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Klassenkampf und Weihnachtsfriede

Von Andrea Noll - ZNet Kommentar 08.01.2004

Deutsche an die Front! Da wären wir also wieder: 1,330 Bundeswehr- Soldaten in Bosnien-Herzegowina (Nato-SFOR (2004 unter EU- Kommando?), 3.340 im Kosovo (Nato-KFOR), ein paar Dutzend Bundeswehrsoldaten in Mazedonien (EU-Operation ‘Concordia’ und Nato HQ Skopje), mehr als 2.000 in Kabulistan und Kundus (UN/Nato-Operation ISAF). In Usbekistan unterstützen 200 Deutsche die ISAF, und am Horn von Afrika, im Golf von Oman und in Kenia beteiligen sich mehrere hundert Bundeswehrsoldaten am “Anti-Terror-Einsatz” ‘Enduring Freedom’. Im östlichen Mittelmeer sind es 230 Deutsche im Nato-Flottenverband ‘Endeavor’.

Auf dem Nato-Gipfel in Prag, November 2002, wurde eine Schnelle Eingreiftruppe der Nato (NRF) beschlossen - für “humanitäre Kriseneinsätze” weltweit. Schon heute stehen ihr 9.000 Soldaten zur Verfügung. Deutschland wird das vergleichsweise größte Kontingent stellen: 1/4 der insgesamt 21.000 bis Herbst 2006 geplanten Soldaten. Während Deutschland - und andere Europäer - sich offiziell aus dem Irakkrieg heraushalten, sind wir andernorts an vielen Orten der Welt längst Teil des amerikanischen “Kriegs gegen den Terror” - unter EU, Nato- bzw. UN/Nato-Kommando (wie in Kabulistan und umgebenden Warlord- Provinzen, früher bekannt als Afghanistan).

Groß-EU ist dabei, sich “Nato-unabhängige Militärstrukturen” zuzulegen. Und wieder spielen wir Deutschen (“Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt”, Verteidigungsminister Struck) mit die zentrale Rolle. Im neuen Jahr soll eine Schnelle Eingreiftruppe der EU geschaffen werden - für “Rettungs- und humanitäre Einsätze” ohne Nato- Beteiligung bzw. Nutzung von Nato-Kommandostrukturen. Und auf dem EU-Gipel im Dezember 2003 wurde ein weiteres Projekt abgesegnet: ESS - die neue Sicherheitsstrategie der EU, auch ‘Solana-Doktrin’ genannt (nicht zu verkennende Ähnlichkeiten mit der Bush-Wolfowitz-Doktrin sind natürlich rein zufällig…).

Der PDS-Europaabgeordnete André Brie hierzu: “Offiziell wurde in Brüssel die neue “Sicherheitsstrategie” bestätigt. Nicht um Krisenprävention, nicht um effiziente Entwicklungshilfe oder stabilisierende Diplomatie geht es dabei. Vielmehr soll Europa… zu einer Militärmacht umgebaut werden, die weltweit zu “robusten” Interventionen fähig ist, und ausdrücklich soll dies nicht gegen sondern mit der Nato und den USA geschehen - beim Vollzug amerikanischer Weltinteressen” (‘Freitag’ vom 19. Dez. 2003).

Dann natürlich unser Griff nach den Sternen: Galileo. Mit dem geplanten europäischen Satellitennavigationssystem Galileo soll Europa unabhängig werden vom amerikanischen GSP. Öffnen sich hier etwa die (militärischen) Sternentore? Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein großer für das Europa der zwei Geschwindigkeiten? Wird uns Galileo unabhängiger machen von Nato und den militär-abenteuerlustigen USA (siehe auch ESAs (nach wie vor) blinder Jagdhund auf dem Planeten des Kriegs)?

Die ‘Mainstream’-Medien jedenfalls verkaufen uns Galileo und die neuen “unabhängigen Militärstrukturen” als Weg in die (militärische) Selbstbestimmung. “Emanzipation” und “Unabhängigkeit” - verbaler Zuckerguss auf der bitteren Pille der Horrorkosten für ‘Ein Sicheres Europa in einer Besseren Welt’ (wohl eher ein Unsicheres Europa in einer durch Imperial-Globalisierung immer gefährdeteren Welt).(1)

Lassen wir uns daher nicht zum Narren halten. André Brie hat Recht. Unsere neuen EU-Armeen sind nichts als Hilfstruppen der USA - wenn nötig, schnell und nahtlos in Nato-Strukturen integrierbar. Und was Galileo angeht, genügt ein Blick auf das Kleingedruckte unseres stolzen Starraker-Projekts. Im Falle militärischer Notwendigkeiten, so hat die US-Regierung bereits mit der EU ausgehandelt, können die USA unser (ziviles) Satelliten-Sternentor jederzeit und ohne Rücksprache schließen (Empfangsleistung beeinträchtigen oder das System ganz abschalten) - was viele Autofahrer und Rettungsteams gnadenlos im Finstern lassen dürfte. Die USA sind der Boss - egal, was die Europäer beschließen.

“Hinter dem Gewirr der Ackergräben, in denen die Arbeiter und Angestellten sich abschossen, während ihre Chefs daran gut verdienten…”(2)

Europas militärische Hochrüstung ist ganz klar Klassenkampf. Hier findet ein Krieg gegen die arbeitende Bevölkerung Europas statt. Sie wird die Zeche zahlen - und nicht nur in Euro und Pound. Die explodierenden Kosten einer eigenständigen militärischen Infrastruktur auf EU-Ebene, die Kosten für den Umbau unserer nationalen Verteidigungsarmeen in offensive Schnelle-Eingreif-Truppen fressen unsere Sozialstaaten auf.

Und es sind nicht die Verteidigungsminister, nicht EU-Militärstrategen wie Javier Solana, die im Bodybag nach Hause kommen sondern die einfachen Soldaten: der junge Zeitsoldat, der im Kosovo auf eine Mine tritt, Gefreiter Müller oder Schmidt, der einem afghanischen Heckenschützen zum Opfer fällt.

Es sind Soldaten vom Typ Jessica Lynch, die den Preis zahlen für die Kriegsspiele ihrer Regierungen. Auch in Afghanistan und im Irak zahlt die Normalbevölkerung den Preis - und nicht die Warlords. Europas Durchschnittsbürger - ebenso wie Amerikaner, Russen und Israelis - sie müssen begreifen und zwar schnell: Ganz gleich, wer der offizielle Feind, ein Opfer der Kriege steht von vornherein fest: sie. Hört auf, ‘universal soldier’ zu spielen. Was wir brauchen, ist ein ‘universelles Friedenslager’, das die Kriegstreiber aller Länder überrennt.

Ermutigend, die Refusenik-Bewegung in Israel / die meuternden Elite-Soldaten. Auch in den USA / den Ländern ihrer Kriegspartner scheinen die Zweifel am ‘Krieg gegen den Terror’ zu wachsen. Und in Russland lernen die Menschen in einer blutigen Lektion: Der Krieg gegen Tschetschenien hat die Büchse der Pandorra geöffnet. Wir Europäer müssen lernen: Unsere neue militärische Hochrüstung wird den Kontinent nicht selbstbestimmter und sicherer machen, uns alle aber mit Sicherheit ärmer - und nicht nur moralisch.

‘Weihnachtsfriede’ 1914

“Oh, träumende deutsche Mutter am Herd,
Während du deinem Sohn Socken strickst,
Wird sein Gesicht tiefer in den Schlamm getreten” (3)

1. Weltkrieg an der Westfront. 1914, erstes Kriegsjahr. Hüben wie drüben leben Soldaten in Gräben - in zentimeterhoch mit gefrierendem Wasser gefüllten Gräben, in denen es von Flöhen, Läusen und aggressiven Ratten nur so wimmelt. “Poor soldiers never die, they just fade away” (Woody Guthrie).

Der gewöhnliche Soldat fristet sein Dasein von erbärmlichen Rationen. Auf beiden Seiten (deutsche Besatzer auf der einen und britische, belgische und französische Verteidiger Belgiens und Nordfrankreichs auf der andern) herrschen die gleichen himmelschreienden Zustände: Hunger, Kälte, ‘schwarze Füße’, Lungenentzündung und Offiziere, die die Soldaten gnadenlos zu Selbstmordattacken durchs durchzäunte Niemandsland hetzen.

Am Weihnachtsabend 1914 geschieht etwas Merkwürdiges - an mehreren Abschnitten der Westfront (die von der Nordsee bis zur Schweizer Grenze reicht). Es beginnt damit, dass aus den deutschen Gräben Weihnachtslieder zu hören sind. “More, more!” rufen die Todfeinde von der anderen Seite, “encore, encore!” oder “well done, Fritzens!”

Manchmal stimmen die Briten - seltener Franzosen und Belgier - in den Chor mit ein. Plötzlich flackern Lichter auf - über den Gräben auf deutscher Seite, eine Lichterkette in der Dunkelheit. Nur wieder eine schäbige Kriegslist der “Hunnen”? Es sah aus wie das Rampenlicht im Theater, wird ein britischer Soldat später seinen Eltern heimschreiben. “We not shoot! You not shoot!” (Wir nicht schießen, ihr nicht schießen) rufen die Deutschen oder halten Schilder hoch. Sie meinen es ernst. Kein einziger Schuss fällt.

So startet, was als “Weihnachtsfrieden” oder “Kleiner Frieden” berühmt werden sollte.

In Wirklichkeit aber ein großer Frieden. Die Entscheidung hunderttausender meist einfacher Soldaten, friedlich gegen den Krieg zu rebellieren. So spontan und unorganisiert die Waffenruhe, so schnell breitet sie sich über die Westfront aus. An vielen Abschnitten erheben sich Soldaten hinter der sicheren Brustwehr - vorsichtig, mit erhobenen Händen, zum Zeichen, dass sie unbewaffnet sind.

Als auf der anderen Seite, mit der man sich monatelang tödliche Gefechte geliefert hat, nicht geschossen wird, wird aufeinander zu gegangen - übers durchzäunte Niemandsland. In einigen Fällen machen deutsche Soldaten den Anfang, indem sie Weihnachtsbäumchen vor sich hertragen (der Weihnachtsbaum war damals in Großbritannien Frankreich und Belgien noch unbekannt). Aus den Bäumchen leuchten Lampen.

Als der erste Weihnachtstag anbrach, stiegen Soldaten aller Seiten (vor allem aber Briten und Deutsche) massenweise aus ihren Gräben, um sich mit dem Feind im Niemandsland zu treffen. Erste Pflicht: die Toten begraben. Oft hatten die Leichen wochenlang im Niemandsland gelegen - Opfer eines sinnlosen Stellungskriegs (4).

In manchen Fällen begruben die verfeindeten Lager ihre Toten sogar gemeinsam. Und nicht alle Toten waren Christen. Auf britischer Seite kämpften viele sogenannte Commonwealth-Soldaten mit. Sie kämpften für ein britisches Empire, das ihr eigenes Land besetzt hielt. Die bunten Turbanbänder toter indischer Soldaten flatterten im schneidenden Wind der Westfront. Der 25. Dezember war ein kalter, klarer Tag. Nachdem die Toten begraben waren, begannen die Feinde zu kommunizieren - mit Händen und Füßen - man tauschte Zigaretten und Pfeifen, das wenige Essen, das man besaß, manchmal auch Kopfbedeckungen. An manchen Frontabschnitten wurde sogar Fußball gespielt.

In Ypern fand ein richtiges Fußballmatch zwischen einem sächsischen und einem schottischen Highlanders-Team statt. Während der Wochen und Monate im Graben hatten die Soldaten begriffen, dass sie mehr gemein hatten mit den hungrigen, kranken, demoralisierten Jungs auf der anderen Seite als mit den eigenen Kommandanten im sicheren, warmen Katar-Hauptquartier (pardon, ein Versprecher). Also erklärten sie dem Krieg den Krieg. Für ihre Kommandanten und die herrschenden Monarchen war der ‘Weihnachtsfriede’ ein einziger pazifistischer Alptraum (imperialistische Herrscher empfinden Frieden immer als Alptraum - das hat sich bis heute nicht geändert).

Die Reaktionen der Offiziere und Kommandeure in den Gräben variierten. Aus Furcht vor offener Rebellion der hungrigen, frustrierten Soldaten duldeten sie die Fraternisierung oft über ein oder zwei Tage. Häufig wurden die Offiziere aber ganz einfach von der Spontaneität der Ereignisse überrollt.

In manchen Fällen nutzten die Offiziere den Frieden zur Spionage. Und es gab Fälle, in denen die Kommandanten drohten, auf die eigenen Soldaten zu schießen, sollten sie die Gräben verlassen. Manchmal schossen sie auch. Insgesamt jedoch war der Weihnachtsfriede ein voller Erfolg. Soldaten-Fotos, in britischen Zeitungen veröffentlicht, sind dafür eindrucksvoller Beweis. (Die britische Presse veröffentlichte; in Deutschland, Frankreich und Belgien wurden die Fotos und Berichte über den merkwürdigen Waffenstillstand zensiert). (5)

Nur eine sentimentale Geschichte? Ein Weihnachtsmärchen? Ein ritterlicher Akt? Eine Lili-Marlen-Story? Der ‘Weihnachtsfriede’ war weit mehr - der Beginn einer friedlichen Meuterei einfacher Soldaten gegen den Krieg, eine spontane Kampagne vieler tausender ‘Refuseniks’, die instinktiv begriffen hatten, dass sie auf den falschen Feind schossen.

Die Jungs auf beiden Seiten des Niemandslands - sie waren Kanonenfutter. Mit Kriegsgericht oder standrechtlicher Erschießung bedroht, kehrten die meisten nach dem zweiten Weihnachtsfeiertag in ihre Gräben zurück. Die Tatsache jedoch, dass mindestens in einem Abschnitt der Friede bis Ende Februar hielt, beweist, dass sie es wirklich ernst meinten. Dies war ein Frieden, erklärt durch einfache Soldaten ganz regulärer Armeen. Ein Gedankenspiel: Hätte der ‘Kleine Friede’ von 1914 gehalten, hätte sich die Verweigerungskampagne ausgebreitet und den Krieg beendet, 9 Millionen Menschen - Männer, Frauen, Kinder, die zwischen 1915 und 1918 dem Krieg zum Opfer fielen -, hätten überlebt.

Das Ende des 1. Weltkriegs war das Ende von 4 Monarchien - Russland, Deutsches Kaiserreich, Österreich- Ungarn, Osmanisches Reich. Die Leute hatten endgültig genug von ihren antidemokratischen, aristokratischen Kriegstreibern.

“The ones who call the shots won’t be among the dead and lame, and on each end of the rifle we’re the same” (die den Schießbefehl geben, werden nicht unter den Toten und Lahmen sein, und egal, an welchem Ende des Gewehrs wir stehen, wir sind gleich) (aus der Ballade ‘Christmas in the Trenches’ von John McCutcheons).

In Deutschland wurde der 1. Weltkrieg mit allgemeinem Jubel begrüßt. Selbst die Sozialdemokraten (stärkste Kraft im Reichstag) stimmten in den patriotischen Chor mit ein und nickten des Kaisers Kriegskredite ab. Gesunder Menschenverstand war dem linken Rand vorbehalten. Die Sozialistin und glühende Pazifistin Rosa Luxemburg - 1919 von rechten Freikorps-Soldaten ermordet - wurde 1914 wegen ihrer öffentlichen Antikriegsaufrufe zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Luxemburg hatte versucht, den Männern Deutschlands klarzumachen, nicht die Franzosen auf der anderen Seite des Rheins sind der Feind vielmehr der Kaiser in Berlin, der sie als Kanonenfutter missbraucht.

Ganz gleich, ob der Soldat Jean oder Fritz oder John hieß, ob er britisches Khaki oder deutsches Feldgrau trug, die Pickelhaube oder die Tommy-Kappe, er stand auf der falschen Seite des Grabens und schoss auf Brüder - Arbeiter wie er, Angestellte, Bauern, Schüler, Studenten. (6)

“Ich überbringe die Botschaft der kämpfenden Männer all jenen, die wollen, dass der Krieg ewig dauert. Meine Botschaft ist schwach, unartikuliert, aber sie enthält die bittere Wahrheit. Möge sie ihre ekelhaften Seelen verbrennen”, schrieb der britische Maler Paul Nash 1917 von der Front an seine Frau in der Heimat.

Jeder Krieg hat seine Gewinner. Die großen Waffenschmiede und -händler, die multinationalen Konzerne, sie stehen immer auf der Kriegsgewinnlerseite - ganz gleich, wer letztendlich siegt. Auch Regierungen profitieren vom Krieg - indem sie ihn als Nebelwand benutzen, um von innenpolitischen Problemen abzulenken, und indem sie die Kriegskosten vorschützen, um ihr Volk wirtschaftlich zu enteignen. Krieg ist ein Spiel, bei dem die Verlierer von vornherein feststehen - die ganz normalen Leute.

Ganz normale Leute in Israel zahlen die Zeche für Scharons Krieg gegen die Palästinenser/Araber (Israel ist mit die größte Militärmacht der Welt, Israels Wirtschaft liegt am Boden); ganz normale Leute in den USA bezahlen die Bush-Kriege mit massiven Kürzungen ihrer öffentlichen Haushalte bzw. mit dem Hass der ganzen Welt; ganz normale alliierte Soldaten der “Unterschicht” sterben in Bagdads Gräben für eine Sache, die sie nicht begreifen.

Ganz normale Menschen überall auf der Erde werden niedergetrampelt von imperialistischen Stiefeln.

“I am the enemy you killed, my friend.
I knew you in this dark: for so you frowned
Yesterday through me as you jabbed and killed.
I parried; but my hands were loath and cold.
Let us sleep now…”

Worte aus den Gräben des 1. Weltkriegs. Niedergeschrieben hat sie Private Wilfred Owen, ein britischer Soldat. Owen fiel wenige Wochen vor Kriegsende im November 1918. Auf der anderen Seite sein deutsches Pendant, Gefreiter Gerrit Engelke: “An der Leichen fressenden Somme lag ich dir gegenüber (…) doch wußtest du es nicht! Feind an Feind, Mensch an Mensch und Leib an Leib, warm und dicht”. Engelke wurde gerühmt als “das erste literarische Genie, das aus dem Proletariat hervorgegangen ist” - nach seinem Tod. Er starb wenige Wochen vor Owen.

Die heutigen Hightech-Soldaten müssen sich entscheiden: Entweder, sie sind nichts als ferngesteuerte Robot-Terminatoren - oder aber Menschen mit Gefühl und Verstand, die wissen, wann es Zeit ist, die Uniform abzulegen.

Wären die Soldaten des Weihnachtsfriedens damals nicht in ihre Gräben zurückgekehrt, sie hätten dem Frieden zum Sieg verhelfen können und so 9 Millionen Leben gerettet! Ich bin mir sicher, hätten sie geahnt, was ihnen bevorsteht, sie hätten ungeachtet der Konsequenzen durchgehalten. Wieviele Leben können heutige Soldaten retten, indem sie ihre ‘Schützengräben’ verlassen?

Kurt Tucholsky, einer der bekanntesten (sozialistischen) deutschen Autoren, war einer der jungen Männer in Flanderns Gräben. ‘Der Graben’ ist eins seiner besten Gedichte (Vertonung Hanns Eisler). 1933 wurden Tucholskys Bücher von den Nazis verbrannt. Er selbst floh nach Schweden, wo er sich 1935, 45jährig, das Leben nahm. Die friedvolle, sozialistische Zukunft, von der er stets geträumt hatte, war in weite Ferne gerückt. ‘Der Graben’ endet mit dem Aufruf: ‘Reicht die Bruderhand als beste aller Gaben übern Graben Leute, übern Graben -!’

Anmerkungen:
(1) Die weitgehend mit der ‘Solana-Doktrin’ übereinstimmende ESS ist nachzulesen unter: www.auswaertiges-amt.de/ www/de/infoservice/download/pdf/friedenspolitik/ess.pdf. In Ergänzung: www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Europa/bruessel/html

(2) Aus: ‘Der bewachte Kriegsschauplatz’ (1931) von Kurt Tucholsky. Aus diesem Essay stammt übrigens der berühmte Satz: ‘Soldaten sind Mörder’

(3) Aus einem Gedicht von Siegfried Sassoon - eines hochdekorierten britischen ‘Kriegshelden’ des 1. Weltkriegs. Als Sassoon anfing, gegen den Krieg anzudichten, wurde er auf seinen Geisteszustand untersucht.

(4) Siehe Erich Maria Remarques Klassiker ‘Im Westen nichts Neues’

(5) Aufgrund der deutschen Zensur ist in Deutschland kaum etwas über den ‘Weihnachtsfrieden’ 1914 bekannt (im Gegensatz zu Großbritannien, wo seit dem Ersten Weltkrieg viele Bücher zum Thema erschienen). 2003 erschien das (meines Wissens) erste Buch aus deutscher Perspektive: ‘Der kleine Frieden im Großen Krieg’ von Michael Jürgs.

(6) ‘Jeder Schuß ein Russ’, jeder Stoß, ein Franzos’, jeder Tritt ein Brit’, Serbien muß sterbien’ - mit widerlichen Slogans wie diesen, teilweise auf Postkarten gedruckt, wurden die Deutschen in den Krieg gehetzt.

Quelle: ZNet Deutschland vom 08.01.2004. Orginalartikel: “Class war / Christmas Truce” .

Veröffentlicht am

08. Januar 2004

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