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Flüchtlingsorganisationen fordern verbesserten Schutz für tschetschenische Flüchtlinge

Deutschland und andere EU-Staaten müssen die neuen Beitrittsstaaten unterstützen und entlasten
Humaner Umgang mit Traumatisierten statt Rücküberstellungsautomatismus

Von Bernd Mesovic

amnesty international, PRO ASYL und weitere Flüchtlingsorganisationen fordern einen verbesserten Schutz für tschetschenische Flüchtlinge in Deutschland. Obwohl die Menschenrechtslage in Tschetschenien unverändert schlecht ist, erhalten viele Flüchtlinge aus der Region auch mehr als 10 Jahre nach Beginn des Krieges nicht den Schutz, den sie benötigen. Viele werden nach der Dublin II-Verordnung unter Hinweis auf die asylrechtliche Zuständigkeit des EU-Staates, den sie auf ihrer Flucht zuerst betreten haben, von Deutschland in diesen zurückgeschickt, insbesondere nach Polen.

Die Flüchtlingsorganisationen kritisieren auf einer Pressekonferenz in Berlin am 22.04.2005 diesen “Rücküberstellungsautomatismus”, bei dem gesundheitliche und psychische Probleme oder familiäre Bindungen in der Regel nicht berücksichtigt werden.

Auf ausführlichen Recherchen in Polen, die diese Problematik eingehend beleuchtet, beruht eine aktuelle vierzigseitige Studie von drei Sozialwissenschaftlerinnen aus Nordrhein-Westfalen. Besonders betroffen von der rigiden deutschen Rücküberstellungspraxis sind nach den Ergebnissen dieser Recherche Traumatisierte und Folteropfer, die derzeit in Polen nicht die notwendige Behandlung erhalten. Gerade unter den Flüchtlingen aus Tschetschenien sind Traumatisierte besonders zahlreich vertreten. “Unter den vielen Flüchtlingen aus Tschetschenien habe ich bisher keinen getroffen, der seit Beginn des ersten Tschetschenienkrieges nicht mindestens einen nahestehenden Menschen durch gewaltsamen Tod verloren hat. Die meisten tschetschenischen Familien beklagen die Ermordung oder Verschleppung zumindest eines - meist männlichen - Mitglieds. Viele der hier lebenden Flüchtlinge sind selbst Überlebende von schweren Misshandlungen, Folter und/oder Vergewaltigung,” so die Berliner Psychotherapeutin Dr. med. Sonja Süß von Marscha Doriyla - Hilfsverein für tschetschenische Flüchtlinge e.V. Problematisch wirkt sich gerade für diese Personengruppe aus, dass aus Deutschland Rücküberstellte nicht selten inhaftiert werden.

Die Flüchtlingsorganisationen fordern das Bundesinnenministerium auf, die Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-Verordnung nicht schematisch anzuwenden. Stattdessen soll Deutschland großzügig die Möglichkeiten dieser Verordnung nutzen und Asylverfahren abweichend von der formalen Zuständigkeit im Rahmen des sogenannten Selbsteintrittsrechtes behandeln. Generell sollte auf Rücküberstellungen verzichtet werden, wenn fundierte medizinische oder psychologische Stellungnahmen vorliegen und es keine adäquaten Behandlungsmöglichkeiten gibt. Gleichzeitig sollte sich die Bundesregierung gemeinsam mit anderen EU-Staaten bemühen, Polen und andere neue EU-Staaten beim Aufbau der notwendigen Behandlungskapazitäten zu unterstützen.

Trotz steigender Anerkennungszahlen in Asylverfahren von Tschetschenen muss die deutsche Asylpraxis weiterhin dringend verbessert werden. Nicht nur politisch aktive Tschetschenen und solche, die außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation leben, sehen sich erheblichen Gefahren und Bedrohungen gegenüber, bestätigt die Journalistin Mainat Abdulaeva. Angesichts dieser Fakten ist es unverantwortlich, dass Asylanträge von tschetschenischen Antragstellern immer wieder mit dem Hinweis auf eine angebliche inländische Fluchtalternative abgewiesen werden.

Imke Dierßen von amnesty international weist auf jüngste Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von Februar hin. Der Gerichtshof hat eindeutig festgestellt, dass die russischen Sicherheitskräfte auch im zweiten Tschetschenienkrieg für Folter und Tötungen von Zivilisten verantwortlich sind. Menschen, die den Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wagen, müssen damit rechnen, getötet zu werden oder zu “verschwinden”.

Ob tschetschenische Flüchtlinge einen Flüchtlingsstatus in einem EU-Staat erhalten, hängt nicht nur von den Fluchtgründen ab, die sie vorbringen, sondern in vielen Fällen von der Frage, welcher Staat letztendlich für die Behandlung ihres Asylantrages zuständig wird. “Die EU behauptet, an einem harmonisierten Asylsystem zu arbeiten, funktioniert jedoch bisher mit der Dublin II-Verordnung hauptsächlich als Verschiebebahnhof”, so Bernd Mesovic von PRO ASYL. Gelang es einem tschetschenischen Flüchtling in den letzten Jahren, Dänemark oder Frankreich zu erreichen, so war seine Anerkennungschance bis zu dreimal so hoch wie in Deutschland. Während in Österreich im Jahr 2003 94 der tschetschenischen Flüchtlinge anerkannt wurden, lagen die Quoten in Deutschland bei 22 (2004: 32%), in Polen bei 2,4%, in der Slowakei unter 1%. Eher wie ein Glücksspiel funktioniert, was die Ausgestaltung eines Menschenrechtes sein sollte.

Quelle: PRO ASYL e.V. vom 21.04.2005.

Veröffentlicht am

22. April 2005

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