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Bikinis strahlender Jahrestag - Atomtestfolgen im Pazifik 50 Jahre nach der “Bravo”-Bombe

Von Michael Schmid

Am 1. März 2004 ist der 50. Jahrestag der Detonation der US-Wasserstoffbombe “Bravo” auf dem Bikini-Atoll. Zwischen 1946 und 1958 testeten die USA auf dem Bikini- und dem benachbarten Eniwetok-Atoll annähernd 70 Atom- und Wasserstoffbomben. Der verheerendste Test fand am 1. März 1954 statt, bei dem durch die Detonation der Wasserstoffbombe mit dem Code-Namen “Bravo” hunderte Insulaner im Pazifik radioaktiv verseucht wurden (auf dem Foto unten ist der sogenannte Baker-Test auf dem Bikini-Atoll vom 24. Juli 1946 abgebildet - die erste Zündung einer Atombombe unter Wasser. Auch wenn diese Explosion schon ziemlich viel an zerstörerischer Gewalt und tödlichem Potential ahnen lässt, die Explosion von “Bravo” war ca. 1000 x so groß).

Manche der Insulaner nahmen binnen Stunden Strahlendosen von 20.000 Rem auf. Zum Vergleich: Der höchste zulässige Belastungswert für Bedienstete in einem deutschen AKW liegt bei 1,5 Rem pro Jahr. Die “Bravo”- Bombe übertraf mit der über 1000-fachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe alle anderen US-Tests, war jedoch nur eine von 67 atmosphärischen Atomtests auf den Bikini- und Eniwetok-Atollen. Bewohner umliegender Inseln wurden einer hohen Strahlendosis ausgesetzt, und noch drei Monate später konnten japanische Wissenschaftler die radioaktive Verseuchung 4.500 km vom Explosionszentrum entfernt messen. Die Explosion der stärksten US-amerikanischen Bombe am 1. März 1954 hat weite Teile des Pazifiks radioaktiv verseucht und Strahlenkrankheiten bei den Bewohnern der umliegenden Inseln verursacht (siehe unten den Bericht von Lijon Eknilang).

Wo Frankreich seine Atomversuche durchführte, ringen die Polynesier bis heute um die Anerkennung ihrer Krebserkrankungen als Folge der Tests. Und die Menschen von Christmas Island warten bislang vergeblich auf Kompensationen für britische Atombombentests.

1977 erklärte das US-Energieministerium: Die verstrahlten Menschen seien “die beste verfügbare Datenquelle zum Transfer von Plutonium, das von einem biologischen System durch die Darmwände aufgenommen wurde”.

Zwischen 1945 und 1998 wurden “zu Testzwecken” weltweit 2051 Atombomben gezündet, davon fast 300 auf und über pazifischen Inseln. Eine noch größere Bombe als “Bravo” zündete die Sowjetunion 1961 auf der Nordmeer-Insel Nowaja Semlja. Ihre Sprengkraft soll 55 Megatonnen TNT betragen haben.

Die schwerwiegenden Folgen von Atomexplosionen geraten zunehmend in Vergessenheit. Dieser Eindruck verstärkt sich angesichts der neuen politischen Debatte um Entwicklung und Einsatz von “Mini-Nukes”, nuklearen “Bunker Busters” und um die mögliche Wiederaufnahme von Atomtests im Zeichen der internationalen Terrorbekämpfung.

Seit einigen Jahren erinnern am 1. März Menschenrechts- und Umweltgruppen an die Menschen im Pazifik, welche Gesundheit, Heimat und Leben durch die Atombombenversuche verloren. Gleichzeitig warnen sie gemeinsam mit PazifikbewohnerInnen vor den Atomwaffengefahren, wie jetzt anlässlich des 50. Jahrestages der Detonation von “Bravo” am 1. März 1954 in Berlin und auf den Marshall Inseln.

“Verstrahlte Trauminseln und vergessene Atomtestopfer mahnen angesichts der US-Pläne zu Weiterentwicklung und Einsatz vermeintlich harmloser, ‘kleiner’ Atomwaffen,” so die Vorsitzende des Pazifik-Netzwerks e.V., Marion Struck-Garbe. “Es wird Zeit, aus den Erfahrungen der Pazifikbewohner mit den Folgen von Atomwaffentests zu lernen.”

Das Pazifik-Netzwerk setzt sich seit 1988 dafür ein, das Recht auf Selbstbestimmung der Völker im Pazifik im politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich durchzusetzen und der zunehmenden Umweltzerstörung und deren Auswirkungen im Pazifik entgegen zu wirken.

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Lijon Eknilang von den Marshall-Inseln

Lijon Eknilang hat als Kind die Explosion der stärksten US-amerikanischen Bombe am 1. März 1954 miterlebt, die weite Teile des Pazifiks radioaktiv verseuchte und Strahlenkrankheiten bei den Bewohnern der umliegenden Inseln verursachte. Hier ihr erschütternder Bericht.

Am Morgen des 1. März 1954 detonierte auf dem Bikini-Atoll die größte Bombe, die die USA jemals gezündet haben. Die Wasserstoffbombe mit dem Code-Namen ‘Bravo’ hatte eine 2 œ mal so hohe Sprengkraft wie vorausberechnet, der Test war trotz ungünstiger Witterungsbedingungen nicht verschoben worden und geriet damit zur schlimmsten Strahlenkatastrophe der US-Geschichte. Der Explosionskrater hatte einen Durchmesser von 2 Kilometer und war 76 Meter tief. Millionen Tonnen von Material wurden in die Luft gerissen und regneten Stunden später als radioaktiver “Schnee” auf die Bewohner der zu den Marshall Islands gehörenden Inseln Rongelap, Ailinginae, Rongerik und Bikar, auf eine amerikanische Wetterstation und auf die Besatzung eines japanischen Fischkutters nieder.

“Wir Kinder spielten in dem Pulver, das machte Spaß”

Lijon Eknilang ist an diesem 1. März gerade acht Jahre alt geworden, als sie und die anderen Bewohner der Insel Rongelap durch ein sehr helles Licht geweckt wurden, dem später ein ohrenbetäubender Knall folgte. Die verängstigten Menschen versammelten sich am Strand, die Dorfältesten mutmaßten, der Weltkrieg habe wieder angefangen und ordneten an, dass Nahrungsmittelvorräte anzulegen seien. Während Fische, Krebse und Vögel gefangen wurden, um sie auf dem Boden in der Sonne zu trocknen, spielten die Kinder in dem weißen Pulver, das vom Himmel fiel. “Schnee”, das hatten sie von Missionaren schon gehört.

“Am späten Nachmittag wurde ich sehr krank, ich fühlte mich, als ob ich spucken müsste, und ich hatte starke Kopfschmerzen. Den anderen Leuten auf den Inseln erging es genauso. Am Abend fing unsere Haut an zu brennen, als ob wir den ganzen Tag lang an der prallen Sonne gewesen wären. Am nächsten Tag wurde alles noch schlimmer. Große Brandwunden begannen sich auf unseren Beinen, Armen und Füßen auszubreiten und sie taten sehr weh. Viele von uns verloren ihre Haare.”

Das Wasser in den Wassertonnen hatte sich verfärbt, aber die durstigen Menschen tranken es trotzdem. Zweieinhalb Tage später kam ein amerikanisches Schiff, um die Inselbewohner, die alles zurücklassen mussten, auf den US-Militärstützpunkt auf dem Kwajalein-Atoll zu bringen. Drei Jahre später befand die US-Atomenergiekommission, dass Rongelap wieder sicher sei.

“Bei unserer Rückkehr im Juni 1957 hatte sich vieles auf unseren Inseln verändert. Einige unserer Nahrungsmittel, wie zum Beispiel die Pfeilwurzel, waren völlig verschwunden. Andere (?) trugen keine Früchte mehr. Was wir aßen, verursachte Bläschen auf unseren Lippen und im Mund und wir litten unter starken Magenschmerzen und Übelkeit.”

“In den frühen 60er Jahren fingen all die Krankheiten an, die wir jetzt durchmachen. Viele Menschen leiden unter Schilddrüsentumoren, Totgeburten, Augenkrankheiten, Leber- und Magenkrebs und Leukämie. (?) Auch meine eigene Gesundheit hat aufgrund der radioaktiven Vergiftung gelitten. Ich kann keine Kinder bekommen. Ich hatte sieben Fehlgeburten. (?) Die am häufigsten vorkommenden Missgeburten auf Rongelap und den anderen Atollen der Marshall-Inseln waren die ?Quallenbabies’. Diese Kinder werden ohne Knochen und mit durchsichtiger Haut geboren. Wir können ihre Gehirne betrachten und ihre Herzen schlagen sehen. Aber sie haben keine Beine, keine Arme, keinen Kopf, nichts. Einige dieser Geschöpfe haben wir acht oder neun Monate lang ausgetragen. Sie leben normalerweise einen oder zwei Tage lang.”

Den Bitten der Bewohner von Rongelap, ihre verseuchte Insel verlassen zu dürfen, kam keine US-Regierung nach. Erst 1985 half ihnen das Greenpeace-Schiff ?Rainbow Warrior’ beim Umsiedeln auf das wenig fruchtbare, aber nicht verstrahlte Eiland Mejato. Heute sagt Lijon Eknilang:

“Ich weiß aus erster Hand, welche verheerenden Auswirkungen auch über längere Zeit und größere Entfernungen Atomwaffen haben und was dies, über Generationen hinweg, für unschuldige Menschen bedeutet”, und sie bittet deshalb darum, alles zu tun, um zu verhindern, dass sich die Leiden, die die Bewohner der Marshall-Inseln durchmachten, irgendwo auf der Welt wiederholen.”

Quelle: Pazifik-Informationsstelle

Kontakte:
Pazifik-Netzwerk: Ingrid Schilsky, Erich-Kästner-Ring 17, 22175 Hamburg, Tel.: 040/ 640 83 93, Fax: 040/ 640 83 39, Email: ueckert-schilsky@t-online.de

Pazifik-Informationsstelle: Pazifik-Informationsstelle , Hauptstr. 2, D-91564 Neuendettelsau, Tel.: 09874-91220, Fax: 09874-93120, info@Pazifik-infostelle.org

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Veröffentlicht am

28. Februar 2004

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