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Hölle auf Erden - Israel säubert Rafah “ethnisch”

Von Mustafa Barghouti - ZNet 12.02.2004

Über den katastrophalen Kreislauf der Gewalt, der Israel und Palästina im Griff hat, berichten die Nachrichten ausführlich. Kaum berichtet wird hingegen über die eher verborgenen Aspekte des Konflikts. Im Rahmen seiner Besatzung Palästinas hat Israel eine ganze Litanei an Gräueln begangen. Dabei zählen die Verbrechen, die täglich an unschuldigen Zivilisten in Rafah verübt werden, zu den abscheulichsten. Selbst auf dem breitgefächerten Hintergrund der Besatzung insgesamt stellt sich die Situation in Rafah als besonders tragisch dar; den Einwohnern werden immer katastrophalere Bedingungen zugemutet. Es besteht kein Zweifel, die israelische Politik in Rafah kommt einem Prozess der “ethnischen Säuberung” gleich. Und wie so oft in der Geschichte lässt man der humanitären Katastrophe einfach ihren Lauf. Die Welt legt die Hände in den Schoß.

Rafah ist der bevölkerungsreichste Distrikt einer der übervölkertsten Regionen der Erde. Was die Menschen hier erleben: das Land schwindet kontinuierlich unter ihren Füßen. Denn die wiederholten israelischen Einmärsche berauben sie systematisch ihrer Häuser, ihrer Existenz, ihrer Würde. Formell ist Rafah eine einzige Stadt. Aber nach dem Camp-David-Abkommen 1978 wurde Rafah in zwei Hälften geteilt. Seither gehört die eine Hälfte zu Ägypten. Seit dieser Zeit sind entlang der Küste israelische Siedlungen entstanden. Die Siedlungen schneiden zusätzlich in die ohnedies geteilte Stadt ein. Die palästinensische Hälfte Rafahs ist heutzutage eine zusammengewürfelte Ansammlung schmutziger Camps - eingesäumt von einem Ring aus Stahl. Die Infrastruktur der Stadt wurde erfolgreich zerstört und die Menschen in Armut gestürzt. Die Arbeitslosigkeit in der Region liegt bei über 80%. Israel hat es in auffälliger Weise auf die Infrastruktur der Stadt abgesehen, die sanitären Zustände in den Lagern sind entsprechend erbärmlich.

An den Rändern der Stadt wird eine Häuserzeile nach der andern dem Erdboden gleichgemacht. Dabei schreiten die israelischen Zerstörungen in einem Tempo voran, mit dem die verkümmerte lokale Infrastruktur nicht Schritt halten kann - einfach hoffnungslos. Unterstützt vom Hilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) konnten 200 Häuser wiederaufgebaut werden, das Palästinensische Wohnungsministerium schaffte 34. Aber diese Zahlen verblassen angesichts 1 643 zerstörter Gebäude und 16 000 obdachloser Palästinenser - die auf das Konto der Israelis gehen. Letzte Woche kam es zu einer erneuten Runde des zerstörerischen Wütens der israelischen Besatzungstruppen am Stadtrand. Dabei wurden 31 palästinensische Häuser zerstört, 38 lokale Arbeiter wurden im Zuge der Aktion verletzt. Allein dieser letzte Überfall schuf wieder 400 Obdachlose. Auch eine benachbarte Moschee wurde bei der Aktion zerstört, erneuter klarer Beweis, wie wenig Respekt den Palästinensern - auf so ganz beiläufige Weise - entgegengebracht wird.

Es geht nicht nur um die Zerstörung von Eigentum; auch der militärische Klammergriff der Israelis um Rafah wird enger und enger - mit katastrophalen Folgen. Rafah liegt an der ägyptischen Grenze. Dadurch hat die Stadt eine vitale strategische Bedeutung für die Wirtschaft des verarmten Gazastreifens. In der unerhörten Logik der israelischen Regierung stellt Rafah ein natürliches Angriffsziel dar, denn es ist Israels eklatante Absicht, jeden Ansatz von ökonomischer Selbstverwaltung in den besetzten Gebieten zu ersticken. So werden die Arbeiter, die in Rafah leben und zu ihren Jobs nach Ägypten wollen, immer wieder am Grenzübertritt gehindert, oder man lässt sie abends nicht mehr heim nach Rafah. Auch der Zugang zu den großen und kleinen Städten im Gazastreifen wird regelmäßig eingeschränkt. Die lokale Ökonomie soll möglichst behindert werden. Das noch verfügbare Farmland geht rapide zurück und mit ihm der Anbau vor Ort. So zwingt man die Palästinenser immer mehr in die Importabhänigkeit zu Israel. Mittlerweile liegt die Armutsrate in Rafah bei 75% - laut Weltbank-Definition; demgemäß gilt als arm, wer von weniger als 2 Dollar am Tag lebt.
Gegenüber der internationalen Gemeinschaft rechtfertigt die israelische Armee ihre systematische Erniedrigung Rafahs mit dem üblichen Scheinargument, man suche noch immer nach Tunneln, die von Militanten und Schmugglern genutzt würden und die von Rafah über die ägyptische Grenze verliefen. Dabei ignoriert man bequemerweise die Tatsache, dass Israel über jede Menge Ausrüstung verfügt, die es ermöglicht, solche Tunnel zu orten und auszugraben, ohne dass es dabei zu großflächiger Zerstörung und Gewalt kommen muss.

Die Bürger Rafahs sind auf einem immer schmaleren Stück Land zusammengepfercht - sie sind ihrer Häuser beraubt, und versklavt in zehrender Not. Angesichts dessen wird die Täuschungsabsicht hinter den erklärten Zielen Israels evident. Die Einmärsche in Rafah - oder in andere Orte der besetzten Gebiete - dienen vielmehr dem kontinuierlichen Landraub, getarnt als gerechtfertigte Sicherheitsoperation. So schafft man Raum für die Ausdehnung der (jüdischen) Siedlungen, und die israelische Kontrolle über die Grenze wird engmaschiger. An manchen Stellen in Rafah schneiden die (militärischen) Einmärsche bis zu 150m tief in palästinensisches Gebiet ein. So verbreitert man die Pufferzone zur Grenze, ohne dass es Israel etwas kostet - aber für die notleidende Bevölkerung vor Ort ist es eine Katastrophe.

Letztes Jahr kamen in Rafah die internationalen Friedensaktivisten Rachel Corrie und Tom Hurndall sowie der BBC-Kameramann James Miller um. Ihr Tod hat in der internationalen Gemeinschaft einiges an Besorgnis ausgelöst. Die Situation in Rafah, bzw. in den besetzten Gebieten insgesamt, rückte stärker ins Rampenlicht der Medien. Was für eine traurige Haltung allerdings auf der anderen Seite: Die Regierung Scharon wird nur dann aufgefordert, Rechenschaft abzulegen, wenn einem Ausländer, der hier tätig ist, zustößt, was in den letzten drei Jahren doch tausenden u
nschuldigen Palästinensern zugestoßen ist - das tragische Schicksal, getötet zu werden. Die Familie Tom Hurndalls besaß - in einer Zeit, in der sie unerträgliche Trauer litt -, die Größe und den Anstand, diese Tatsache einzuräumen.

Die israelischen Aktionen in Rafah sind ein Verbrechen und eine Schreckensherrschaft gegen unschuldige Zivilisten. In der Vergangenheit hat die Welt solchen Verbrechen zu oft tatenlos zugesehen. Reagiert wurde erst, wenn es zu spät war. Derzeit besteht die Gefahr, dass man überhaupt nicht reagiert - während die Scharon-Regierung, die schon jetzt in Blut watet, die Zivilisten von Rafah in weitere Gemetzel stürzt. Aufgeschreckt durch die wachsende “demographische Gefahr” - will heißen, das Anwachsen der palästinensischen Bevölkerung - hat man mit der “ethnischen Säuberung” begonnen. Es reicht ihnen nicht, Rafah zu einem Ort erniedrigt zu haben, an dem Schrecken und Not herrschen, jetzt scheint es darum zu gehen, die Stadt schrittweise zu eliminieren. Die Welt muss reagieren.

Mustafa Barghouti ist Generalsekretär der ‘Palästinensischen Nationalen Initiative’ PNI.

Quelle: ZNet Deutschland vom 15.02.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Hell Walking On Earth”

Veröffentlicht am

16. Februar 2004

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