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Gandhis Wiederkehr

Dorothy Naor schreibt in bei der Einführung eines Artikels “Gandhis Wiederkehr” aus dem Wochenendmagazin von Ha’aretz vom 9. Juni 2005:

Am Montag, gegen 18 Uhr beschlossen wir zu viert - eine Besucherin die mich in die besetzten Gebiete begleitet hatte und zwei Männer aus Marda - nach dem an dem Tag zugefügten Schaden zu schauen. Die DorfbewohnerInnen hatten an dem Tag viel Tränengas gegessen. Ich glaube ich habe erwähnt, dass in Marda die Olivenbäume, die ausgerissen werden, an einem steilen Hang liegen. Die Soldaten stehen oben auf der Kante und schießen hinab auf jeden, der sich nähert.

Aus irgendeinem dummen Grund hatte ich angenommen, dass zu der Zeit abends, wenn die Tagesarbeit mit Fällen und Entwurzeln zu Ende sein würde und die Soldaten weg, wir ruhig hingehen und schauen könnten. Als wir uns dem Hang näherten, wurde es klar, dass es sich nicht lohnt, irgendetwas vorauszusetzen. Neun bis elf Soldaten - es gelang mir nicht sie zu zählen - standen auf dem oberen Ende des Hangs. Der Lautsprecher befahl uns zu gehen und drohte mit Gewalt, wenn wir nicht sofort gehorchen, zunächst auf Arabisch. Ich rief auf Hebräisch, dass wir nur schauen wollten, und nur zu viert seien. Wir gingen langsam nach vorne, während uns der Lautsprecher dauernd bedrohte. Als ich die Gewehre sah (wahrscheinlich Tränengas; aus der Entfernung konnte ich es nicht erkennen), die auf uns gerichtet waren, blieben wir stehen. Ich rief nach oben, warum sie denn so paranoisch wären, dass sie zu neunt oder zehnt oder elft seien und bewaffnet und wir zu viert und unbewaffnet und eine 73jährige Frau dabei sei. Hat nicht geholfen. Der Lautsprecher rief, dass er 12 Stunden lang Schlachten gefochten habe und das reiche ihm und wir sollen es nicht wagen, noch einen Schritt nach vorne zu gehen.

Um die Zeit kam eine Gruppe Kinder aus dem Dorf, die die Gelegenheit wahrnahmen, uns mit Fahnen, Transparenten und Sprüchen anzuführen. Der Lautsprecher rief, dass wenn wir die Kinder nicht im Zaum halten könnten, die Soldaten dies übernehmen würden. Wir gingen zurück. Es hatte keinen Sinn die Kinder zu gefährden, die uns enttäuscht folgten. Wir konnten da oben nichts tun. Wir konnten die Bäume nicht wieder einpflanzen oder an den Boden festkleben. So gingen wir.

Morgen ist Freitag. Vielleicht werden die Soldaten auf Gewalt verzichten. Vielleicht. Es kommt schon mal vor, nicht oft.

Diese Demonstrationen machen mir keinen Spaß. Ich hasse Tränengas. Aber noch mehr hasse ich Ungerechtigkeit. Die DorfbewohnerInnen bitten uns zu kommen. Die Israelis fangen nicht damit an. Können wir unseren palästinensischen FreundInnen, die so teuer bezahlen müssen dafür, dass sie PalästinenserInnen der Westbank sind, unsere Solidarität verweigern?

Nachfolgend veröffentlichen wir Auszüge aus dem Artikel “Gandhis Wiederkehr” aus: Ha’aretz Wochenendmagazin, 9. Juni 2005

Gandhis Wiederkehr

Von Meron Rapaport

Vorigen Freitag gingen Laser und Hassen zusammen die Hauptstraße von Bilin entlang. Laser Peles (geboren in Kfar Chabad, verließ seine Religion, outete sich, wurde Sprecher der schwul-lesbischen Fraktion in Meretz und einer der treuesten Aktivisten der Anarchisten gegen den Zaun) hat Bilin, ein kleines palästinensischen Dorf neben der Siedlung Ober Modi’in, zu seiner zweiten Heimat gemacht. Scheich Hassan Yusuf, auch aus einem ultraorthodoxen Hintergrund, aber im Gegensatz zu Laser seiner Religion noch eng verbunden, wurde nach Libanon deportiert, war sechs Jahre in einem israelischen Gefängnis und noch sechs Monate in einem palästinensischen und wird heute als Anführer der Hamas in der Westbank betrachtet.

“Ich bin froh, dass ihr Israelis hier seid”, sagte der ultraorthodoxe Gläubige aus Ramallah zu dem früheren Haredi (jüdischer ultra-orthodoxe Gläubige) und die beiden, gemeinsam mit etwa 500 Palästinenser und 100 weiteren Israelis, gingen weiter zur wöchentlichen Demo gegen den Trennungszaun in Bilin.

Peles ist nicht typisch für jene Israelis, die vorige Wochen in Biulin demonstriert haben - die meisten haben einen viel solideren Hintergrund als Aktivisten. Yusuf ist nicht typisch für jene Palästinenser, die hier demonstrierten - die meisten sind von Fatah und politische Rivalen der Hamas. Dennoch ist die seltene Verbindung zwischen den beiden ein Indiz für das, was in den letzen Wochen in Bilin und anderswo an der gegenwärtigen Trasse des Zaunes geschah. Es gibt fast täglich Demonstrationen von PalästinenserInnen vermischt mit Israelis und mit Kameras. In Treffen der palästinensischen GraswurzelaktivistInnen - nicht Intellektuelle, die aus Europa Spenden erhalten - reden sie ernsthaft über die Doktrin von Mahatma Gandhi, über das Modell gewaltfreier Demonstrationen, das sich von Dorf zu Dorf durch die Westbank verbreiten soll.

Unsinn, gewaltfreien palästinensischen Widerstand gibt es nicht, sagen die Offiziere der IDF, deren Soldaten eine Routine der Konfrontation mit den palästinensischen und israelischen DemonstrantInnen entwickelt haben und sogar Zuneigung für einige zeigen. “Wo ist Laser?” fragte einer der Soldaten, als er durch sein Fernglas von der Kuppe des dominanten Hügels auf die Demonstration schaute, die sich in Bilin vor zwei Wochen sammelte. “Ohne ihn ist die Demo nichts wert.”

Eine Woche später erhielt die IDF den Beweis, dass die Feldkommandeure wissen, wovon sie sprechen, wenn sie ihren Soldaten sagen, ein Stein könne töten. Der Soldat Michael Schwarzman verlor ein Auge durch einen von Palästinensern geworfenen Stein in Bilin. “Wie kann von einer gewaltfreien Demonstration gesprochen werden, wenn ein Soldat dabei ein Auge verliert?” Zu Beginn dieser Woche stellte Yarom Tamim, der regionale Bataillonkommandeur von Schwarzmanns Einheit, diese Frage gegenüber dem Radiosender Tel Aviv.

Doch die Wahrheit ist komplex. Es ist schwierig, genaue Daten über die Anzahl verletzter PalästinenserInnen bei Demonstrationen gegen den Zaun zu erhalten, weil viele sofort behandelt und nicht ins Krankenhaus gebracht werden. Aber allein in Bilin, mit einer Bevölkerung von wenig über 1500, sind etwa 150 in den letzten drei Monaten verletzt worden. Nach unvollständigen Zahlen von der Menschenrechtsorganisation B’tselem wurden im vergangenen Jahr sieben Palästinenser durch Vorkommnisse am Zaun in der Gegend um Jerusalem und Modi’in. Etwa 180 weitere wurden verletzt, mindestens 16 davon durch scharfe Munition. Vor nur einem Monat haben IDF Soldaten zwei Jugendliche mehr als einen Kilometer von der Zauntrasse entfernt getötet.

Der Eindruck wird verstärkt, wenn wir die Tatsache mitbetrachten, dass in den Hunderten von Demonstrationen seit dem Beginn der Proteste gegen den Trennungszaun vor zwei Jahren die DemonstrantInnen nie Schusswaffen gebraucht haben.

Oberstleutnant Tzachi Segev, Kommandant des 25. Bataillons der Panzereinheiten hat den Oberbefehl über die Truppe, die die DemonstrantInnen in Bilin zerstreuen soll. Er liest Haaretz und “versteht die PalästinenserInnen persönlich” sogar, ihre Wut beim Verlust ihres Landes. Um die Reibungen zu vermindern, hat er sogar eine Stilllegung der Arbeiten am Freitag befohlen, um zu verhindern, dass sich die DemonstrantInnen den Maschinen nähern. So haben die Demonstrationen an den letzten paar Freitagen nur gegen ein Symbol stattgefunden.

Segev hat aber keine Zweifel bezüglich seiner Aufgabe. “Der Staat hat das Recht, sich durch einen Zaun zu schützen, auch wenn dieses Recht diesen Menschen schadet. Im Allgemeinen gibt er den Befehl, Aufstandsbekämpfungsmittel einzusetzen wenn die Palästinenser anfangen, Steine zu werfen. Seine Definition von Gewalt bei palästinensischen Demonstrationen - Unruhen, wie er sie nennt - ist recht breit. Das Schubsen von Soldaten ist auch Gewalt, die den Einsatz von Knall- oder Gasbomben rechtfertigt. So ist auch ein sich Nähern des Zaunes oder sogar das Übertreten einer gedachten Linie Gewalt.

Manchmal kann er eine Kollektivstrafe nicht vermeiden, auch wenn das ein negatives Ergebnis hat. Kollektivstrafen sind Ausgehverbot, Absperrung eines Ortes, Straßensperren und Ähnliches.

Es gibt aber auch jene Fälle, in denen die Organisatoren einer Demonstration gegen die Steinewerfer kämpfen und sie vom Demonstrationsort entfernen. Welche Botschaft senden sie aber den Palästinensern, die das Steinewerfen verhindern? Dass sie dumm sind? “Es gibt solche Fälle, und da ist die Kollektivstrafe problematisch. Aber Bestrafung ist nicht etwas Abstraktes. Es wird damit gesagt: Seht her, wir haben Mittel, die euch verletzen können.” (ihn korrigierend sagte Oberst Yoni Gedj, der Brigadekommandant, später: “Absperrung ist keine Kollektivstrafe, sondern ein operatives Vorgehen”).

Wie alle IDF-Kommandeure glaubt Segev, dass es einen Schuldigen gibt bei den Demonstrationen: die Israelis. Die Israelis “bringen die PalästinenserInnen zu den Demonstrationen und sind die Antriebsmaschine für sie.” Da sie nahe an die Soldaten heran gehen, und manchmal ein Palästinenser dabei ist, “sind sie eine Gefahr”. Sie lenken die Soldaten ab und ermöglichen so das Steinewerfen.

Die Demonstration vor zwei Wochen war exemplarisch. Die DemonstrantInnen - etwa 50 bis 60 PalästinenserInnen und 20 Israelis näherten sich dem Zaun bis auf ein paar hundert Meter und wurden dann von der Armee angehalten. Sie machten eine merkwürdige Aufführung mit weißen Roben und Friedensplakaten und gingen dann zurück zum Dorf. Die Soldaten standen weiter auf der Straße. “Geht zurück, es gibt nichts mehr für euch zu tun, ihr ladet die Steinewerfer geradezu ein”, riefen die DemonstrantInnen den Soldaten zu. “Ich will nicht, dass es aussieht, als wären sie hinter uns her”, sagt Segev als Erklärung, warum die Soldaten warten. Er gibt dann den Abzugsbefehl und, obwohl ein paar Soldaten von Steinen getroffen werden, befiehlt er Zurückhaltung und die Demonstration endet ohne Zusammenprall. Ein seltenes Ereignis, sagen die Soldaten. Ein seltenes Ereignis, sagen die PalästinenserInnen.

Die Ruhe war ein Erfolg des Volkskomitees von Bilin. Vom Berg konnte man die Mitglieder sehen, wie sie den Jugendlichen hinterherliefen, die sich unter den Olivenbäume versteckt hatten, und die sie zurück ins Dorf führten. Manchmal nur unter Einsatz der Fäuste. “Wir sind keine Offiziere und haben keine Macht über die Leute”, sagt Komiteemitglied Mahmoud Hatib. “Wir können sie nicht zum Dorf zurückbringen, wie können sie nur überreden.” Ein paar Tage vorher, als ich das Dorf besuchte, hatte Hatib die Prinzipien für ihre Demonstrationen erklärt. Es darf dabei keine Steinwürfe geben, und das wird normalerweise eingehalten. Aber wenn die Demonstration zu Ende ist, oder wenn die Armee anfängt, Gas oder Gummi zu schießen, können die Organisatoren die Steinewerfer nicht mehr kontrollieren.

Eine Gruppe von 40 oder 50 Israelis ist ständig mit den DorfbewohnerInnen in Kontakt und bereit, auch mitten in der Nacht ins Dorf zu fahren, um sich gegen die Soldaten zu stellen, die ins Dorf einziehen. Eine Gruppe Israelis, die mitten im Dorf stehen und sich auf hebräisch unterhalten, ist ein völlig normaler Anblick. “Es gab Auseinandersetzungen wegen der Kleidung der Israelinnen, weil wir ein gutes moslemisches Dorf sind”, bemerkt Hatib, “aber jeder sagt, die Israelis sind gut.”

Sowohl Hatib als auch Abu Rahma bestreiten vehement, dass die Israelis die Drahtzieher der Demonstrationen wären, wie IDF dies behauptet. Yonatan Pollack und Einat Podhorny, zwei junge Israelis, die häufig zwischen Tel Aviv und Bilin hin und herfahren, sagen ebenfalls, dass solche Unterstellungen absurd sind. Die Palästinenser sagen uns, was sie planen und laden uns ein, mitzukommen, aber wir sind nie die Initiatoren. Aber auch die Palästinenser räumen ein, das Bewusstsein, dass Israelis mit dabei sind, mache es leichter für die PalästinenserInnen, die Soldaten zu konfrontieren, da die Truppen dann weniger Gewalt anwenden.

Die Aktionen des Komitees von Bilin tendieren zu so etwas wie künstlicher Aufführung. Neben der wöchentlichen Demonstration am Freitag können sich die Mitglieder des Volkskomitees selber an die Olivenbäume festbinden oder in Fässer steigen oder einen Kinderzug veranstalten - diese Woche gab es eine Demonstration von behinderten Menschen. Vorige Woche haben sie sogar Flyer auf Hebräisch an die Soldaten verteilt.

“Soldat, warte eine Minute bevor du dein Gewehr anlegst”, war zu lesen. “Du und deine Freunde, ihr seid auf unserem Land. Wenn ihr als Gäste gekommen wäret, dann würden wir euch die Bäume zeigen, welche unsere Großmütter gepflanzt haben. … Aber ihr seid hierher gesandt worden als Mitglieder einer Besatzungsarmee und Teil einer Besatzungsmacht. … Aus diesem Grund demonstrieren wir hier, ohne Waffen, ungeachtet all eurer Waffen.”

“Das ist eine Revolution” sagt eine palästinensische Quelle. “In der Vergangenheit hätte kein Palästinenser gewagt, Soldaten so anzusprechen.

Das Ziel ist, erklärt Hatib, der Welt das “richtige Bild” zu zeigen: die PalästinenserInnen als Opfer, Israel als Besatzungsarmee. Deshalb gibt es aus seiner Sicht keine Notwendigkeit, Steine auf die Soldaten zu werfen, auch wenn sie Tränengas oder Gummikugeln abfeuern. Hatib ist sehr glücklich darüber, dass die arabischen und palästinensischen Medien die BewohnerInnen von Bilin die “neuen Gandhis” nennen. Das ist in seinen Augen eine große Ehre.

Verdienen sie diesen Titel? Hatib gibt zu, dass sie noch sehr weit davon entfernt sind, alle jungen Dorfbewohner davon zu überzeugen, keine Steine zu werfen. Aber er sagt, dass es Demonstrationen ohne Steine gegeben hat - und im Allgemeinen, fügt er hinzu, hat die Armee ein Interesse, die Atmosphäre anzuheizen.

Ein Beispiel für eine absichtliche Eskalation der Situation, sagt der Palästinenser, ist die Demonstration vom 28. April in Bilin, die Demonstration der “mistarvim” (Undercover-Einheiten der Armee, die als Araber getarnt auftreten). Trotz der großen Teilnehmerzahl waren die Organisatoren in der Lage, die Entscheidung einer gewaltfreien Demonstration ohne Steinwürfe aufrechtzuerhalten. “Plötzlich sah ich sechs oder sieben Personen, die ich nicht kannte, Steine werfen”, erzählt Hatib. “Ich rannte zu ihnen hin und fragte sie, wer sie seien und warum sie trotz der Entscheidung für eine gewaltfreie Demonstration Steine werfen. Einer von ihnen erwiderte in gutem Arabisch, dass er aus Safa sei, und dass sie gekommen wären uns zu helfen. Ich sagte ihm, er solle gehen und in Safa Steine werfen, aber nicht hier.”

Erst hinterher, als einer der Steinewerfer eine Pistole herauszog und in die Luft schoss, wurde Hatib klar, dass es sich um eine Gruppe von Undercover-Agenten handelte. Für ihn ist das der Beweis, dass die Armee Unruhe stiften möchte und dann die Demonstration mit der Begründung “Gewalt” abbrechen kann.

Obwohl Oberst Gedj zugibt, dass die Undercover-Agenten mit Steinen geworfen haben, ist er “100 Prozent sicher, dass sie sich Palästinensern angeschlossen haben, die mit Steinen warfen.” Ein Militärrichter hat allerdings in seinem Urteil geschrieben “Es gibt kein Zeugnis von auch nur einem Soldat, dass Steine auf ihn geworfen worden waren.”

Bilin versucht dem Beispiel von Boudrus zu folgen. Ursprünglich sollten 1200 Dunam Dorfland auf der israelischen Seite des Zaunes bleiben. Nach den Demonstrationen, die im Dezember 2003 begannen, wurde die Route verändert und nun bleiben nur 100 Dunam auf der anderen Seite des Zaunes (10 Dunam = 1 ha). Boudrus war der erste Ort, an dem Israelis zu einem dauerhaften Element der Demonstrationen wurden.

Ahad Murad aus Boudrus, das genau auf der Grünen Linie liegt, sagt: “Unser Volkskomitee hat beschlossen, keine Steine einzusetzen, weil wir die Hilfe von Internationalen Freiwilligen und von Israelis brauchten und wir wussten, dass wir die nicht bekommen, wenn Steine fliegen.” In Murads Augen sind Steine noch keine Gewalt. “Wenn das Ziel ist, Soldaten zu verletzen, nutzt Schießen mehr. Aber wenn die Botschaft ist, dass man die Besetzung nicht akzeptiert, dann glaube ich nicht, dass Steine die Botschaft rüberbringen. Wir sind Opfer und dürfen die Opferrolle nicht verlassen.”

Murad versucht, seine Botschaft auch an andere Orte zu verbreiten. In den Dörfern in der Nähe des Zaunes gewinnen gewaltfreie Demonstrationen an Unterstützung, in den großen Städten ist es viel schwieriger. Auch die palästinensische Autorität kooperiert nicht. Dennoch empfindet er wachsende Unterstützung für seine Ideen, sowohl bei den örtlichen Führern als auch im Gefängnis. Dort haben ihm Führer aller Faktionen versichert, dass “die Methode von Boudrus gut ist”, und dass sie ihre Methoden neu überdenken müssten.

Mohammed Elias, Koordinator der Volkskomitees in der Westbank, gibt zu, dass es noch ein langer Weg ist, bis der Mainstream den gewaltfreien Kampf akzeptiert. “Dies ist ein neuer Weg, und die Tatsache, dass es bei dieser Form des Kampfes keine Bilder von Märtyrern an den Mauern gibt, schwächt die Unterstützung. Wir sind ein sentimentales Volk und die machtvollen Sprüche von Blut und Feuer bewegen das Herz mehr.” Gerade, wenn die Ausrichtung jene von Gandhi ist, kann sie nur allmählich erreicht werden. “Wenn du siehst, dass die Soldaten Tränengas einsetzen, ist es schwierig junge Leute dazu zu bringen, auf dem Boden zu sitzen und zu singen und nicht zu reagieren.”

Dennoch ist Elias überzeugt, dass dies die Richtung ist, welche die PalästinenserInnen anstreben werden. Er selber war vom bewaffneten Kampf überzeugt und verbrachte dafür viele Jahre im Gefängnis, aber jetzt hat er seine Überzeugung verändert und glaubt, dass die PalästinenserInnen diesem Beispiel nachfolgen werden.

“Früher hat jeder den bewaffneten Kampf unterstützt, aber jetzt gibt es eine große Müdigkeit.” Die Präsenz der Israelis bei den Demonstrationen hat einen großen Einfluss. “Es gibt einen arabischen Spruch: Du kannst die Menschen vergessen, mit denen du gelacht hast, aber nicht die, mit denen du geweint hast”, sagt er. Die Menschen werden die Israelis nicht vergessen, die mit ihnen bei den Demonstrationen verletzt wurden.

Auch das ist nicht einfach. Während einer Demonstration wurde eine Andacht gehalten und der Geistliche, der sie geleitet hat, hat eine Predigt gegen die Juden gehalten. “Ich ging zu ihm hin und fragte, ‘Wie kannst du so reden? Hast du nicht gesehen, dass die Hälfte der Menschen hier Israelis sind?’. Er antwortete: ‘Ich meinte die anderen Israelis.’”

Früher kannten die Leute Israelis nur als Soldaten. “Jetzt rufen nicht einmal die Kinder Sprüche gegen die Juden, nur gegen die Besatzung.” Eine israelische Demonstrantin erzählte, dass sie gehört hat wie ein Palästinenser stolz sagte, dass “die Israelis” - gemeint waren die DemonstrantInnen - sie gegen “die Juden” - die Soldaten - geschützt hätten.

Die Palästinenser behaupten, dass die bloße Gegenwart der Israelis bei den Demonstrationen das beste Mittel gegen Selbstmordangriffe in der Zukunft ist, dass ihre Gegenwart den Hass mindert. “Das gibt einem zu denken”, sagt Oberst Gedj von IDF, “aber ich bin ein Mann der Armee und meine Aufgabe ist es dafür zu sorgen, dass meine Mission durchgeführt wird, und meine Mission ist, den Bau des Zaunes zu ermöglichen.”

Quelle: www.Brief-aus-Israel.de vom 10.06.2005. Übersetzt und gekürzt von Anka Schneider, ergänzend übersetzt und bearbeitet von Michael Schmid. Orginalartikel: Gandhi Redux

Veröffentlicht am

16. Juni 2005

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