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Ihre Seelen müssen endlich Ruhe finden

Der Studentensoldat Chung Ki-Young: Wie Hunderttausende Koreaner für den Kriegsdienst in der Kaiserlichen Japanischen Armee zwangsrekrutiert

Von Rainer Werning

Drei Monate und eine Woche später als in Europa endet mit der Kapitulation des japanischen Kaiserreiches am 14. August 1945 der Zweite Weltkrieg im Pazifik. Dem unmittelbar vorausgegangen sind die Atombomben-Abwürfe auf die Städte Hiroshima und Nagasaki am 6. beziehungsweise 9. August 1945, denen mehr als 200.000 Menschen zum Opfer fallen.

Er erscheint pünktlich zum vereinbarten Gespräch in dem kleinen Seouler Büro einer südkoreanischen Nichtregierungsorganisation, die seit Jahren über die Schicksale koreanischer Opfer während des Zweiten Weltkrieges forscht. Chung Ki-Young, ein rüstiger Mann in den Achtzigern mit weißen Haaren, trägt einen eleganten Markenanzug mit Krawatte, spricht betont langsam und nimmt sich viel Zeit für den Besucher, er zeigt mir Karten und Bücher über Korea im Zweiten Weltkrieg, an denen er als Ko-Autor beteiligt ist. Immer wieder kommt Chung auf Europa und Deutschland zu sprechen: “Hätten die japanischen Regierungen nach 1945 nur einen Bruchteil dessen geleistet, was bei Ihnen getan wurde, um die Vergangenheit aufzuarbeiten, hätte das mein Engagement in all den Jahren spürbar erleichtert.”

In Chinju, in der Nähe der südkoreanischen Hafenstadt Pusan geboren, beginnt Chung Ki-Young 1942 als Neunzehnjähriger an der damaligen Reichsuniversität in Tokio Geschichte zu studieren. Anfang 1944 kehrt er nach Korea zurück, um seine Ausbildung an der Seoul-Nationaluniversität fortzusetzen, doch zum Diplom soll es nicht mehr kommen.

Guerilla in Südchina

Abrupt ändert sich Chungs Leben, als ihn am 20. Januar 1944 die Kolonialmacht in Gestalt der Kaiserlichen Japanischen Armee zwangsweise rekrutiert. Über Nacht wird aus ihm ein “Studentensoldat” - ein Schicksal, das er mit Hunderten von Kommilitonen teilt. “Schon bald wurden wir in die Stadt Taegu südlich von Seoul verfrachtet, wo die ‘Einheit 80’ stationiert war, der man nun angehörte. Als dieser Truppenverband verlegt wurde, sah ich Teile der ‘Großen Mauer’ - wir waren tatsächlich in China! So weit ich das überblicken konnte, erhielt ich dort zusammen mit etwa 300 koreanischen Studentensoldaten eine sechsmonatige Offiziersausbildung, um anschließend an einer der vielen Fronten für die Japaner zu kämpfen.”

Als Zugführer und Offizier wird Chung Ki-Young im Juni 1945 ins 13. Hauptquartier der japanischen Truppen in Shanghai verlegt. Dort erfährt er, dass ein Freund von ihm, Han Seong-Ju mit Namen, von der japanischen Polizei inhaftiert, als Geldbeschaffer der koreanischen Untergrundarmee beschuldigt und daraufhin hingerichtet worden ist. “Ich war wie gelähmt”, erinnert sich Chung, “Han Seong-Ju war ein naher Gefährte, ich wusste zwar, dass in Shanghai koreanische Partisanen verdeckt operierten und Kontakte zu dem nationalistischen Führer Kim Kyu-Shik unterhielten, nur ahnte ich nichts über mögliche Verbindungen dieses Freundes. Sofort fragte ich bei unserem Hauptquartier nach und erfuhr - die Nachricht über die Exekution traf zu.”

Dies habe ihn tief erschüttert und erstmals über eine Flucht nachdenken lassen. Als junger Offizier hat Chung wenigstens ab und zu Gelegenheit, in die Stadt zu gehen. “Nach einem Ausgang in Shanghai gelang es mir, zusammen mit drei Kameraden, zu den Partisanen durchzukommen. Zu jener Zeit operierte in China eine koreanische Guerilla, die das japanische Militär hinter der Frontlinie bekämpfte. Zu denen stießen wir, was es ermöglichte, Leute zu treffen, die ihrerseits Kontakte zur Nationalrevolutionären Sozialistischen Partei Koreas unterhielten, die gleichfalls in der Nähe von Shanghai ihre Zellen hatte.”

Während der letzten Kriegstage herrscht überall große Aufregung und Verwirrung. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich auch in Shanghai die Nachricht von der Kapitulation Japans am 14. August 1945. “Die Leute” - erinnert sich Chung - “versuchten, irgendwie Sicherheit zu finden, niemand wusste, was nun passieren würde. Und mir wurde bald klar, bevor wir nach Hause zurückkehren könnten, würden noch Monate vergehen. Mit einigen meiner Kameraden schloss ich mich daher der Kumhua an, der Koreanischen Unabhängigkeitsarmee, die für eine vollständige Befreiung unseres Landes von den Japanern kämpfte.

Die Bordelle der Besatzer

Während dieser Zeit hört Chung Ki-Young auch davon, dass seit Anfang der vierziger Jahre Koreanerinnen in japanische Militärbordelle verschleppt worden sind. Er spricht mit einigen und bietet sich an, Kontakt mit den Familien in der Heimat aufzunehmen. “Doch die Frauen waren entsetzt, ich sollte das auf keinen Fall versuchen. Sie hatten eine grässliche Angst, nie wieder von ihren Angehörigen aufgenommen zu werden, wenn bekannt würde, was mit ihnen geschehen war. So konnten wir für diese Frauen nicht viel mehr tun, als wenigstens für ihre Rückkehr zu sorgen. Schließlich waren wir etwa 1.500 Koreaner, denen es in kleineren und größeren Gruppen gelang, die Heimat zu erreichen. Mitte März 1946 war ich endlich wieder in Seoul.”

Nach dem Krieg hat Chung Ki-Young, wie er betont, doppeltes Glück. Er findet nicht nur schnell Arbeit, sondern kann sich auch - wie es sein Wunsch ist - in einer staatlichen Behörde der Herausgabe von Literatur über koreanische Geschichte widmen. Doch seine Kriegserinnerungen lassen ihn nie ruhen. Nachdem Chung in Pension gegangen ist, recherchiert er über Jahre hinweg das Schicksal derer, die wie er von der Hochschule direkt in die japanische Kriegsmaschine gerieten. “Von den mindestens 1,6 Millionen koreanischen Zwangsarbeitern, die es seit Ende der dreißiger Jahre gab, haben die Japaner mindestens 360.000 in ihre Armee gepresst, darunter etwa 7.000 Studentensoldaten. Vor kurzem hat selbst NHK, die staatliche japanische Rundfunk- und Fernsehanstalt, zugegeben, ein solches Schicksal sei 4.485 jungen Koreanern widerfahren. Natürlich ist das eine viel zu niedrige Zahl.”

Die Hinrichtung seines Freundes Han Seong-Ju vor mehr als 60 Jahren erschüttert Chung bis heute. “Wie Han sind viele Koreaner von den Japanern gehenkt und danach einfach verscharrt worden. Für diese Menschen möchte ich tun, was in meiner Kraft steht, um ihnen eine würdige letzte Ruhestätte zu geben. Das bin ich, der das Glück hatte, diese furchtbaren Jahre zu überleben, ihnen schuldig. Ihre Seelen müssen endlich zur Ruhe kommen.”

Seit 1991 reist Chung ständig nach Japan, um dort Archivstudien zu betreiben und mit dem Wohlfahrtsministerium zu verhandeln, dessen Plazet und Hilfe gebraucht werden, um die Gebeine von mehr als 1.200 Koreanern in die Heimat zu überführen und dort zu bestatten. Zusammen mit Gleichgesinnten konnte Chung Ki-Young immerhin bewirken, dass im Gedenken an die einstigen Leidensgefährten in Seoul und in der Hafenstadt Pusan Mahnmale für die Rekruten wider Willen entstanden sind.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung , 31 vom 05.08.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Rainer Werning und Verlag.

Veröffentlicht am

14. August 2005

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