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In Bagdad nichts Neues

Von Dahr Jamail - ZNet 10.01.2005

Das Flugzeug landet im normalen sprialförmigen Anflug. Es ist ein grauer Tag in Bagdad… das gleiche Wetter wie bei meinem Abflug vor wenigen Wochen. Auch die Horde “globaler” Söldner, die den Flughafen bevölkern, ist dieselbe geblieben… Aus Angst vor Bomben darf man sein Gepäck nicht auf die Flughafen-Toilette mitnehmen. Nicht vergessen, dieser Flughafen ist die größte US-Militärbasis im Irak.

Ich stehe am vorderen Checkpoint und habe das übliche “Vergnügen”, auf meinen Abholer warten zu müssen. Abu Talat war wie immer früh dran… Aber er steckt in der nervenaufreibenden Fahrzeugschlange fest und muß warten, bis die Spürhunde sein Auto nach Sprengstoff durchsucht haben.

Ich stehe auf dem kleinen Parkplatz des Checkpoints - auch kein reines Vergnügen. Jeder beobachtet hier jeden. Ist der andere ein Kidnapper? Steckt in dem Auto da drüben etwa eine Autobombe? Daß jetzt - nicht weit entfernt - sporadisches Gewehrfeuer aufflammt, macht die Sache nicht gerade besser.

Endlich darf Abu Talat passieren. Mein Freund Khalil und ich werden durchgewunken. Ein Lichtblick an diesem Tag ist das Wiedersehen mit meinem guten Freund und Übersetzer Abu Talat bzw. mein neugewonnener Freund Khalil. Wir sitzen im Wagen, und ich sage zu den beiden: “Ich weiß, es klingt vielleicht verrückt in dieser furchtbaren Situation…” - wir fahren an einer kilometerlangen Fahrzeugschlange vorbei, die für Benzin ansteht, vor den Zapfsäulen stehen Leute mit Benzinkanistern in der Hand -, “… aber ich habe Bagdad vermißt und bin froh wieder hier zu sein”. Khalil lacht: “Jeder sagt das über dieses Fleckchen Erde”. Er nimmt uns mit in sein Haus. Wir genießen ein tolles irakisches Mittagessen - mit irakischem Chai natürlich - und unterhalten uns prächtig. Der Strom geht an und aus. In weiten Teilen Bagdads gibt es im Durchschnitt nur 4 Stunden am Tag Elektrizität. Davon abgesehen genießen wir die kurze Normalitäts-Pause unter Freunden - in der gefährlichsten Hauptstadt der Welt. Damit endet die Normalität.

Heute explodierte im Süden Bagdads eine Autobombe - ein Selbstmordattentat. Ziel war eine Polizeistation. Es gab 8 Tote, 3 davon irakische Polizisten. 10 Menschen erlitten Verletzungen. Im Dora-Distrikt, im Süden Bagdads, fallen der Bagdader Vize-Polizeichef, Brigadier Amer Ali Nayef und sein Sohn, Leutnant Khalid Amer, einem Attentat zum Opfer. Ihr Auto war auf dem Weg zur Arbeit unter Beschuß geraten. Amer Ali Nayef ist innerhalb weniger als einer Woche schon der zweite hochrangige irakische Offizielle, der einem Attentat zum Opfer fällt. Erst am Dienstag hatten Bewaffnete den Gouverneur von Bagdad, Ali al-Haidari und 6 seiner Leibwächter ermordet.

Ein Augenzeuge berichtet detailliert über das Attentat auf den Gouverneur - seine Version taucht nicht in den Nachrichten auf: Der Konvoi sei einem gut geplanten Angriff zum Opfer gefallen. Die Kämpfer hatten sich in zwei Gruppen unterteilt. Einige standen an Zigarettenständen (Zigarettenstände säumen die Straßen Bagdads) und warteten, bis der Gouverneur kam. Hinzu kamen andere Bewaffnete, die auf den Dächern der nahen Geschäfte postiert waren… Dann erfolgte der Angriff auf den Konvoi. Das Fahrzeug des Gouverneurs war zunächst entkommen… aber ein Fahrzeug mit Bewaffneten habe die Verfolgung aufgenommen und die Sache zu Ende gebracht. Die einzigen Zivilisten, die erschossen wurden, gingen auf das Konto ungezielt um sich schießender Gouverneurs-Wächter.

In Falludscha geht die Zerstörung weiter. Ich habe mehrere Quellen in der Stadt. Zwei davon - sie wohnen in unterschiedlichen Vierteln Falludschas -, berichten, das Militär sei dazu übergegangen, Wohnhäuser anzuzünden. Offensichtlich stößt das Militär auf Sprengfallen. Also werden im Innern der Häuser Möbel zusammengestapelt, dann wird das Ganze mit Benzin getränkt und angesteckt. Dennoch kam auch heute in Falludscha wieder ein Marine zu Tode.

In Bagdad wurde heute erneut ein Kampffahrzeug der Marke ‘Bradley’ zerstört… Inzwischen benutzt der Widerstand bei seinen Attacken größere Bomben. 2 Soldaten starben bei dem Angriff, 4 weitere wurden verletzt. Der letzte Angriff auf einen Bradley mit einem der großen Sprengsätze ist noch nicht lange her. Dabei starben 6 Soldaten. Wie üblich heulen überall in Bagdad die Sirenen. Und überall in der Stadt ist sporadisches Gewehrfeuer zu hören - auch das ist normal. Die Briten schicken weitere 400 Soldaten.

Was die bevorstehenden Wahlen betrifft, so wurden in Bagdad ein paar nette Schilder aufgestellt, die die Leute zum wählen ermutigen sollen. Mehrere meiner irakischen Freunde gehen von einer Wahlbeteiligung von rund 20 Prozent aus. Wer könnte es den Leuten verübeln? Der Widerstand kündigt an, bei den Wahlen Wahllokale mittels Heckenschützen anzugreifen, und sehr wahrscheinlich werden Selbstmordattentäter Bombenautos in Wahllokale steuern. Mehr als nette Plakatwände würde wohl eine verbesserte Sicherheitslage im Vorfeld dazu beitragen, die Iraker zur Wahl zu bringen - zu welcher Wahl auch immer. Die schreckliche Katastrophe namens ‘besetzter Irak’ wird mit jedem Tag schlimmer - auch das ist normal.

Quelle: ZNet Deutschland vom 15.01.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Baghdad, As Usual

Anmerkungen:

Der Autor Dahr Jamail ist Bagdad-Korrespondent des NewStandard. Jamail stammt aus Alaska. Er sieht seine Aufgabe darin, über die unberichtete Story des besetzten Irak zu berichten. Weitere Informationen, Fotos, Kommentare auf: http://dahrjamailiraq.com

Veröffentlicht am

15. Januar 2005

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