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Umworbene Europäer - Die Erwartungen an den Bush-Besuch

Von Otfried Nassauer

Am 20. Januar begann die zweite Amtszeit von George W. Bush. Gemeinhin, so die Astrologen für das Weiße Haus, beschäftigen sich US-Präsidenten während ihrer ersten Präsidentschaft mit ihrer Wiederwahl und in der zweiten mit jenen Themen, mit denen sie in die Geschichtsbücher eingehen wollen. Ganz gleich, ob diese These belegbar ist - der Wechsel von der ersten zur zweiten Bush-Administration wirft die Frage auf, ob es zu wesentlichen Veränderungen in der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik kommt. Das jedenfalls scheinen viele Politiker in Europa angesichts der gerade beendeten Rundreise der neuen US-Außenministerin, Condoleezza Rice, zu hoffen.

Hatte Rice nicht vorgeschlagen, ein “neues Kapitel” in den transatlantischen Beziehungen aufzuschlagen? Hatte sie sich nicht von Donald Rumsfelds Unterscheidung zwischen dem alten und dem neuen Europa distanziert? Hatte sie nicht für ein starkes Europa plädiert und festgehalten, ein militärisches Vorgehen gegen den Iran stehe derzeit nicht auf der Tagesordnung, es sei die Zeit für die Diplomatie? Hatte sie der NATO nicht eine - so wörtlich - “glorreiche Vergangenheit” nach- und zugleich eine “noch großartigere Zukunft” vorhergesagt?

In der Tat, all das hatte sie und doch waren aus Washington zugleich ganz andere Töne zu hören: Drohungen auch militärischer Art vor allem gegen den Iran und Syrien. Selbstverpflichtungen zur Fortführung des Krieges gegen den Terrorismus. Rufe nach Regimewechseln in der arabischen und islamischen Welt. Ihre Verknüpfung fanden beide Tonlagen in jenem Thema, das Präsident Bush in den Mittelpunkt seiner Amtseinführungsrede gestellt hatte: der Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens, also dem Thema der neokonservativen Hardliner in seiner Administration. Auch Condoleezza Rice stellte diese Frage in Paris in den Mittelpunkt ihres Kooperationsangebotes an Europa: Europa und Amerika seien den gleichen Werten verpflichtet: der Freiheit, den Menschenrechten und der allgemeinen Gültigkeit des Rechts ? beide Kontinente sollten das Projekt der Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens gemeinsam angehen und dies mit aller Kraft. Dies sei, so Rice wörtlich in Paris, “keine Angelegenheit militärischer Macht, sondern der Macht von Ideen und Idealen”.

Deutet sich also doch ein Paradigmenwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik George W. Bushs an? Eine zweite Amtszeit, die ähnlich wie bei Ronald Reagan deutlich kooperativer und weniger militärisch ausfällt? Oder war die Europareise von Condoleezza Rice vor allem Ausdruck einer Charmeoffensive, einer Umarmungsstrategie für den alten Kontinent, mit der die potentiellen Gegner künftiger Kriege besser in die nächste Demonstration amerikanischer militärischer Stärke eingebunden werden sollen?

In Europa ist die Skepsis, ob Washington künftig wirklich dauerhaft eine neue Linie verfolgen wird, weit verbreitet. Freundlich im Ton bleiben Vorsicht und Zurückhaltung angesagt. Denn faktisch bleibt George W. Bush und seiner Regierung derzeit kaum eine andere Wahl, als neue Töne anzuschlagen: Israel und die Palästinenser sehen die Chance zum Dialog, vielleicht sogar die Chance auf Frieden. Ein neuer Waffengang im Nahen oder Mittleren Osten aber, zum Beispiel gegen Syrien oder den Iran, würde diese Chance sicher zerstören. Der Palästinakonflikt ist eine der Schlüsselfragen für die Zukunft der ganzen Region. In den Worten von Condoleezza Rice: “Dies ist eine Zeit der Gelegenheit; wir dürfen sie nicht verpassen.”

Zugleich kommt diese Entwicklung Washington auch in anderer Hinsicht entgegen. Der Irakkonflikt belastet das US-Militär und den US-Haushalt allzu deutlich. Schon ein militärisches Vorgehen gegen Syrien könnte zu einer Überdehnung führen. Auch die Erfolgsaussichten, Risiken und Nebenwirkungen eines militärischen Vorgehens gegen das iranische Nuklearprogramm sind höchst ungewiss. Zudem stehen im Iran Präsidentschaftswahlen an und im Mai tagt die Überprüfungskonferenz für den Atomwaffensperrvertrag. Mit anderen Worten: Auch George W. Bush und seiner Regierung kommt eine Atempause derzeit sehr gelegen.

Dies zeigt sich vor allem beim Streit um das iranische Atomprogramm. Washington ist bereit, der Diplomatie unter Führung der EU-Länder Deutschland, Frankreich und Großbritannien Zeit zu geben. Aber gibt Washington der Diplomatie auch genug Zeit und eine echte Chance?

Erreicht werden soll, dass der Iran auf alle potentiell nuklearwaffenrelevanten Nukleartechnologien in überprüfbarer Form verzichtet und damit auch auf Rechte, die ihm aus dem Atomwaffensperrvertrag zustehen. Dafür soll er ? so der Verhandlungsansatz der EU-Staaten - durch wirtschaftliche Kooperation und Technologietransfer entschädigt werden. Für die Dauer der Verhandlungen hat Teheran eingewilligt, die umstrittene Urananreicherung einzustellen. Europäern und Iranern ist klar, dass jedes Verhandlungsergebnis, das sie erzielen könnten, nur trägt, wenn Washington dahinter steht. Solange Washington dem Verhandlungsergebnis auch nur misstraut, kann Teheran sein Hauptziel nicht erreichen: Die verlässliche Gewissheit, dass die überprüfbare Beendigung seiner Nuklearaktivitäten zu dauerhafter Sicherheit vor einem Angriff der USA oder Israels führt. Für die EU-Staaten bedeutet dies: Auch wenn Washington nicht mit am Verhandlungstisch sitzt, so ist es im Blick auf das Endergebnis ein entscheidender Verhandlungspartner. Dessen Positionen muss die EU schon jetzt berücksichtigen und mitvertreten. Deutlich wird das, wenn die europäischen Unterhändler ein ähnlich alarmistisches Bedrohungsbild über das iranische Atomprogramm zeichnen wie die USA.

Washington dagegen kann sich abwartend geben und will erst in Kenntnis des Endergebnisses entscheiden, ob die Diplomatie erfolgreich war. Zugleich haben die USA ihre Wirtschaftssanktionen gegen den Iran und gegen Firmen verschärft, die im Iran tätig werden. Und Präsident Bush machte erst jüngst erneut deutlich, dass er nicht vorhat, die Option eines militärischen Angriffs vom Tisch zu nehmen. Manche Hardliner in seiner Regierung erwecken sogar den Eindruck, als sei ein militärisch-präventives Vorgehen gegen den Iran nur noch eine Frage des “wanns”, nicht aber des “obs”. All das kann nicht nur Erinnerungen an die Zeit vor dem Irakkrieg wecken, sondern sich auch negativ auf die Bereitschaft des Irans auswirken, eine Einigung auszuhandeln. Die konservativen Extrempositionen in Washington und Teheran verstärken sich gegenseitig. Mit anderen Worten: Der fragile Kompromiss, den EU, IAEO und der Iran mittlerweile erreicht haben, kann genauso leicht wieder zerbrechen. George W. Bush hat in diesem Fall weiterhin alle Optionen, einschließlich der militärischen. Das gilt auch für den Fall, dass seine Regierung das Verhandlungsergebnis mit dem Iran ablehnt.

Das Beispiel Iran zeigt aber auch: Aus Washingtoner Sicht spricht alles dafür, Europa gegenüber derzeit versöhnliche Töne anzuschlagen und die Zeit der Atempause zu nutzen zur Erweiterung der eigenen Handlungsoptionen. Scheitert der neue Nahost-Dialog oder bietet sich eine Chance, das Ergebnis bzw. auch nur die Weiterführung der Verhandlungen mit dem Iran abzulehnen, so können alle militärischen Optionen sofort und besser vorbereitet wiederbelebt werden. Auf diese Gelegenheit warten jene in Washington, die den nächsten Krieg nur für eine Frage des Zeitpunkts halten. Derweil können sie sich damit trösten, dass ihre Vision, die Demokratisierung der islamischen Welt, zum Programm der zweiten Amtszeit von George W. Bush geworden ist. Und bevor Europa sich erneut der politischen und militärischen Kooperation wie während des Irakkrieges verweigern könnte, müsste es sich erst einmal aus der freundschaftlichen Umklammerung durch Condoleezza Rice lösen.

Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS

Quelle: Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS vom 16.02.2005.

Veröffentlicht am

22. Februar 2005

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