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Bilde eine neue Elite, gib ihr Geld und Waffen

Von Tariq Ali - Guardian / ZNet 08.02.2005

Im Unterschied zu den Imperien des alten Europa waren indirekte Formen der Hegemonie in der Vergangenheit ein Markenzeichen der Vereinigten Staaten. Längere Besatzungen, “nation building” und der Aufbau einer formalen Demokratie mit einheimischen Eliten waren nicht ihre Sache. Sie verließen sich vielmehr auf ungebildete Despoten, korrupte Oligarchen, geschmeidige Politiker und gehorsame Monarchen. Nur wenn Rebellionen von unten die lokalen Statthalter gefährdeten, wurden Marines geschickt und Kriege geführt.

Obwohl sich die Welt in den neunziger Jahren erheblich gewandelt hat und auch die Prioritäten der USA nicht blieben, wie sie waren, mag die Elite des Landes lang anhaltende Besatzungen nach wie vor nicht. Trotzdem gibt es einen Unterschied zu früheren Zeiten. Im Kalten Krieg wurden US-Gelder vergleichsweise breit an alle antikommunistischen Kräfte verteilt - heute dagegen wird der Kreis der Empfänger genau definiert. Das Ziel besteht darin, die früheren, eher grobschlächtigen Gewährsmänner von US-Interessen durch neue, in den USA ausgebildete und neoliberal programmierte Gruppen zu ersetzen. Darum geht es, wenn die Bush-Administration davon spricht, die Demokratie vorantreiben zu wollen.

Dieser “Demokratieexport” neuen Typs ist in Afghanistan und im Irak bereits praktiziert worden und soll im November Haiti erreichen (ein gleichfalls besetztes Land). Bilde eine neue Elite, gib ihr Geld und Waffen, damit sie eine neue Armee aufstellen und mit ihr das Land für auswärtige Unternehmen öffnen und sichern kann - das ist der Plan, der allerdings nicht leicht zu verwirklichen ist. Die Wahlen in Afghanistan im vergangenen Jahr waren - selbst nach Ansicht von US-freundlichen Kommentatoren - eine komplette Farce, die Wahlbeteilung von angeblich 73 Prozent eine Täuschung. Deshalb ist jetzt Hamid Karsai, Prokonsul der Vereinigten Staaten in Kabul, gezwungen, eine neue Allianz mit verschiedenen Taliban-Fraktionen zu schmieden.

Auch im Irak lag die Wahlbeteiligung - wie auf einer israelischen, dem Geheimdienst zuzuordnenden Internetseite zu lesen ist - nur bei 40 Prozent, in Basra (verwaltet von Subunternehmer Tony Blair) nur bei etwa 32 Prozent. Und das Ergebnis im schiitischen Süden des Landes wäre noch schlechter ausgefallen, wenn sich die Anhänger von Ayatollah Sistani nicht ihrem Anführer verpflichtet gefühlt und die Vereinigte Irakische Allianz gewählt hätten. Da weder Frieden noch ein Ende der Besatzung in Aussicht stehen, wird sich irgendwann auch die Gefolgschaft von Sistani abwenden.

Die einzige Kraft, auf die sich die Amerikaner gegenwärtig verlassen können, bleiben die kurdischen Stämme. Eine Kampfeinheit der Kurden - das sogenannte 36. Kommandobataillon - nahm im vergangenen Jahr sogar an der Eroberung der Stadt Falludscha teil. Aber auch diese Kooperation hat ihren Preis: eine zumindest begrenzte Unabhängigkeit des kurdischen Nordens - möglicherweise in einem amerikanisch-israelischen Protektorat - und eine Teilhabe an den Einnahmen aus dem Ölgeschäft. Wenn die Türkei, der loyale NATO-Alliierte und EU-Aspirant, gegen dieses Szenario ihr Veto einlegt, könnten die Kurden auf die Idee kommen, Geld von dritter Seite anzunehmen, um ihre Unabhängigkeit zu finanzieren.

Die Schlacht um den Irak ist also keinesfalls vorüber. Obwohl die Iraker heftig darüber gestritten haben, inwieweit sie sich an den Wahlen beteiligen sollten, sind sie sich doch weitgehend darin einig, weder ihr Öl noch ihr Land freiwillig an den Westen zu übergeben. Politiker des Landes - mögen sie einen Bart tragen oder nicht - werden scheitern und jegliche Unterstützung verlieren, wenn sie die Ziele der Besatzer akzeptieren. Der triumphalistische Chor, der den vermeintlichen Erfolg der Wahlen begleitete, reflektiert im Grunde nur eine einzige Tatsache: Die Wahlen im Irak waren nicht so sehr eine Veranstaltung, um die Einheit des Landes zu bewahren - vielmehr ging es um die Einheit des Westens.

Bereits unmittelbar nach Bushs Wiederwahl suchten die Franzosen und die Deutschen nach einer Brücke zu den USA. Frankreich hatte schon vorher bei der Besetzung Haitis kooperiert, ohne dass von den französischen Medien irgendeine Stimme der Kritik zu vernehmen gewesen wäre. Nun können auch die Deutschen sich wieder annähern. Wer will noch ausschließen, dass die beiden Kritiker des Irak-Krieges sogar Truppen entsenden, um gemeinsam mit den britischen, amerikanischen und privaten Söldnereinheiten die neue Einheit auch äußerlich zu demonstrieren? Und wenn sie das tun, werden dann die Bürger in Deutschland und Frankreich die Propagandaformel akzeptieren, dass die Wahlen die Besatzung nachträglich legitimieren? Zu fragen ist auch, ob dann französische und deutsche Soldaten ebenfalls den Befehl erhalten, keine Digitalkameras zu benutzen, damit Verstöße gegen die Genfer Konvention nicht bildlich festgehalten werden.

Der Irak-Krieg war eine militärische und eine ökonomische Invasion zugleich. Friedrich von Hayek, der theoretische Kopf des Neoliberalismus, hätte sie wohl vorbehaltlos unterstützt, weil sie exakt seinem Gedanken entsprach, dass man im Interesse wirtschaftlicher Freiheit die Demokratie bestenfalls als nützliches Werkzeug betrachten darf, aber nicht als Wert an sich. Noch zu seinen Lebzeiten hatte er 1979 Luftangriffe auf den Iran und drei Jahre später eine Bombardierung Argentiniens gefordert. Die Rekolonisierung des Irak hätte ihm also sehr viel Freude bereitet. Er hasste Politiker, die ihr Handeln mit humanistischem Vokabular bemänteln.

Was ist nun mit den Medien, mit dem Propagandaapparat der neuen Ordnung? Werden sie mitspielen? In dem kanadischen Dokumentarfilm Control Room wird gezeigt, wie Reporter aus dem Westen (embedded journalists) aufspringen und vor Freude schreien, als die Einnahme von Bagdad verkündet wird. Auch die Berichterstattung über die Wahlen in Afghanistan und im Irak ist wenig mehr als leere Propaganda. Die Symbiose zwischen Politikern und Medien des Westens hat den kollektiven Gedächtnisverlust weiter beschleunigt, unter dem die Länder Nordamerikas und Europas leiden.

Das heute übliche Denken in den Kategorien von “Freund” und “Feind” ist eine Hinterlassenschaft von Carl Schmitt, der damit Hitlers “Blitzkriegen” eine juristische Legitimation verschaffen wollte. Diese Gedanken sind längst von Neokonservativen in den USA adaptiert worden. Ihre Botschaft ist klar und eindeutig: Wer nicht unseren Bedürfnissen dient, ist ein Feindstaat. Feinde werden besetzt und anschließend von willfährigen Satrapen regiert. Das Problem ist nur: Wenn die Truppen des Imperiums gehen, können sich die Statthalter oft nicht halten. Was folgt dann? Noch mehr Gewalt?

Eine kleine Hoffnung bleibt. Während der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse wurde der deutsche Außenminister von Ribbentrop unter anderem angeklagt, weil er die Besetzung Norwegens als vorbeugende Kriegsmaßnahme vorbehaltlos unterstützt hatte. Wie wäre es, wenn Colin Powell, Condoleezza Rice, Jack Straw und ihre Chefs sich einer solchen Anklage stellen müssten? Eine Utopie, sicherlich, aber wie soll man weiterleben, wenn man nicht manchmal auch das scheinbar Unmögliche denkt.

Quelle: ZNet Deutschland vom 21.02.2005. Übersetzt von: Freitag. Orginalartikel: “Out With the Old, In With the New”

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Tariq Ali, Schriftsteller, Journalist und Filmemacher, wurde 1943 in Lahore, Indien, geboren, das sich damals noch unter britischer Kolonialherrschaft befand und das seit 1947 zu Pakistan gehört. In Oxford studierte er Politik und Philosophie und wurde als erster Pakistani zum Vorsitzenden des Oxforder Studentenclubs gewählt. Sein Widerstand gegen die Militärdiktatur in Pakistan verhinderte die Rückkehr in seine Heimat, so dass England zum unfreiwilligen Exil für ihn wurde. Als erster Pakistani wurde er zum Vorsitzenden des Oxforder Studentenclubs gewählt. In der Studentenbewegung von 1968 war er einer der Wortführer. Seit dieser Zeit ist er Mitherausgeber der “New Left Review”. Er publiziert Essays, Kommentare und zahlreiche Sachbücher, die sowohl politische, kulturelle, als auch historische Themen behandeln. Seit 1990 veröffentlicht er zudem auch Belletristik. Heute lebt Tariq Ali in London.

Veröffentlicht am

22. Februar 2005

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