amerika.

Das U.S. Census Bureau veröffentlichte neue Zahlen, über die viele Ökonomen sagen, dass sie die negativen Auswirkungen von Präsident George W. Bushs so genannter “Eigentümer-Gesellschaft” (ownership society) widerspiegeln. Diese Politik beinhaltet weitere Steuersenkungen bei Kapitalinvestments, Steuernachlässe bei Sparguthaben und privatisierte Sozialversicherung.

Der Abwärtstrend wurde anschaulich durch TV-Bilder von verzweifelten Flüchtlingen des Hurrikans Katrina in jedes Haus geliefert. Die Betroffenen waren überwiegend Arme und Afroamerikaner - viele von ihnen leben von Gehalts-Scheck zu Gehalts-Scheck und konnten sich weder Benzin noch ein Busticket leisten, um vor dem Sturm aus der Stadt zu flüchten.

“Armut tötet gewöhnlich nicht schnell. Aber manchmal tut sie das - wenn zum Beispiel eine furchtbarer Hurrikan eine ganze Gegend verwüstet”, schrieb Bill Berlow, ein Herausgeber des “Tallahassee Democrat”, in einem Kommentar zu dem Bericht des Census Bureaus. “Inmitten des schrecklichen Leidens, quer durch das sozioökonomische Spektrum, das der Hurrikan Katrina in ein paar Stunden gebracht hat, erkennen wir, dass mehr arme Menschen starben, weil sie ganz einfach weniger Möglichkeiten hatten”, schrieb er.

Vier Maßstäbe erzählen die Geschichte: Das Einkommen der Haushalte, die Armutsrate, der steigende Anteil am gesamten Einkommen der oberen zwanzig, fünf und zwei Prozent der US-Bürger und die Anzahl der Menschen ohne Krankenversicherung.

Letztes Jahr stieg die Armutsrate auf 12,7 Prozent der Bevölkerung; die vierte aufeinander folgende jährliche Steigerung. Das bedeutet, dass 37 Millionen Menschen mit einem Einkommen von 19.157 Dollar oder weniger in einer vierköpfigen Familie leben; einer Steigerung von 1,1 Millionen Menschen seit 2003.

Die Ungleichheit der Einkommen erreichte 2004 beinahe einen Höchstwert, als 50,1 Prozent des Einkommens an die obersten 20 Prozent der Haushalte ging. Nur die obersten fünf Prozent erlebten 2004 eine reale Steigerung ihres Einkommens. Die Einkommen der übrigen 95 Prozent der Haushalte blieben gleich oder sanken.

Die Armutsschwelle unterscheidet sich entsprechend der Größe und Zusammensetzung eines Haushaltes. Zum Beispiel lebt eine Familie, die aus zwei Erwachsenen und zwei Kindern besteht, wie bereits erwähnt, in Armut, wenn das Gesamteinkommen 19.157 Dollar oder weniger beträgt. Für ein Paar ohne Kinder beträgt die Armutsgrenze 12.649 Dollar. Bei diesen Zahlen muss man die sehr unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in den verschiedenen Gebieten des Landes berücksichtigen.

Diese Situation ist vielleicht noch schlimmer, weil es unklar ist, ob das Census Bureau (illegale?) Immigranten mit zählt. Wenn dem so wäre, würden die Daten noch erheblich stärker in Richtung größerer Armut tendieren.

Das durchschnittliche Einkommen der Haushalte beträgt mittlerweile 44.389 Dollars, unverändert seit 2003 - eine längere Zeit der Stagnation hat es noch nie gegeben.

Unter den rassischen und ethnischen Gruppen, erzielen die Afroamerikaner den niedrigsten und die Asiaten den höchsten Durchschnitt. Der Durchschnitt der Einkommen bezieht sich auf den Betrag, an dem die Hälfte der Haushalte mehr und die andere Hälfte weniger verdient.

Regional hat der Süden - die Heimat der vom Hurrikan verwüsteten Staaten Alabama, Louisiana und Mississippi - das niedrigste durchschnittliche Einkommen und der Nordosten und der Westen den höchsten.

Der Anstieg der Armut kam trotz eines starken ökonomischen Wachstums - die Wirtschaft wuchs um solide 3,8 Prozent -, das die Schaffung von 2,2 Millionen Stellen im letzten Jahr ermöglichte. Aber diese neuen Jobs sind weitgehend im Dienstleitungsbereich, wo die Gehälter weit niedriger als in der Industrie sind.

Arbeitsstellen in der Industrie verschwinden weiter und den Arbeitnehmern in den USA fehlen weiterhin die Fähigkeiten, um die besser bezahlten Stellen im Dienstleistungsbereich zu besetzen. Eine Mehrheit der US-Bürger muss sich inzwischen zwei Jobs suchen, um das verminderte Einkommen aus einer einzelnen Arbeitsstelle auszugleichen.

Ein großer Teil des ökonomischen Wachstums während der letzten Jahre ergab sich, wie viele Ökonomen sagen, bei den rein finanziellen Vermögenswerten der Reichen in Form von Geldeinkommen - Zinsen, Mieten und Dividenden.

Die offizielle Anzahl der Menschen ohne Krankenversicherung wuchs um 800.000 - von 45 Millionen auf 45,8 Millionen. Aber das Census Bureau meldete, dass der prozentuale Anteil der Unversicherten relativ stabil blieb, weil “eine Zunahme der Kostenübernahme durch Regierungsprogramme, besonders durch Medicaid und die bundesstaatliche Krankenversicherung für Kinder, den Rückgang der Krankenversicherung aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses wieder ausglich.”

Aber Medicaid und ähnliche Programme erleiden einschneidende Kürzungen weil die ärmeren Staaten es sich nicht leisten können, diese zu finanzieren. Das lässt die Armen mit noch weniger Mitteln zur Gesundheitsfürsorge zurück.

Die Blick auf die Wirtschaft vom Weißen Haus und vom Kapitol aus ist offensichtlich ein ganz anderer als von unter der Armutsgrenze aus

Während seiner letzten Sitzungsperiode erließ der Kongress ein Gesetz, das auch von der Bush-Administration und den Kreditkartenunternehmen unterstützt wurde, dass es dem Durchschnittsbürger sehr erschwert, mittels eines Konkurses frei von Schulden zu werden. Ein anderes Gesetz sorgt dafür, dass nicht nur die Armen, sondern alle Bürger, viel mehr Schwierigkeiten haben werden, wenn sie den Hersteller eines Produktes verklagen.

Die Kreditkartenunternehmen ermutigen dazu, Geld auszuleihen, um die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsversäumnis zu erhöhen. Dies ist ein ebenso profitables Geschäft, denn die Zinsen und Gebühren, um das Konto wieder auszugleichen, sind extrem hoch.

Wenn der Kongress nächste Woche wieder zurückkehrt, wird er dazu drängen, die Grundbesitzsteuer (die nur die reichen Familien betrifft) zu beseitigen, die Steuererleichterungen für Einkommen durch Investments auszuweiten (ein weiteres Geschenk an die Reichen) und er wird sich wieder allen Bemühungen widersetzen, den Mindestlohn zu erhöhen (der schon seit 1997 bei 5,15 Dollar pro Stunde liegt, obwohl in dieser Zeit die Inflation drei Prozent jedes Jahr betrug).

Die Gesetzesmacher werden auch Vorschläge einbringen, tiefe Einschnitte in die Teile des Haushaltes zu machen, die dafür geschaffen wurden, die Armen zu unterstützen - wie Medicaid, Lebensmittelmarken und Bundeskredite für Studenten.

Zur gleichen Zeit erscheinen das Weiße Haus und der Kongress wie gelähmt beim Thema Sozialversicherung. Die Öffentlichkeit hat vehement Bushs Einwurf zurückgewiesen, dass private Geldanlagen die Renten und Arbeitsunfähigkeitsbezüge der nächsten Generation von Rentnern erhöhen würden.

Die Republikaner im Kongress, die bereits an die Wahlen im Jahre 2006 denken, distanzieren sich mehr und mehr vom Präsidenten. Die Demokraten habe einfach eine “Sag-einfach-nein”-Haltung eingenommen und bringen keine eigenen Vorschläge ein und verärgern damit viele Mitglieder der Basis.

Während der letzten Jahre wurde die US-Wirtschaft viel mehr durch die Ausgaben der Konsumenten als durch Investitionen der wohlhabenden Nutznießer von Bushs Steuerkürzungen vorangebracht. Aber was geschieht mit diesem Motor des Wachstums, wenn die Armen immer ärmer werden?

Das sei ziemlich hirnlos, sagen Ökonomen. Wenn ihre Gehälter niedriger werden und die Kreditkarten ausgereizt sind, werden sie einfach aufhören, Geld auszugeben. Und mehr und mehr von ihnen werden in einem finanziellen Abgrund verschwinden - und werden ein Fall für die Regierung auf Kosten der Steuerzahler.

Das von den Politikern, die sich zu fiskalischer Verantwortung bekannt haben, bekannt gegebene riesige Defizit, wird die heutigen und zukünftigen Steuerzahler erheblich belasten, um die durch die Regierung angehäuften Schulden zu bezahlen.

Mindestens die Hälfte dieser Schulden gehört Ausländern, die erwarten, dafür Zinsen zu erhalten. Dies wiederum übt zusätzlichen Druck auf das Gleichgewicht der internationalen Zahlungsverpflichtungen der USA aus und drückt den Wert des Dollars, was wiederum den Preis vieler Importgüter, die von Armen konsumiert werden, erhöht.

“Alles in allem”, sagt der frühere stellvertretende Handelsminister Dr. Jack Behrman, ein emeritierter Professor an der Business School der Universität von North Carolina, “versagt die USA in dem entscheidenden Kriterium des wirtschaftlichen Fortschrittes - dem Heben des Lebensstandards des ärmsten Teils der Gesellschaft.”

Der hervorragende Ökonom teilte IPS mit: “Die gegenwärtige Politik bevorzugt die Reichen und konzentriert sich mehr auf finanziellen Erfolg als auf die Produktion von realen Gütern und Dienstleistungen. Das ist eher ein Rezept für ökonomischen und sozialen Konflikt als für den Aufbau einer zusammenhaltenden Gemeinschaft.”

Quelle: ZNet Deutschland vom 17.09.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: U.S. Faces Rising Flood of Poverty

Veröffentlicht am

22. September 2005

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