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Eine überraschende Entscheidung der Palästinensischen Autonomiebehörde

Von Amira Hass - Ha’aretz / ZNet Deutschland 01.12.2004

Da gab es keine wirklichen Überraschungen, als die (Straßen-)Karte vor zwei Monaten von israelischen Offiziellen den Vertretern der Weltbank und durch diese den Geberländern vorgelegt wurde. Auf dieser Karte ist ein System von 16 Passagen - Tunnel oder Brücken - und Straßen in der Westbank eingezeichnet, das dafür vorgesehen ist, verbessert oder gebaut zu werden. Die Passagen sind dafür bestimmt, die palästinensischen und israelischen Fahrzeuge weit auseinander zu halten, in dem man die palästinensischen Fahrzeuge auf Nebenstraßen umleitet. Israelis, d.h. Juden, werden zum größten Teil auf einem System guter Schnellstraßen fahren können.

Die Einstellung jüdischer Siedler über ethnische Trennung, die sich auf einer offenkundigen Diskriminierung gründet, was Rechte, Lebensbedingungen, Gesetze und die offizielle Haltung gegenüber Juden und Palästinensern betrifft, hat sich im Laufe der Jahre verstärkt, bis sie zur zweiten Natur der israelischen Gesellschaft geworden ist. Wer, wenn nicht die verschiedenen Konsuln und Vertreter der Weltbank, die oft durch die Westbank und den Gazastreifen fahren, sind sich dieser Einstellung, die sich hier entwickelt und in den empfangenen Karten ihren Ausdruck findet, sehr bewusst.

Es überrascht auch nicht, dass Israel von den Geberländern erwartet, dass sie diese Nebenstraßen und Passagen finanzieren, die dafür gedacht sind, das Wohlergehen der Siedlungen und ihre weitere Entwicklung abzusichern. Schließlich hat sich Israel an diesen Luxus gewöhnt: Es besetzt die palästinensischen Gebiete und die Steuerzahler der westlichen Länder tragen die Bürde der Besatzungsschäden.

Diese Steuerzahler finanzieren seit Beginn des Osloprozesses die Rehabilitation der palästinensischen Infrastruktur, die jahrelange absichtliche Vernachlässigung während der direkten Herrschaft Israels zerstört hatte. Während der Oslojahre mit ihrer indirekten Besatzung entschädigten sie für die wirtschaftliche Absperrung und Belagerung, die Israel als Mittel politischer Erpressung der palästinensischen Behörde auferlegte. Aber sie hatten keinen Erfolg, den israelischen Baueifer bei Siedlungen einzudämmen. Seit dem Ausbruch der zweiten Intifada haben sie ein weiträumiges Sicherheitsnetz geschaffen, indem sie den täglichen Unterhalt der Hälfte der palästinensischen Bevölkerung finanzieren, die infolge der Politik der internen Absperrung in eine nie da gewesene Armut gestürzt sind. Sie bauten neue Unterkünfte, um die von israelischen Bomben, Raketen oder Bulldozern zerstörten Wohnungen von Zivilisten zu ersetzen. Sie bestreiten das Defizit des laufenden Budgets der palästinensischen Behörde, nachdem die israelische Regierung oder israelische Richter entschieden, auf die PA-Steuereinnahmen (die über das israelische Finanzministerium transferiert werden) ein Pfandrecht/ Zurückbehaltungsrecht zu legen.

Warum sollten die Steuerzahler der USA und Japan nicht auch die Passagen in der Nähe von Itamar und Alon Moreh zahlen, damit Dutzende von Siedlungsbewohner weiterhin sicher auf araberfreien Straßen fahren, auf Hügelkuppen (Außenposten) gebaut werden können, bis sie mit der nächsten Siedlung zusammenwachsen, und Eier von Freilandhühnern in Israel verkauft werden können - während Hunderttausende von Palästinensern, die in dem Gebiet leben, in seltsamen Mini-Enklaven zusammengepfercht sind und wie in einer Falle zwischen israelischen Straßen und Siedlungsblöcken sitzen.

Vielleicht gibt es aber doch eine Überraschung in dieser Geschichte der vorgelegten Straßen- und Passagenkarte: das palästinensische Kabinett hörte die Analyse des palästinensischen Planungsministeriums, das den israelischen Vorschlag als einen Plan betrachtet, der die Siedlungen und die Errichtung eines Apartheidsystems für immer fortsetzen will. Trotz der kurzfristigen Einstellung, den Plan zu akzeptieren - es würde nach Jahren der schädlichen Absperrung für Palästinenser eine relativ freie Bewegung in der Westbank erlauben - entschied das Kabinett, den Plan völlig zurückzuweisen. Auf diese Weise signalisierte es den Geberstaaten, weder die Passagen noch die anderen Straßen ohne Billigung des palästinensisch ministeriellen Sonderkomitees zu finanzieren. Das heißt, dass das Kabinett nicht nur verbal protestierte, sondern auch eine praktische Maßnahme adoptierte.

Dies ist überraschend, da die PA (= Palästinensische Autonomiebehörde) seit 1994 so handelte, als ob sie unfähig wäre, etwas zu tun, um israelische Politik daran zu hindern, palästinensische Enklaven in der Westbank und im Gazastreifen zu schaffen. Ein Aspekt dieser Politik war der beschleunigte Bau der Siedlungen und der Straßen, die unter allen Regierungen, der Labor-Meretz genau so wie unter der Likud, durchgeführt wurde. Ein zweiter Aspekt war das Pass-System für Palästinenser und die Reisebeschränkungen, die Israel innerhalb der besetzten Gebiete seit 1991 aufrechterhielt. Die Reisebeschränkungen zielten letztendlich darauf, die uneingeschränkte Expansion der Siedlungen abzusichern - also die Schaffung territorial zusammenhängender jüdischer Wohnbereiche.

Die PA unter der Führung von Yasser Arafat, handelte so, als wäre es eine Sache von höherer Macht, ein deterministischer Prozess, dem kein diplomatischer oder allgemeiner Kampf entgegenwirken könnte. Sie ließ diese Bemühungen, sich gegen Landenteignungen für Siedlungsbau zu wehren, in den Händen von NGOs oder Privatpersonen. Sie war mit der großen Schau “den Staat aufzubauen” beschäftigt. Ihre Führer kooperierten und kooperieren mit dem Absperrungsregime - d.h. mit dem Pass-System. Als VIPs (very important persons - sehr wichtige Personen) erfreuen sie sich auch weiterhin der Erleichterung von Reisebedingungen. Sie steht nicht hinter der Entscheidung einiger Dörfer, spezielle Reisepässe zu verweigern, die von der Zivilverwaltung für Bewohner der “geschlossenen Gebiete” zwischen Trennungszaun und Grüner Linie ausgegeben werden.

Die Frage ist nun, wie die palästinensische Kabinettentscheidung, der sogar die US-Agentur für internationale Entwicklung verpflichtet ist, als Druckmittel für einen allgemeinen - palästinensisch, israelisch und internationalen - Kampf gegen die israelische Politik dienen kann, um das Zerstückeln des palästinensischen Gebietes in Enklaven und eine verstümmelte Zwei-Staatenlösung zu verhindern.

Quelle: ZNet Deutschland vom 04.12.2004. Übersetzt von: Ellen Rohlfs.

Veröffentlicht am

05. Dezember 2004

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