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Nicht Neokonservatismus - simple Raffgier

Von Naomi Klein - Globe and Mail / ZNet 21.12.2003

Trotz aller Voraussagen, sie schlugen James Baker nicht ins Gesicht, die schweren Türen des Alten Europa, als er um Erlass der irakischen Auslandsschulden bat. Frankreich und Deutschland scheinen einverstanden, auch Russlands Linie weicht auf.

Noch letzte Woche waren sich praktisch alle einig: Ein heimtückischer Sabotageakt des stellvertretenden US-Verteidigungsministers Paul Wolfowitz auf Mr. Bakers ‘Schuldenerlass-Tour’ hat sich ereignet. Das Vorgehen Wolfowitz - wer nicht zur Koalition gehört, soll von den Wiederaufbauverträgen im Irak (Wert: 18,6 Milliarden US-Dollar) ausgeschlossen bleiben -, schien darauf abgezielt, Mr. Baker als Heuchler dastehen zu lassen.

Jetzt erst wird klar, Mr. Wolfowitz hat Mr. Baker keineswegs sabotiert. Vielmehr fungierte er als dessen Mann fürs Grobe. Er hat den großen Knüppel aus dem Sack geholt - nämlich die Drohung, (die Partner) vom potenziell 500-Milliarden-Dollar schweren Aufbau des Irak wirtschaftlich auszuschließen -, dann kam James Baker und redete mit Engelszungen. Wenn es gilt, die eigene Mission als pure Heuchelei dastehen zu lassen, ist Mr. Baker keineswegs auf Wolfowitz angewiesen: Oder lässt sich geschichtlich etwas Ironischeres vorstellen, als ein James Baker, der sich wie der personifizierte Bono für die Schulden des Irak einsetzt? Das Volk des Irak “sollte nicht belastet werden mit den Schulden eines brutalen Regimes, dem es wichtiger war, seine Fonds in den Bau von Palästen und Folterkammern zu stecken und das irakische Volk zu drangsalieren”, so Scott McClellan, Sprecher des Weißen Hauses.

Nichts dagegen einzuwenden. Aber als ich von Mr. Bakers “nobler Mission” (George Bush), hörte, musste ich sofort an jene wenig berichtete Story von Anfang des Monats denken. Am 4. Dezember veröffentlichte ‘The Miami Herald’ Auszüge aus einem vom US-Außenministerium freigegebenen Dokument. Es handelt sich um Auszüge aus einer Abschrift über ein Treffen zwischen dem damaligen US-Außenminister Henry Kissinger (unter Präsident Gerald Ford) und dem Außenminister der argentinischen Militärdiktatur, Marineadmiral Cesar Augusto Guzzetti, am 7. Oktober 1976.

Dieses Treffen fand auf dem Höhepunkt des schmutzigen Kriegs in Argentinien statt - einer Kampagne zur Eliminierung der sogenannten marxistischen Bedrohung in Argentinien. Während dieser Kampagne wurden nicht nur bewaffnete Guerilleros systematisch gefoltert und getötet sondern auch Gewerkschaftsführer, Studentenaktivisten sowie deren Angehörige und Sympathisanten. Als die Diktatur schließlich endete, waren rund 30 000 Menschen “verschwunden”.

Zum Zeitpunkt jenes Kissinger-Guzzetti-Treffens im Waldorf-Astoria in New York war die argentinische Linke größtenteils schon eliminiert. Berichte über Leichen, angeschwemmt an die Ufer des Rio de la Plata, führten zu Dringlichkeitsappellen, man müsse Wirtschaftssanktionen gegen die Junta verhängen. Das Transkript des Kissinger-Guzzetti-Treffens legt offen, Washington wusste nicht nur über die Verschwundenen Bescheid, es stand der Sache sogar positiv gegenüber.

Mr. Guzzetti berichtet Kissinger von “sehr guten Resultaten in den letzten vier Monaten. Die Terroristenorganisationen wurden demontiert”. Man kommt auf den internationalen Aufschrei zu sprechen, und Kissinger stellt fest: “Sehen Sie, unsere grundlegende Haltung ist die, wir wollen, dass Sie erfolgreich sind. Ich habe die altmodische Einstellung, dass man Freunde unterstützen sollte. Was in den Vereinigten Staaten nicht verstanden wird, Sie befinden sich in einem Bürgerkrieg. Wir lesen über Menschenrechtsprobleme aber nicht über den Kontext. Je schneller Sie Erfolg haben, desto besser”.

Das Folgende ist im Hinblick auf die kürzliche Baker-Mission relevant.

Mr. Kissinger wechselt rasch das Thema und kommt auf Anleihen zu sprechen. Er ermutigt Guzzetti, soviel Auslandshilfe wie irgend möglich zu beantragen - und zwar schnell, bevor, die argentinischen “Menschenrechtsprobleme” die Hände der US-Regierung fesselten. Der Minister wird von Kissinger instruiert: “Bringen Sie das voran mit Ihren Export-Import-Bankanträgen. Wir wollen, dass Ihr Wirtschaftsprogramm Erfolg hat und werden unser Bestes tun, Ihnen zu helfen”.

Laut Weltbank-Schätzung flossen circa $10 Milliarden der Gelder, die sich die Generäle pumpten, in Militärgeschäfte. Sie wurden dazu verwendet, jene Gefängnislager einzurichten, in denen tausende verschwanden bzw. dazu, Hardware für den Falklandkrieg einzukaufen. Oder das Geld floss auf Schweizer Nummernkonten. Die Summen können nicht mehr ermittelt werden, da die Generäle bei ihrem Abgang sämtliche Akten, die sich auf die Kredite bezogen, vernichtet haben.

Aber wir wissen: Während der Zeit der Diktatur entstand in Argentinien eine Auslandsschulden-Blase - von $7,7 Milliarden im Jahr 1975 ging es bis 1982 rauf auf $46 Milliarden. Seither ist das Land in einer eskalierenden Krise gefangen. Argentinien hat sich Milliarden geborgt, um die Zinsen der ursprünglichen, illegalen Schulden bezahlen zu können. Die Schulden liegen heute wenig höher als die Summe, die der Irak seinen ausländischen Kreditgebern schuldet: $141 Milliarden.

Die Kissinger-Abschrift ist der Beweis, die USA unterstützten die mörderische Kampagne der (argentinischen) Generäle wissentlich, sowohl finanziell als auch in politischer Hinsicht auf höchster Ebene. Und trotz der unleugbaren Komplizen-Rolle, die sie in der argentinischen Tragödie spielten, lehnen die USA konsequent jeden Versuch ab, die Schulden des Landes (Argentinien) zu canceln.

Der Fall Argentinien ist keine Ausnahme. Seit Jahrzehnten nutzen US-Regierungen ihre Macht im Internationalen Währungsfonds und in der Weltbank zur Blockierung von Kampagnen, die den Erlass der Schulden Südafrikas - angehäuft in der Apartheidszeit - erreichen wollen bzw. der Schulden der Philippinen, angehäuft unter der Kleptokratie des Ferdinand Marcos, der Schulden Haitis zuzeiten des brutalen und korrupten Duvalier-Regimes oder der Schulden, die sich während der langen Militärdiktatur Brasiliens spiralartig in die Höhe schraubten: von $5,7 Milliarden im Jahr 1964 auf $104 Milliarden 1985. Die Liste ist lang.

Die Haltung der USA: Ein Schuldenerlass würde einen gefährlichen Präzendenzfall schaffen (und natürlich hätte Washington kein Druckmittel mehr, investorenfreundliche Wirtschaftsreformen durchzudrücken). Weshalb also zeigt sich Mr. Bush plötzlich so von seiner besorgten Seite? “Die Zukunft des irakischen Volks sollte nicht durch die enorme Schuldenlast verpfändet werden”. Ganz einfach, dem “Wiederaufbau” würden Summen entzogen - Geld, das genau so gut an Halliburton, Bechtel, Exxon und Boeing fließen könnte.

Es ist Mode zu behaupten, das Weiße Haus sei von Neokonservativen gehijackt - von Männern, die so verliebt sind in das Dogma des Freien Marktes, dass ihnen jeder Sinn für Pragmatismus und Vernunft fehlt. Ich bin mir da nicht so sicher. Wenn die diplomatische Abstaube von letzter Woche etwas bewiesen hat, dann das: Die Ideologie, die hinter Bushs Weißem Haus steckt, ist nicht Neokonservatismus sondern ganz altmodisch Raffgier.

Die Neokonservativen beten die abstrakten Regeln der Freien Marktwirtschaft an. Für den Bush-Clan hingegen scheint es nur eine einzige Regel zu geben: Wenn es unsern Freunden hilft, noch reicher zu werden, dann tu’s.

Aus diesem Blickwinkel macht das auf den ersten Blick etwas sprunghafte Verhalten Washingtons plötzlich sehr viel mehr Sinn. Natürlich verhöhnt Mr. Wolfowitz Vertragsmauschelei ganz offen die Prinzipien des Freien Markts - Wettbewerb und Regierungsnichteinmischung. Aber schließlich kommt das alles ja in direkter Weise jenen Firmen zugute, die der Bush-Administration am nächsten stehen - das gilt auch für Bakers Erlassjahr. Diese Firmen kaufen nicht nur einen schuldenfreien Irak, sie werden zudem nicht mit europäischen Konzern-Rivalen in Wettbewerb um die Verträge treten müssen.

Dieses ganze Wiederaufbau-Projekt spricht nicht nur den Lehren der Neokonservativen Hohn. Im Jahr 2003 ließ es das US-(Staats-)Defizit auf geradezu $500 Milliarden anschwellen - eine Karikatur. Viele dieser Gelder gingen in Verträge ohne Wettbewerbsausschreibung. Auf die Weise schafft man Monopole wie das von Halliburton - ein Monopol, das es Halliburton angeblich ermöglichte, schätzungsweise $61 Millionen an Wucher für Benzinimporte in den Irak zu kassieren.

Wer im Weißen Haus Ideologie sucht, sollte immer daran denken: Die Männer, die die Welt regieren, glauben, Regeln sind nur für andere da. Die wirklich Mächtigen füttern die Massen mit Ideologie, als wäre es Fastfood. Und sie selbst genießen derweil das delikateste Mahl von allen: Straffreiheit.

Naomi Klein ist Autorin von: ‘No Logo’ und ‘Fences and Windows’ (Deutsch: ‘Über Zäune und Mauern’)

Quelle: ZNet Deutschland vom 06.01.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Not Neo-con, Just Plain Greed” .

Veröffentlicht am

07. Januar 2004

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