Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Der Holocaust wird zur Kritikabwehr benutzt

Von Amira Hass - Ha’aretz / ZNet 21.03.2005

Der Pulk Weltführer, die das neue Holocaust-Geschichtsmuseum in Yad Vashem besuchten, macht deutlich, wie stark Israels Position im Westen ist. In den Heimatländern dieser Regierungschefs wird vielfach Kritik an Israel laut. Viele Israelis bzw. Juden schreiben dies allerdings, wie üblich, dem Antisemitismus zu. Palästinenser und Linke (Juden inklusive) stellen fest, das Wissen über die israelische Besatzung in diesen Ländern ist kümmerlich, die Öffentlichkeit interessiert sich kaum dafür.

Wenn so viele Führer Europas nach Jerusalem pilgern, zeigt dies, dass sie sich von der Israelkritik nicht beirren lassen - immerhin nehmen sie an einem Medienevent teil, das man nur als Unterstützung für Israel werten kann - Israel, so, wie es heute ist. Im besten Fall dient der Besuch der Ermutigung beider Seiten, am “wiederaufgenommenen Friedensprozess” festzuhalten.

Aber was will man ermutigen? Die Treffen zwischen Mohammed Dahlan, Nasser Yousef und Shaul Mofaz? Will man die Trennmauer ermutigen - deren Bau massiv vorangetrieben wird (im Widerspruch zum Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag (ICJ))? Oder jene herablassenden “Gesten” der Israelis - 200 zusätzliche Passierscheine für Händler, eine Straße, die für palästinensische Privatfahrzeuge (und nicht nur für öffentliche Fahrzeuge) geöffnet wird? Soll etwa die kontinuierliche Zerstörung des palästinensischen Ost-Jerusalems ermutigt werden oder dessen Abtrennung vom Rest des palästinensischen Territoriums? Dies stellt einen Verstoß gegen die internationale Forderung dar, Ost-Jerusalem zur Hauptstadt eines Palästinenserstaats zu machen.

Der deutsche Außenminister und die Ministerpräsidenten der Niederlande und Schwedens - werden sie Israel (nachdem sie sich bekreuzigt und unter Beweis gestellt haben, dass sie des Holocausts gedenken) daran erinnern, dass alle Siedlungen und nicht nur die Außenposten illegal sind? Werden sie Israel auffordern, sie zu räumen? Welcher der Teilnehmer an der Gedenkfeier wird sich anschließend die Straßen ‘nur für Juden’ ansehen und die ‘nur für Palästinenser’? Wird einer von ihnen gegen jene Gesetze protestieren, die bestimmte Bürger Israels diskriminieren, nur weil sie keine Juden, sondern Araber sind? Werden sie Sanktionen androhen, falls diese Gesetze nicht zurückgenommen werden?

Eine dieser absurden Ungerechtigkeiten, die einen rasend machen - vor allem, wenn es sich um Ungerechtigkeiten von so unvorstellbarem Ausmaß handelt wie die Mordindustrie der Deutschen (mit großzügiger europäischer Unterstützung) -, besteht darin, dass die Opfer und ihre Nachkommen dies alles Tag für Tag neu erleben, daran erinnert werden, während die Täter verdrängen und vergessen. Deren Nachkommen fällt es leicht, das Ganze zu ignorieren. Der diplomatische Tross, der heute um Scharons Aufmerksamkeit buhlt, sollte besser im eigenen Land über Europas Verantwortung für den Holocaust sprechen - nicht in Israel. Berlin, Paris, Amsterdam, Krakau, Sarajewo und die Dörfer und Wälder um diese Städte sind voller Erinnerungen an unsere Eltern, voller Erinnerungslücken der Täter und deren Nachkommen und voller Gleichgültigkeit und Hilflosigkeit der untätigen Zuschauer. Warum reisen die Außenminister und Premierminister nicht dorthin - wecken dort die Erinnerung, verbreiten dort ihr Wissen und ihr Geschichtsverständnis? Nicht nur einmal im Jahr - nicht nur als Lippenbekenntnis am Tag der Befreiung von Auschwitz oder am Tag der deutschen Kapitulation.

Wir fühlen und erinnern die Schmerzen dieser Liquidierungen Tag für Tag. Also sollten wir sie jeden Tag damit konfrontieren. Warum nicht beispielsweise eine große Marmortafel vor jedem Haus, in dem früher einmal Juden wohnten, vor Häusern, aus denen sie deportiert wurden oder in denen sie ermordet wurden? Jeder Bahnhof, von dem die Menschentransporte abfuhren, sollte informieren: Wie viele Menschen waren es wann, wie viele Züge fuhren pro Tag ab? Die Namen derer, die für die Transporte verantwortlich waren, sollten an Polizeistationen, Bahnhöfen und in den Rathäusern geschrieben stehen.

Feiern und Denkmäler reichen nicht aus, das eingeschlafene Gedächtnis wieder wachzurütteln. Das erreicht man in erster Linie, indem man die Ideologie der Herrenrasse kompromisslos zurückweist - eine Ideologie, die die Welt in höher- und minderwertige Rassen unterteilt. Sie verneint den Grundsatz der Gleichheit der Menschen. Die Ideologie der Nazis hat uns Juden den niedrigsten Stellenwert zugewiesen. Aber wären wir weiter oben gelandet, wäre diese Ideologie dann weniger kriminell? Eine Ideologie, die die Welt in wertvollere und weniger wertvolle Menschen unterteilt, in überlegene und minderwertige Wesen, ist nicht nur dann falsch und unangemessen, wenn sie Ausmaße annimmt wie der Genozid der deutschen Nazis - siehe das Apartheid-System Südafrikas.

38 Jahre Besatzung der palästinensischen Nation durch Israel haben Generationen von Israelis daran gewöhnt, die Palästinenser als minderwertig zu betrachten, sie verdienten nicht, was wir verdienen. Aber Ruhe, so etwas darf man nicht laut sagen, sonst rufen die Israelis empört: “Wie kannst du es wagen, das zu vergleichen!” In gleicher Weise verbietet es sich, uns diplomatisch unter Druck zu setzen, damit wir uns ändern. In dem Fall mahnen wir sie an unsere ermordeten Menschen.

Das Event (in Yad Vashem), über das überall berichtet wurde, hat gezeigt: Israel macht die Liquidierung der europäischen Juden zu seinem Kapital. Unsere ermordeten Angehörigen werden mobilisiert, damit Israel so weitermachen kann und sich nicht um internationale Beschlüsse zu scheren braucht, die sich gegen die Besatzung richten. Das Leid unserer Eltern in den Gettos und Konzentrationslagern überall in Europa, ihr psychischer und physischer Schmerz, ihre Höllenqualen, die sie seit ihrer “Befreiung” Tag für Tag neu erleben - das alles wird zur Waffe, um jegliche internationale Kritik an der Gesellschaft, die wir aufgebaut haben, abzuwehren.

Es ist eine Gesellschaft mit eingebauter Diskriminierung - Diskriminierung, auf der Grundlage nationaler Zugehörigkeit, Diskriminierung, die sich zu beiden Seiten der Grünen Linie ausbreitet. Es ist dies eine Gesellschaft, die fortfährt, die palästinensische Nation systematisch von ihrem Land zu verbannen und deren nationale Rechte und Chancen auf eine humane Zukunft usurpiert.

Quelle: ZNet Deutschland vom 23.03.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Using The Holocaust To Ward Off Criticism

Veröffentlicht am

24. März 2005

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von