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Die andere Zeder

Von Robert Fisk - ZNet 10.03.2005

Es war eine Warnung. Viele Zehntausende waren gekommen - Schiiten-Familien aus dem Libanon mit ihren Kindern vorneweg, die Babys auf dem Arm. So marschierten sie an meiner Beiruter Wohnung vorbei. Die Menschen erinnerten mich an die vielen Schiiten im Irak, die mit ihren Familien zur Wahl gingen - trotz Schüssen und Selbstmordbombern. Die Schiiten hier kamen aus dem Südlibanon und dem Bekaa-Tal -um deutlich zu machen, wir sind gegen die amerikanischen Pläne im Libanon, und wir wollen wissen - das behaupten sie wenigstens - wer am 14. Februar Ex-Premier Rafik Hariri ermordet hat. Sie sind gegen UN-Sicherheitsratsresolution 1559, die den Rückzug der Syrer aus dem Libanon und die Entwaffnung der Guerillabewegung Hisbollah fordert. Und sie waren gekommen, um Syrien zu danken.

Für den Libanon war es ein großer Aufmarsch. Nur 100 Yards von dem Ort entfernt, an dem die libanesische Opposition protestiert, standen jetzt eine halbe Million Menschen (diese Schätzung dürfte - angesichts der außerordentlichen Mobilisierungsfähigkeit der Hisbollah - annähernd korrekt sein). Sie standen eine Stunde und schwenkten libanesische Fahnen. Diese Menschen sind eine Herausforderung für Präsident George Bushs Nahost-Projekt. Auf einem der Poster stand: ‘Amerika ist die Quelle des Terrorismus’, ‘All unsere Katastrophen kommen von Amerika’. Unter den vielen Tausenden waren etliche Hisbollah-Familien, deren Mitglieder während der israelischen Besatzung im Südlibanon gegen die Israelis gekämpft hatten. Israel hatte viele von ihnen verhaftet und inhaftiert. Diese Menschen fürchten, Amerikas Unterstützung für den Libanon könnte in Wirklichkeit nicht “Demokratie” sondern einen erzwungenen israelisch-libanesischen Friedensvertrag bedeuten.

Stimmt, in der Menge waren auch Syrer - ich habe Busse mit syrischen Nummernschildern gesehen, die Familien aus Damaskus brachten. Das ändert allerdings nichts daran, dass die halbe Million fast ausschließlich aus libanesischen Schiiten bestand. Sie sind gegen Resolution 1559, da diese die Entwaffnung der Hisbollah fordert. Dass die Syrer abziehen, ist ihnen mehr als recht (erinnern Sie sich noch an das syrische Massaker an Hisbollah-Leuten 1987 in Beirut?). Andererseits existiert ein syrischer Waffentransfer von Iran in den Libanon. Die Hisbollah will als Widerstandsbewegung wahrgenommen werden - nicht als “Miliz”, die es zu entwaffnen gilt. Die Botschaft der Schiiten lautet: Wir sind eine Macht.

Es ist dieselbe Botschaft wie neulich bei den Wahlen im Irak. Im Libanon bilden die Schiiten die größte religiöse Gemeinschaft. Syrien wird von einer Alawiten-Clique regiert - auch die Alawiten sind Schiiten. Im Irak haben sich die Schiiten durch die Wahl an die Macht gebracht, und auch der Iran ist eine schiitische Nation. Wenn Präsident Bush erklärt, “das libanesische Volk hat das Recht, seine Zukunft frei von der Dominanz einer fremden Macht zu bestimmen”, denken die Schiiten somit nicht an Syrien sondern an die USA und Israel.

Das Lager der Demonstranten, die 100 Yards entfernt so mutig gegen die Ermordung Hariris protestierten, ist mittlerweile gespalten - der Grund: Syrien. Nachts demonstrieren jetzt vor allem Mitglieder der christlichen Opposition. Die Hisbollah-Demonstration am gestrigen Tag war überwiegend schiitisch - auch wenn, wie immer, pro-syrische Christen mitdemonstrierten. Die Botschaft der Hisbollah-Demonstranten war keine Dankesbotschaft an Präsident Bush. “Früher kamen sie mit Schiffen und wurden besiegt; und sie werden wieder besiegt werden”, so Hisbollah-Führer Sayed Hassan Nasrallah mit Blick auf die Amerikaner.

Ironischerweise sprach Präsident Bush seinerseits einige Stunden später genau jene 241 US-Marines an, die im Oktober 1982 in Beirut starben. Bush tat so, als habe Al Kaida hinter der Ermordung der Soldaten gesteckt. An die Adresse der Israelis gerichtet, sagte Nasrallah: “Gebt eure Libanon-Träume auf. Dem Feind, der sich an unserer Grenze eingegraben hat, unser Land besetzt hält und unsere Menschen einsperrt, sagen wir: “Hier ist kein Platz für euch, ihr könnt nicht unter uns leben. Tod Israel!”

Dass Nasrallah auf den libanesischen Bürgerkrieg zwischen 1975 und 1990 anspielen würde, war vorhersehbar. Die Demonstrationen finden genau an jener Frontlinie statt, die auch während des Bürgerkriegs Libanesen von Libanesen trennte. Man kann sagen, sie standen genau über den christlich-muslimischen Schützengräben jenes Konflikts. “Wir sind hier zusammengekommen”, so Nasrallah, “um die Welt und unsere Partner im Land daran zu erinnern, dass diese Arena hier, die uns zusammenbringt, so wie jene am Platz der Märtyrer, im Bürgerkrieg durch Israel zerstört wurde. Syrien und das Blut seiner Soldaten und Offiziere hat sie wiedervereint”. Ein etwas kreativer Umgang mit der Geschichte. Stimmt, die Israelis haben sicher viele tausend Libanesen getötet - mehr als die Syrer jedenfalls - aber die syrischen Soldaten sind doch für den Tod etlicher hundert Libanesen verantwortlich. Nichtsdestotrotz, die halbe Million brüllte Zustimmung.

Was zeigt uns das alles? Es zeigt, dass es noch eine andere Stimme im Libanon gibt. Die libanesische “Opposition” (pro-Hariri und zunehmend christlich), die von Bush unterstützt wird, nimmt für sich in Anspruch, für den Libanon zu sprechen. Gleichzeitig existiert aber eine zweite nationale Stimme - eine pro-syrische, die sich den anti-syrischen Forderungen verweigert. Diese sieht in den israelischen Plänen für den Nahen Osten den wahren Grund für die Hilfe aus Washington. Die gestrige Demonstration in Beirut verlief in gewohnter Hisbollah-Manier. Es gab ein Maximum an Sicherheit - in Form eines Großaufgebots erschreckend disziplinierter junger Männer mit schwarzen Shirts und umgebauten Radios. Niemand durfte eine Waffe oder eine Hisbollah-Flagge tragen. Es kam zu keiner Gewalt. Einmal schwenkte einer eine syrische Flagge. Sie wurde ihm umgehend abgenommen. Hisbollah ging es um Recht und Gesetz - bloß kein “Terrorismus”. Dazu der syrische Kommentar. Präsident Bashar Assad hatte die sarkastische Bemerkung gemacht, die Hariri-Demonstranten benötigten eine “Zoom-Linse”, um die ihren zu zählen. Schia-Power gab die Antwort: Für ihre gestrige Demonstration brauchte es keinen “Zoom”.

In den Bergen über Beirut, die noch gefroren unterm Winterschnee liegen, tut sich derweil wenig. Nur einige Syrer sind bislang abgezogen. Auf dem internationalen Highway nach Damaskus fuhren zwar syrische Militärlastwagen - aber es gab keinen Rückzug, keinen Abzug, keine Verlegung. Laut dem Taif-Abkommen von 1989 sollten die Syrer sich auf die Mdeirej-Höhen, über Beirut, zurückziehen. Darin willigen sie nun ein - 14 Jahre nach dem eigentlichen Termin. Das offizielle Dokument wurde in Damaskus veröffentlicht - von der syrisch-libanesischen Militärdelegation. Es suggeriert, dass es sich um eine neue Verlegung handelt. Bis April würden sich die syrischen Streitkräfte und deren militärischer Geheimdienst bis an die syrisch-libanesischen Grenze zurückziehen. Bleibt die Frage: Werden sie sich auf die syrische Seite der Grenze zurückziehen, oder werden sie sich in der libanesisch-armenischen Stadt Aanjar festsetzen, also auf libanesischer Seite? In Aanjar besitzt Brigadegeneral Rustum Gazale, Chef des syrischen Militärgeheimdienstes, noch eine weißgetünchte Villa.

Wie dem auch sei, das Thema Libanon hat seine Eindeutigkeit verloren. Die “Zedern”-Revolution hat eine neue Dimension erreicht - und die Pläne Amerikas sind nicht mehr so eindeutig willkommen. Aber wenn man die Schiiten im Irak als Verteidiger der Demokratie darstellt, kann man die Schiiten im Libanon nicht gleichzeitig zu Verteidigern des “Terrorismus” erklären. Wie wird Washington die außerordentlichen Ereignisse in Beirut am gestrigen Tag bewerten?

Robert Fisk arbeitet als Reporter für The Independent. Er ist Verfasser des Buchs: ‘Pity the Nation’. Ein Beitrag von Fisk findet sich - ganz heißer Tipp - in ‘The Politics of Anti-Semitism’, ein Buch, das soeben bei CounterPunch erschienen ist.

Quelle: ZNet Deutschland vom 12.03.2005. Übersetzt von: Andrea Noll | Orginalartikel: Another Species of Cedar

Veröffentlicht am

12. März 2005

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