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In Ciudad Bolívar stirbt man paarweise

KOLUMBIEN: Präsident Alvaro Uribe hat die ultrarechten Paramilitärs rehabilitiert und denkt über eine zweite Amtszeit nach

Von Raul Zelik

Anderthalb Jahre vor der Entscheidung über den nächsten Staatschef Kolumbiens läuft die Kampagne für eine Wiederwahl von Präsident Uribe auf Hochtouren. Zwar sieht die Verfassung keine zweite Amtszeit vor, doch wirbt das Regierungslager mit den Vorteilen personeller Kontinuität und spricht von “unbestreitbaren Erfolgen bei der inneren Sicherheit”. Dank einer Politik der “Seguridad Democrática” gäbe es weniger Bürgerkrieg, weniger Entführungen - selbst die städtische Kleinkriminalität sei zurückgegangen.

In Ciudad Bolívar, den Slums in der südlichen Hälfte Bogotás, wird schnell deutlich, dass ein solches Fazit nur einen Teil der Realität erfasst. Die Ziegel- und Kartonsiedlungen an den Rändern der kolumbianischen Hochebene bilden ein von offiziellen Statistiken ignoriertes Biotop, obwohl in diesen Quartieren immerhin vier der acht Millionen Einwohner Bogotás leben.

Nora Jiménez betreut eine von sieben Armenküchen der Organización Femenina Popular (OFP) und kommt fast beiläufig auf die Morde in ihrer Gegend zu sprechen. “Bei uns sind erst vor ein paar Tagen zwei Jugendliche von Paramilitärs erschossen worden. In der Siedlung nebenan waren es jüngst vier.” Sie lacht auf. “Bei uns stirbt man nicht allein, sondern paarweise.”

Die Frauen von der OFP, einer der wichtigsten humanitären Organisationen Kolumbiens, glauben, dass die ultrarechten Todesschwadronen inzwischen wahllos töten. Ihre “sozialen Säuberungen” träfen ganz verschiedene Leute: Vertriebene aus den Bürgerkriegsregionen, Kleinkriminelle, Homosexuelle oder ambulante Straßenhändler. In den meisten Fällen jedoch handele es sich bei den Opfern um Jugendliche, die sich einfach zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielten. “Man versucht, nicht aufzufallen und sperrt sich abends um acht zu Hause ein”, meint Nora Jiménez. “Und nachts hörst du eigentlich immer irgendwo Schüsse.”

Von Stadtplanern in der ganzen Welt wird Bogotá heute gefeiert, weil es den Kommunalregierungen der vergangenen Jahre gelungen ist, die Verwahrlosung der City zu stoppen, die Altstadt zu beleben und von den Kainsmalen beängstigender Armut zu befreien. In Ciudad Bolívar allerdings lässt sich die Kehrseite dieser Metamorphose in Augenschein nehmen. Zwischen unverputzten Ziegelhütten entstehen täglich neue Plastikverschläge, in denen ganze Familien mit einem einzigen noch nicht einmal mannshohen Raum auskommen müssen. In 2.600 Meter Höhe und bei den fast täglichen Niederschlägen können die Wände dieser Behausungen nie austrocknen. Es ist so, als ob die Menschen in diesen Asylen der Trostlosigkeit unter freiem Himmel leben würden. Die Feldzüge der Paramilitärs sorgen dafür, dass ein solches Schicksal ergeben hingenommen wird.

Dem Genozid entkommen

Je mehr davon auszugehen ist, dass sich Alvaro Uribe um eine zweite Amtszeit bemüht, desto stärker treibt das eine zerstrittene Opposition zum Handeln und zur Suche nach einem Gegenkandidaten mit Statur und Charisma. “Überall in Lateinamerika spürt man den Wind der Veränderung”, meint Gloria Cuartas, die mit zahlreichen Friedenspreisen ausgezeichnete ehemalige Bürgermeisterin der nordkolumbianischen Stadt Apartadó (Urabá). “In Venezuela, Brasilien, Argentinien und Uruguay bemüht man sich um die Einheit unseres Kontinents. In Ecuador und Bolivien bürgen zwar nicht die Regierungen für diesen Trend, aber es gibt starke Basisbewegungen. Nur Kolumbien bleibt eine Ausnahme.”

Um das zu ändern, setzt sich Cuartas für die Kandidatur des ehemaligen Verfassungsrichters Carlos Gaviria und die linksgerichtete Allianz Alternativa Democrática ein. Selbst gehörte sie einst zur Unión Patriótica und hat miterlebt, wie ihre Partei zwischen 1985 und 1997 durch Anschläge ultrarechter Kommandos mehr als 4.000 Mitglieder sowie sämtliche Präsidentschaftskandidaten und Kongressabgeordneten verlor. “Ich gebe mich keinen Illusionen hin. Die Alternativa Democrática besteht aus den Überlebenden. Wir sind diejenigen, die dem politischen Genozid entkommen sind. Uns ist klar, dass in Kolumbien keine demokratischen Verhältnisse herrschen, aber man muss der Politik Uribes, die ich als faschistisch bezeichnen würde, etwas entgegen setzen. Und das öffentlich. Uribe will die totale Kontrolle der Gesellschaft. Die Integration von Paramilitärs in staatliche Strukturen, wie wir das gerade erleben, wird mehr denn je ein autoritäres Regime hervorbringen.”

Auch in Teilen der beiden staatstragenden Parteien - des Partido Liberal (PL) und des Partido Social Conservador (PSC) - wird es als unerträgliche Herausforderung empfunden, wenn Uribe die Prätorianergarden der ultrarechten Autodefensas Unidades de Colombia (AUS) zu Hütern der öffentlichen Ordnung beruft. Als die Regierung Mitte 2003 ein Referendum angesetzt hatte, um die Justiz zu verschlanken und nebenbei etliche Bürgerrechte zu kassieren, regte sich bei Liberalen und Konservativen beachtlicher Widerstand. Der sozialdemokratische Flügel der Liberalen um die afrokolumbianische Abgeordnete Piedad Córdoba gründete mit Gewerkschaftern und kleineren Parteien die Gran Coalición Democrática, die im Oktober 2003 ihren Anteil daran hatte, dass der Präsident mit seinem Referendum eine empfindliche Niederlage hinnehmen musste. Bei den zeitgleich abgehaltenen Kommunalwahlen wurden Kandidaten der Coalición zum Bürgermeister von Bogotá, Medellín und Barrancabermeja sowie in das Amt des Gouverneurs der Region Cali gewählt.

Uribismus ohne Uribe

Ein Veto gegen die angestrebte Straffreiheit für die AUC-Kommandanten kam auch von Andrés Pastrana, Uribes Vorgänger im Präsidentenamt. So gesehen erscheint es für die Opposition nicht von vornherein aussichtslos, eine zweite Amtszeit des jetzigen Präsidenten verhindern zu wollen. Die Kardinalfrage bleibt allerdings, wer eine schlagkräftige Mitte-Links-Opposition glaubhaft führen kann. In der Liberalen Partei ist die von vielen Linken befürwortete gemeinsame Kandidatur von Piedad Córdoba mit Verfassungsrichter Carlos Gaviria nicht mehrheitsfähig. Dafür steht Córdoba für das Selbstverständnis des Partido Liberal zu weit links. Wird jedoch der sozialdemokratische Flügel der Partei marginalisiert, hat ein Bewerber gegen Uribe kaum Erfolgschancen. Auf einer Konferenz der Gran Coalición Democrática Anfang März in Bogotá wurde deutlich, dass die anstehende Kandidatenkür in jenes politische Geschacher münden könnte, dessen Banalität dazu geführt hat, dass inzwischen bei Wahlen stets 50 -70 Prozent der Kolumbianer auf ihr Stimmrecht verzichten.

“Es gibt eine Fraktion der Rechten, die für einen ?Uribismus ohne Uribe? plädiert”, meint Hector Moncayo, Mitherausgeber der Kolumbien-Ausgabe von Le Monde Diplomatique am Rande der Konferenz. Diese urbane, technokratisch gefärbte Führungsschicht suche nach einem neuen, unverbrauchten Gesicht. In ihren Augen stütze sich Uribe zu sehr auf ländliche Honoratioren und die mit ihnen liierten Paramilitärs. “Vor diesem Hintergrund dürfen wir uns nicht auf den Präsidenten fixieren. Es geht nicht nur um Repression, sondern vorzugsweise um ein neoliberales Projekt, das auch von einem Politiker der Liberalen Partei oder einem vermeintlichen Sozialdemokraten fortgeführt werden kann.”


Vergeben und Vergessen?

Der Wille Alvaro Uribes, die ultrarechten Paramilitärs der Autodefensas Unidas de Colombia (AUC) zu demobilisieren, hat zu Kontroversen innerhalb der politischen Eliten Kolumbiens geführt. Uribe und der größte Teil der Kongress-Abgeordneten befürworten eine Gesetzesreform, die den Paras weitgehende Straffreiheit für Tausende von Morden und eine Legalisierung des durch Drogenhandel und Raub erworbenen Besitzes garantiert. Doch führende Politiker der Liberalen und Konservativen Partei haben sich mittlerweile gegen eine solche Politik des Perdón y Olvido (Vergeben und Vergessen) ausgesprochen.

Ex-Verteidigungsminister Pardo, der den Paramilitarismus während seiner Amtszeit durchaus gewähren ließ, hat im Kongress sogar einen alternativen Gesetzesentwurf eingebracht. Dabei dürfte von Bedeutung sein, dass die Paramilitärs und die sie stützende Oligarchie der Viehzüchter die Machtbalance im Land verschoben haben. Das Phänomen des Paramilitarismus ist seit seinen Anfängen 1981 eng mit dem Drogenhandel verbunden, die lukrativen Exportrouten werden weitgehend von den Kommandanten der AUC kontrolliert. Vor diesem Hintergrund könnte die Verbindung der rechten Eliten vor allem Antioquias und der Atlantikküste mit dem Paramilitarismus und der Drogenmafia die Macht der traditionellen Oberschichten schmälern. Zwar wird in Kolumbien damit gerechnet, dass sich Präsident Uribe im Parlament und vor dem Verfassungsgericht sowohl mit der Garantie für die beabsichtigte Straffreiheit für Paramilitärs als auch mit der Verfassungsreform für eine Wiederwahl durchsetzt, doch dürfte der Konflikt mit Teilen der etablierten Parteien noch an Brisanz gewinnen.


Die beiden Kammern des kolumbianischen Parlaments

(Mandate nach den Wahlen vom 10. März 2002 /in Klammern Stimmanteile in Prozent)

Partei - Repräsentantenhaus - Senat:

Partido Liberal: 54 (31,3) - 28 (30,6)

Partido Social Conservador: 21 (11,0) - 13 (10,0)

Cambio Radical (Mitte-Rechts): 7 (3,8) - 2 (2,5)

Coalición Democrática (Mitte-Links): 11 (2,8) - 6 (6,3)

Equipo Colombia: 4 (2,3) - 3 (3,3)

Convergencia Popular Cívica (Mitte-Rechts): 4 (2,2) - 3 (3,3)

Movimiento Popular Unido (Linksallianz): 2 (1,5) - 2 (2,0)

Andere Parteien: 58 - 45


Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 11 vom 18.03.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Raul Zelik und Verlag.

Veröffentlicht am

22. März 2005

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