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Informationskrise

Von Robert Fisk - Independent / ZNet 19.07.2004

So haben sie’s gern. Ein amerikanischer Helikopter feuert 4 Raketen auf ein Haus in Falludschah ab. 14 Menschen werden getötet, darunter Frauen und Kinder - behauptet die Krankenhausleitung. Kein westlicher Journalist jedoch, der sich nach Falludschah hinein traut. Videoaufnahmen, produziert von Zivilisten vor Ort, zeigen lediglich ein Loch in der Erde, Leichenteile unter einer grauen Decke und einen Unbekannten, der ruft, hier seien kleine Kinder getötet worden. Die US-Behörden sagen, sie wüssten nichts über den Luftangriff; sie raten Journalisten, mit dem irakischen Verteidigungsministerium zu sprechen - dessen Sprecher gibt zu, “keine Ahnung zu haben, was vorgeht”.

Als gestern am frühen Nachmittag der von den USA ernannte irakische Premierminister Iyad Allawi (endlich) sagt, er habe die Erlaubnis zu dem Angriff gegeben - die US-Einsatzregeln gestehen ihm dieses Recht allerdings nicht zu -, gehen zur gleichen Zeit in Tikrit mehrere Autobomben hoch und töten zwei Polizisten, ein Ex-General Saddams wird gefangengenommen und Falludschah wird ein weiterer Fall für die Statistik, wenn auch ein sehr beunruhigender: Dies war bereits der sechste Luftangriff auf die von Aufständischen gehaltene Stadt in weniger als 5 Wochen. Und über keinen der Angriffe gibt es unabhängige Berichte. Bei den Toten handle es sich um “Terroristen”, so Mr. Allawis Büro. Lügen die Ärzte also?

Wie in Afghanistan so im Irak. Die Luftangriffe der USA werden “unberichtbar” (uncoverable), da in beiden Ländern immer mehr Highways infolge zunehmender Aufstände zu gefährlich sind für die ausländischen Korrespondenten. Erfahrene US-Journalisten behaupten, Washington sei sehr zufrieden mit dieser Situation; Hochzeitsfeiern bombardieren und hinterher behaupten, die Opfer seien Terroristen - dreimal in einem einzigen Jahr - macht einfach keine guten Schlagzeilen.

Man kann den Reportern wegen ihrer Reiseunlust keinen Vorwurf machen - allerdings müssen sie klarstellen, dass die Daten aus Bagdad ihrer Arbeit keine Authentizität verleihen. Falludschah liegt nur 25 Meilen außerhalb Bagdads - genausogut könnte es 2500 Meilen entfernt liegen. Und die Berichte über das dortige Leid könnten ebensogut in Hull verfasst sein - in Hinblick auf deren Verlässlichkeit. Das ist der zentrale Punkt der derzeitigen Informationskrise im Irak. Die Journalisten sitzen in Bagdad fest - einige haben ihre Hotels seit über zwei Wochen nicht mehr verlassen -, und so wird ein bombenfreier Tag in der Hauptstadt schnell zum bombenfreien Tag im Irak: eine Verbesserung. Vielleicht ginge es ja bergauf.

Die meisten Journalisten sagen ihren Zuschauern oder Lesern allerdings nicht, dass sie nicht herumreisen können - und ganz sicher geben sie nicht preis, dass sie von “Sicherheitsberatern” beschützt werden -, sodass diese Zuschauer und Leser nichts über die Realität in Städten wie Falludschah, Ramadi oder Samara, die derzeit außerhalb jeder Kontrolle der Regierung liegen, erfahren. Die amerikanischen Marines dürfen das Zentrum Falludschahs inzwischen nicht mehr betreten, dort herrscht die ‘Falludschah-Brigade’, bestehend aus alten Bathisten und neuen Aufständischen. The Independent verzichtet auf Sicherheitsberater im Irak, bewaffnete oder unbewaffnete.

Was aber ist in Falludschah passiert? Der US-Angriff auf das Haus gestern Nacht um 2 Uhr hat das Gebäude in eine Erdkuhle verwandelt, in der man kleine Bombenfragmente, Arme und Beine findet. Die Menschen vor Ort sagen über das Haus, es war das Wohnhaus armer Leute. Am Ort des Geschehens rufen Gruppen wütender Männer: “Gott ist groß”. Zur gleichen Zeit sagt ein Offizieller in Mr. Allawis Büro, “die multinationalen Kräfte (= Amerikaner) haben Premierminister Allawi um Erlaubnis gefragt, Angriffe gegen einige spezifische Orte, wo sich Terroristen versteckt hielten, durchzuführen, und Allawi gab die Erlaubnis”. Genau die gleiche Formel benutzten vor 84 Jahren irakische Behörden, als die Royal Airforce (RAF) mit ihren Flugmaschinen “präzise” Angriffe auf irakische Städte und Dörfer flog, die angeblich Aufständische - gegen die Besatzung der Briten - beherbergten. Ironie: eine der US-Basen nahe Falludschah, die derzeit Nacht für Nacht von irakischen Gewehrschützen angegriffen werden, ist Habbaniya - genau jene Basis, von der aus die britischen Doppeldecker damals ihre Luftangriffe flogen.

Auf einer islamistischen Website - niemand weiß wirklich, wer sie kontrolliert -, behauptet Abu Musab al-Zarqawi, einer von Osama bin Ladens Junior-Fightern, die Selbstmordanschläge vom Samstag auf den irakischen Justizminister und ein Militär-Rekrutierungszentrum in Mohammediya, bei denen insgesamt 8 Iraker getötet wurden, seien sein Werk. Das US-Militär macht “Leute, die den Fortschritt der Demokratie in diesem Land stoppen wollen”, für die Bomben verantwortlich - eine etwas seltsame Beschreibung für eine Organisation, die man beschuldigt, nicht nur die von den USA bestellte Regierung (im Irak) vernichten zu wollen sondern auch die USA selbst.

Die Tikriter Festnahme von General Sufian Maher Hassan von Saddams Republikanischer Garde wurde als weiterer Sieg der US-Armee dargestellt. General Hassan war 2003 für die Verteidigung Bagdads verantwortlich. Er wird verspottet als der Mann, der ein potentielles Stalingrad (der Amerikaner) in den leichtesten Sieg des amerikanischen Militärs in der modernen Geschichte verwandelte - was so nicht stimmt, aber das ist eine andere Geschichte -, also wird seine Gefangennahme nichts an der sich verschlimmernden Sicherheitskrise im Irak ändern.

Mit teuflischem Genuss stellten derweil saudische Wahabiten die Exekution eines gefangenen Amerikanern in Saudi-Arabien auf ihre Website. Die Bilder zeigten einen Mann in weißem Schurz, der an Genick und Wirbeln von John Palmer herumsägt. Anschließend stellt er den abgetrennten Kopf auf den umgedrehten Torso Palmers. Angesichts dieses grausamen Beweises westlicher Verwundbarkeit ist es kein Wunder, dass die Journalisten im Irak - wo ja vergleichbare Videos produziert werden -, diesem Schicksal möglichst entgehen wollen. Allerdings sind es nicht nur die Killer, die nicht wollen, dass die Reporter vor die Tür gehen.

Quelle: ZNet Deutschland vom 22.07.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Crisis of Information” .

Veröffentlicht am

26. Juli 2004

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