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Keine Rede von einer Zivilmacht EU

Warum die These von der Militarisierung stimmig ist / Eine Entgegnung auf die Grünen-Politikerin Angelika Beer

Von Tobias Pflüger - IMI-Analyse 2005/010 - in: Frankfurter Rundschau vom 09.04.05

Unlängst bescheinigte die Grüne Europaparlamentarierin Angelika Beer der Friedensbewegung “absolute Orientierungslosigkeit” hinsichtlich der These einer “Militarisierung der EU”. An dieser Stelle sollen dagegen die Kernargumente dieser These dargestellt werden, die sich an drei Dokumenten belegen lässt: EU-Verfassungsvertrag, Europäische Sicherheitsstrategie und European Defence Ilanr.

Der Verfassungsvertrag: Die so genannte “Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik” (GASP) und die “gemeinsame Verteidigungspolitik” nehmen eine zentrale Stelle im Verfassungstext ein. Die Regelungen insbesondere für die Militärpolitik sind sehr detailreich. Deutlich wird: Es ist das offensichtliche Ziel des EU-Verfassungsvertrags, die Europäische Union für die globale Kriegsführungsfähigkeit fit zu machen. “Die meisten Fortschritte gewährt die Verfassung im spezifischen Bereich der Gemeinsamen Sicherheitspolitik, wobei die Regierungskonferenz wichtige Fortschritte verankert hat, die sogar über das hinaus gehen, was vom Konvent vorgeschlagen worden war”: So heißt es im Bericht von Richard Corbett, ??ñigo Méndez de Vigo (A6-0070/2004) - Verfassung für Europa, mit dem der Verfassungsvertrag im Europäischen Parlament mehrheitlich gebilligt wurde und zudem “rückhaltlos seine Ratifizierung” befürwortet wurde.

Der Vertrag ermöglicht der EU, die “auf militärische Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen” (Art I-41, Abs. 1). Diese werden in Artikel III-309, Absatz 1 präzisiert und umfassen u.a. “gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen”, die “Bekämpfung des Terrorismus” und brisanterweise auch “die Unterstützung für Drittländer bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet”. Unabhängig davon, wie man dazu steht, ist unbestritten, dass die EU-Verfassung militärische Kampfeinsätze als integralen Bestandteil der künftigen europäischen Außenpolitik definiert und somit von einer “Zivilmacht EU” keine Rede mehr sein kann.

Zudem wird Aufrüstung zum Verfassungsgebot. Unmissverständlich heißt es im Text: “Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten regelmäßig zu verbessern” (Art. I-41, Abs. 3). Damit nichts dem Zufall überlassen bleibt, soll eine “Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung” (Europäische Verteidigungsagentur, bis Juni 2004 hieß es noch: “Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten”) die Aufrüstung überwachen und “zweckdienliche Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors” durchsetzen (III-311).

Gravierend ist auch, dass das EU-Parlament und der Europäische Gerichtshof explizit aus der Kontrolle der Außen- und Militärpolitik ausgeschlossen sind. Allein der EU-Ministerrat trifft die Entscheidung über Krieg und Frieden (I-41,5).

Von besonderer Brisanz ist die in Artikel I-41,6 und III-312 festgeschriebene “ständige strukturierte Zusammenarbeit” auf militärischer Ebene, die mit einem Zusatzprotokoll jetzt genau definiert wird. Die “Ständige Strukturierte Zusammenarbeit” ist nichts anderes als ein militärisches Sonderbündnis innerhalb der EU auf Dauer, in dem sich die “Fähigen” und “Willigen” zusammenschließen können. Hier hat ein militarisiertes Kerneuropa seinen institutionellen Ort im neuen EU-Vertrag.

Europäische Sicherheitsstrategie: Noch während der EU-Verfassungsvertrag debattiert wurde, verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs im Dezember 2003 einvernehmlich die so genannte “Europäische Sicherheitsstrategie” (ESS), die drei strategische Ziele benennt: Erstens den Kampf gegen Terrorismus, zweitens den Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und drittens Hilfe für “gescheiterte Staaten” als Mittel gegen organisierte Kriminalität.

Entscheidend ist die Schlussfolgerung für das außenpolitische Handeln der EU, die aus dieser Bedrohungsanalyse gezogen wird: “Unser herkömmliches Konzept der Selbstverteidigung, das bis zum Ende des Kalten Krieges galt, ging von der Gefahr einer Invasion aus. Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen. Die neuen Bedrohungen sind dynamischer Art.” Die Natur dieser Bedrohungen erfordere ein präventives Handeln: “Daher müssen wir bereit sein, vor Ausbruch einer Krise zu handeln. Konflikten und Bedrohungen kann nicht früh genug vorgebeugt werden.” Zwar räumt die ESS an gleicher Stelle ein, diese Gefahren könnten nicht mit “rein militärischen Mitteln bewältigt werden”, aber eben auch und wohl auch primär (ESS, S.7).

“Verteidigungslinien” im Ausland und “frühzeitiges” militärisches Handeln, sind Umschreibung für “Angriffsaktionen” und ein Angriff bevor der Gegner angreifen kann ist ein Präventivkrieg und damit eine völkerrechtswidrige Aggression. Stillschweigend übernimmt die ESS hiermit die oft und gern kritisierte Präventivkriegsstrategie der US-amerikanischen “National Security Strategy” (NSS).

Das European Defence Ilanr: Was genau Europas Strategen zu verteidigen gedenken, erklären sie im “European Defence Ilanr”, das auf Basis der ESS militärische Einsatzszenarien für das Jahr 2010 entwirft und die Grundlage für ein künftiges europäisches Weißbuch darstellen soll. Angriffskriege werden damit jetzt auch auf europäischer Ebene verankert. Nukleare Optionen werden nicht mehr ausgeschlossen. Lothar Rühl, ehemaliger Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium und Mitautor des “European Defence Ilanr”, stellt in einem Beitrag in der FAZ vom Oktober 2004 zufrieden fest, dass das Thema “Präemption/Prävention” in dem Dokument zwar vorwiegend unter dem Aspekt von Kriegseinsätzen mit konventionellen Streitkräften und operativen Spezialkräften behandelt wird. “Immerhin” werde aber die Möglichkeit erwähnt, britische und französische Nuklearstreitkräfte “explizit oder implizit” einzubeziehen.

Neben diesen Szenarien eines präventiven Atomschlages werden zusätzlich Soldaten für “Regionalkriege zur Verteidigung europäischer Interessen” bereit gestellt. Das diesbezügliche Szenario verdeutlicht eindrucksvoll, dass nicht humanitäre Erwägungen sondern die militärische Wahrung ökonomischer Interessen die Triebfeder der europäischen Militarisierung darstellt: “Künftige regionale Kriege könnten europäische Interessen tangieren (…), indem europäische Sicherheit und Wohlstand direkt bedroht werden. Beispielsweise durch die Unterbrechung der Ölversorgung und/oder einer massiven Erhöhung der Energiekosten, der Störung der Handels- und Warenströme.” (S. 81)

Konkret wird folgendes, offensichtlich an den Golfkrieg 1991, der auch offen als Vorbild benannt wird, erinnernde Szenario beschrieben: “In einem Land x, das an den indischen Ozean grenzt haben anti-westliche Kräfte die Macht erlangt und benutzen Öl als Waffe, vertreiben Westler und greifen westliche Interessen an.” (S. 83) Ziel sei es, “das besetzte Gebiet zu befreien und die Kontrolle über einige der Ölinstallationen, Pipelines und Häfen des Landes x zu erhalten.” (S. 83)

Militärmacht Europa: Die zuvor beschriebene Entwicklung einer militärischen Komponente der EU sollte hinreichend verdeutlicht haben, dass es sich bei der “Militarisierung der EU” nicht um eine These handelt. Die Militarisierung der EU ist bereits Realität. Die EU-Verteidigungsminister haben im März 2004 mit dem so genannten “Head-Line Goal 2004” einen Fahrplan zur globalen Kriegsfähigkeit beschlossen, der von den Staats- und Regierungschefs beim Gipfel im Juni 2004 abgesegnet worden ist. Der Plan sieht vor, eine hoch gerüstete Streitmacht aufzubauen, die im Jahr 2010 unter einheitlichem EU-Kommando für weltweite Militärinterventionen zur Verfügung stehen soll. Zwei Säulen der dafür vorgesehenen Truppen befinden sich derzeit im Aufbau: Die europäische Eingreiftruppe, die bis zu 60 000 Soldaten zum Einsatz bringen und für längere Zeit in einer Krisenregion stationieren soll, und die “battle groups”, kleine Kampfverbände von jeweils 1500 Elitesoldaten, die als erste Einheiten in ein Kriegsgebiet entsandt werden und den Eingreiftruppen den Weg freikämpfen müssen. Dabei wird wiederum auf das Protokoll zur “ständigen Strukturierten (militärischen) Zusammenarbeit” verwiesen, das die Dimension der kerneuropäischen Militarisierung im künftigen Verfassungsvertrag fixieren soll.

In Brüssel wird denn auch lediglich diskutiert, wie eng die Militärmacht EU an die Nato gebunden werden soll. Die Prämissen der Herstellung globaler militärischer Interventionsfähigkeit und der dazu nötigen Aufrüstungen, werden dagegen nicht hinterfragt. Wer nicht bereit ist, dies zur Kenntnis zu nehmen, verweigert sich der Wirklichkeit.

Zur Ratifizierung eines Verfassungsvertrages NEIN zu sagen, um die Chance für ein ziviles, soziales und demokratisches Europa zu erhalten, ist dagegen das Gebot der Stunde. Irgendwann wird sich auch bei den führenden Grünen und Sozialdemokraten herumsprechen, dass sich Aufrüstungsgebote und der Aufbau von Kriegsführungsfähigkeiten nicht beschönigen lassen. Im Übrigen: Ihre konservativen Kollegen sind da meist ehrlicher und offenherziger.

Quelle: Informationsstelle Militarisierung vom 09.04.2005.


Der Artikel von Angelika Beer und Reaktionen darauf >> EU-Verfassung kontrovers

Leserbriefe in der Frankfurter Rundschau vom 09.04.2005 zu: “Die These von der Militarisierung der EU ist haltlos” von Angelika Beer (FR Standpunkte vom 26. März)

Realität verdreht

Den von Angelika Beer erhobenen Vorwurf, dass sich die Friedensbewegung mit einer Ablehnung der EU-Verfassung in ein Bündnis mit nationalistischen Europagegnern stellt, muss ich als Friedensaktiver und Ostermarschierer entschieden widersprechen. Der für die Friedensbewegung entscheidende Passus der EU-Verfassung ist die Aufforderung an die Mitglieder, “die militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern”. Nach ihrer Auffassung ist damit keine Verpflichtung zur Aufrüstung gemeint, sondern “die Chance zur Harmonisierung, Aufgabenteilung und Nutzung von Synergieeffekten”. Ich sehe darin hingegen, dass berechtigter Widerspruch gegen unsinnige Rüstungsprojekte wie das Raketenabwehrsystem MEADS mit Hinweis auf Bündnisverpflichtungen abgewehrt werden soll.

Karl-Heinz Peil, Frankfurt a. M.

Opportunistisch

Mit der Veröffentlichung des Bezugsbeitrags von Frau A. Beer ist der FR (wieder) eine eindrucksvolle Dokumentation des politisch-moralischen Opportunismus einer “Volksvertreterin” gelungen. Sprächen die zahlreichen “Spitzen” nicht für eine merkwürdige Mischung von Arroganz und Gehässigkeit gegenüber der Friedensbewegung, könnte man der Autorin noch zugute halten, dass sie sich offensichtlich nur sehr oberflächlich mit dem Thema auseinander gesetzt hat, und auf Belehrbarkeit hoffen. So aber wird durch diese argumentative Oberflächlichkeit der Gesamteindruck einer ausgesprochen opportunistischen Einlassung nur verstärkt. Doch wen wundert’s?

Dr. Albert Fuchs, Meckenheim

Uninformiert

Mit großem Befremden habe ich die Verteidigung der Europäischen Verfassung gegen die Kritik aus der Friedensbewegung durch eine Europaparlamentarierin der Grünen zur Kenntnis genommen. Trotz der politischen Vielfalt und parteipolitischen Neutralität der Organisationen, die sich “wagen”, Kritik an dem Verfassungsvertrag zu äußern, hält Frau Beer es offenbar für erforderlich, die Friedensbewegung mit wenig origineller Polemik von “überholten Glaubensgrundsätzen” bzw. “überholten Denkmustern” in eine Ecke zu schieben und gar als Unterstützer “nationalistischer Europagegner” zu beschimpfen.

Falsch und uninformiert ist der Vorwurf, die Friedensbewegung würde über Alternativen zu der vorgelegten Verfassung schweigen. Die Organisationen der Friedensbewegung haben sich nicht auf destruktive Kritik beschränkt, sondern wiederholt Alternativen zu den Regelungen im Verfassungsvertrag aufgezeigt und beim Europäischen Konvent eingereicht, wie etwa die “Agentur für zivile Konfliktschlichtung”, das Verbot von Massenvernichtungswaffen und die Ächtung des Krieges. Der Umstand, dass mit einer Europäischen Verfassung eine bedeutende friedenspolitische Wirkung erzielt werden kann, stellt den konkret vorgelegten Entwurf entgegen der Auffassung von Frau Beer nicht von inhaltlicher Kritik frei.

Philipp Boos, Giessen

Falsch verstanden

Wenn Frau Angelika Beer am Schluss ihrer Ausführungen schreibt: “Wer aus überholten Denkmustern diese Verfassung links liegen lässt, der wird landen, wo er sicher nicht hin will: In einem Bündnis mit den nationalistischen Europagegnern!”, dann hat sie etwas gründlich falsch verstanden. Die Aufrufe der Friedensbewegung richten sich gegen die EU-Verfassung und nicht gegen Europa! Die so genannten Verfassungsgegner sind nicht gegen eine Verfassung für Europa, sondern gegen diesen (!) Entwurf einer EU-Verfassung!

Frau Beer schreibt: “Mit der Verfassung erhält Europa eine außenpolitische Stimme.” Leider aber auch eine Verfassung, die sich über die Verfassungen der einzelnen Mitgliedsländer stellt und somit deren Eigenstaatlichkeit aufhebt. Sie schreibt weiter: “Es gibt keine Verpflichtung zur Aufrüstung. Die Formulierung “die militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern” bietet die Chance zur Harmonisierung, Aufgabenteilung und Nutzung von Synergieeffekten?” Hier hat Frau Beer den Anfang des Satzes vergessen. Vollständig heißt es: “Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.” Dies ist - trotz rhetorisch geschulter Auslegungs- (und Verharmlosungs-)versuchen seitens Frau Beer - eine Verpflichtung zur Aufrüstung!

Gernot Römer, Staufenberg

Nein Danke!

Es war einmal, vor vielen Jahren, da sahen sich die Grünen als Speerspitze der Demokratiebewegung. Nun, nach einigen Jahren der Anpassung in Regierungsverantwortung, muss ich lesen, dass Frau Beer allen Ernstes behauptet, die EU-Verfassung ist positiv zu bewerten wegen des Rechtes auf ein Bürgerbegehren. Mittels dessen könne man dann die Inhalte, die nicht in die Verfassung gehören, wie “Rüstungsagentur” und die Aufforderung an alle Mitglieder “die militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern” korrigieren. Diese Meinung übersetzt heißt: Zuerst werfe ich das Kind in den Brunnen, um es dann retten zu können. Zu einem solchen Demokratieverständnis sage ich nur: Nein Danke!

Gisela Kommander, Bad Homburg

Weltfremd

Ich möchte mich hiermit bei der FR für den gut durchdachten Beitrag der Grünen Europaparlamentarierin Angelika Beer bedanken. Wer die Demokratiedefizite in den USA, Russland und China betrachtet und die damit zusammenhängenden Kriege in Afrika, Südasien und dem Nahen Osten, der kann nur hoffen, dass das vergleichsweise demokratische und friedliche Europa an Gewicht in der Welt gewinnt. Das von den Widersachern der Frau Beer benutzte Totschlagargument der “Militarisierung der EU” ist schlimmer als nur weltfremdes Gejammer: Es ist kontraproduktiv. Ja, ich freue mich z.B., dass es eine EU-Armee (im Ansatz) gibt, die in Mazedonien einen drohenden Krieg verhindert hat, den die von meinen Landsleuten (wahrscheinlich nicht demokratisch) gewählte Regierung tatkräftig angezettelt hat.

Phil Hill, Berlin

Quelle: Frankfurter Rundschau online vom 09.04.2005

Veröffentlicht am

10. April 2005

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