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Diskussionsprozess zu CA 16 im Rahmen der Dekade “Gewalt überwinden”

Vom Internationalen Versöhnungsbund - Deutscher Zweig

CA 16 ist ein Artikel aus der Confessio Augustana, einer zentralen reformatorischen Bekenntnisschrift, die in den lutherischen und vielen unierten Kirchen heute noch Gültigkeit hat und auf die hin Pfarrerinnen, Pfarrer, Pastorinnen und Pastoren bis heute ordiniert und Gemeindeälteste und Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher verpflichtet werden. In ihrer Wirkungsgeschichte hat CA 16 zur Verfolgung von Pazifistinnen und Pazifisten, Täuferinnen und Täufern durch die evangelischen Kirchen beigetragen und ist immer wieder benutzt worden, um in zweifelhafter Weise staatliche Gewalt theologisch zu legitimieren.

In der Dekade zur Überwindung der Gewalt reflektieren die Kirchen auch ihre eigenen Verstrickungen in die Entstehung und Legitimation von Gewalt.

In vielen Landeskirchen sind Diskussionen im Gange, wie einer Legitimation von Gewalt begegnet werden kann und der Gedanke mehr Raum bekommt, der am Ende von CA 16 steht: “Wenn aber der Obrigkeit Gebot ohne Sünde nicht befolgt werden kann, soll man Gott mehr gehorchen als den Menschen.”

In den meisten Landeskirchen kann diese Auseinandersetzung bereits auf Diskussionsprozesse aus den 80er und 90er Jahren aufbauen, wie zum Beispiel im Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR.

Wir wollen diese Diskussion weiterführen und in der Kirche Fuß fassen lassen. Weiter unten finden sich folgende Texte:
* Kein Bekenntnis zur Gewalt - Aufruf des Versöhnungsbundes zur Revision von CA 16
* CA 16 - der Text
* Vorschlag für einen Synodenbeschluss zu CA 16
* Vorschlag für ein Einlegeblatt ins Gesangbuch zu CA16
* Offener Brief an die Kirchenleitungen der lutherischen und unierten Landeskirchen in Deutschland vom 26.5.2003

Zudem hat sich aus dem Diskussionsprozess um CA16 ein Musikprojekt ergeben: “Teufelskreise verlassen - Gewalt ist keinem Christen erlaubt” - ein musikalisch-literarisches Gedenken an verfolgte Liebhaber der Bergpredigt. Uraufführung war auf dem Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin. Weitere Aufführungen folgten, bzw. sind geplant. Außerdem ist davon eine CD herausgekommen. Mehr über CD und Aufführungstermine erfahren Sie hier.


Kein Bekenntnis zur Gewalt!

An alle Kirchengemeinden, Haupt- und Ehrenamtlichen der evangelischen Kirchen

Im Februar 2001 wurde durch den Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen die Dekade zur Überwindung der Gewalt in Berlin eröffnet. Im Aufruf des Zentralausschusses heißt es u.a.:

“Wir sind der festen Überzeugung, dass die Kirchen aufgerufen sind, vor der Welt ein klares Zeugnis abzulegen von Frieden, Versöhnung und Gewaltlosigkeit, die auf Gerechtigkeit gründen. Wir erinnern an die Heiligen und Märtyrer, die bis an den heutigen Tag als Zeugen Gottes gegen die Mächte der Gewalt, der Zerstörung und des Krieges ihr Leben hingeben. Wir erinnern an das Zeugnis all der Menschen, die in ihren Gemeinschaften und darüber hinaus zu Zeichen der Hoffnung werden und die Wege aus der tödlichen Spirale der Gewalt eröffneten.”

Im Gegensatz dazu hält das Augsburgische Bekenntnis (CA) von 1530 in Artikel XVI bis auf den heutigen Tag fest, dass Christen ohne Sünde Übeltäter mit dem Schwert bestrafen, rechtmäßig Kriege führen und in ihnen mitstreiten können. … Hiermit werden verdammt, die lehren, dass das oben Angezeigte unchristlich sei.”

Damit werden heute weiterhin alle diejenigen verdammt, die im Sinne des Ökumenischen Rates der Kirchen versuchen, ein klares Zeugnis abzulegen von Frieden, Versöhnung und Gewaltlosigkeit.

Auf Grund der in diesem Bekenntnis formulierten Verdammung wurden ungezählte Christinnen und Christen im 16. Jahrhundert, die sich in ihrem Glauben in der Nachfolge Jesu der Gewalt verweigerten, enthauptet, ver brannt, gevierteilt und ertränkt.

Es ist ein Skandal, dass CA XVI unverändert weiterhin verpflichtende Grundlage bei der Einführung von kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist. Es ist ebenfalls ein Skandal, dass CA XVI im Evangelischen Gesangbuch, das als ein Haus- und Andachtsbuch in den 90er Jahren von den meisten Landeskirchen neu herausgegeben wurde, enthalten ist.

Wir halten den Widerspruch zwischen dem Aufruf zu einer Dekade zur Überwindung der Gewalt und der noch heute gültigen Bekenntnisüberlieferung, die nach wie vor Gewalt theologisch legitimiert, für unerträglich.

“Die Vision, die uns das Evangelium vom Frieden bringt, ist eine Quelle der Hoffnung auf Veränderung und Neuanfang”, schreibt der Zentralausschuss in seiner Botschaft.

Wir rufen dazu auf, diesen Neuanfang auch durch die Abkehr von falschen Bekenntnisaussagen deutlich zu machen.

Internationaler Versöhnungsbund / Die Teilnehmer der Studientagung “Rechtfertigung staatlicher Gewalt”


Der Text der CA 16

“Von der Polizei (Staatsordnung) und dem weltlichen Regiment”
Von der Polizei (Staatsordnung) und dem weltlichen Regiment wird gelehrt, dass alle Obrigkeit in der Welt und geordnetes Regiment und Gesetze gute Ordnung sind, die von Gott geschaffen und eingesetzt sind, und dass Christen ohne Sünde in Obrigkeit, Fürsten- und Richteramt tätig sein können, nach kaiserlichem und anderem geltenden Rechten Urteile und Recht sprechen, Übeltäter mit dem Schwert bestrafen, rechtmäßig Kriege führen, in ihnen mitstreiten, kaufen und verkaufen, auferlegte Eide leisten, Eigentum haben, eine Ehe eingehen können usw.

Hiermit werden die verdammt, die lehren, dass das oben Angezeigte unchristlich sei.

Auch werden diejenigen verdammt, die lehren, dass es christliche Vollkommenheit sei, Haus und Hof, Weib und Kind leiblich zu verlassen und dies alles aufzugeben, wo doch allein das die rechte Vollkommenheit ist: rechte Furcht Gottes und rechter Glaube an Gott.

Denn das Evangelium lehrt nicht ein äußerliches, zeitliches, sondern ein innerliches, ewiges Wesen und die Gerechtigkeit des Herzens; und es stößt nicht das weltliche Regiment, die Polizei (Staatsordnung) und den Ehestand um, sondern will, dass man dies alles als wahrhaftige Gottesordnung erhalte und in diesen Ständen christliche Liebe und rechte, gute Werke, jeder in seinem Beruf, erweise.

Deshalb sind es die Christen schuldig, der Obrigkeit untertan und ihren Geboten und Gesetzen gehorsam zu sein in allem, was ohne Sünde geschehen kann. Wenn aber der Obrigkeit Gebot ohne Sünde nicht befolgt werden kann, soll man Gott mehr gehorchen als den Menschen.

nach Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für die EKiR, EKvW und die Lippische Landeskirche, S. 1370


Textvorschlag für einen Antrag an künftige Synoden

Die Kirche XY hat sich den Aufruf des Ökumenischen Rates der Kirchen für die Dekade zur Überwindung von Gewalt zueigen gemacht.

Die Synode der Kirche XY erklärt, dass CA 16 in der Rechtfertigung staatlicher und militärischer Gewalt heute keine Verbindlichkeit für die Lehre und das Zeugnis unserer Kirche mehr hat.

In der Ermutigung von Christinnen und Christen, Verantwortung wahrzunehmen und sich in Staat und Gesellschaft / in ihrem Gemeinwesen / in der Welt zu engagieren, sehen wir heute die Intention von CA 16.

Wir erkennen heute unsere Verstrickungen in strukturelle Gewalt, so dass wir nicht mehr bekennen können, wir könnten “ohne Sünde” in Gesellschaft und Wirtschaft leben und handeln.

Wir sehen uns ebenso verstrickt in historische Schuld unserer Kirche gegenüber Täuferinnen und Täufern und Pazifistinnen und Pazifisten. Sie haben das christliche Zeugnis der Gewaltfreiheit in der Kirchengeschichte hochgehalten und wurden auch von Lutheranern in Deutschland blutig verfolgt.

Wir bekennen unsere Schuld, dass wir bis heute auf das Zeugnis dieser christlichen Märtyrerinnen und Märtyrer nicht gehört und uns von den Irrwegen unserer Vorfahren nicht distanziert haben.

Die Dekade zur Überwindung der Gewalt macht uns erneut deutlich, dass Gewaltfreiheit in der Nachfolge Jesu Christi ein Kennzeichen der Kirche ist.

Wir rufen Christinnen und Christen und alle Menschen auf, Verantwortung zu übernehmen und neue Wege einzuschlagen

  • für konstruktive gewaltfreie Konfliktbearbeitung, gerechten Frieden und Versöhnung
  • für die Achtung und Förderung der Mitgeschöpflichkeit.
  • für Gerechtigkeit und die Wahrung der Menschenwürde

Beim Nachdruck des Evangelischen Gesangbuches wird künftig auf den Abdruck von CA 16 verzichtet.

Die Verfassung (bzw. Grundordnung) und die Amtsverpflichtung der Pastorinnen und Pastoren und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden entsprechend geändert.

Der Theologische Ausschuss und der Dekade-Beirat werden gebeten, hierzu der Synode einen Entwurf vorzulegen.


Vorschlag für ein Einlageblatt ins Evangelische Gesangbuch zu CA 16:

Mögliche einleitende Bemerkungen:

Aufgrund der Dekade “Gewalt Überwinden” hat das Presbyterium folgende Anmerkung zu Artikel 16 des Augsburger Bekenntnisses beschlossen.

oder:

Artikel 16 des Augsburger Bekenntnisses hat immer wieder zu Mißverständnissen Anlass gegeben. Das Presbyterium hat deswegen folgende erklärende Anmerkung beschlossen.

Anmerkung zu Artikel 16 des Augsburger Bekenntnisses

In der Ermutigung von Christinnen und Christen, Verantwortung wahrzunehmen und sich in Staat und Gesellschaft, in ihrem Gemeinwesen, in der Welt allgemein zu engagieren, sehen wir heute die Intention von CA 16.

Wir haben als Christinnen und Christen Verantwortung für das Gemeinwesen. Wir verstehen uns nicht mehr als Untertanen einer Obrigkeit, sondern nehmen unsere Verantwortung wahr als selbstbestimmte, freie Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie mit vielfältigen Beteiligungsmöglichkeiten.

In der Nachfolge Jesu Christi sind wir zur Gewaltfreiheit gerufen. Wir stehen in der Pflicht uns immer und mit Nachdruck für gewaltfreie Konfliktlösungen einzusetzen. Die vorrangige Verpflichtung auf die Gewaltfreiheit umfasst eine weitsichtige Prävention und die Anwendung gewaltfreier Alternativen auch im Konfliktfall. Sie erfordert weiter, dass auch diejenigen, die im äußersten Notfall militärische Aktionen befürworten, daran gebunden sind, dass Christinnen und Christen jede einzelne militärische Handlung vor ihrem Gewissen zu verantworten haben und dass alle Handlungen nachweislich auf den Zustand eines gerechten Friedens hin orientiert sein müssen.


Offener Brief des Versöhnungsbundes und des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins an die Kirchenleitungen der lutherischen und unierten Landeskirchen in Deutschland

vom 26. Mai 2003

Der erste Ökumenische Kirchentag beginnt in diesen Tagen. Von Abendmahlsgemeinschaft ist dabei viel die Rede, von Schuld dagegen wenig. Von Blutschuld wird überhaupt nicht gesprochen. Vergessen sind die Opfer jener Ereignisse, die als “Reformation” bezeichnet werden.

Es begann 1524 in Zürich. Freunde und Mitarbeiter des Zürcher Reformators Huldrych Zwingli gründeten eine freie Gemeinde, radikal der Nachfolge Jesu verpflichtet, radikal auf die Bergpredigt ausgerichtet und deswegen Gewalt grundsätzlich verwerfend; den Glauben betonend und deswegen nur die Gläubigen taufend. Die Zürcher Reformatoren um Zwingli antworteten mit Gewalt: die “Täufer” wurden hingerichtet. Ihre Bewegung aber breitete sich aus, in Süddeutschland, Österreich und den Rhein hinunter. Viele der protestantischen Landesfürsten und ihre Kirchenführer handelten wie die katholischen Fürstentümer, reagierten wie schon Zwingli reagiert hatte: mit Verfolgung, Folter und Mord.

Die Ermordung der Täufer, die Vernichtung ihrer weithin der Bergpredigt verpflichteten Gemeinden, die Ausrottung derjenigen Christen, die als Vorläufer der “Dekade zur Überwindung von Gewalt” tötende Gewalt verwarfen und den Schwertdienst der Obrigkeit ablehnten, war die erste “ökumenische” Aktion der römisch-katholischen Kirche und der entstehenden protestantischen Landeskirchen.

Bis heute ist die Verdammung dieser Täufer im zentralen evangelisch-lutherischen Bekenntnis, der Confessio Augustana, Art 16, festgeschrieben und unwiderrufen. In diesem Jahr aber hat - wieder in Zürich - etwas Neues begonnen: “Das Unrecht, das taufgesinnten Menschen über Jahrhunderte angetan wurde, war ein Verrat am Evan­gelium, welchen wir mit tiefem Schrecken vor Gott bekennen”, so Ruedi Reich, Kirchenratspräsident der Zürcher Reformierten Kirche, im Rahmen eines Versöhnungsgottesdienstes im Grossmünster Zürich, der Predigtstätte des Reformators Huldrych Zwingli.

Diese Aussage geht weit über die Ergebnisse der bisherigen Dialogprozesse etwa zwischen der VELKD und den in der Tradition der Täufer stehenden Mennoniten hinaus. Bezeichnend für die Situation in Deutschland ist der Abdruck in fast allen landeskirchlichen Ausgaben des Evangelischen Gesangbuches von Artikel 16 der Confessio Augustana, in dem die Verdammung der taufgesinnten Menschen festgeschrieben ist. (Beim Abdruck von CA 16 im Evgl. Gesangbuch heißt es: “Hiermit werden die verdammt, die …” Im Original der CA steht aber: “Hiermit werden die Wiedertäufer verdammt, die …” Im Gesangbuch sind also (aus Scham?) die Worte “die Wiedertäufer” weggelassen worden, verdammt sind nun nach Gesangbuch alle Pazifisten!)

Wir halten die Zeit für reif, im Rahmen der Dekade zur Überwindung von Gewalt innezuhalten, die eigene Schuld zu überdenken und auf das Friedenszeugnis der Täufer neu zu hören. Wir rufen daher auf zu Umkehr und zur Versöhnung. Wir rufen auf zu einem Gang nach Augsburg, zu Versöhnung und zur Begegnung am Entstehungsort der Confessio. Wir rufen auf, endlich die Schuld zu erkennen und zu bekennen. Wir rufen auf, endlich feierlich zu erklären, dass die Verdammungen des Art. 16 ein Verrat am Evangelium waren, der zutiefst zu bedauern und zu betrauern ist.

Mitgetragen wird dieser offene Brief von :

PRO ÖKUMENE - Initiative in Württemberg”
Werner Gebert, Geschäftsführer des PLÄDOYER für eine ökumenische Zukunft
Ökumenisches Forum Oberhausen

Quelle: Internationaler Versöhnungsbund - Deutscher Zweig (Schwarzer Weg 8
32427 Minden, Tel. 0571-850875, Fax: 0571-8292387, E-Mail versoehnungsbund@t-online.de, Internet: www.versoehnungsbund.de

Siehe auch:
>
Gewalt überwinden - Verdammung der Gewaltfreiheit beenden! Von Thomas Nauerth

> Michael Sattler - Benediktinermönch, radikaler Reformator, Staatsfeind und Erzketzer. Von Wolfgang Krauß

Veröffentlicht am

02. Februar 2004

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