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Friedensorganisationen fordern: Keine Verlängerung von Bundeswehrmandat in Afghanistan

Am 30. September 2004 wird der Bundestag die Afghanistan-Mission der Bundeswehr verlängern. Aus diesem Anlass veröffentlichten verschiedene Friedensorganisationen eine gemeinsame Erklärung, in welcher der Militäreinsatz abgelehnt wird. Wir veröffentlichen hier zunächst eine Presseerklärung von IPPNW und dann die Erklärung im Wortlaut.

Presseinformation: Friedensverbände fordern von Bundesregierung und Bundestag, das ISAF-Mandat für die Bundeswehr nicht zu verlängern

Nur zivile Kooperation kann in Afghanistan helfen

Berlin, 28. September 2004: Anlässlich der bevorstehenden Entscheidungen über die Verlängerung des ISAF-Mandats für die Bundeswehr fordern Organisationen der deutschen Friedensbewegung das Ende des Mandats und den Abzug der deutschen Soldaten.

Erforderlich sei die Unterstützung der Kräfte in Afghanistan, die am Aufbau einer friedlichen Gesellschaft interessiert sind. Das könne nicht durch Besatzungsarmeen erfolgen, sondern nur durch gezielte Kooperationen und Unterstützungen, die im Konsens mit den jeweilig Betroffenen betrieben werden. Eine solche zivile Konfliktbearbeitung könne von der Bundesrepublik Deutschland einseitig und punktuell eingeleitet werden. Eine zivile Kooperation bedürfe nicht des militärischen Schutzes. Er behindere nur die zivile Kooperation, da das Militär die Glaubwürdigkeit der Neutralität der Kooperationsorganisationen beschädige. Darüber hinaus gefährdet die Verquickung humanitärer und militärischer Interessen die Arbeit der zivilen Helfer.

Die Mittel, die bisher für den Bundeswehreinsatz ausgegeben wurden, sollen der zivilen Konfliktbearbeitung für geeignete Kooperationsprojekte zur Verfügung gestellt werden. Die Federführung für die zivile Kooperation könne das Bundesministerium für Zusammenarbeit übernehmen.

Neben der Sicherung von Grundbedürfnissen werden Qualifikationsprogramme für kommunale Arbeit und die Förderung von Bauern, die nach Alternativen zum Mohnanbau suchen für vordringlich gehalten. Insgesamt fordern die Friedensorganisationen eine friedenspolitische Neuorientierung der deutschen Afghanistan-Politik, die sich der Mittel ziviler Konfliktbearbeitung und Kooperation bedient.

Die Erklärung hat den folgenden Wortlaut und wurde von folgenden Organisationen unterzeichnet:

Friedensverbände fordern von Bundesregierung und Bundestag, das ISAF-Mandat für die Bundeswehr nicht zu verlängern.

Nur zivile Kooperation kann in Afghanistan helfen

Afghanistan kann nicht über militärische Interventionskräfte wieder aufgebaut werden und einen eigenen Entwicklungsweg aufnehmen. Die Ursache für die Zerstörung der afghanischen Gesellschaft waren die Militärinterventionen, die sie erleiden musste: Drei koloniale Feldzüge des britischen Empires, einen Stellvertreterkrieg zwischen der Sowjetunion und den USA, wobei islamisch-fundamentalistische Kräfte von den USA als Kampfpotentiale aufgebaut und unterstützt wurden, schließlich die Intervention durch die USA und weitere Willige, einschließlich afghanischer War-Lords, nach dem 11. 9. 2001.

Heute wird noch immer gebombt und geschossen. Große Teile des Landes werden von den Taliban und den Mohnanbau kontrollierenden War-Lords beherrscht, mit denen die USA militärisch kooperieren. Das vom Westen unterstützte Regime reicht nicht weit über die Tore von Kabul hinaus. Während für Stationierung und Aktionen des Militärs riesige Summen ausgegeben werden, fehlt es für die Überwindung von bitterer Armut und den Wiederaufbau des Landes an allen Ecken und Enden. Die militärische Befriedung des Landes ist fehlgeschlagen. Zivile Kooperation tut Not! Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden.

1. Wir fordern den Bundestag auf, die Verlängerung des Bundeswehrmandates für eine weitere Stationierung abzulehnen und den Abzug der deutschen Militärkontingente zu beschließen. Das inoffizielle Argument, die deutschen Truppen seien nur in Afghanistan, um die USA für ihren Krieg in Irak zu entlasten, da Deutschland aus politischen Gründen keine Militäreinheiten in den Irak entsenden könne, ist für uns nicht annehmbar. Die Teilnahme am Irak-Krieg war und ist grundsätzlich abzulehnen. Es bedarf keiner Kompensationen.

2. Eine Konsolidierung der afghanischen Gesellschaft und die Rekonstruktion eines Staatswesens bedarf nicht der Bevormundung von außen. Sie wird nur möglich sein, wenn auch die traditionellen Elemente dieser Gesellschaft und der verschiedenen Völker Afghanistans sich darin aufgehoben fühlen können. Modernisierung kann daher nur ein von innen geleiteter Prozess sein, der Tradition und Moderne miteinander verbindet. Westliche Vorstellungen von parlamentarischer Demokratie, angeführt von US-gesteuerten Auslands-Afghanen und War-Lords, müssen wie ein weiterer Angriff auf die Identität der afghanischen Völker empfunden werden.

3. Erforderlich ist deshalb die Unterstützung der Kräfte in Afghanistan, die am Aufbau einer friedlichen Gesellschaft interessiert sind. Das kann nicht durch Besatzungsarmeen erfolgen, sondern nur durch gezielte Kooperationen und Unterstützungen, die im Konsens mit den jeweilig Betroffenen betrieben werden. Bei unüberwindbaren Rivalitäten afghanischer Gruppierungen muss eventuell auf die Durchführung von Projekten so lange verzichtet werden, bis ein Konsens erreicht ist.

4. Eine solche zivile Konfliktbearbeitung kann von der Bundesrepublik Deutschland einseitig und punktuell eingeleitet werden, selbst wenn die USA und andere Mächte noch in dem Land Besatzungsarmeen unterhalten.

5. Eine zivile Kooperation bedarf nicht des militärischen Schutzes. Er behindert nur die zivile Kooperation, da das Militär die Glaubwürdigkeit der Neutralität der Kooperationsorganisationen beschädigt. Darüber hinaus gefährdet die Verquickung humanitärer und militärischer Interessen die Arbeit der zivilen Helfer. Auch kann das Militär keineswegs die zivilen MitarbeiterInnen vor Entführungen und sonstigen Bedrohungen schützen, wie im Irak nur allzu deutlich wird. Darauf verweist jüngst noch einmal die Direktorin der Diakonie Katastrophenhilfe, Frau Cornelia Füllkrug-Weitzel (FR 13.9.2004). Das Militär selbst ist für zivile Friedensarbeit weder ausgebildet noch psychisch geeignet und außerdem viel zu kostspielig.

6. Die Mittel, die bisher für den Bundeswehreinsatz ausgegeben wurden, sollen deshalb der zivilen Konfliktbearbeitung für geeignete Kooperationsprojekte zur Verfügung gestellt werden. Die Federführung könnte das Bundesministerium für Zusammenarbeit übernehmen. Damit würde deutlich gemacht, dass die Zusammenarbeit in Afghanistan mit der Entwicklungshilfe in anderen Ländern gleichgestellt ist und nicht mit der militärischen Besetzung des Landes in Verbindung steht. Das BMZ hat ebenso wie zivile Organisationen bereits wichtige Erfahrungen aus der Arbeit in Afghanistan, die für eine verstärkte Kooperation genutzt werden können.

7. Neben humanitären Aufgaben, die sich auf die Sicherung von Grundbedürfnissen (Wasser, Gesundheit, Elementarbildung, Energie) richten sollten, halten wir Qualifikationsprogramme für besonders vordringlich, um kommunale Arbeit zu verbessern. Vordringlich ist auch die Förderung von Bauern, die nach Alternativen zum Mohnanbau suchen. Bisher scheinen die versprochenen Hilfen gerade in diesem Bereich nicht angekommen zu sein.

8. Zweifellos ist eine Neuorientierung der Politik gegenüber Afghanistan und seinen geschundenen Völkern eine große Herausforderung für die deutsche Politik. Wer jedoch zum Frieden beitragen will und Konflikte deeskalieren möchte, darf die perspektivlose Militärpolitik nicht weiter führen, sondern muss sich den wirklichen Herausforderungen innovativ stellen.

9. Deshalb fordern wir vom Bundestag eine Entscheidung zugunsten einer Neuorientierung der deutschen Afghanistan-Politik, die auf der Höhe der Zeit ist. Wir sind sicher, dass manche EU-Staaten sich einer solchen zukunftsorientierten Politik der zivilen Bearbeitung anschließen werden. So könnte ein neuer Trend gesetzt und die Interessen der Völker auch am Hindukusch in neuer Weise in Einklang gebracht werden.

UnterzeichnerInnen: Bund für soziale Verteidigung (BSV), Friedensplenum Tübingen/Antikriegsbündnis, Gesellschaft Kultur des Friedens, Graswurzelwerkstatt, Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung e.V., Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW), DFG-VK LV Baden-Württemberg, Internationaler Versöhnungsbund Deutscher Zweig, Bundesausschuss Friedensratschlag, Komitee für Grundrechte und Demokratie, Menschen für den Frieden Düsseldorf, Mönchengladbacher Friedensforum, NaturwissenschaftlerInnen Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit, Netzwerk Friedenskooperative, Netzwerk Friedenssteuer e.V., Ökumenisches Friedensnetz Düsseldorfer Christinnen & Christen, Gewaltfreie Aktion Atomwaffen abschaffen (GAAA), Darmstädter Friedensforum, Rüstungsinformationsbüro Baden-Württemberg (RIB), Gesellschaft Kultur des Friedens, Friedensplenum Tübingen/Anti-Kriegs-Bündnis

Kontakt: Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Körtestr. 10, 10969 Berlin, Tel. 030 698 0740, E-Mail: ippnw@ippnw.de , Website: www.ippnw.de

Veröffentlicht am

30. September 2004

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