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Die Oligarchen - Oder: Wie die Jungfrau zur Hure wurde

In der augenblicklichen Wahlkampagne sammeln die Kandidaten Hunderte Millionen Dollar. George W. Bush und John Kerry rühmen sich beide ihres Talentes, enorme Summen von Geld zusammenzubringen. Es ist kein Zufall, dass all die gegenwärtigen Kandidaten in den USA Multimillionäre sind. Von Zeit zu Zeit wird in Amerika von Reformen der Wahlfinanzierung gesprochen. Keiner der Oligarchen hat irgend ein Interesse, das System zu ändern, das ihnen ermöglicht, die Regierung der USA zu kaufen.

Die Oligarchen - Oder: Wie die Jungfrau zur Hure wurde

Von Uri Avnery

Es ist eine Fernseh-Serie über Russland. Aber es könnte auch eine über Israel oder die Vereinigten Staaten sein. Sie hat den Titel “Die Oligarchen”, und sie wird im israelischen Fernsehen gezeigt.

Einige ihrer Episoden sind einfach unglaublich - oder würden es sein, wenn sie nicht direkt aus erster Hand kämen: von den Helden der Geschichte, die sich fröhlich ihrer verachtenswerten Taten rühmen. Die Serie wurde von israelischen Immigranten aus Russland produziert.

Die “Oligarchen” sind eine winzige Gruppe von Unternehmern, die aus der Auflösung des sowjetischen Systems Kapital schlugen, um die Staatsfinanzen zu plündern und Beute anzuhäufen, die sich auf hundert Millionen Dollar beliefen. Um die Fortdauer ihrer Geschäfte abzusichern, übernahmen sie die Kontrolle des Staates.

In volkstümlicher Ausdrucksweise werden sie ” die Oligarchen” genannt - eine Verbindung zweier griechischer Wörter “oligoy” (wenige) und “arkho” (regieren).

In den ersten Jahren des post-sowjetischen russischen Kapitalismus waren sie die Verwegenen und Gewandten, die wussten, wie man eine wirtschaftliche Anarchie ausbeutet, um für fast gar nichts Besitz zu erlangen, der hundert oder gar tausend mal mehr wert ist: Öl, Naturgas, Nickel und andere Mineralien. Sie benützten jeden möglichen Trick, einschließlich Betrug, Bestechung und Mord. Jeder von ihnen hat eine kleine Privatarmee. Im Laufe der Filmserie erzählen sie stolz und ausführlich, wie sie es gemacht haben. Aber der faszinierendste Teil der Serie berichtet, wie sie den politischen Apparat übernahmen. Nachdem sie zunächst einander bekämpft hatten, entschieden sie sich, dass es nützlicher für sie sei, zusammenzuarbeiten, um den Staat zu übernehmen.

Zu jener Zeit befand sich Präsident Boris Jelzins Karriere in steilem Abstieg. Am Vorabend der neuen Präsidentschaftswahlen stand sein Stellenwert bei der öffentlichen Meinungsumfrage bei 4%. Er war Alkoholiker mit schweren Herzproblemen; er arbeitete nur noch 2 Stunden am Tag. Der Staat wurde praktisch von seinem Leibwächter und seiner Tochter regiert; Korruption gehörte zur Tagesordnung.

Die Oligarchen entschieden sich, durch ihn die Macht zu übernehmen. Sie hatten fast unbegrenzte Geldmittel, Kontrolle über alle Fernsehkanäle und die meisten anderen Medien. Sie setzten all dies der Kampagne zur Wiederwahl von Jelzin zur Verfügung, verweigerten seinen Opponenten eine einzige Minute Fernseh-Zeit und schütteten große Summen von Geld in diese Bemühungen. (Die Serie lässt interessante Details aus: sie holten insgeheim die hervorragendsten amerikanischen Wahlexperten und Werbetexter, die bis jetzt in Russland unbekannte Methoden anwandten.)

Die Kampagne hatte Erfolg: Jelzin wurde tatsächlich wieder gewählt. Noch am selben Tag erlitt er wieder einen Herzanfall und verbrachte den Rest seiner Amtszeit im Krankenhaus. Praktisch regierten nun die Oligarchen Russland. Boris Berezovski, einer von ihnen, ernannte sich selbst zum Ministerpräsidenten. Es gab einen kleineren Skandal, als bekannt wurde, dass er (wie die meisten der Oligarchen) israelische Staatbürgerschaft erworben hatte - aber er gab seinen israelischen Pass ab, und alles war wieder in Ordnung.

Übrigens rühmte sich Berezovsky, dass er den Krieg in Tschetschenien ausgelöst habe, in dem Zehntausende getötet wurden und ein ganzes Land verwüstet wurde. Er war an den Bodenschätzen interessiert und an einer zukünftigen Pipeline. Um dies zu erreichen, setzte er dem Friedensabkommen, das dem Land einige Unabhängigkeit verliehen hatte, ein Ende. Die Oligarchen entließen und vernichteten Alexander Lebed, den volkstümlichen General, der das Abkommen zustande gebracht hatte - und seitdem geht der Krieg weiter.

Am Ende gab es eine Reaktion: Vladimir Putin, der schweigsame und harte Ex-KGB-Mann, übernahm die Staatsmacht und die Kontrolle über die Medien, ließ einen der Oligarchen (Mikhail Khodorkovsky) ins Gefängnis werfen und veranlasste die anderen die Flucht zu ergreifen (Berzovsky ist in England, Vladimir Gusinsky ist in Israel und ein anderer, Mikhail Chernoy, versteckt sich vermutlich bei uns.)

Da sechs der sieben Oligarchen jüdisch sind und all diese Taten der Oligarchen in der Öffentlichkeit geschahen, besteht die Gefahr, dass diese Skandale den Antisemitismus in Russland anwachsen lassen. Tatsächlich behaupten die Antisemiten, dass diese Taten durch die “Protokolle der Weisen von Zion” - ein vom zaristischen Geheimdienst vor 100 Jahren gefälschtes Dokument - bestätigt werden. (Es behauptet, dass eine jüdische Verschwörung die Welt kontrolliert.)

Gehen wir von Russland nach Amerika! Dasselbe geschah natürlich in den USA vor mehr als hundert Jahren. In jener Zeit wandten die großen “Räuberbarone” Morgan und Rockefeller und andere - alles gute Christen - sehr ähnliche Methoden an, um in großem Umfang an Kapital und Macht zu gelangen. Heute geschieht dies auf verfeinerte Weise.

In der augenblicklichen Wahlkampagne sammeln die Kandidaten Hunderte Millionen Dollar. George W. Bush und John Kerry rühmen sich beide ihres Talentes, enorme Summen von Geld zusammenzubringen. Von wem? Von Pensionären? Von der sagenhaften “alten Dame in Tennisschuhen?” Natürlich nicht, sondern vom Klüngel der Milliardäre, den riesigen Gesellschaften und mächtigen Lobbys (Waffenhändlern, jüdische Organisationen, Ärzte, Anwälte und dergleichen. Viele von ihnen geben beiden Kandidaten Geld - um ja auf der sicheren Seite zu sein).

All diese erwarten natürlich, einen großzügigen Bonus zu erhalten, wenn ihr Kandidat gewählt wird. “Da gibt es kein Mittagessen umsonst”, wie Milton Friedman, ein Ökonom vom rechten Flügel, schrieb. Wie in Russland kommt jeder Dollar (wie jeder Rubel), der weise in die Wahl gesteckt wurde, zehn- oder gar hundertfach zurück.

Das Problem beruht auf der Tatsache, dass der Präsidentschaftskandidat (und alle anderen politischen Kandidaten) immer mehr Geld benötigen. Wahlkämpfe werden hauptsächlich im Fernsehen ausgefochten und kosten Riesensummen. Es ist kein Zufall, dass all die gegenwärtigen Kandidaten in den USA Multimillionäre sind. Die Bushfamilie hat ihr Vermögen aus dem Ölgeschäft angehäuft - natürlich mit Hilfe politischer Verbindungen. Kerry ist mit der reichsten Frau Amerikas verheiratet, die in der Vergangenheit die Frau des Ketchup-Königs Henry John Heinz war. Dick Cheney war der Chef der riesigen Gesellschaft, die Kontrakte im Irak erworben hat, die Milliarden wert sind. John Edwards, Kandidat als Vizepräsident, hat sein großes Vermögen als Prozessanwalt erworben.

Von Zeit zu Zeit wird in Amerika von Reformen der Wahlfinanzierung gesprochen, aber da kommt nichts dabei heraus, das der Mühe wert ist. Keiner der Oligarchen hat irgend ein Interesse, das System zu ändern, das ihnen ermöglicht, die Regierung der USA zu kaufen

Auch in Israel kommt jetzt die Rede von “Geld und Macht” in Mode. Ariel Sharon und einer seiner beiden Söhne sind verdächtigt worden, von einem reichen Bauunternehmer Bestechungsgelder angenommen zu haben. Eine Anklage wurde von dem neuen Staatsanwalt verhindert, der von der Sharonregierung auf der Höhe der Affäre ernannt wurde. Eine andere Anklage gegen Sharon und seine beiden Söhne ist noch anhängig. Es handelt sich um Millionen Dollar, die sein Wahlkonto auf Umwegen über drei Kontinente erreicht haben. Shimon Peres’ Verbindungen zu Multimillionären sind nur zu bekannt, wie auch die großen Summen, die von amerikanisch-jüdischen Multimillionären zum extrem rechten Flügel fließen. Einer der russischen Oligarchen ist Teilhaber der zweitgrößten israelischen Zeitung Ma’ariv.

Ein politischer Skandal, der den israelischen Minister für Infrastruktur betrifft, hat sich in eine Affäre ausgeweitet, in die riesige multi-nationale Gesellschaften verwickelt sind, die um Verträge für Lieferungen von Naturgas für die israelische Elektrizitätsgesellschaft konkurrieren - eine Angelegenheit, in der es um Milliarden geht und in die Figuren der Unterwelt, Politiker und Privatdetektive ihre Rolle spielen. Diese Enthüllung hat den Israelis bewusst gemacht, dass auch hier Politiker der höchsten Ränge schon seit langem Abhängige von mächtigen finanziellen Interessen geworden sind.

Diese Tatsache müsste jeden alarmieren, der sich um die Demokratie sorgt - in Israel, Russland, den Vereinigten Staaten und anderswo. Oligarchie und Demokratie sind nicht mit einander vereinbar. Ein russischer Kommentator in der Fernsehserie sagte über die neue russische Demokratie: “Sie haben eine Jungfrau zur Hure gemacht.”

Quelle: www.uri-avnery.de vom 31.07.2004. Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert.

Veröffentlicht am

02. August 2004

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