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Minister Strucks Irak-Prognose: Himmelfahrtskommando

Laut gedacht, was verschworenen Atlantikern längst kein stiller Wunsch mehr ist

Von Jürgen Rose

Welcher Teufel den nach eigenen Worten wieder im Vollbesitz seiner Kräfte befindlichen Verteidigungsminister geritten hat, jüngst einer konsternierten Öffentlichkeit zu bedeuten, er schließe einen Einsatz der Bundeswehr im Irak längerfristig nicht mehr völlig aus, vermag wahrscheinlich nur er selbst zu sagen. Mag sein, dass er sich von Zeit-Herausgeber Michael Naumann hat erleuchten lassen. Der nämlich hatte wenige Tage zuvor seiner Leserschaft entgegen schwadroniert: “Die Regierung Schröder wird sich fragen müssen, ob sie ihr Versprechen halten kann und muss, sich nicht militärisch im Irak zu engagieren. Wenn Deutschlands Sicherheit wirklich am Hindukusch verteidigt wird, dann steht die wirtschaftliche Zukunft der Nation ganz gewiss auch an der Tankstelle Europas, in der Golfregion, zur Debatte.”

Mit solch unverhohlen imperialistischer Rhetorik soll wohl unter Vorspiegelung falscher Tatsachen eine Medienkampagne losgetreten werden, um die Bundeswehr als treuen Vasallen neben der US-Besatzungsmacht zu positionieren, der im Irak zunehmend die Kontrolle entgleitet. Offenbar wollen verschworene Atlantiker hierzulande immer noch nicht begreifen, dass die wirkliche Gefahr für Deutschland und Europa nicht zuerst von islamistisch gefärbten Bombenlegern ausgeht, sondern von den Völkerrechtsverbrechern am Potomac, die in ihrem manichäischen “Kampf gegen das Böse” vor keiner Untat zurückschrecken - Folter inklusive. Die Zahl unschuldiger Zivilisten, die in einem aberwitzigen “War on Terror” skrupellos als “Kollateralschaden” abgebucht werden, liegt inzwischen um Potenzen höher als die Zahl derjenigen, die Opfer terroristischer Anschlägen wurden.

Nicht der Rede wert anscheinend auch, dass US-Waffeninspekteur Charles Duelfer und Minister Rumsfeld jüngst das Lügengebäude der Kriegsbegründungen endgültig einstürzen ließen. Stattdessen Anbiederung bei George Bush, der unbeirrbar dreist verlautbart, seine in den Irak und nach Afghanistan entsandten Legionen hätten die Welt sicherer gemacht. Wer angesichts derartiger Intransigenz dafür plädiert, dass sich Deutschland ohne Not an der Seite der Aggressoren im Irak exponiert, schadet massiv den Sicherheitsinteressen des Landes und rückt es direkt ins Fadenkreuz des Terrorismus. Der ignoriert, dass eine Mehrheit der Völker weltweit nicht den Triumph kriegerischen Größenwahns, sondern die Zertrümmerung des Nimbus der militärischen Unbesiegbarkeit erhofft.

Was der Irak braucht, sind nicht weitere Besatzungssoldaten, Militärgewalt und Repression, sondern Selbstbestimmung und Souveränität, die ohne den Abzug der Besatzungstruppen Schimären bleiben. Wollten Deutschland und die EU wirklich ein Beispiel dafür geben, wie Orient und Okzident in Frieden und gegenseitiger Toleranz miteinander umgehen können, dann anhand der Türkei, um zu zeigen, “dass Europa die islamische Welt nicht zurückweist und dass ein solches Land die europäischen Werte vollständig übernehmen und verwirklichen kann”, wie EU-Kommissar Verheugen gerade anmerkte. Dafür wären die begrenzten Ressourcen sinnvoller angelegt, als die wenigen Steuereinnahmen, die ein entgrenzter Kapitalismus noch in die Kassen des Finanzministers tröpfeln lässt, für neokoloniale Großmachtphantasien zu verschleudern.

Zuhause kein Geld im Steuersäckel, Millionen Arbeitlose zu Sozialhilfeempfängern degradieren und Bundeswehrsoldaten abkommandieren, um die letzten Regionen, die sich den Verwertungsinteressen eines um den Globus nomadisierenden transnationalen Kapitals widersetzen, gewaltsam zu unterwerfen - da stehen, scheint es, nicht nur im Berliner Bendler-Block kaum mehr alle Tassen im Spind. Wenn von Neo-Wilhelminismus durchdrungene Politiker und vom Bellizismus faszinierte Kolumnisten nach einem Platz an der Sonne rufen, dann sollten sie genau dorthin geschickt werden - in die Wüste nämlich.

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 44 vom 22.10.2004. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.

Veröffentlicht am

24. Oktober 2004

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