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Ich werde niemals mehr schweigen

Dorothy Noar von der israelischen Frauenorganisation New Profile hat den nachfolgenden Brief von Manuela Dviri aus Israel weitergeschickt. Sie schreibt dazu:

“Manuela hat sich das Recht verdient, uns alle aufzurufen, uns zu bemühen die Besetzung zu enden, und in der Zwischenzeit stolz auf ihre Leistungen zu sein.

Sie hat den höchsten Preis bezahlt: der Verlust eines Sohnes, im Kampf im Libanon. Israel hat dort 1.800 Jungen verloren (von 17.824 Libanesen ganz abgesehen). Wofür???

Würde jeder dieser Jungen die Straßen Israels kehren, würde er seinem Land besser dienen als jetzt. Israel hat 20.369 Soldaten seit 1948 verloren (die Palästinensische Verluste waren viel Größer.

Wieviele müssen noch umkommen bis die Israelis Führer finden und wählen die sich mehr um Leben und weniger um Land sorgen?”

Ich werde niemals mehr schweigen

Von Manuela Dviri

Am 9. Juni 2005 erhielt ich zusammen mit einem italienischen und palästinensischen Freund den Peres-Preis für Frieden und Versöhnung für das Projekt “Saving Children” (Kinder retten). Für die, die das Projekt nicht kennen: es wird von zwei Ärzteteams geleitet, einem israelischen und einem palästinensischen. Sein Ziel ist, palästinensische Kinder in israelischen Krankenhäusern zu heilen (da die Heilung in Palästina natürlich oft nicht möglich ist). Es gibt auch palästinensischen Ärzten die Möglichkeit, sich in israelischen Krankenhäusern zu spezialisieren. In anderthalb Jahren konnten 1200 Kinder von ihren palästinensischen Ärzten zu diesem Projekt überwiesen werden.

Und dies ist meine Dankesrede bei der Preisverleihung.

Ich erinnere mich noch sehr genau an den Tag. Es war vor fünf Jahren und zwei Wochen. Es war der Tag, an dem die Armee den Libanon verließ. Ich erinnere mich genau, was ich damals fühlte. Ich war zornig, traurig, verzweifelt und stolz - alles auf einmal. An diesem Tag verstand ich die ganze Tiefe meines Verlustes und hörte auf, mich hinter Entschuldigungen zu verstecken. Es war für mich unglaublich, daran zu denken, dass wir es fertig gebracht hatten, wir, eine kleine Gruppe von zornigen, redseligen und törichten Frauen , “Die 4 Mütter” haben Ehud Barak den Weg aus dem Libanon gezeigt. An jenem Tag erlebte ich zu meinem Erstaunen, dass sogar ich eine Sache ändern kann, dass sogar ich eine Veränderung bewirken kann. Ja, dass ich es kann. Bis zu jenem Augenblick hoffte ich tief in meinem Inneren, dass Soldaten, Generäle, Politiker und Ministerpräsidenten etwas wissen würden, was ich nicht weiß, etwas verstehen, was ich nicht verstehe.

Es war eine sehr teure Lektion, die ich lernte, aber eine, die ich nicht vergessen werde. An jenem Tag entschied ich mich, nie wieder still zu sein und vor Ungerechtigkeit und Dummheit still zu stehen, die nur Leiden und Tod über andere Menschen bringen. Dass ich mein Äußerstes tun würde, um für meine Kinder und Enkel das Leben erträglicher und lebenswerter zu machen. Dass ich niemals wieder sagen werde: “Ich habe es nicht gewusst” oder “da gibt es nichts, was ich tun kann”, oder “es ist sinnlos”, “es ändert die Dinge nicht” oder “wer schert sich schon darum?”

Ich begann mit einem neuen Leben. Und hier und heute Abend sehe ich die großen Leute, die ich seitdem getroffen habe. Meine palästinensischen Freunde und meine italienischen Freunde und meine israelischen Freunde. Leute, die die Politik beiseite schieben, um sich um kranke palästinensische Kinder zu kümmern. Ich sehe all die verrückten Leute, die Visionäre, die Toren und Träumer, die Optimisten gegen alle Chancen, die Leute, die ich schätze und liebe, die - Gott sei Dank - auch noch existieren. Wir haben all dies zusammen gemacht. Wir alle. Wir verhielten uns so, als gäbe es keine Mauern, keine Absperrungen, keinen Krieg - aber wir wussten sehr genau, dass ein sehr scheußlicher und bösartiger Krieg weiter ging.

Krankheit macht die Dinge einfach. Durch Krankheit und Tod erfahren wir, dass wir alle gleich sind, aus Blut, Knochen, Haaren und einem Herzen. Und wenn man verletzt ist, wer fragt danach, ob man Palästinenser oder Israeli, ob man jüdisch, christlich oder muslimisch ist? In den Augen eines Fremden sind wir tatsächlich alle gleich. Wir leben alle auf einem kleinen Stück Land, atmen die gleiche Luft, essen den gleichen Hummous und sehen uns jeden Tag ähnlicher.

Es ist meine Pflicht, das Leben von palästinensischen Kindern genau so zu retten wie das meiner Kinder und Enkelkinder. Nur einer fehlt heute: Yoni, mein Sohn. Er wurde vor siebeneinhalb Jahren im Libanon getötet. In einem Monat wäre er 28 Jahre alt geworden. Und ich habe nicht die geringste Ahnung, wie er jetzt aussehen würde und was er jetzt tun würde. Ich habe die Spur von ihm verloren. Aber ich weiß, wo er ist. Genau hier - mit uns. Er würde stolz lächeln. Er würde wahrscheinlich zu uns allen sagen: “Gebt niemals auf! Kämpft weiter für das Leben, für ein Zusammenleben und eine gemeinsame Zukunft der beiden Völker. Es gibt keinen anderen Weg …”

dt. Ellen Rohlfs

Veröffentlicht am

20. Juni 2005

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