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Oktoberwasser. Im Süden Amerikas gab es Wahlen und eine Volksabstimmung

Von Eduardo Galeano - La Jornada / ZNet Deutschland 12.11.2004

Einige Tage, bevor man im Norden Amerikas den Präsidenten des Planeten wählte, gab es im Süden Amerikas Wahlen und es gab eine Volksabstimmung in einem ignorierten Land, in einem fast geheimen Land, Uruguay genannt. In diesen Wahlen gewann die Linke, zum ersten Mal in der nationalen Geschichte; und in dieser Volksabstimmung, zum ersten Mal in der weltweiten Geschichte, widersetzte sich der Wille der Bevölkerung der Privatisierung der Wasserversorgung und bestätigte, dass das Wasser ein Recht aller ist.

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Die Bewegung, die Tabaré Vázquez anführt, beendete das Monopol, Uruguay seit dem Ursprung des Universums zu regieren, das sich zwei traditionelle Parteien teilten. - ich glaubte wir hätten die Weißen bekommen, aber wir bekamen die Roten (colorados) - hörte man es sagen, so oder umgekehrt bei jeder Wahl. Aus Opportunismus, ja, aber auch weil, nach so vielem Zusammenregieren, die Weißen und die Roten hatten sich in einer einzigen Partei verwandelt, die sich wie zwei verschiedene verkleidete. Überdrüssig der Schwindeleien benutzte die Bevölkerung den wenig genutzten gesunden Menschenverstand. Sie fragte sich: Warum versprechen sie uns Veränderungen und lassen uns noch einmal zwischen dem Gleichen und dem Gleichen wählen? Warum vollziehen sie nicht diese Veränderungen seitdem sie schon eine Ewigkeit an der Macht sind? Der Vizepräsident des Landes kam zu dem Schluss, dass dieses so fragende Volk nicht intelligent sei.

Niemals wurde die Kluft, die das reale Land von den Wahlwerbungen trennt, deutlicher. In dem realen Land, einem schwer verwundeten Land, wo sich nur die Zahlen der Emigranten und Bettler vermehren, entschied sich die Mehrheit dafür, sich die Ohren zuzuhalten angesichts eines Diskurses dieser Marsmenschen, die um die Regierung des Jupiters wetteiferten mit hochtrabenden Worten vom Mond. Niemand von den Eigentümern der Macht hatte die Ehrlichkeit zu gestehen:

- Wir haben Sie alle “verarscht”.

Seit etwas mehr als dreißig Jahren keimte die Frente Amplio in diesen Ebenen des Südens. “Bruder, gehe nicht weg”, forderte die neue Bewegung auf: “Eine Hoffnung ist geboren”.

Aber die Krise war schneller als diese Hoffnung, und sie beschleunigte den Aderlass der Bevölkerung, den die Lücke der Jungen dem Land verursachte. Am Ende des Traumes der Schweiz Amerikas begann der Alptraum der Armut und der Gewalt. Die Spirale der Gewalt gipfelte in der Militärdiktatur, die Uruguay in eine ausgedehnte Folterkammer verwandelte.

Später, als die Demokratie wiederkehrte, vernichteten die dominanten Politiker das Wenige, was vom produzierenden Gewerbe übrig geblieben war und verwandelten Uruguay in eine große Bank. Die Bank machte Bankrott, wie es Banken zu passieren pflegt, die von den Bankern ausgeplündert werden, und ließ uns zurück, schuldenvoll und menschenleer. Bis nun die Zahnärzte sich beklagen: “Wenig Menschen, wenig Zähne”.

In diesen ganzen Jahren, von Desaster zu Desaster, haben wir eine Menge verloren. Die Jungen waren die, von denen am meisten gingen, sich Arbeit auf anderen Böden, unter anderen Himmeln suchend. Und noch mehr, nicht zufrieden diese Vielen zu vertreiben, schloss dieses System sie aus, indem es ihnen verbot zu wählen. Uruguay ist eines der wenigen Ländern, in denen man nicht wählen kann, wenn man im Ausland lebt, weder in den Konsulaten noch per Briefwahl. Es scheint unerklärlich, aber es gibt eine Erklärung. Wen würden diese Stimmen wählen? Die Besitzer des Landes vermuten das Schlimmste. Sie haben Recht.

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Im Schlussakt dieser Wahlkampagne verkündete der Kandidat für den Vize-Präsidenten der Bunten Partei, dass, falls die Linke gewinnt, alle Uruguayer verpflichtet würden, sich gleich zu kleiden, wie die Chinesen im China von Mao.

Er war einer mehr zwischen den vielen unfreiwilligen Wahlhelfern für die Popularität der triumphierenden Linken. Nicht mal der opferbereiteste der Militanten hat mehr für den Sieg getan als die Tribunen des Vaterlandes, die die Bevölkerung vor der innewohnenden Gefahr der Demokratie, die in die Hände der tyrannischen Feinde der Freiheit gefallen ist, warnten und vor demokratiefeindlichen Delinquenten, Terroristen, Entführern und Mördern. Es waren Denunziationen großer Effizienz: Je mehr sie die Teufel attackierten, desto mehr Stimmen bekam die Hölle.

In hohem Maße Dank an diese Boten der Apokalypse, und ihre donnernde Sprache, hat die Linke es geschafft zu gewinnen, im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit. Die Menschen wählten gegen die Angst.

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Auch die Volksabstimmung über das Wasser war ein Sieg über die Angst. Die öffentliche Meinung Uruguays erlitt ein Bombardement von Erpressungen, Drohungen und Lügen. Wenn wir gegen die Privatisierung des Wassers stimmen würden, würden wir die Einsamkeit und die Bestrafung erleiden und zu einer Zukunft der schwarzen Brunnen und übel riechenden Tümpeln verdammt werden.

Wie in den Wahlen hat der gesunde Menschenverstand in der Volksabstimmung gesiegt. Die Bevölkerung hat mit ihrer Wahl bestätigt, dass das Wasser, ein knapper und verderblicher Rohstoff, ein Recht aller sein muss und nicht das Privileg derer, die dafür bezahlen können. Und die Bevölkerung hat auch bestätigt, dass sie kein kleines Kind ist, sondern weiß, dass eher früher als später in einer durstigen Welt, die Wasserreserven genauso oder noch begehrter als die Ölreserven sein werden. Wir, die armen, aber wasserreichen Länder müssen lernen es zu verteidigen. Mehr als fünf Jahrhunderte sind seit Kolumbus vergangen. Bis wann werden wir fortfahren, Gold gegen Spiegelchen zu tauschen?

Würde es sich nicht lohnen, dass andere Länder sich einer Volksabstimmung zum Thema Wasser unterziehen? In einer Demokratie, wenn sie wahrhaftig ist, muss wer entscheiden? Die Weltbank oder die Einwohner jedes Landes? Existieren die demokratischen Rechte wirklich oder sind sie die Früchte, die eine vergiftete Torte schmücken? Einige Jahre früher, 1992, war Uruguay das einzige Land der Welt gewesen, das sich einer Volksabstimmung über die Privatisierung öffentlicher Unternehmen unterzogen hat. 72 % stimmten dagegen. Würde es nicht demokratisch sein, das Volk über die Privatisierungen überall abstimmen zu lassen, wenn man bedenkt, dass diese (Privatisierungen) das Schicksal mehrerer Generationen aufs Spiel setzen?

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Die Lateinamerikaner sind seit Jahrhunderten zur Impotenz erzogen worden. Eine Pädagogik, die aus den Kolonialzeiten kam, von gewalttätigen Militärs, kleinmütigen Doktoren und fatalistischen Mönchen unterrichtet wurde, hat in unsere Seelen die Gewissheit gelegt, dass die Realität unantastbar ist und dass wir keinen anderen Ausweg haben, als jeden Tag stillschweigend unsere Kröten zu schlucken.

Das Uruguay anderer Zeiten war eine Ausnahme gewesen. Gegen die Erbschaft des “Es gibt keine Möglichkeit” und des “Man kann da nichts machen” und gegen die Sitte, Realismus mit dem Gehorsam und der Tradition zu verwechseln, konnte dieses Land eine laizistische und kostenlose Erziehung vor England haben, das Frauenwahlrecht vor Frankreich, den Acht-Stunden-Tag vor den Vereinigten Staaten und die Scheidung vor Spanien (70 Jahre vor Spanien, um genau zu sein).

Nun fangen wir an, diese schöpferische Energie wiederzuerlangen, die in der langen Nacht der Nostalgie verloren schien. Und es wäre nicht schlecht, sich vor Augen zu halten, dass jenes Uruguay der fruchtbaren Zeiten ein Kind der Kühnheit, nicht der Angst war.

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Einfach wird es nicht sein. Die unerbittliche Realität wird nicht zögern, uns an die unvermeidliche Distanz zu erinnern, die das was man will trennt von dem was man kann. Die Linke ist in einem kaputten Land an die Macht gekommen, das in sehr vergangenen Zeiten zur Avantgarde des universellen Fortschritts gehörte und heute in der Schlange weit hinten steht, ein abgebranntes (ruiniertes) Land, bis zur Halskrause verschuldet und der internationalen Finanzdiktatur unterworfen, die nicht wählt sondern ihr Veto einlegt.

Wir haben einen reduzierten Handlungs- und Bewegungsspielraum. Aber was in der Einsamkeit schwierig erscheint, und fast unmöglich, kann vorstellbar und sogar realisiert werden, wenn wir uns mit unseren Nachbarländern zusammentun, wie wir auch imstande waren, uns mit unseren Nachbarn im Barrio zusammen zutun.

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Während der ersten Manifestation in der Geschichte der Frente Amplio, als sich ein Strom von Menschen in die Straßen ergoss, hat jemand geschrieen, in der Menschenmenge, zwischen Erschrecken und Glück:

Wir drohen zu gewinnen!
Etwas mehr als dreißig Jahre später, geschah es.

Dieses Land ist nicht wieder zu erkennen. Vom Gestern zum Heute, vom Heute zum Morgen: Die Menschen, die so ungläubig waren, dass sie nicht mal an den Nihilismus glaubten, haben angefangen, wieder zu glauben und sie tun dies mit allen Kräften. Die Uruguayer, melancholisch, zurückgeblieben, die auf den ersten Blick wie Argentinier unter Valium aussehen, laufen weiter in der Luft tanzend.

Eine furchtbare Verantwortung für die Triumphierenden. Für die Gewählten und für die, die sie wählten. Es wird nötig sein, diese Wiedergeburt des Vertrauens, diese Wiedererschaffung der Freude zu hegen, wie das Blatt die Blüte hegt. Und uns jeden Tag daran zu erinnern, wie recht Carlos Quijano hatte, als er sagte, dass die Sünden gegen die Hoffnung die Einzigen sind, die weder Verzeihung noch Erlösung erhalten.

Quelle: ZNet Deutschland vom 12.11.2004. Übersetzt von: A. Keuchen und L. Torres.

Veröffentlicht am

16. November 2004

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