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Tod in britischem Gewahrsam im Irak

Von Robert Fisk - ZNet 04.01.2004

“Die Briten sagten, mein Sohn wird bald freikommen. Drei Tage später hatte ich seine Leiche.” Der 14. September ist der Tag, an dem Polizeioberstleutnant Daoud Mousa von der irakischen Polizei seinen Sohn Baha zuletzt lebend sah. An dem Tag führten britische Soldaten in dem Basraer Hotel, in dem der junge Mann an der Rezeption arbeitete, eine Razzia durch. Oberstleutnant Mousa erzählt heute: “Er lag mit den andern 7 vom Team auf dem Marmorfußboden und hatte die Hände über dem Kopf”. “Ich sagte zu ihm: “Mach dir keine Sorgen, ich habe mit dem britischen Offizier gesprochen, und er hat gesagt, sie werden dich binnen Stunden freilassen”.

Der (britische) Offizier - ein Leutnant - hatte dem irakischen Polizisten sogar ein Stück Papier mit “2Lt. Mike” ausgehändigt. Die Unterschrift war nicht lesbar, dazu eine Basraer Telefonnummer. Nachname Fehlanzeige. “Drei Tage später sah ich die Leiche meines Sohnes”, so der Oberstleutnant. Er sitzt auf dem Betonfußboden seines Slum-Hauses in Basra. “Die Briten sind gekommen und teilten mir mit, er sei “in Gewahrsam gestorben”. Seine Nase war gebrochen. Über seinem Mund war Blut zu erkennen. Ich konnte blaue Flecken an seinen Rippen und Oberschenkeln sehen. An den Handgelenken, dort wo die Handschellen saßen, war die Haut abgeschält”. Baha Mousa hinterlässt zwei kleine Jungs - Hassan, 5 und den dreijährigen Hussein. Die Jungen sind jetzt Vollwaisen. Bahas 22jährige Frau war 6 Monate vor ihm an Krebs gestorben.

Niemand versucht zu verbergen, dass die meisten, wenn nicht gar alle, der acht Männer, die vom Haitham-Hotel mitgenommen wurden - zuvor hatten die britischen Soldaten im Safe 4 Waffen gefunden -, brutal misshandelt wurden und zwar im Gewahrsam der Royal Military Police. Ein Kollege Bahas namens Kifah Taha erlitt ein akutes Nierenversagen, nachdem man ihn in die Nieren getreten hatte; ein “Verletzungsgutachten” des britischen Frimley Park Hospitals stellt nüchtern fest, der Mann weise “generalisierte Hämatome” auf, “aufgrund wiederholten Angriffsgeschehens”.

Oberstleutnant Mousa und sein zweiter Sohn Alaa hatten Kifah Taha sofort nach seiner Freilassung in einem Basraer Hospital aufgesucht. Sie versuchten, von ihm etwas über Baha zu erfahren. Sie fanden einen verletzten Mann vor, der - um es mit Alaas Worten auszudrücken -, “nur noch ein halber Mensch” war, “er hatte furchtbare blaue Flecken, weil sie ihn in die Rippen und in den Bauch getreten hatten. Er konnte kaum sprechen”.

Aber ein anderer von Bahas Kollegen konnte - er flehte den ‘Independent am Sonntag’ (IoS) an, seinen Namen nicht zu veröffentlichen, da er befürchtet, erneut von den britischen Truppen in Basra verhaftet zu werden. Er liefert einen Bericht, der einen frösteln macht - angesichts der Art, wie diese acht Männer behandelt wurden, nachdem sie im britischen Verhörzentrum in Basra ankamen. Schrecklicher Zufall: das Gebäude war zuvor Geheimdiensthauptquartier von Ali Majid, Saddams brutalem Cousin. Majid ist bekannt als “Chemical Ali”, jener Mann, der die Kurden von Halabja vergaste. Später war er Militärgouverneur der Region Basra.

“Wir wurden in einen großen Raum gebracht, unsere Hände waren gefesselt, und wir hatten Säcke über dem Kopf. Aber in meiner Kapuze waren einige Löcher, und ich konnte etwas erkennen. Es kamen Soldaten herein - einfache Soldaten, keine Offiziere, die meisten mit kahlgeschorenen Köpfen, aber sie hatten Uniformen an -, sie traten uns, sie nahmen sich einen nach dem andern vor. Sie kickboxten uns gegen die Brust, zwischen die Beine und auf den Rücken. Wir weinten und schrieen. Auf Baha hatten sie es besonders abgesehen, er schrie und schrie, er bekomme keine Luft mehr unter der Kapuze. Er bat sie immer wieder, ihm den Sack abzunehmen, er sagte, er müsse ersticken. Aber sie lachten ihn nur aus und traten ihn noch mehr. Einer von ihnen sagte: “Hör auf zu schreien, dann bekommst du leichter Luft”. Baha hatte so Angst. Sie verstärkten die Tritte gegen ihn, und er kollabierte auf dem Boden. Keiner von uns konnte stehen oder sitzen. Es war einfach zu schmerzhaft”.

Keiner der Gefangenen sagt aus, nach dem Waffenfund im Hotel befragt worden zu sein. In Wirklichkeit war der Mann, der zwei Gewehre und zwei Pistolen im Hotelsafe versteckt hatte - es handelt sich um einen der Hotelbesitzer, Haitham Vaha -, kurz nachdem die Briten kamen, aus dem Hotel geflohen. Er befindet sich nach wie vor auf der Flucht. Sein Vater und ein weiterer Geschäftspartner, Ahmed Taha Mousa, (weder mit Kifah Taha noch Baha Mousa verwandt) befinden sich noch in britischem Gewahrsam im Südirak. Mindestens einer der Männer, die von den Briten geschlagen wurden, gibt an, Haitham liebend gern an die Briten auszuliefern, wüsste er, wo er sich befindet.

Amnesty International verlangt eine unabhängige, neutrale Untersuchung des Todes von Baha und der Misshandlung der übrigen irakischen Gefangenen. Das (britische) Verteidigungsministerium versucht allerdings, seine Untersuchung armee-intern abzuhandeln. Inzwischen wurden zwei Soldaten, die im Zusammenhang mit dem Tod Bahas verhaftet worden waren, auf freien Fuß gesetzt - was Bahas Familie rasend macht. “Wir werden die Britische Armee in London vor Gericht bringen”, sagt Bahas Bruder Alaa. “Sie gaben uns $3000 als Kompensation, dann sagten sie, wir könnten nochmal $5000 haben - die Verantwortung für den Mord an ihm würden sie aber nicht übernehmen. Wir weigern uns, dieses Geld anzunehmen. Was wir wollen, ist Gerechtigkeit. Wir wollen, dass die beteiligten Soldaten bestraft werden. Wieviel würde wohl eine britische Familie bekommen, deren unschuldiger Sohn von euren Soldaten verhaftet und totgeprügelt wurde?”

Die Mousa-Familie hat einen internationalen Totenschein erhalten - ausgestellt von der Britischen Armee im Shaibah Militärkrankenhauszentrum, das vor Basra liegt. Der Schein trägt das Datum 21. September. Die Unterschrift auch hier unleserlich. Auf dem Schein steht, Bahas Tod sei verursacht durch “Herz-Lungen-Versagen: Erstickungstod”. Aber der anonyme britische Offizier, der das Dokument unterzeichnete, verabsäumte es, die Zeile “Ursache/infolge von” auszufüllen, ebenso die Zeile “ungefährer Zeitraum zwischen Einsetzen (der Erstickung) und Todeseintritt”. Noch schwerer wiegt, dass die Britische Armee es verabsäumte , die Formular-Fragen nach “Regt. Corps/RAF Command” und “Ship/Unit/RAF Station” vollständig auszufüllen.

Am 18. September wurde eine Untersuchung zum Tode Baha Mousas eingeleitet - durch Sektion 61 des Dritten Regiments, Sonderuntersuchungsabteilung (SIB) der Königlichen Militärpolizei (61 Section of the 3rd Regiment, Royal Military Police’s Special Investigation Branch). Sektion 61 steht unter dem Kommando von Hauptmann G. Nugent. Dieser ernannte Staff Sergeant Jay zum chefermittelnden Offizier des Falles 64695/03.

Von Beginn der Untersuchung an sah sich die SIB mit überwältigenden Beweisen konfrontiert, dass britische Soldaten Gefangene in ihrem Gewahrsam getreten und verprügelt hatten. Major James Ralph ist Anästhesie- und Intensivstations-Konsultationsarzt des britischen Militärhospitals, Feldhospital 33, in Shaibah. In einem Brief (eine Kopie davon befindet sich im Besitz des ‘Independent am Sonntag’ (IoS)) schreibt Ralph: Kifah Taha “wurde am 16. September um 22 Uhr 40 in unsere Einrichtung eingeliefert. Es scheint, als wurde er etwa 72 Stunden zuvor angegriffen. Er erlitt dabei ernste Hamätome im Oberbauch, an der rechten Brustseite, am linken Vorderarm sowie am linken inneren Oberschenkel”. Ralph beschreibt Kifah Tahas Zustand als “akutes Nierenversagen”.

Oberstleutnant Daoud Mousa sagt, die Soldaten hätten seinen Sohn absichtlich zu Tode getreten. Sie hätten erfahren, dass er, der Vater, jenen britischen Offizier - “Leutnant Mike” - davon überzeugt hatte, mehrere britische Soldaten festzunehmen, weil sie während der Razzia Gelder des Hotels gestohlen hätten. “Ich sah zwei der Soldaten am Rückteil des Safes. Sie brachen ihn auf und stopften sich das Geld in Hemden und Taschen - irakische Dinare und ausländisches Geld. Der Offizier veranlasste daraufhin einen der Männer, sein Hemd aufzumachen und fand das Geld, dann wurde der Soldat entwaffnet. Aber die Militärermittler wollten nichts davon hören - sie interessierten sich nicht für den Diebstahl oder dafür, dass die Soldaten, die das Geld stahlen, einen Grund hatten, meinen Sohn zu misshandeln, aufgrund meiner Handlungsweise”.

Alaa Mousa sagt, erst nach drei Tagen hätten sie erfahren, was mit Baha los war. “Ich befand mich daheim, und als ich raus ging, war die Straße voller britischer Soldaten. Sie wussten Bahas Namen nicht genau und sagten, sie suchten die Familie eines Mannes, dessen “Frau an Krebs gestorben ist”. Ich sagte, das muss Baha sein, und einer der Offiziere sagte: “Können Sie mit uns kommen?” Ein Sergeant kam dann in unser Haus, sein Name war Jay, er setzte sich auf unser Sofa und sagte: “Ich bin gekommen, Ihnen den Tod Ihres Bruders Baha mitzuteilen”. In unserem Haus brach Revolution aus - schreien und rufen und weinen. Die Briten sagten, mein Vater Daoud und noch ein zweiter von uns sollten mitkommen, um die Leiche zu identifizieren. Er sagte, ein britischer Arzt würde kommen und die Leiche untersuchen.” Alaa beschreibt, wie er später “Professor Hill”, einen Pathologen, traf, der, so sagt Alaa, danach zugab, dass “der Körper sehr klare Zeichen von Prügeln” aufwies und dass zwei von Bahas Rippen gebrochen gewesen seien.

Der politische Offizier der Briten in Basra, Robert Harkins, arrangierte ein Treffen der Mousa-Familie mit Brigadegeneral William Moore, dem Kommandeur der britischen Truppen in Basra. Die Familie sagt, General Moore hätte zwar Daoud Mousa kondoliert, sich andererseits jedoch geweigert, einen irakischen Anwalt an den Ermittlungen der Briten mitwirken zu lassen. “Er sagte uns, da sich die Ereignisse innerhalb der Britischen Armee zugetragen hätten, würde die Britische Armee die Untersuchung durchführen”, so Alaa. Am 3. Oktober brachte der Brigadegeneral ein Statement heraus, in dem er (gegenüber der Familie) sein “Bedauern” zum Ausdruck brachte, dass deren Sohn “starb, während er sich unter britischer Jurisdiktion befand.” Er verspricht, sollte die Militärpolizei zu dem Schluss kommen, dass ein Verbrechen vorliegt, so “werden die Verdächtigen vor Gericht kommen (…) nach den Gesetzen des Vereinigten Königreichs.”

Zunächst nahm die Familie die Abfindung in Höhe von $3000 für Bahas Tod an - sie sagen, das Angebot habe für sie geklungen, als akzeptierten die Briten ihre Verantwortung -, gleichzeitig weigerte sich die Familie jedoch, einen Brief zu unterschreiben, den sie letzten Monat von einem britischen Claims-Offizier namens Perkins erhielt. Darin das Angebot weiterer $5000 - als “endgültige Regelung” des “Vorfalls” und zwar “ohne Schuldeingeständnis vonseiten des britischen Kontingents der Koalitions-Truppen im Irak”.

Gestern verlautete ein Sprecher des Verteidigungsministeriums (MoD) “… soweit mir bekannt - Stand Anfang Dezember - dauert die Untersuchung weiter an - nichts in unseren Akten weist darauf hin, dass sie nicht andauert.” Aber anscheinend wurden keine Anklagen erhoben. Und kein Soldat befindet sich derzeit in Haft.

Alaa Mousa und sein Vater sind nach wie vor sehr wütend über die Behandlung, die man ihnen angedeihen lässt. “Werden die Soldaten, die Baha töteten, etwa ungestraft davonkommen?” fragt Alaa. “Warum kann man uns nicht miteinbeziehen? Wenn man diese Männer nicht bestraft, werden sie es wieder tun”. “Wir behaupten nicht, die Briten sind ‘Besatzer’. Wir glauben, ihr seid hierher nach Basra gekommen, um uns vor Saddam zu retten. Aber ihr solltet meine Familie nicht so behandeln - uns, nachdem ihr Baha getötet habt, nur Geld anbieten (…) und uns dann davon abhalten herauszufinden, was wirklich geschah. Wenn ihr so weitermacht, ist es mit dem ‘herzlichen Willkommen’ in Basra bald vorbei”.

Quelle: ZNet Deutschland vom 10.01.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Death in Custody”

Veröffentlicht am

11. Januar 2004

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