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Bio-Terrorismus: Kamikaze-Touristen und Seuchen-Transfer

Ein wirksamer Schutz ist bestenfalls in Ansätzen möglich

Welche Folgen terroristische Anschläge mit natürlichen Giften oder Krankheitserregern haben können, lassen die weltweite Ausbreitung von AIDS, des Vogelgrippe-Virus jüngst in Vietnam oder des Atemnot-Syndroms SARS in China erahnen. In den hoch entwickelten wie hoch empfindlichen Zivilisationen können Massenerkrankungen dieses Typs als Pandemien explosionsartig eine unkontrollierbare Dimension erfahren und Millionen von Toten fordern. Die in dieser Hinsicht von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausgesprochenen Warnungen sind seit Jahren so eindringlich wie selten zuvor. Wir setzen die dreiteilige Folge über Terrorismus und Massenvernichtungswaffen mit dem Thema Bio-Waffen fort.

Von Wolfgang Kötter

Im Gegensatz zu Nuklearwaffen sind biologische Kampfstoffe verhältnismäßig leicht herstellbar. Sie lassen sich ohne größeren Aufwand lagern, transportieren und einsetzen. Kein Wunder, dass sie zuweilen als “die Massenvernichtungswaffe des kleinen Mannes” firmieren. Allerdings gibt es eine Reihe technischer und logistischer Hürden für den Einsatz dieser Art von Waffen. Da sie zu flüchtig oder instabil sind, lassen sich die verwendeten Kampfstoffe kaum über längere Zeit in waffenfähiger Qualität aufbewahren. Auch der Verbreitung bleiben Grenzen gesetzt, eine Bombenexplosion etwa könnte dazu führen, dass Bakterien oder Viren zerstört werden. Auch erweisen sich Spray-Verfahren nur dann als geeignet, wenn die Aerosole der Krankheitskeime extrem fein und trocken sind, weil feuchte Materialien die eingesetzten Düsen schnell verkleben.

Dass extremistische Gruppierungen vor dem Gebrauch biologischer Kampfstoffe nicht zurückschrecken, mussten nicht zuletzt die USA und Japan mehrfach erfahren. In Tokio hat die Aum-Shinrikyo-Sekte mit Anthrax-Sporen experimentiert sowie an der Fabrikation des biologischen Giftes Botulinustoxin gearbeitet. Auch Ebola-Viren soll die Sekte gezüchtet, etwa 300 Wissenschaftler beschäftigt und eine Milliarde Dollar für Testverfahren ausgegeben haben.

Was die USA betrifft, so lösten im Bundesstaat Oregon im September 1984 Angehörige der Bagwhan-Sekte eine Salmonellen-Epidemie aus, indem sie die Bakterien in der Salatbar eines Restaurants verbreiteten. Zuerst begann der Lokalbesitzer Dave Lutgen unter Magenkrämpfen zu leiden, wenige Tage später waren rund 750 Menschen in der Kleinstadt The Dalles am Columbia River erkrankt. Die Bagwhan-Jünger der nahe gelegenen Sanyasin-Kolonie, die einen Konflikt mit den lokalen Behörden austrugen, hatten die Teilnahme der Bewohner an einer Abstimmung verhindern und damit die anstehende Kommunalwahl in ihrem Sinne beeinflussen wollen.

Ein Gramm tötet Tausende - das Biogift Rizin

Anti-Terror-Fahnder von Scotland Yard nahmen Anfang 2003 in London sieben Personen unter dem Verdacht fest, einen Anschlag mit Rizin geplant zu haben. Im Stadtteil Wood Green hatten die Ermittler in einem Gebäude entsprechende Giftspuren an Laborgeräten und Materialien entdeckt. Bei Rizin handelt es sich neben Anthrax um eine Substanz, die sich am ehesten für Anschläge mit verheerenden Folgen eignet, da sie ausgesprochen leicht zugänglich ist. Man braucht nur die Samen des Ricinus communis (des “Wunderbaums”) zu ernten, die mitunter sogar zu erschwinglichen Preisen in Schmuckstücken auf Kunstmärkten verkauft werden. Es genügt, diesen Samen mit einem Mörser zu zerreiben. Dabei entsteht ein höchst toxisches Gift, das - eingenommen, injiziert oder in größeren Mengen eingeatmet - tödliche Wirkungen entfaltet. Vier bis acht Stunden, nachdem das Gift in die Blutbahn gelangt ist, wird das Opfer von hohem Fieber befallen. Es treten Blutungen in der Lunge auf, die innerhalb von wenigen Tagen zum Tod durch Atemlähmung und Herzversagen führen können. Weitere Folgen sind schwere Leber- und Nierenschäden. Ein Gegenmittel ist nicht bekannt - schon ein Tausendstel Gramm Rizin kann einen Menschen töten. Nur gilt der Bedarf von einem Milligramm für eine Biowaffe bereits als relativ hoch, schließlich gibt es wesentlich gefährlichere Stoffe. Bei Botulin etwa reicht ein Bruchteil der Rizin-Menge, um einen Menschen zu töten, handelt es sich doch um den giftigsten Stoff, der überhaupt bekannt ist.

Vor kurzem informierte Rohan Gunaratna vom Institut für Verteidigung und strategische Studien in Singapur auf einem Ärztekongress im australischen Adelaide darüber, dass al-Qaida und dessen regionale Ableger Rekruten in biologischer und chemischer Kriegführung ausbilden. Bei Razzien seien tödliche Gifte, darunter auch Rizin, und Schutzanzüge gefunden worden.

Ergänzend wäre anzumerken, dass im Vergleich zur Gewinnung von Rizin der Einsatz dieses Giftes wesentlich komplizierter ist. Am effektivsten wäre noch die Form eines Aerosols, wofür das Rizin in feinster Pulverform gebraucht wird und über hochwirksame Zerstäubungsmechanismen versprüht werden kann. Wem das gelingt, der kann zu Anschlägen in engen, abgeschlossenen Räumen - in Bussen oder U-Bahn-Wagen - ausholen. Weniger wirksam wäre der Einsatz außerhalb von Gebäuden. Man müsste, um ein 100 Quadratkilometer großes Gebiet zu besprühen, mindestens vier Tonnen verwenden - im Unterschied dazu wäre bei einem in etwa vergleichbaren Einsatz des Milzbranderregers Anthrax nur ein Kilogramm erforderlich.

Tod mit der Post - Milzbranderreger

Über New York City abgeworfen, würde ein Kilogramm Milzbrand-Sporen mehr als 100.000 Menschen töten, schätzen Forscher der kalifornischen Stanford University, die Folgen einer solchen Bioattacke am Computer simulierten. Sie gingen vom Abwurf einer Aerosol-Bombe aus und testeten zugleich, wie sich diverse Notfallstrategien auf die Zahl der Opfer auswirken. Demzufolge würde ein derartiger Anschlag in der Elf-Millionen-Metropole New York auf einen Schlag bis zu 125.000 Menschen töten, sofern alle anderen Kontaminierten nach nicht mehr als 48 Stunden Gegenmittel verabreicht bekämen. Ohne eine solche Maßnahme läge die Sterberate bei 90 Prozent.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 waren mehrere Briefe mit Milzbranderregern an Adressaten in Florida, New York und Washington verschickt worden. Fünf Menschen starben an Lungenmilzbrand, 17 Personen erkrankten an der harmloseren Form von Hautmilzbrand, 30.000 mussten als mutmaßlich Betroffene mit Antibiotika behandelt werden. Wegen der tödlichen Briefsendungen blieben die Kongressgebäude zeitweise geschlossen und wurden desinfiziert. Millionen Briefe stapelten sich wochenlang in den Postämtern. Die Herkunft des tödlichen Anthrax-Pulvers konnte nie wirklich aufgeklärt werden, allerdings führten einige Spuren direkt in die Biowaffenlabors der US-Army von Fort Detrick im Bundesstaat Maryland. Barbara Hatch Rosenberg, Biowaffenexpertin der Federation of American Scientists, gelangte mit ihrem Täterprofil zu dem Urteil, der Attentäter sei “ein Amerikaner, der in der US-Bioverteidigungsindustrie arbeitet”.

Nur eine “Frage der Zeit” - Pockenpest

Ohne jeden Zweifel eignen sich besonders Pocken-Viren als Biowaffen, weil sie von Natur aus höchst beständig sind. Mögliche Anschläge sind auch deshalb mit extremen Gefahren verbunden, weil in vielen Staaten seit der 1977 offiziell erklärten Ausrottung der Pocken-Seuche kein Impfschutz mehr in Anspruch genommen wird.

Eine Attacke mit Pocken-Viren sei nur noch eine “Frage der Zeit”, erklären Fachleute im aktuellen International Journal of Infectious Diseases. Nach Meinung der deutschen Gesellschaft für Virologie besteht die entscheidende Gefahr darin, dass das Virus nur Luft braucht, um sich auszubreiten. Einen gezielten Pocken-Angriff zu bekämpfen, wäre mit vielen Unwägbarkeiten verbunden. Die Erkrankung würde nicht plötzlich, sondern schleichend beginnen, da die Zeit zwischen Infektion und Ausbruch der Krankheit mindestens sieben, maximal sogar 19 Tage beträgt. Außerdem scheint das Eindämmen einer Pocken-Epidemie in einer Zeit grenzenloser Mobilität praktisch unmöglich. Schon ein infizierter Terrorist könnte sozusagen als “Kamikaze-Tourist” den Pockenvirus auf Tausende von Opfern übertragen. Eine Computersimulation der US-Regierung erbrachte in dieser Hinsicht alarmierende Resultate: Bei 24 angenommenen Fällen in verschiedenen Hospitälern waren bereits nach knapp zwei Wochen 16.000 Menschen in 25 Bundesstaaten infiziert, 1.000 starben, täglich wurden neue Opfer registriert. Die Seuche griff auch auf das Ausland über und bald wurden erste Pockenerkrankungen aus zehn weiteren Ländern gemeldet. In drei Wochen - so die Prognose - würden es mindestens 300.000 Infizierte sein, ein Drittel davon vom Tode bedroht.

Vor allem der Umstand, dass sich Pocken-Viren extrem leicht gentechnisch verändern lassen, kann Impfstoffe zur Wirkungslosigkeit verdammen. Ehrgeizige Forscher haben die Verschmelzung von Pocken-Viren mit der Erbsubstanz der gefürchteten Ebola-Viren bereits erfolgreich getestet. Wissenschaftler an der St. Louis University entwickelten dank gentechnischer Verfahren eine besonders tödliche Form des Kuhpockenvirus, der auch Menschen befallen kann. In den USA herrscht zur Zeit eine regelrechte Schwemme der “Biodefense”-Wissenschaft als einer militärisch intendierten Bioforschung. Gleichzeitig wächst die Angst vor unkalkulierbaren Risiken, denn die steigende Zahl von Personen mit Zugang zu Krankheitserregern erhöht die Wahrscheinlichkeit ihrer Freisetzung, möglicherweise auch für terroristische oder kriminelle Anschläge.

Deutschland ist, wie Fachleute des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie einschätzen, eher unzureichend gegen terroristische Angriffe mit Biowaffen gerüstet. Nach Ansicht von Bernd Appel - Leiter der Projektgruppe “Biologische Sicherheit” am Berliner Robert-Koch-Institut - ist es dringend geboten, Aufklärung über die Genetik der Erreger zu gewinnen. Doch stehen die Wissenschaftler vor einem Dilemma: Für den Kampf gegen die nächste globale Epidemie muss Forschung betrieben werden - auch solche, deren Resultate theoretisch von Bioterroristen missbraucht werden könnten. Die britische Royal Society schlägt deshalb die Einrichtung eines internationalen Wissenschaftsrates vor, der sämtliche biologischen Forschungen auf einen Missbrauch hin prüft und Handlungsempfehlungen gibt. Der Molekularbiologe und Medizin-Nobelpreisträger Joshua Lederberg (Rockefeller University/New York) meint hingegen, es sei primär Sache der Politik, die Voraussetzungen für ein “System der kollektiven Sicherheit” zu schaffen, das die Produktion waffenfähiger Krankheitserreger als Verbrechen gegen die Menschlichkeit deklariert und durch Sanktionen der Staatengemeinschaft ahndet.

Biologische Kampfstoffe

Bakterien - lebende, sich durch Zellteilung schnell vermehrende Mikroorganismen. Wirkung: Erreger des Milzbrands (Anthrax), von Pest, Cholera, Diphtherie oder Salmonellen

Viren - keine echten Lebewesen, bestehen meist nur aus Nukleinsäuren und Eiweißhülle. Wirkung: Erreger unter anderem von Ebola, Lassa- Marburg- und Gelbfieber sowie von Pocken

Rickettsien - zwischen Viren und Bakterien stehende Krankheitserreger. Wirkung: Erreger des Fleckfiebers

Pilze - beruhen auf Reproduktion der verwendeten Organismen. Wirkung: Zu den Schimmelpilzen gehört zum Beispiel das Leberkrebs verursachende Aflatoxin

Toxine - Giftsubstanzen tierischer und pflanzlicher Herkunft. Wirkung: Als tödliche Gifte wirken unter anderem Tetanus, Rizin, Botulin

Ebenfalls erschienen:

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 51 vom 10.12.2004. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.

Veröffentlicht am

17. Dezember 2004

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