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Haben Sie schon von Kapuzen-Robin gehört?

Von Devinder Sharma - ZNet Kommentar 15.01.2004

Sumitra Behera, 35, sie lebt im Dorf Badibahal in der Angul-Provinz von Orissa, hat ihre 1 Monat alte Tochter verkauft - für die lächerliche Summe von 10 Rupien (circa 11 US-Cent). Für sie wahrscheinlich der einzige Weg, ihre zwei anderen Töchter - Urbashi, 10 und Banbasi, 2 - zu ernähren. Etwa 8 Monate zuvor war ihr Mann gestorben. Das geschockte Nachdenken über die harten Bedingungen, die hier auf dem Land allgegenwärtig sind (und Orissa ist nicht die Ausnahme), wird wohl schnell dem Leugnen und der Beschuldigung weichen.

Zur gleichen Zeit als Sumitra Behera ihr Mega-Opfer bringt, erhebt Ingo Potrykus, ein Wissenschaftler, der einen Gen-Reis erfunden hat mit einem winzigkleinen Anteil an Vitamin A, die Forderung, die Gegner genveränderter Feldfrüchte müssten vor ein internationales Gericht gestellt werden. “Ich würde sie zur Verantwortung ziehen, sie vor ein internationales Gericht stellen und sie dazu bringen, die Schmerzen und Leiden, die sie sovielen Menschen auferlegen, rechtfertigen zu müssen”.

Dr. Potrykus lebt in der Schweiz. Er glaubt, der ‘goldene Reis’, den er produziert, könnte fast einer Million Kindern jährlich das Augenlicht retten. Das brachte die stets umtriebige Rockefeller-Stiftung, die EU und die Schweizer Regierung dazu, dem ‘Indian Council of Agricultural Research’ (ICAR) $2,6 Millionen (etwa 125 Millionen Rupien) bereitzustellen - verteilt über 7 Jahre. Die Pro-Vitamin-A-Gene sollen in lokale Reissorten eingebaut werden.

Wäre diese Summe anstatt in Forschungsgelder direkt in Nahrung für die Armen investiert worden, man hätte in den kommenden 7 Jahren über 1 Million verarmte Menschen aus ihrer extremen Hungersituation befreien können. Anders gesagt, Dr. Potrykus fruchtlose Forschung bringt mindestens 1 Million Hungernde um ihr basales Grundrecht - das Recht auf Nahrung. Den Hungernden das Essen buchstäblich aus der Hand zu reißen stellt womöglich das größte humanitäre Verbrechen dar. Was glaubt Ingo Potrykus eigentlich, was glauben seine Unterstützer, wie sollte man mit ihnen verfahren, nachdem sie sogar Hungernde zur Profitsteigerung kommerzieller Firmen ausbeuten? Ich überlasse es ihm und den Seinen, diese Frage zu beantworten.

Um fair zu sein, Dr. Potrykus ist nicht allein. Was ist mit jenen 2 000 Wissenschaftlern - darunter mehrere Nobelpreisträger - die 2001 den Aufruf der ‘AgBioView Foundation’ unterschrieben? Der Aufruf drängte damals die (amerikanische) ‘US Food and Drug Aministration’ (FDA), 3 000 Tonnen genveränderten Reises nicht zu vernichten sondern an Millionen von Hungernde zu exportieren. Ihr Engagement für den Hunger schwand allerdings sofort, als man diese Leute aufforderte, nach Indien zu kommen und 45 Millionen Tonnen überschüssigen Nahrungsgetreides verteilen zu helfen. Das meiste davon verrottete dort im Freien. Hätten diese Leute sich zusammengetan, Indien hätte einen Teil seines Hungerproblems lösen können. 320 Millionen Menschen hungern in Indien - somit leben allein in Indien 1/3 aller Hungernden dieser Erde.

Oder was ist mit der (britischen) ‘Royal Society’? Sie zieht über die Kritiker der Biotechnologie her und warnt die Medien, etwas zu drucken, was sich gegen die kommerziellen Interessen der Biotech-Firmen richtet. Oder das ‘Nuffield Council on Biothetics’, das, ganz unethisch, eine Arbeitsgruppe einsetzte, deren Experten alles bekannte Verfechter der Biotech-Industrie sind. Damit soll die britische Regierung von ihrer “moralischen Pflicht” überzeugt werden, in die GV-Pflanzenforschung zu investieren - zum Nutzen der ‘Entwicklungsländer’.

Sie alle - diese sogenannten herausragenden akademischen Institutionen und Foren - legen Schwüre ab im Namen der Hungernden und Unterernährten, allerdings nur dann, wenn es den Profiten der GV-Firmen nützt. Bringt es den Firmen keinen Profit - zur Hölle mit den Hungernden. Hören wir uns an, was Prof. Derek Burke über GM-Technologie zu sagen hat. Prof. Burke ist Ex-Vizekanzler der ‘East Anglia University’ (UK) und früherer Vorsitzender des Beraterkomitees der ‘Novel Foods ad Processes’: “…die Konsequenz des Verlusts dieser Technologie ist (wäre) gesellschaftlich der Verlust der Möglichkeit, neuen Reichtum zu schaffen.

Es sind meine Enkel, um die ich mich sorge. Wie sollen sie in 20 Jahren ihren Lebensunterhalt verdienen? Die Antwort könnte teilweise in unseren Händen liegen”. Prof. Burke ist Mit-Autor eines kontroversen Berichts, der kürzlich vom ‘Nuffield Council on Bioethics’ veröffentlich wurde. Darin geht es um den möglichen Nutzen gentechnisch veränderter Nutzpflanzen für die ‘Entwicklungsländer’. Der Bericht versucht die Illusion zu vermitteln, den britischen Wissenschaftlern ginge es um das Wohl der Armen und Hungernden in den ‘Entwicklungsländern’. In Wirklichkeit gilt ihre Sorgen den eigenen Wissenschaftler, den eigenen Kindern. Oder glauben Sie wirklich, das sind die Robin Hoods des 21. Jahrhunderts? Glauben Sie, diese Leute fühlen Mitleid mit den Hungernden und Sterbenden?

Denken Sie noch einmal nach. Die Zeiten sind vorbei, als der legendäre Robin Hood die Reichen beraubte, um den Armen zu geben. Heute erleben wir genau das Gegenteil. Die Reichen, die Eliten, scheuen keine Mühe, die Armen zu berauben. Angesichts des Verhungerns von Millionen häufen sie noch Profite an. Noch schlimmer wiegt, dass man den Hungernden auch noch das Wenige nimmt, was ihnen zum Leben geblieben ist - und das ironischerweise unter dem wissenschaftlichen bzw. emotionalen Vorwand, den Hunger und den Hungertod ausrotten zu wollen. Das sind Kapuzen-Robins* - allzeit bereit, die Armen und Hungernden im Interesse der Konzerne auszubeuten.

Die Kapuzen-Robins wechseln ständig ihre Jobs - vom Konzern-Agrobusiness ins Landwirtschaftsministerium rein und wieder raus - bis beide Bereiche nicht mehr zu unterscheiden sind. Kapuzen-Robins verkleiden sich als Wissenschaftler, als Bürokraten, als gebildete Unternehmer und natürlich als GV-Nahrungsmittelfirma. Es ist ihnen erfolgreich geglückt, das universitäre System, also den öffentlichen Forschungssektor, zu kooptieren - sodass Steuergroschen dazu genutzt werden, Wissenschaft zum Nutzen der Unternehmensprofite zu betreiben. Und sie haben GM-Firmen dabei geholfen, allein in den USA (1998) $119 Millionen in ihre Lobbyarbeit investieren zu können. Zu welchem Zweck? Zu dem, Amerikas Politiker über die Vorzüge des Gen-Engineerings “aufzuklären”. Und es blieb nicht bei US-Politikern. Man gründete sogar eine NGO (Nichtregierungsorganisation), die Richtern aus ‘Entwicklungsländern’ regelmäßig Orientierungskurse anbietet.

Man manipuliert die wissenschaftliche Forschung, und alarmierende Beweise über Gesundheitsgefahren werden unter den Tisch gekehrt. Auf die Stimmen der Vernunft - von Dissidenten - wird massiver Druck ausgeübt, der sie zum schweigen bringt. Sicher haben Sie schon von jenen vier Wissenschaftlern gehört, die es wagten, für die Sache der ‘guten Wissenschaft’ einzutreten. Man brachte ihre Stimmen zum verstummen - ganz im Sinne des neoklassischen Modells einer ‘gesunden Wissenschaft’, man könnte auch sagen, einer konzern-kontrollierten Wissenschaft:

- Arpad Pusztai - Berater am ‘Norwegian Food Sciences Institute’, zuvor Principal Scientific Officer am ‘Rowett Institute’ in Aberdeen, Schottland. Pusztai hatte herausgefunden, dass Nagetiere, die mit transgen-veränderten Kartoffeln gefüttert wurden, Schäden auf histologischer und zytologischer Ebene aufwiesen. Repression: Dr. Pusztai wurde am ‘Rowett Institute’/Schottland gefeuert - wo er 30 Jahre als Wissenschaftler tätig gewesen war. Man bemächtigte sich seiner Forschungssakten - unter anderem durch einen Einbruch in sein Haus. Massive Verleumdungskampagne.

- John Losey - außerordentlicher Professor an der ‘Cornell University’/USA. Er hatte herausgefunden, dass die Raupe des Monarchschmetterlings geschädigt wird/stirbt, wenn sie mit Pollen transgenen Getreides gefüttert wird. Repression: Man attackierte seine Forschungsförderung - mit dem Ziel der Diskreditierung seiner Ergebnisse. Medienkampagne.

- Tyrone Hayes - außerordentlicher Professor der ‘University of California’ / Berkeley. Hayes hatte herausgefunden, dass ‘Atranzine’ - die in der US-Landwirtschaft meistverwendete Chemikalie - schon in kleinen Mengen die Fortpflanzung von Amphibien schädigt (Organe, Gewebe, Ökologie). Repression: Man versuchte, seine Forschung zu verzögern, zu unterdrücken, zu verhindern. Man griff seine Forschung an, um deren Ergebnisse zu diskreditieren. Verleumdungskampagne.

- Ignacio Chapela - Assistenz-Professor an der ‘University of California’ / Berkeley. Chapela hatte herausgefunden, dass (normaler) Mais von transgener (GVO-) DNA genetisch kontaminiert werden kann. Seine Ergebnisse stammen übrigens aus dem Ursprungsland des Maises: Oaxaca in Mexiko. Repression: Man hat versucht, seine Forschung zu verzögern, zu unterdrücken, zu verhindern. Chapela wurde direkt bedroht. Es kam zu einer koordinierten, von der Industrie finanzierten internationalen Verleumdungskampagne (gegen ihn). Und Chapela erhielt keine Genehmigung, seine Forschungen auszuweiten.

Verzerrung, Coverups, Bestechung und Vertuschung sind Mittel zur Förderung dieser ungesunden, riskanten Technologie - auch hier wieder mit dem “frommen” Wunsch, den Hunger auszurotten. Kapuzen-Robins Taten hören sich wie Abenteuerstorys an. Inzwischen ist nichts mehr übrig von den 11 Cents, die Sumitra Behera beim Verkauf ihres 1-Monate-alten Babies erhielt (die Summe reicht nicht einmal, eine Flasche Mineralwasser zu kaufen). Bestimmt denkt sie schon über den Verkauf ihrer zweiten, jüngeren Tochter, Banbasi, 2, nach - der einzige Ausweg, um selbst am Leben zu bleiben beim täglichen Kampf gegen den akuten Hunger, gegen den Mangel. Dabei kann sie noch von Glück sagen, dass sie trotz aller Schwierigkeiten weiter überlebt. Weltweit sterben täglich fast 24 000 Hungernde wie sie - beim Warten auf Nahrung. Sie können nicht wissen, dass die Kapuzen-Robins das Geld abschöpfen, das eigentlich für ihre Ernährung bestimmt ist.

Anmerkung d. Übersetzerin

  • ‘hood’ heißt übersetzt ‘Kapuze’

Quelle: ZNet Deutschland vom 20.01.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Ever Heard of Hood Robin”.

Veröffentlicht am

19. Januar 2004

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