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Ja, Herr Minister! - Über die Geheimdienste

Von Uri Avnery - uri-avnery.de / ZNet Deutschland 14.02.2004

In einer Episode der ausgezeichneten britischen Fernsehserie “Ja, Herr Minister!” unterrichtet der Staatssekretär Sir Humphrey seinen Minister, wie man Untersuchungskommissionen einsetzt: Nehmen Sie einen ehrenhaften Richter im Ruhestand, einen senilen Alten, und geben Sie ihm den Untersuchungsauftrag mit einem hohen Honorar. Helfen Sie ihm, selbst zu den erforderlichen Schlüssen zu kommen. Führen Sie ihm die entsprechenden Fakten zu und deuten Sie eine bevorstehende Erhebung in den Adelsstand an.

Zur Zeit laufen parallel, aber getrennt, drei Untersuchungskommissionen, eine amerikanische, eine britische und eine israelische. Von allen drei erwartet man, dass sie herausfinden, warum die Geheimdienste die Regierungen mit falschen Informationen über Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen versorgt haben. Natürlich sind diese Kommissionen in Wirklichkeit nicht notwendig, um die Wahrheit zu finden. Sie sind nötig, um die Regierung zu entlasten. Um zu verstehen, was geschehen ist, ist kein ehrenhafter Lord, früherer Senator oder Geheimdienstoffizier im Ruhestand nötig. Man braucht nur einen normalen gesunden Menschenverstand. Sicherlich entscheidet der, der eine Untersuchungskommission bestimmt, im Voraus, welche Folgerungen gezogen werden. Wenn ein Mitglied des Establishments beauftragt wird, das Establishment zu untersuchen, dann wird das Ergebnis das sein, dass das Establishment tadellos ist.

In Israel z.B. hatten wir die Agranat-Kommission. Shimon Agranat, ein geachteter Richter beim Obersten Gerichtshof, wurde als Vorsitzender einer Kommission berufen und damit beauftragt, herauszufinden, wer wegen der verhängnisvollen Fehlschläge des Yom Kippur-Krieges (1973) anzuklagen wäre. Die Untersuchung war im Voraus nur auf die ersten Kriegstage beschränkt. So waren alle Geschehnisse, die zum Krieg führten (einschließlich der Regierungsentscheidungen) ausgeschlossen. Das Ergebnis: die Ministerpräsidentin (Golda Meir) und der Verteidigungsminister (Moshe Dayan) kamen völlig unbelastet davon. Alle Schuld wurde einigen Armeeoffizieren gegeben. (Diese Folgerungen waren so skandalös, dass die allgemeine Öffentlichkeit dagegen protestierte. Der Bericht der Kommission wurde in den Papierkorb geworfen, Golda und Dayan waren gezwungen worden, ihr Amt abzugeben.)

In England ist die Methode Sir Humphreys noch gang und gäbe. Kürzlich wurde ein ehrenhafter, usw. Richter mit der Untersuchung beauftragt, ob der Ministerpräsident den Geheimdienstbericht aufgebläht habe, um das Land in einen Krieg zu ziehen. Der ehrenhafte Richter folgerte natürlich, dass der Ministerpräsident vollkommen unschuldig ist und dass die feindlich gesinnten Medien (d.h. die BBC) an allem die Schuld tragen. Anders als in Israel steht in Britannien nach einer Entscheidung des Obersten Richters jeder auf und singt “God save the Queen”. Ein paar junge Leute, die sich Richterperücken aufsetzten, warfen weiße Farbe auf die Gebäude in der Downingstreet, um deutlich zu machen, dass der Bericht des Lordrichters “whitewash” war. Aber der Premierminister war nicht gezwungen, sein Amt aufzugeben - an seiner Stelle tat dies der Chef von BBC.

Nun arbeiten also drei Kommissionen. Die israelische, die im Geheimen beauftragt wurde und die im Geheimen arbeitet, wird zuerst fertig sein. Danach wird die britische dran sein (von der gefordert wird, nur die Geheimdienste zu untersuchen, nachdem der Lordrichter die politische Struktur schon untersucht hat). Schließlich wird nach der Wahl in den USA die amerikanische Kommission ihren Bericht veröffentlichen. Alle drei ähneln sich: Sie wurden von den politischen Führern eingesetzt; es wurde ihnen verboten, die politische Führung zu untersuchen, und darum gebeten, die Qualität der von den Geheimdiensten ihren politischen Führern vermittelten Information zu hinterfragen.

Präsident George W. Bush zog die USA auf Grund der Behauptung in den Krieg, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffenhabe, mit denen er Amerika bedroht. Er sagte, Saddam werde solche Waffen an Al-Quaida-Terroristen weiterreichen, die sie benützen würden, um in Amerikas Städten Hunderdtausende umzubringen.

Ministerpräsident Tony Blair sagte seinem Volk, Saddam könne Massenvernichtungswaffen gegen britische Städte innerhalb von 45 Minuten (nicht 40 oder 50, sondern genau 45 Minuten) einsetzen. In Israel verteilte die Sharon-Regierung an die Bevölkerung Gasmasken und erzeugte damit Panik. Sie sagte, Saddam werde uns mit Raketen überschütten, die mit chemischen Gefechtsköpfen bestückt seien. Nun, inzwischen besetzten die Amerikaner und die Briten den Irak, und keine Massenvernichtungswaffen wurden gefunden. Keine chemischen, keine biologischen und keine nuklearen. Nichts dergleichen.

Wie kommt es also, dass alle diese berühmten Geheimdienste unrecht hatten? Wie versorgten sie ihre politischen Führer mit falscher Information und veranlassten Bush & Blair, einen Krieg anzufangen, in dem ein Land verwüstet und viele Menschen getötet wurden? Der normale Menschenverstand würde sagen: Bush & Blair sind getäuscht worden, weil sie getäuscht werden wollten. Bush und die Neo-Kons, die in Washington das Sagen haben, hatten von Anfang an - und schon lange vorher - entschieden, den Irak anzugreifen, hauptsächlich um das Öl unter ihre Kontrolle zu bekommen - und die Geschichten von den Massenvernichtungswaffen wurden nur dazu bestimmt, einen Vorwand zu geben, der die Massen erschreckt.

Verlangten die politischen Führer von ihren Geheimdienstorganisationen ausdrücklich, sie mit Lügenberichten zu versorgen? Natürlich nicht. Die Untersuchungskommissionen werden bestätigen, dass so etwas nicht geschehen ist. Und mit Recht. Die Führer haben nicht um diese gebeten, weil es nicht nötig war, darum nachzufragen. Die amerikanischen, britischen und israelischen Geheimdienstchefs wussten sehr genau, was von ihnen erwartet wurde und lieferten die Ware. Sie wussten, woher ihre Butter aufs Brot kam. Haben die Geheimdienstleute absichtlich ihre Informationen gefälscht, um dies zu erreichen? Natürlich nicht. Das war nicht nötig.

Die Geheimdienste sammeln ungeheure Mengen von Informationen. Aus diesem großen Haufen werden sie die Dinge herausziehen, die sie als glaubhaft betrachten. Wunderbarerweise ist das glaubhafte Material immer das, was die politischen Führer wünschen. Der entscheidende Teil jedes Nachrichtendienstes ist weniger das Sammeln von Informationen als die Auswertung. Wie wird aus Mosaiksteinchen ein Bild? Das ist eine Sache der Beurteilung und der Intuition, die beide einem allgemeinen “Konzept” unterliegen. Dies ist eine psychologische Gestalt im Kopf des Geheimdienstchefs. Und da die Geheimdienstchefs durch die politischen Führer bestimmt wurden, ist es kein Wunder, dass ihre Konzepte beinahe immer zu den Konzepten der Führer passen.

Ich sage voraus, dass alle drei Untersuchungskommissionen, jede in ihrem eigenen Land, zu der Folgerung kommen werden, dass, a) die politischen Führer die Geheimdienstleute nicht darum gebeten hätten, ihre Berichte zu fälschen und auch keinen Druck auf sie ausgeübt hätten, b) die Geheimdienstleute ehrenhaft gehandelt und Geheimdienstauswertungen nach bestem Wissen und Gewissen weitergegeben hätten, c) dass jeder nach der besten Information, die zu jener Zeit zugänglich gewesen sei, gehandelt habe und d) dass es ein beklagenswertes professionelles Versagen gewesen sei. Keiner der drei Kommissionen wird das Selbstverständliche bestätigen: dass die Geheimdienstagenturen unter der Jurisdiktion des Präsidenten (in den USA) und dem Ministerpräsidenten (in Großbritannien und in Israel) sind und dass diese die Verantwortung für die Taten und Untaten tragen. Sie bestimmen die Geheimdienstchefs, und sie sollten sie überwachen. In Anbetracht des ungeheuren Geheimdienstversagens sollten alle drei von ihnen ihren Posten aufgeben. Das wird nicht gesagt werden, und dies wird nicht geschehen.

Wenn alles Versagen den Geheimdienstleuten in die Schuhe geschoben wird, dann sollten diese genauer angeschaut werden. In der ganzen Welt werden sie bewundert. Das Geheimnis, das sie umgibt, schafft fast einen religiösen Kult, der eine große Herde von Journalisten und Schriftstellern nährt. Der Geheimdienstler, der in ihren Geschichten dargestellt wird, ist wie ein Superman, dem Smiley, dem Helden von John Le Carré, ähnlich, ein genialer Mensch, mit einer fast unmenschlichen Intelligenz, kaltblütig und raffiniertem Geist, der sein Netz mit unglaublicher Geduld spinnt.

Leider existiert solch eine Person nicht. (Im Englischen sagt man: “Armee-Intelligenz” (= militärischer Geheimdienst) ist ein Oxymoron, ein Gegensatz in sich selbst). Woher ich das weiß? Da gibt es ein paar einfache Tests, die jede logisch denkende Person selbst anwenden kann. Der erste Test: die menschliche Qualität. Alle Geheimdienstleute kommen irgendwann in den Ruhestand. Dann können sie aus der Nähe betrachtet werden, ohne Zensor und ohne die Hülle des Geheimnisses. Was entdeckt man? Unter ihnen sind einige hoch intelligente Leute. Aber auch eine Menge Dummköpfe. Aber die meisten sind einfach durchschnittliche, oberflächliche Leute mit sehr gewöhnlichen, konformistischen Ansichten.

Wir würden uns nicht auf solche Leute verlassen und uns von ihnen bei Geldanlagen beraten lassen. Wenn einem klar wird, dass diese Leute über das Schicksal von Völkern entscheiden, ist das ziemlich erschreckend. In Israel ist das besonders deutlich, weil pensionierte Geheimdienstler in allen Medien als politische Kommentatoren glänzen. Ihr durchschnittlicher IQ scheint nicht höher zu sein als der von Knessetabgeordneten. Und da man kaum vermuten kann, dass sie vorher Genies waren und dass beim Eintreten in den Ruhestand ein mysteriöser neurologischer Prozess ihre geistige Überlegenheit eliminiert habe, gibt es keine andere Schlussfolgerung, als dass ihr IQ nur mittelmäßig oder weniger war. Wenn in einem Machtapparat solche Leute dominieren, wird sich eine intelligente Person assimilieren. Sie gleichen sich an, um zu überleben.

Der zweite Test: Die Ergebnisse. Jetzt ist es schon banal, die klassischen Geheimdienstfehlschläge des 2. Weltkrieges zu erwähnen. Die Russen waren vom Angriff der Deutschen auf ihr Land überrascht; die Amerikaner vom japanischen Angriff auf Pearl Harbour; die Amerikaner waren vom Kollaps der Sowjetunion überrascht. Der amerikanische und israelische Geheimdienst waren total von der Khomeini-Revolution im Iran überrascht. Der israelische Geheimdienst war am Vorabend des 1967er Sechstage-Krieges von der ägyptischen Armeekonzentration im Sinai überrascht; von dem ägyptisch-syrischen Angriff am Yom Kippur, 1973; vom Aufkommen der Hisbollah im Südlibanon; von der ersten und zweiten Intifada und der Ermordung Rabins. Der amerikanische Geheimdienst träumte nicht einmal von einem Angriff am 11.September. Die Liste ist lang…. Die amerikanischen, britischen und israelischen Geheimdienstagenturen hatten nicht die leiseste Ahnung von dem, was sich im Irak abspielte und ob Saddam die Massenvernichtungswaffen hat oder nicht. Sie mutmaßten. Und wenn einer mutmaßt, dann ist es das Beste, er vermutet das, was die Regierung zu hören wünscht.

“Hat Saddam Massenvernichtungswaffen?”
“Ja, Herr Ministerpräsident!”

Quelle: ZNet Deutschland vom 15.02.2004. Übersetzt von: Ellen Rohlfs.

Veröffentlicht am

16. Februar 2004

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