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Hat Bush gelogen?

Von Noam Chomsky - Turning the Tide / ZNet 31.05.2004

Hat Bush wegen der Gründe für den 11. September gelogen (“Sie hassen unsere Freiheit”, etc)?

Ich glaube hier muss man ein wenig vorsichtig sein.

Lügen setzt eine gewisse Kompetenz voraus: zumindest braucht es dazu ein Verständnis um den Unterschied zwischen wahr und falsch. Wenn ein 3-Jähriger etwas offenkundig Falsches sagt, darf man das wohl nicht als Lüge bezeichnen. Gleiches gilt für jene monströsen Enten die Reagan entglitten, wenn er der Kontrolle durch seine Berater entkam. Der arme Kerl hatte wahrscheinlich keine Ahnung. Ich denke, mit Bush verhält es sich ähnlich.

Es gibt eine Liste von “Enthüllungsbüchern” (Woodward, etc.), die ernstgenommen werden, aber ehrlich gesagt verstehe ich nicht warum. Von den Leuten die, die er interviewt, haben einige das Zeug zum Lügen, und es macht ganz einfach Sinn anzunehmen, dass sie dies auch tun - warum sollten sie ihm die Wahrheit sagen. Was die anderen angeht, so ist es ziemlich egal was sie ihm sagen. Das Gleiche gilt auch für diejenigen, die tief in irgendwelchen religiösen Kulten stecken, wie etwa die neo-konservativen Intellektuellen in Washington. Es fällt schwer darüber zu urteilen, ob sie fähig sind zu lügen, ganz so wie im Falle eines Menschen der den direkten Draht zu irgendeiner Gottheit hat.

Für jene die versucht haben, ernsthafte und ehrliche Kommentatoren zu sein, waren die Antworten auf die Frage “warum sie uns hassen” schon immer mühelos zu finden, und das systematische Meiden der drängendsten Beweise (was Anthropologen manchmal “rituelle Vermeidung” nennen) ist bestechend. Ich habe hierzu Einiges geschrieben - in ‘World Orders’, zum Beispiel, als die Geheimdokumente der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Hier die knappen Umrisse.

Eisenhower und sein Stab sorgten sich während der 50er Jahre um die “Hasskampagne” gegen uns in der arabischen Welt, und sie begriffen die Ursachen: Die Meinung, dass die USA strenge und unterdrückerische Regierungen unterstützt und Demokratie und Entwicklung blockiert, um so die Energiereserven der Region zu kontrollieren. Während der folgenden Jahre blieben diese Gründe bestehen, und neue kamen hinzu.

Als das Wall Street Journal und andere die Meinung wohlhabender Muslime (Bankiers, Manager transnationaler Konzerne, Firmenanwälte, etc.) nach dem 11. September untersuchten, fanden sie diese und andere Gründe: die entschiedene Unterstützung seitens der USA für Israels schreckliche Unterdrückung der Palästinenser und den Raub ihrer Ressourcen, sowie die mörderischen Sanktionen der USA und Großbritanniens, die dabei waren, die Zivilgesellschaft des Irak zu vernichten. In den Dörfern und auf den Straßen waren die Meinungen noch weitaus extremer. Da westliche Intellektuelle nur ungern unangenehme Wahrheiten über sich selbst hören, beglückt man uns statt dessen, wie zu erwarten, mit einer ganzen Reihe von Phantasiegründen darüber “warum sie uns hassen”.

So ist es bis heute.

Beispiel Irak. Als Ausgangspunkt dient westlichen Intellektuellen die unbewiesene Annahme, es ginge den USA darum, dem Irak, dem Mittleren Osten und der Welt Demokratie zu bringen - was die elitäre Presse manchmal Bushs “messianischen Auftrag” nennt. Kritiker der liberalen Presse (z.B. die New York Review, American Prospect, etc.) pflichten bei, es sei eine edle und großmütige Vision, warnen aber, dass sie außerhalb unserer Möglichkeiten liegt, etc. Iraker sehen dies offenbar anders.

Wenige Tage nachdem der Präsident in Washington vergangenen November unter stürmischem Applaus seine edle Vision bekräftigte, erschien eine Umfrage in Bagdad, in der die Menschen gefragt wurden, warum die USA einmarschiert sind. Einige stimmten mit der fast einhelligen Meinung der westlichen Elite überein: um Demokratie zu bringen: 1%. 5% sagten, es ginge darum, den Irakern zu helfen. Die meisten anderen gaben die offensichtliche Antwort, jene, die mit einiger Hysterie hierzulande als “Verschwörungstheorie” oder schlimmer abgetan wird: es ginge darum, die Ressourcen des Irak zu kontrollieren und den Mittleren Osten im Sinne der USA und ihres Vasallenstaates Israel neu zu ordnen.

So verhält es sich außerdem nicht nur bei Arabern und Moslems. Viele hochrelevante und wichtige Umfragen werden in den Medien einfach deshalb unterdrückt, weil sie uns zu viel über das verraten, was wir besser nicht wissen sollen. Nehmen wir als Beispiel die Bombardierung Afghanistans - sie bedurfte zufolge der einhellig geäußerten Meinung in den USA und Großbritannien nicht einmal der Diskussion. Nur Traumtänzer und absolute Pazifisten konnten dagegen sein, so wurde uns von den führenden Moralphilosophen feierlich versichert: vom Herausgeber der New York Times und anderen.

Um diese Haltung aufrechtzuerhalten musste man eine internationale Gallup-Umfrage unterdrücken, die gleich nach der Ankündigung der Bombardierung durchgeführt worden war. Darin fand sich nur sehr geringfügige Unterstützung. In Lateinamerika, jener Region, welche die Macht der USA am besten kennt, gab es praktisch keine Unterstützung. In Mexiko sprachen sich 2% für den Angriff aus, aber nur sofern dabei keine zivilen Ziele getroffen würden (was natürlich doch geschah, gleich zu Beginn), und auch nur sofern die Verantwortlichen für den 11.September bekannt wären (acht Monate später gab das FBI zu, dass sie noch immer lediglich “glaubten” dass der Plan womöglich in Afghanistan ausgearbeitet aber anderswo durchgeführt wurde). Befürworter, die diese Einschränkungen nicht machten, gab es praktisch keine, wohin man auch schaut. Das durfte aber nicht sein, also wird es totgeschwiegen, bis heute. Gleiches gilt für die Frage “warum sie uns hassen.”

Dasselbe überall. Vor ein paar Tagen lauschte ich zufällig NPR [öffentlich-rechtliches Radio in den USA], wo die üblichen schmeichlerischen Stimmen darüber sprachen, dass Moqtada al-Sadr eine Randfigur sei, und die Iraker voller Abneigung für ihn wären. Mag sein. Andererseits hatte ich eben in der seriösen London Financial Times von einer Umfrage gelesen, die als recht glaubwürdig behandelt und noch vor den Enthüllungen über Folterpraxis durchgeführt worden war. Sie kam zum Schluss, dass die Angriffe auf Moqtada ihn zur zweitbeliebtesten Person im Irak gemacht haben, gleich nach dem Ayatollah Ali Sistani. 1/3 der Befragten bekundete “Unterstützung” für ihn, ein weiteres Drittel sogar “starke Unterstützung”. Als Grund wurde angeführt, er habe sich wenigsten der verhassten Besatzung entgegengestellt. Vielleicht ist das hier erschienen. Ich habe es nicht gesehen.

Aus den erwähnten Gründen würde ich also das, was sie beschreiben, nicht “Lüge” nennen wollen. Diese Gründe betreffen einen großen Kreis, nicht nur 3-Jährige, Kultanhänger und arme Kerle, deren Kenntnisse über die Welt so ziemlich auf das beschränkt sind, was auf ihren Merkzetteln steht.

Posted by Noam Chomsky at May 31, 2004 12:11 PM

Quelle: ZNet Deutschland vom 03.06.2004. Übersetzt von: Patrick Mueller. Orginalartikel: “Bush Lying?”

Veröffentlicht am

04. Juni 2004

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