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Gewaltfreiheit als Voraussetzung für Frieden

Im September 2003 hat der österreichische Zweig des “Internationalen Versöhnungsbundes” (IVB) sein 50-jähriges Bestehen nach dem Zweiten Weltkrieg gefeiert. Bei der Festveranstaltung in Dornbirn berichteten mehrere herausragende Aktive aus dem weltweit aktiven “Internationalen Versöhnungsbund” über ihr Engagement in Gewaltfreiheit und ihre Sicht der weltpolitischen Lage.

Die nachfolgenden Texte entnehmen wir dem E-Rundbrief - Info 63 - RB. Nr 111 des Begegnungszentrums für aktive Gewaltlosigkeit www.begegnungszentrum.at in Bad Ischl vom 1.11.2003.

Hildegard Goss-Mayr aus Wien hat - mit ihrem (inzwischen verstorbenen) Mann Jean - in ihren weltweiten Kontakten und Begegnungen mit den Opfern der Gewalt - aber auch mit Tätern - diese dazu gebracht, nicht zu resignieren sondern gemeinsam gewaltfreie Alternativen zu entwickeln und zu praktizieren. Vor 50 Jahren hat sie den “Österreichischen Versöhnungsbund” reaktiviert und jahrelang den IVB geleitet. Bei aller Betonung der Entscheidung des Einzelnen gegen Gewalt setzte sie sich schon 1968 - in ihrem ersten Buch -am Beispiel Lateinamerikas auch mit der strukturellen globalisierten Gewalt der Mächtigen in Politik, Wirtschaft und Militär - im Kleinen wie auch global -auseinander. Strukturen der Macht, die auch heute noch ungebrochen erscheinen.

Gewaltfreiheit als Voraussetzung für Frieden

Festansprache von Hildegard Goss-Mayr am 13.09.2003 in Dornbirn

Ehrenpräsidentin des Internationalen Versöhnungsbundes und des
österreichischen Versöhnungsbundes

… wir haben in all diesen Jahren der Arbeit des Versöhnungsbundes gelernt, jeweils die Situation, in der sich die Weltgemeinschaft befindet, zu analysieren und uns dann gefragt, welchen bescheidenen, aber vielleicht wesentlichen Beitrag wir als kleine Bewegung, auch in Zusammenarbeit mit anderen, aus der Kraft der Gewaltfreiheit leisten können.

Entscheidend dafür ist zu allererst die Arbeit an uns selbst. Auch Gandhi hat das immer betont, wenn wieder Gewalt ausgebrochen war: “Ich habe noch nicht genügend Umkehr gehalten, ich habe noch nicht genug Raum in mir gegeben für die Kraft der Liebe, dass sie von mir ausstrahlen könnte”. Ich glaube, diesen Blick in uns hinein, in diesen Raum der Liebe, der Gerechtigkeit, der Wahrheit, dürfen wir nicht vergessen. Mit diesem Blick müssen wir unser ganzes Leben lang unterwegs bleiben.

Entscheidend ist zweitens die Frage nach den Ursachen und Wurzeln der wachsenden Gewalt in unserer Gesellschaft hier in Europa, auch bei uns in Österreich, wie dem harten Wettbewerb und dem Konsumismus in einem neuen, radikalen Neoliberalismus, der die menschlichen Aspekte in uns zurückdrängt und uns in eine sehr kalte und inhumane Situation stellt. Deshalb ist die Erziehung zum Frieden ganz wesentlich für die Zukunft unserer Arbeit -angefangen in unseren Familien, in der Partnerschaft, in den Schulen und den verschiedenen Ebenen unserer Gesellschaft bis hin zum Mitwirken an dem Versuch, eine alternative Globalisierung, die den Menschen im Blick hat und nicht die Macht und das Geld, im Rahmen des Sozialforums zu entwickeln.

Ganz wesentlich ist vielleicht auch, dass gerade wir als Gewaltfreie innerhalb dieser aufbrechenden Bewegung, die revolutionär ist, d.h., die der gegenwärtigen Form der Globalisierung etwas ganz Neues entgegenstellt, gegenwärtig sind, um zu verhindern, dass die revolutionäre Ungeduld neuerlich zu den traditionellen Formen der Revolution, also zu Gewalt oder Terrorismus führt. Wir müssen innerhalb dieser für die Zukunft so wichtigen Bewegung aufzeigen, dass es nur einen Weg gibt: den der gewaltfreien Veränderung. Wenn wir diesen Weg nicht gehen, dann ist dieser Versuch von Anfang an gescheitert und wird entweder im Chaos oder in der Verzweiflung enden…

Aus: Spinnrad Nr. 3/ September 2003, Internationaler Versöhnungsbund, Österr. Zweig, Lederergasse 23/3/27, A-1080 Wien


Die Macht der Gewaltlosen

Der Christ und die Revolution am Beispiel Brasiliens

Hildegard Goss-Mayr

“… Die Kirche, die Theologie, die Laien haben sich erst ganz wenig mit der Frage nach dem Beitrag des Christen zur Revolution beschäftigt; und schon wird die Antwort mit unerbittlicher Dringlichkeit gefordert, da sonst nichts bleibt als die Revolte, das gegenseitige Morden, aus dem die Gesellschaft wohl verändert, aber zerschlagen und ohne wirkliche Bewältigung der Gegensätze, in noch größeres Elend verstrickt, hervorgeht. (Seite 105)

… Das radikal Neue, das die wirtschaftlich-soziale Revolution in den Ländern der Dritten Welt hervorbringen will, verlangt in gleicher Weise die Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Strukturen wie ein neues Denken, eine neue Sicht vom Menschen. Da die Dritte Welt jedoch in engster Verstrickung mit der Welt der “Reichen”, d.h. mit den industrialisierten Ländern lebt, muß dieser revolutionäre Prozeß auch auf diese Länder übergreifen und deren wirtschaftliche und soziale Strukturen sowie ihr Denken beeinflussen. Es handelt sich also nicht nur um ein lokales oder kontinentales Geschehen, sondern um einen Prozeß, in den die gesamte Welt verflochten ist. Man muß sich darüber klar sein, daß es sich um einen Umbruch handelt, der bis an die Strukturen der Gesellschaftsordnung in allen Teilen der Welt reichen muß, um diese neu zu gestalten. Die Frage der Mittel und der Wege, deren sich die Revolutionen bedienten und die in Zukunft beschritten werden, soll zunächst noch offen bleiben. Selbst wenn die bedeutendsten europäischen Revolutionen, die Französische und die Russische, von Gewalt, Haß, Vernichtung, Bürgerkrieg und Diktatur gekennzeichnet waren, so besagt das nicht, daß diese Modelle die einzig möglichen sind, daß sie für die Zukunft wünschenswert seien und den echten Bedürfnissen der Menschen, um derentwillen und unter deren Mitwirkung sie geführt werden, entsprechen. Es wird zu untersuchen sein, ob im Bereiche der menschlichen Möglichkeiten nicht noch andere Kräfte liegen als die der Zerstörung, um eine unabdingbare und historisch notwendige Umgestaltung zu vollziehen. …(Seite 109)

… Es wird jedoch einer ungeheuren und konzentrierten Anstrengung bedürfen, um die Wirtschaftsgruppen der reichen Staaten für eine neue, solidarische Weltwirtschaftspolitik zu gewinnen. Denn das größte Hindernis auf dem Wege zu einer gerechten Wirtschaftspolitik ist das Eigeninteresse der Wirtschaftsmächte. Zweifellos ist eine Änderung der Wirtschaftspolitik zugunsten der Dritten Welt mit bedeutenden Opfern verbunden. Diese materiellen Opfer werden sich auf die gesamte Bevölkerung der hochindustrialisierten Länder auswirken, müssen edoch in erster Linie von den Unternehmergruppen getragen werden, denen dank der billigen Rohstoffe der größte Gewinn zufließt. Ohne Gesinnungsänderung auf dieser Ebene werden die besten Vorschläge der Entwicklungstechniker und Wirtschaftsexperten wirkungslos bleiben.

Genauso wie die gewaltlose Aktion an der Basis befinden sich auch die gewaltlosen Bemühungen um die Umgestaltung der internationalen Wirtschaftskonzeptionen in der ersten Phase ihrer Entwicklung und auf der Suche nach einer wirksamen Strategie. Auch auf diesem Gebiet gilt, daß hinter dem System der Marktwirtschaft, hinter wirtschaftlichen Exzessen, die von Konzernen und Großfirmen verübt werden, Menschen stehen, die ein Gewissen besitzen, an das appelliert werden kann und muß. Es müssen die rechten Wege und Mittel gefunden werden, um auf diese Kreise Einfluß zu nehmen, um Druck auszuüben.

Daß diese Initiativen, die sich in Westeuropa anbahnen, vor allem und ganz besonders in den Vereinigten Staaten, der größten Wirtschaftsmacht der Welt, aufgebaut werden müssen, braucht nicht betont zu werden. Hier könnte ein geeintes Europa, das nicht nur den Eigeninteressen ergeben ist, sondern als neue Wirtschaftsmacht sich der Sache der Dritten Welt annimmt, einen hervorragenden Dienst leisten.

Die Tatsache, daß in dem Kampf um die Überwindung neokolonialer und kapitalistischer Wirtschaftskonzeptionen noch kaum ein sichtbarer Erfolg nachzuweisen ist, darf nicht zur Verzweiflung führen, sondern soll im Gegenteil dazu anspornen, daß viel mehr menschliches Wissen und menschliche Energie in den Dienst der Entwicklung gewaltloser Methoden zur Veränderung auch komplizierter wirtschaftlicher Konflikte gestellt werden. Denn gelingt es nicht, diese Umgestaltung in friedlicher Weise durchzusetzen, so werden die Armen gegen die Reichen revoltieren und die Folgen werden für die gesamte Erdbevölkerung bitter sein… (Seite 176)”

Aus: Hildegard Goss-Mayr: Die Macht der Gewaltlosen. Der Christ und die Revolution am Beispiel Brasiliens. 1968, Styria Verlag (Ausschnitte)

Quelle: Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit - E-Rundbrief - Info 63 - RB. Nr 111 vom 01.11.2003

Matthias Reichl
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
Wolfgangerstr.26
A-4820 Bad Ischl
Tel. +43-6132-24590
e-mail: mareichl@ping.at
http://www.begegnungszentrum.at

Wir bedanken uns bei Matthias Reichl für die freundliche Veröffentlichungsgenehmigung.

Veröffentlicht am

03. Dezember 2003

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