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Wir erleben keine Weltkatastrophe

Der Bischof von Rom: Eine kritische Würdigung Johannes Pauls II.

Von Friedrich Schorlemmer

In den trauernden Jubelchor vermag ich nicht einzustimmen. Das hinterlässt den Eindruck, der Vater der Welt sei von uns gegangen - dabei ist nur der Heilige Vater der Katholiken verstorben - freilich eine große, starke Persönlichkeit mit Weltgeltung. Die prinzipielle Höherbewertung dieses Pontifex widerspricht meinem christlichen Menschenbild, wonach alle Menschen gleich Gewürdigte sind - auch die allgemeinen Menschenrechte gehen davon aus. Da hinein passt dieser römische Triumphalismus und Klerikalismus nicht - auch nicht die posthumen Hochämter fast aller Medien. Dem Bischof von Rom werden allein im Vatikan neun Messen gelesen. Ich schaue ins Neue Testament und kann mich nur wundern.

Wusste der Heilige Vater noch klar zu stellen, dass nicht Gott-Vater stirbt?

Ein Pole, kein Italiener wurde 1978 Papst. Das war ein Signal und wurde zum Fanal. Nun richtete sich das Augenmerk der Weltkirche in besonderer Weise auf die Länder hinter dem Eisernen Vorhang, vorrangig auf das national-katholische, zugleich stark römisch orientierte Polen. Was bedeutete es 1979 für das polnische Selbstbewusstsein, als Karol Wojtyla als Papst erstmals sein Heimatland besuchte - von ihm ging eine ungeheuere Ermutigung aus, seinen Glauben zu bekennen und zu widerstehen. “Habt keine Angst!” rief er Hunderttausenden zu. Ich war vor seinem Besuch in der Volksrepublik Polen zu Gast und spürte, wie sehr das ganze Land diesem Besuch entgegenfieberte.

Dieser Papst gab den Menschen Kraft und Zuversicht. Besonders faszinierend war seine - jedermann sichtbar gemachte - Spiritualität, eine ganz tiefe Christus- und Marienfrömmigkeit mit einer so innigen wie demonstrativen Versenkung (samt magischer Züge), die ihn mehr und mehr zum weltweiten Popstar des Christentums machte. Er scheute sich nie, selbst das in seiner Person vollends öffentlich zu machen, was eigentlich etwas sehr Intimes ist - das Gebet. So offenbarte er auch vor aller Augen, was gemeinhin eher mit Rückzug ins Private verbunden ist, nämlich die Last menschlicher Hinfälligkeit und das Sterben.

Er demonstrierte, mit welch großer innerer Kraft man sein Leiden tragen kann - wiewohl die Zelebrierung seiner Schmerzen die Grenzen des Erträglichen überschritt. Sein vorgeführtes Sterben führte zu einer archaisch anmutenden, fast vergöttlichenden Verehrung seiner Person. Eine gigantische Fernseharmada hielt die ganze Welt zuletzt stündlich auf dem Laufenden. Karol Wojtyla hat unentwegt durch Inszenierung Tatsachen zu schaffen versucht: Rom und der Papst - sie sind das einzige Zentrum der allein seligmachenden Weltkirche und ihrer ewigen Wahrheit.

Wusste der Heilige Vater noch klar zu stellen, dass nicht Gott-Vater stirbt, sondern der hoch geachtete und hoch betagte Bischof von Rom, dass nicht er “die Leiden Christi” trägt, sondern eine hinfällige Kreatur den schmerzhaften Weg allen Fleisches im Glauben geht?

Ich-Stärke und Glaubens-Stärke kamen bei diesem außergewöhnlichen Manne in beeindruckender Weise zusammen, wiewohl gepaart mit konservativer Unerbittlichkeit. Vor allem hatte sich nach dem Attentat im Jahre 1981 gezeigt, welch tiefer Lebenswille ihm Kraft gab und zu welcher menschlichen Größe des Verzeihens er fähig war.

Dieser Papst hat es verstanden, mit viel Wärme und großer Entschiedenheit weltweit für Frieden, Gerechtigkeit und Toleranz zu werben und demokratische Freiheiten einzufordern. Zugleich konnte er - typisch katholisch? - den Widerspruch übergehen, der darin bestand, dass es innerhalb seiner Kirche ganz und gar “keine Demokratie” gab. Seine mehrfache Initiative, die Weltreligionen zum (gemeinsamen) Friedensgebet zu führen oder deren heilige Räume in Respekt zu betreten, war ein großer symbolischer Akt, blieb aber letztlich inhaltsleere Geste. In der Substanz hat er sich nicht einen Deut abhandeln lassen und evangelische Kirchen gar als “Glaubensgemeinschaften” (ab-)qualifiziert.

Katholiken bleibt es weiterhin verwehrt, die eucharistische Gastbereitschaft anderer anzunehmen. Es gibt keinen Dialog auf Augenhöhe, sondern nur den Gestus des Zurückholens und Zurückkommens von Abgefallenen. Es bleibt unbegreiflich, mit welcher männlichen Arroganz sich die katholische Kirche bis heute Frauen verweigert, die keine Ämter übernehmen dürfen - denen es nur erlaubt ist, in aller Demut und Hingabe zu dienen. Werden die Gesetze des Zölibats auf biblische Weisungen zurückgeführt, wird einfach ignoriert, dass diese Regelungen erst seit dem 11. Jahrhundert galten und ganz entscheidend etwas mit Macht und Gehorsam zu tun hatten.

Es erstaunt schon, in welcher Devotheit die große Mehrzahl der Medien kaum in Frage stellt, welch eine ins Mittelalter zurückführende Anmaßung das Papsttum selbst darstellt. Auch die Geschichtsdeutungen, die in diesen Tagen medial dominieren, erwecken den Eindruck, als sei etwa der Fall der Berliner Mauer wesentlich diesem Papst zu verdanken gewesen. Als habe es nicht die einzelnen Subjekte gegeben, die an sehr verschiedenen Orten politisch tätig wurden. Da wird weder von Gorbatschow gesprochen, noch der Entspannungsprozess erwähnt, noch die KSZE-Schlussakte, sondern allein der Besuch des Papstes 1979 in seinem Heimatland. Nur hatte die Aufbruchsbewegung in der DDR wahrlich wenig mit dem Papst und schon gar nicht entscheidend mit Katholiken in diesem Lande zu tun.

So bleiben neben den großen auch andere Gesten dieses Papstes in Erinnerung. Etwa die Art, wie er den Nikaraguaner Ernesto Cardenal vor laufenden Kameras demütigte und zurechtwies, ohne mit ihm zu sprechen. Auch andere innerkatholische Kritiker bekamen die ganze Härte der Glaubenskongregation zu spüren - ob Hans Küng und Eugen Drewermann oder Bischof Gaillot und Leonardo Boff. Was ihnen geschah, hatte nichts zu tun mit den so groß verkündeten Zielen von Dialog, Toleranz und Menschenrechten. Es ging um Gehorsam, Lehramt und Autorität.

Und wie viele Frauen haben die Härte spüren müssen, mit der Rom jegliche Schwangerschaftskonfliktberatung durch katholische Stellen ablehnte und sich die deutschen Bischöfe ergeben beugten. Wie sagte schon Luther 1520? “Die deutschen Bischöfe sitzen in Rom wie die Nullen da.” Ohnehin vertrat Johannes Paul II. eine Sexualmoral, die durch das Verbot von Kondomen einerseits zur Verbreitung von Aids beitrug und zugleich einer Steuerung der Überbevölkerung in der Dritten Welt durch Familienplanung mittels empfängnisverhütender Maßnahmen kaum reale Möglichkeiten ließ. Man sollte nicht vergessen, die Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo ist maßgeblich am Widerstand des Vatikans gegen moderne empfängnisverhütende Mittel gescheitert.

Für Johannes Paul II. war Krieg immer eine Niederlage der Menschheit

Dieser Papst regierte monarchistisch-autoritär und zog gerade damit sehr viele verunsicherte Menschen an, die in einer Welt, in der nichts mehr sicher scheint, von solcher Autorität beeindruckt waren. Mit Freiheit und Mündigkeit des Individuums hatte das freilich wenig zu tun, mehr mit Anlehnungsbedürfnis. Johannes Paul II. wurde zu einer prägenden Persönlichkeit in einer Zeit, in der es an großen Persönlichkeiten fehlt. Er war im Zeitalter der moralischen Korrumpierungen eine der wenigen weltweit geachteten moralischen Instanzen, nur noch vergleichbar mit dem Dalai Lama oder Nelson Mandela.

Er war ein Papst, der das christusbezogene biblische Friedenszeugnis sehr ernst nahm und immer wieder zu aktiver Versöhnung mahnte, ob in Afrika, auf dem Balkan, in Palästina oder - sehr beeindruckend - vor dem Irak-Krieg. Für ihn war Krieg immer eine Niederlage der Menschheit. Er hörte auf, Kriege in gerechte und ungerechte einzuteilen. Jahrzehntelang blieb er eine Stimme des Gewissens der reichen Welt gegenüber den Armen, Verhungernden und Verdurstenden auf dieser Erde.

So sehr dieses Engagements verdient, gewürdigt zu werden, so sehr musste es andererseits befremden, wie Johannes Paul II. im Laufe seines Pontifikats mehr und mehr eine Art Gott-Vater-Position einnahm. Seine Audienzen wurden zu Begegnungen mit dem Quasigöttlichen, ob nun Michael Schumacher oder Michael Gorbatschow, Helmut Kohl oder der Bild-Chefredakteur empfangen wurden. Da nun die Medien Kopf stehen, als ob dieser Tod eine Quasi-Weltkatastrophe sei, wird mir als Protestant wieder bewusst, welch eine Revolution es 1520 bedeutete, als Martin Luther das “Priestertum aller Gläubigen” - biblisch begründet - postulierte und die gleiche Würde aller getauften Menschen vor Gott proklamierte.

Alles in allem: Trotz der grundsätzlichen Anfragen an die Anmaßungen dieses Amtes und die Widersprüche dieses Papstes - es bleibt ein großer Respekt vor seiner Konsequenz und Klarheit, vor der geistlichen Tiefgründigkeit eines außergewöhnlichen Mitchristen, der viele Zeichen der Zeit erkannt und visionär gestaltend eingegriffen hat. Alles andere liegt für Christen nicht mehr in des Menschen Hand.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 14 - 08.04.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Friedrich Schorlemmer und Verlag.

Veröffentlicht am

12. April 2005

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