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Schilys Mission erfüllt: bessere Asylstandards für EU verhindert. PRO ASYL: Europäisches Asylrecht in katastrophalem Zustand

Unmittelbar vor dem Beitritt von zehn neuen Mitgliedstaaten gaben die Innenminister der 15 “alten” EU-Staaten in Luxemburg ein gemeinsames Asylrecht mit der umstrittenen Drittstaatenregelung. Die Minister einigten sich auf eine Richtlinie, die eine Zurückweisung von Asylbewerbern an der Grenze erlaubt, wenn diese aus vorab festgelegten sicheren Drittstaaten kommen. Auch eine Abschiebung vor der Entscheidung über so genannte Folgeanträge der Asylbewerber ist danach möglich.

Nach der neuen Richtlinie über Mindestnormen für Asylverfahren können Bewerber schon bei der Einreise ohne nähere Prüfung ihres Falls zurückgeschickt werden, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat kommen. Als sicher gilt ein solches Transitland, wenn es die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert hat und einhält. Es muss auch ein gesetzlich geregeltes Asylverfahren haben und die europäische Menschenrechtskonvention respektieren.

In anderen Fällen soll das Drittstaatskonzept nur angewandt werden dürfen, wenn die Behörden sich von der sicheren Lage für den Flüchtling überzeugt haben. Auch die gesonderte Bewertung einzelner Landesteile und bestimmter Bevölkerungsgruppen soll in das Regelwerk eingegangen sein.

Bundesinnenminister Otto Schily zeigte sich sehr zufrieden mit dem Ergebnis, das er so nicht erwartet gehabt habe: “Für uns ist es wichtig, dass die in Deutschland erfolgreich praktizierte Drittstaatenregelung erhalten wird.” Weil die Bundesrepublik künftig nur noch von EU- Ländern und der Schweiz umgeben sei, habe die Regelung für Deutschland auch keine praktische Bedeutung mehr.

Menschenrechtsorganisationen hatten bereits im Vorfeld des Treffens generelle Kritik an der Drittstaaten-Regelung angemeldet. Die deutsche Menschenrechtsorganisation PRO ASYL kritisierte am Donnerstag, der Zustand des europäischen Flüchtlingsschutzes sei katastrophal. Die EU-Innenminister hätten die Schutzstandards stark herunter gefahren. Ein Großteil der Flüchtlinge komme aus Kriegs- und Krisengebieten, wo massive Menschenrechtsverletzungen stattfinden: Irak, Afghanistan, dem Kosovo, Ex-Jugoslawien, Somalia und Tschetschenien. Es bestehe die Gefahr, dass die Drittstaaten Flüchtlinge einfach in das Herkunftsland durchreichten. Als sichere Drittstaaten vorgesehen sind unter anderem Weißrussland, die Ukraine und die Türkei. Pro Asyl gab Schily die Hauptverantwortung (siehe unten).

Minister Schily wies diese Kritik zurück. Diese sei “ohne jede Grundlage”. Er betonte, das Regelwerk nehme nicht die Bewertung einzelner Länder als sichere Drittstaaten vorweg. Deutschland habe das künftige EU-Mitglied Polen als sicheres Land für Flüchtlinge angesehen. Für Weißrußland, das nach der EU-Erweiterung am Samstag an die Gemeinschaft grenzen wird, treffe dies “sicherlich nicht” zu. Auch bei der Ukraine oder Rußland würde er Fragezeichen setzen, sagte der Bundesinnenminister.

Stellungnahmen der Menschenrechtsorganisation PRO ASYL sowie des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) zum Beschluss der EU-Innenminister dokumentieren wir in dem Artikel: “EU-Asylverfahren beschlossen. Handstreichartig demontiert Europäische Union Flüchtlingsschutz” .

Nachfolgend veröffentlichen wir die Kritik, welche die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL in einer Presseerklärung am Donnerstag, 29.04.2004, noch vor der Einigung der EU-Innenminister übte, sowie das dazu beigefügte: “Deutsches Sündenregister ? Restriktionen als Exportartikel”.


EU: Letzte Ratstagung Justiz und Inneres vor der Erweiterung
Schilys Mission erfüllt: bessere Asylstandards verhindert - PRO ASYL: katastrophale Bilanz - Harmonisierungsprozess gescheitert

Bundesinnenminister Otto Schily hat seine Mission erfüllt. In den fünfjährigen Verhandlungen auf EU-Ebene verhinderte er nicht nur nachhaltig bessere Asylstandards, sondern forcierte maßgeblich den kollektiven Ausstieg aus dem internationalen Flüchtlingsschutz. Anlässlich des letzten Innenministertreffens vor der Erweiterung der Europäischen Union in Luxemburg zieht PRO ASYL Bilanz: Der Zustand des europäischen Asylrechts ist katastrophal. Der Harmonisierungsprozess ist gescheitert. Statt ein europäisches Asylrecht zu kreieren, haben die EU-Innenminister die Schutzstandards in den Keller gefahren. Die Hauptverantwortung für diese dramatische Entwicklung liegt bei der rot-grünen Regierung in Berlin.

Seit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages im Mai 1999 gibt es unterm Strich weniger Flüchtlingsschutz in der EU. Die letzten fünf Jahre waren gekennzeichnet von einem beschleunigten Wettlauf der Restriktionen. In nahezu allen EU-Staaten fanden grundlegende Verschärfungen des Asylrechts statt. Lager und Abschiebungshaftanstalten schießen europaweit wie Pilze aus dem Boden. Obdachlose oder gar inhaftierte Asylsuchende gehören mittlerweile zum europäischen Alltag.

Die zeitgleich beschlossenen EU-Maßnahmen stoppen diesen innereuropäischen Abschreckungswettbewerb nicht, sondern werden diesen noch weiter verschärfen.

Im Kreise der Blockierer und Verhinderer eines gemeinsamen europäischen Asylsystems nimmt Deutschland Platz eins ein. Bundesinnenminister Otto Schily nutzte seine Vetomöglichkeit weidlich und unverantwortlich, um anvisierte höhere europäische Standards auf das deutsche Niveau abzusenken (siehe Anlage: Deutsches Sündenregister ? Restriktionen als Exportartikel).

Heute droht die politische Einigung über die so genannte Asylverfahrensrichtlinie. Diese Bezeichnung ist ein Etikettenschwindel. Das Ergebnis ist eine Asylverweigerungsrichtlinie.

Die Bundesregierung will auf Biegen und Brechen die deutsche Drittstaatenregelung auf die EU-Ebene exportieren. Asylsuchende könnten demnach europaweit von Grenzbeamten ohne Einzelfallprüfung in neue “sichere Drittstaaten” zurückgewiesen werden. Die potenziellen künftigen “sicheren Drittstaaten” hießen dann Russland, Weißrussland, Ukraine, Rumänien, Bulgarien, Serbien, Kroatien, Mazedonien, Albanien und Türkei ? Staaten, in denen Menschenrechtsverletzungen noch immer an der Tagesordnung und internationale Flüchtlingsrechtsstandards nicht vorhanden sind.

Genau zu dem Zeitpunkt, zu dem die bestehende deutsche Drittstaatenregelung keine praktische Bedeutung mehr hat, setzt Deutschland alles daran, dem Staatenverbund aus 25 Mitgliedern diese völkerrechtswidrige Praxis aufzunötigen.

Menschenrechts? und Flüchtlingsorganisationen aus ganz Europa fordern, dass diese Richtlinie nicht beschlossen wird. Gelingt es, das “deutsche Modell” in den Verhandlungen durchzusetzen, werden die neuen Mitgliedsstaaten umgehend ihre nationalen Bestimmungen anpassen. Die Nachbarregionen der EU folgen über kurz oder lang. Dieser Dominoeffekt gefährdet das existierende internationale Flüchtlingsschutzsystem. Flüchtlinge könnten von Land zu Land durchgereicht werden ? es drohen gar die Kettenabschiebungen bis ins Verfolgerland.

Presseerklärung von PRO ASYL vom 29.04.2004

Anlage: Deutsches Sündenregister ? Restriktionen als Exportartikel (Auszüge)

Den Kommissionsvorschlag zu Asylverfahren bekämpfte Deutschland so nachhaltig, dass er völlig überarbeitet werden musste. Bereits mit dem zweiten Entwurf vom Juli 2002 fand eine deutliche Akzentverschiebung in Richtung einer größeren Abschreckung von Asylsuchenden statt.

Die Bundesregierung blockierte monatelang ? gegen alle anderen EU-Mitgliedstaaten ? die Verabschiedung der Richtlinie zum Flüchtlingsbegriff mit dem Hinweis: Erst das deutsche Zuwanderungsgesetz ? Europa muss warten. Damit am 30. März 2004 doch noch das Fundament eines europäischen Asylrechts gelegt werden konnte, erfuhr die Richtlinie weitere Verwässerungen, um zahlreiche deutschen Vorbehalte auszuräumen.

Deutschland sorgte dafür, dass die Rechte von Flüchtlingen, denen menschenrechtlicher bzw. ergänzender Schutz gewährt wird, massiv herabgestuft wurden. Aus verbindlichen Mindeststandards wurden Kann-Bestimmungen. Es ist möglich, dieser Flüchtlingsgruppe nur soziale und medizinische “Kernleistungen” zu gewähren und den Zugang zum Arbeitsmarkt einzuschränken. Integrationsleistungen werden nur noch angeboten, wenn es die Nationalstaaten als “sinnvoll” erachten. Darüber hinaus können den Familienmitgliedern solcher Flüchtlingen ein geringerer Status und weniger soziale Rechte zugestanden werden.

Die anvisierten hohen europäischen Schutzstandards für Flüchtlingskinder erfuhren in der Aufnahmerichtlinie einschneidende Einschränkungen. Unbegleitete Minderjährige können bereits ab 16 Jahren in Lagern zusammen mit erwachsenen Asylsuchenden untergebracht werden. Im Entwurf der Asylverfahrensrichtlinie schraubte Deutschland den europäischen Standard bei der so genannten Verfahrensmündigkeit von 18 auf 16 Jahren herunter. Die kinderfeindliche deutsche Praxis entwickelt sich vermutlich via EU-Richtlinien zum Exportschlager in die anderen 24 EU-Staaten.

Deutschland setzte in der Aufnahmerichtlinie ihre EU-weit einzigartige Einschränkung der Bewegungsfreiheit für Asylsuchende (die sogenannte Residenzpflicht) als Kann-Bestimmung durch. Deutschland verhinderte, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylsuchende auf der europäischen Ebene geregelt wurde. Der Bundeskanzler schaltete sich dafür höchstpersönlich ein ? obwohl dieser Bereich eindeutig in EU-Kompetenz fällt und obwohl die Bundesrepublik bereits bei der politischen Einigung im April 2002 zugestimmt hatte. Großbritannien nutzte die monatelange bundesdeutsche Blockadepolitik als Vorlage und verhandelte eine weitere Verschärfung in die bereits beschlossene Richtlinie: Künftig können allen Asylsuchenden, die nicht “unverzüglich” einen Antrag stellen, Sozialleistungen völlig verweigert werden.

Deutschland filetierte gemeinsam mit Österreich die Richtlinie zur Familienzusammenführung, bis die angenommene Fassung nichts mehr mit dem ursprünglichen Ansatz der Kommission gemein hatte. Die Richtlinie beinhaltet auf deutsches Drängen hin eine Ausnahmevorschrift, die eine Herabsenkung des Nachzugsalters bei Migrantenkindern von 18 auf 12 Jahre ermöglicht. Unter anderem dieser Passus stieß auf große Empörung im Europaparlament. Am 11. Dezember 2003 entschied es deshalb, die Richtlinie dem Europäischen Gerichthof in Luxemburg vorzulegen, um sie annullieren zu lassen.

Eine Aufzählung, die sich beliebig fortsetzen lässt.

Quelle: PRO ASYL vom 29.04.2004

Veröffentlicht am

30. April 2004

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