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Der Widerstand von Saddam-Anhängern und Islamisten wird siegen

Von Scott Ritter - ZNet 24.07.2004

Die Schlacht um die Zukunft des Irak als souveräner Staat ist die Schlacht um die Herzen und Köpfe des irakischen Volkes. Beim jetzigen Stand der Dinge sieht es so aus, dass der Sieg denjenigen zufällt, die am meisten mit der Realität der heutigen irakischen Gesellschaft in Einklang stehen: den Führern des antiamerikanischen Widerstands.

Die Regierung von Iyad Allawi wurde kürzlich von dem von den USA geleiteten Provisorischen Regierungsrat eingesetzt, um einem baathistischen Nationalismus entgegenzuwirken, der bereits vor einem Jahrzehnt aufgehört hat zu existieren.

In der Zeit nach dem ersten Golfkrieg ging Saddam Husseins Regime zu einer Mischung aus islamischem Fundamentalismus, Tribalismus und Nationalismus über, welche die politische Wirklichkeit des Irak genauer widerspiegelte.

Dank seiner peinlich genauen Planung und Voraussicht führen jetzt Saddams Offiziere den irakischen Widerstand, einschließlich der islamistischen Gruppen.

Im August 1995 lief Saddams Schwiegersohn Hussein Kamal nach Jordanien über. Vierzehn Monate vor der Besetzung des Irak durch die USA bekommt Kamals Aussage, dass die irakischen Massenvernichtungswaffen im Sommer 1991 zerstört wurden, angesichts der Tatsache, dass bis heute keine Massenvernichtungswaffen gefunden wurden, neue Bedeutung.

Wichtiger jedoch ist der folgende von Kamal genannte Grund für sein Überlaufen: Saddams Befehl, dass alle höheren Funktionäre der Baath Partei verpflichtet wurden, Koranstudien zu betreiben. Für Saddam war diese radikale strategische Wendung angesichts der neuen politischen Realitäten im Nachkriegsirak notwendig, um zu überleben.

Die traditionelle baathistische Ideologie, die auf einem irakzentrierten arabischen Nationalismus basierte, war nicht länger die treibende Kraft, die sie noch ein Jahrzehnt zuvor gewesen war. Die Schaffung einer neuen Machtbasis machte es notwendig, nicht nur die schiitische Mehrheit, die im Frühjahr 1991 gegen ihn rebelliert hatte, einzubeziehen, sondern auch dem wachsenden religiösen Fundamentalismus traditioneller Verbündeter, wie den wichtigsten sunnitischen Stämmen im Westen des Irak, Rechnung zu tragen.

Das sichtbarste Symbol der Entscheidung Saddams, sich den Islam zu Eigen zu machen, war sein Befehl, die Worte “Gott ist groß” in die irakische Flagge aufzunehmen.

Die Transformation des politischen Kräftespiels im Irak wurde im Westen größtenteils nicht wahrgenommen. Es scheint sicher, dass sie der Aufmerksamkeit der Bush-Administration entgangen ist. Und die kürzlich stattgefundene “Übergabe der Souveränität” an die Regierung Allawi widerspiegelt dieses mangelnde Verständnis.

Eine der ersten Direktiven, die von Paul Bremer, dem früheren Leiter der Zivilverwaltung, herausgegeben wurde, war die Verabschiedung des “Entbaathisierungs-Gesetzes”, das alle früheren Mitglieder der Partei gewissermaßen auf eine schwarze Liste setzte, um ein bedeutsames Engagement im täglichen Leben im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins zu verhindern. Das Gesetz unterstrich die geistige Haltung der Machthaber im Irak: Loyale, baathistische Anhänger Saddams wurden zur Hauptbedrohung der von den USA geführten Besatzung. Führende Beamte aus der Bush-Administration bemerkten diesen Fehler, wenn auch etwas spät. Im April 2004 nahm Bremer seinen “Entbaathisierungs-Befehl” zurück. Das Pentagon spricht heute von einer “Vernunftehe” zwischen islamischen Fundamentalisten und früheren Mitgliedern des Saddam-Regimes und spekuliert sogar darüber, dass die Islamisten baathistische Zellen übernehmen, die durch amerikanische Antiterror-Maßnahmen geschwächt wurden.

Wieder einmal liegt das Pentagon falsch. Die US-Politik im Irak ist unfähig oder nicht bereit, der Realität der feindlichen Bodentruppen ins Auge zu blicken.

Der irakische Widerstand ist keine neu entstehende “Vernunftehe”, sondern vielmehr ein Produkt jahrelanger Planung. Anstatt von einer islamischen Bewegung aufgesogen worden zu sein, haben Saddams frühere Offiziere das Sagen im Irak, nachdem sie islamische Fundamentalisten, mit oder ohne deren Wissen, schon vor Jahren kooptiert haben.

Ein Blick auf die Liste der 55 “meistgesuchten” Mitglieder des Saddam-Regimes, die noch nicht gefasst wurden, offenbart die Befehlskette des heutigen irakischen Widerstands. Dies unterstreicht auch den Erfolg der strategischen Entscheidung Saddams, sich vor beinahe einem Jahrzehnt von der baathistischen Ideologie loszusagen.

Vergessen wir nicht, dass es niemals eine formale Kapitulationszeremonie gab, nachdem die USA Bagdad einnahmen. Die Sicherheitsdienste des Irak unter Saddam wurden nie aufgelöst, sie verschwanden in der Bevölkerung, um wieder in den aktiven Dienst zurückgerufen zu werden, wann und wo immer sie gebraucht wurden.

Der so genannte islamische Widerstand wird von niemand anderem geführt, als vom früheren Vizepräsidenten Izzat Ibrahim al-Douri, einem leidenschaftlichen irakischen Nationalisten, einem arabischen Sunniten und einem praktizierenden Mitglied der Sufi-Bruderschaft, einer Gruppe islamischer Mystiker. Sein Stellvertreter ist Rafi Tilfah, der das Direktorat für allgemeine Sicherheit leitete, eine Organisation, welche die irakische Gesellschaft während des Saddam-Regimes vollständig mit Kollaborateuren und Informanten infiltrierte.

Als früherer UN-Waffeninspektor habe ich persönlich sowohl das Hauptquartier des Direktorats für allgemeine Sicherheit in Bagdad als auch die regionale Zentrale in Tikrit inspiziert. Die Räume waren voll mit Akten von Leuten, die mit oder für das Direktorat arbeiteten. Es gibt keinen Menschen, keine Familie, keinen Stamm oder keine islamische Bewegung, welche das Direktorat nicht persönlich kannte - Informationen, die von unschätzbarem Wert sind, wenn es darum geht, eine Widerstandsbewegung aus dem Volk zu koordinieren und voranzutreiben.

Ich hatte auch bei zahlreichen Anlässen von 1997-98 mit dem früheren Direktor des Sicherheitsdienstes für den Schutz Saddam Husseins (SSO) Hani al-Tilfah zu tun, als dieser beauftragt worden war, meine Inspektionen zu behindern. Heute unterstützt er die Koordinierung des irakischen Widerstands und setzt dabei dieselben Offiziere ein.

Tahir Habbush leitete den irakischen Geheimdienst, der die Kunst der Improvisierung von Sprengkörpern perfektionierte und sie benutzte, um Attentate auszuführen. In den Monaten vor der von den USA geführten Besatzung hatte er den Auftrag, seine Agenten unters Volk zu bringen und so ihre Enttarnung durch die Besatzungsarmee zu verhindern.

Die kürzlich stattgefundenen antiamerikanischen Angriffe in Falludscha und Ramadi wurden von überaus disziplinierten Männern ausgeführt, die in geschlossenen Einheiten kämpfen und wahrscheinlich Mitglieder der Republikanischen Garde waren.

Den Vollkommenheitsgrad dieser Aktionen sollte niemanden überraschen, der mit der Rolle des früheren Chefs der Republikanischen Garde Sayf al-Rawi vertraut ist, der die Einheiten der Garde für eben diesen Zweck vor der US-Invasion heimlich auflöste.

Die Übergabe der Souveränität an die neue irakische Regierung von Iyad Allawi, deren Zeit in den nächsten Wochen und Monaten mit tragischen Konsequenzen dem Ende entgegen geht, ist eine Farce. Allawis Regierung, die von den USA mit ausgebürgerten Saddam-Gegnern sorgfältig ausgewählt wurde, fehlt nicht nur eine eigene irakische Verfassung, sondern in den Augen vieler irakischer Bürger jegliche Legitimität.

In Wahrheit gab es in der irakischen Bevölkerung nie eine bedeutende Oppositionsbewegung, in der Bevölkerung, welche die Bush-Administration hätte auffordern können, eine Regierung zu bilden und Saddam zu ersetzen. Deshalb waren die USA gezwungen, auf die Dienste von Individuen zu vertrauen, die den Makel besaßen, mit den Geheimdiensten zusammenzuarbeiten oder aus Oppositionsparteien kamen, die stark von Agenten des früheren Geheimdienstes Saddam Husseins infiltriert waren.

Unabhängig von der Zahl der stationierten US-Truppen und deren Verweildauer ist Allawis Regierung dazu verdammt, zu scheitern. Je mehr sie scheitert, desto mehr wird sie sich auf die Unterstützung durch die USA verlassen müssen. Je stärker die USA Allawi unterstützen, desto stärker wird dieser in den Augen der irakischen Bevölkerung diskreditiert werden und all das wird dem irakischen Widerstand weitere Möglichkeiten bieten.

Wir werden einen jahrzehntelangen Albtraum erleiden, der zum Tod weiterer Tausender Amerikaner und Zehntausender Iraker führen wird. Wir werden Zeugen der Schaffung einer wachstumsfähigen und gefährlichen antiamerikanischen Bewegung, die eines Tages den unilateralen Abzug der US-Truppen aus dem Irak, ebenso erniedrigend wie den israelischen Abzug aus dem Libanon, überwacht.

Die Rechnung ist ziemlich einfach: je schneller wir unsere Truppen nach Hause holen, desto schwächer wird diese Bewegung sein. Und natürlich ist auch die Kehrseite wahr: je länger wir bleiben, desto stärker und ausdauernder wird dieses Nebenprodukt des von Bush beschlossenen Kriegs gegen den Irak.

Es gibt keine elegante Lösung für unser Irak-Debakel. Es ist nicht länger eine Frage des Sieges, sondern vielmehr die einer weniger schweren Niederlage.

Anmerkungen:

Scott Ritter war von 1991 bis 1998 UN-Waffeninspekteur und ist Autor von “Frontier Justice: Weapons of Mass Destruction and the Bushwhacking of America.”

Quelle: ZNet Deutschland vom 27.07.2004. Übersetzt von: Tony Kofoet. Orginalartikel: “The Saddam-ist / Islamist Resistance Will Win” .

Veröffentlicht am

27. Juli 2004

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