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Interview von Democracy Now! mit Arundhati Roy

Arundhati Roy ist die Autorin des Romans “Der Gott der kleinen Dinge”, für den sie 1997 den Booker-Preis erhalten hat. Er wurde sechs Millionen Mal verkauft, und weltweit in 20 Sprachen übersetzt. Sie hat auch drei Sachbücher geschrieben, “Das Ende der Illusionen”, “Die Politik der Macht”, und ihr neues Buch “War Talk”, eine Sammlung von Essays, welche die Themen Krieg und Frieden, Demokratie und Dissens, Rassismus, und das amerikanische Imperium behandeln. Vor einem Jahr war sie die Trägerin des “2002 Lannan Foundation Prize for Cultural Freedom”. Seit dem 11. September 2001 tritt sie als eine der eloquentesten KritikerInnen des so genannten “Krieges gegen den Terrorismus” der Bush- Regierung auf. Am 12. Mai 2003 traf sie die Democracy Now! Mitmoderatoren Amy Goodman und Juan Gonzalez im firehouse studio in Manhattan. Hier einige kürzere Auszüge des langen Gesprächs, aus denen eher persönliche Aspekte von Arundhati Roy sichtbar werden.

AMY GOODMAN: Wie fällen Sie die Entscheidung, wann Sie Belletristik und wann Sachliteratur verfassen?

ARUNDHATI ROY: Das ist eine sehr, sehr vertrackte Frage, wissen Sie, denn nicht ich entscheide das, die Entscheidung fällt auf irgendeine Weise woanders im Ether. Aber Tatsache ist, dass meine Liebe der Dichtung gehört. Die Dichtung ist das, was mich mit Freude erfüllt. Bei den anderen Werken, die ich schreibe, schwöre ich jedes Mal, dass ich das niemals wieder tun werde. Diese Dinge muss man sich abringen, und man muss - ich muss schließlich einen Preis dafür zahlen, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob ich ihn zahlen will. Und dabei geht es nicht nur um Gefängnisstrafen, Kritik und Beschimpfungen, die mir zuteil werden, sondern auch um die andere Seite - wissen Sie, das rückt einen sehr stark ins Blickfeld der Öffentlichkeit, wo man sich zu bestimmten Zeiten nicht befinden möchte. Man möchte vorsichtig sein können und unsicher sein können, und…und nicht sozusagen mit der Faust auf den Tisch hauen müssen, obwohl ich weiß, dass es im Weltgeschehen Augenblicke gibt, wo es nicht darum geht, wo man lieber wäre und was man lieber täte. Man muss sich dann einfach einmischen. Was meine Essays angeht, ist es so, dass ich mir niemals vornehme, welche zu schreiben. Zum Beispiel wenn mich eine Zeitung bittet, wollen sie darüber schreiben, oder mich jemand fragt, sage ich immer nein. Aber wenn etwas geschieht, und ich lese über diese Geschehnisse, dann weiß ich, dass es etwas gibt, was nicht gesagt wurde, was ich selbst sagen möchte, und es dann in meinem Kopf zu hämmern anfängt, und ich nicht still bleiben kann, und es sagen muss, und es auch tue, und ich - meistens bereue ich es augenblicklich.

AMY GOODMAN: (…) Arundhati, erzählen Sie uns wo sie geboren wurden, wo Sie aufgewachsen sind, (…) und über ihre Mutter Mary Roy.

ARUNDHATI ROY: Nun, ich wurde in einer Kleinstadt namens Shillong geboren, das liegt im Nordosten Indiens. Wissen Sie, Indien ist…viel komplizierter als ganz Europa, also meine Mutter war - ist aus Südindien, aus einem Bundesland namens Kerala. Mein Vater ist aus Bengalen. Ich wurde in Shillong geboren, das lag damals im Bundesstaat Assam. Heute aber nicht mehr. Und meine Eltern wurden geschieden als ich ein Jahr alt war, oder so, und ich ging mit meiner Mutter zurück nach Kerala, wo ich in einem Dorf namens Aymanam aufwuchs, das ist das Dorf, in dem “Der Gott der kleinen Dinge” spielt. Sie stammt aus einer Gemeinde von syrischen Christen, die glauben, dass sie zu der Zeit zum Christentum konvertierten, als der Apostel Thomas nach der Kreuzigung Christi ostwärts reiste. Der erste echte Nachweis stammt allerdings aus dem 8. Jahrhundert. Wie auch immer, es ist eine sehr kleine Kirchengemeinde, und meine Mutter wurde sozusagen gemieden, weil sie die Frau war, die es gewagt hatte, einen Hindu von außerhalb ihrer Gemeinde zu heiraten, sich dann scheiden ließ, und mit ihren Kindern ins Dorf zurückkehrte, und so weiter. Heute denke ich, dass dieser Hintergrund von mir als ein Glücksfall angesehen werden kann, weil ich am Rande einer äußerst feudalen, erstickenden Gesellschaft aufwuchs, die mir keine Sicherheit bieten konnte, eine Sicherheit, die sie, sagen wir Kindern bot, die in diese Gesellschaft gehörten. Man stand außerhalb, weil man nicht ein Teil dessen war. Und weil ich in Kerala aufwuchs, der traditionell ein kommunistischer Bundesstaat gewesen ist, war das sehr interessant, weil sich dort das Christentum, der Hinduismus, Moslems, Marxisten alle sozusagen aneinanderrieben, und man lebte außerhalb des Rahmens - ich lebte außerhalb dieses Rahmens. In einer ländlichen Gegend aufzuwachsen, gleichzeitig aber auch das…eine Ausbildung genossen zu haben, die andere Menschen in ländlichen Gebieten nicht erhalten. Deshalb sage ich immer, dass es für mich als Schriftstellerin ein Gewinn war, sozusagen auf der untersten Stufe ganz oben zu stehen.

AMY GOODMAN: Ihre Mutter leitete eine Schule und kämpfte auch für die Rechte der Frauen in Indien.

ARUNHATI ROY: Ja, meine Mutter leitet eine Schule. Auch ich besuchte sie. Sie begann damit, als sie meinen Vater verließ. Sie begann mit sieben Kindern, zwei davon waren ihre eigenen. Es war, so nannte ich es immer, die Schiebe-, und Faltschule, weil sie sich in den Räumlichkeiten des Rotary Clubs befand. Abends trafen sich dort die Männer und tranken und rauchten Zigaretten, und warfen die Kippen und die schmutzigen Gläser auf den Boden. Morgens kamen wir dann und räumten alles auf, stellten die Möbel auf, und dann war das die Schule, und an den Abenden kamen sie wieder, und machten alles schmutzig. Heute ist es natürlich eine wunderschöne Schule am Stadtrand dieses kleinen Ortes namens Kotayem, und ja, sie leitet sie immer noch. Es ist ein toller Platz. Meine Mutter wurde sehr bekannt, weil sie in einer Sache Klage einreichte, es war ein öffentlicher Rechtsstreit vor dem obersten Gericht Indiens, in dem es um ein Gesetz ging, das besagte, dass eine syrisch-christliche Frau ein Viertel des Vermögens ihres Vaters erben konnte, aber nicht mehr als 1000 Rupien, das sind weniger als 100 Dollar. Diesem Gesetz hat sie den Kampf angesagt, und sagte, dass es verfassungswidrig sei. Das Gesetz wurde rückwirkend geändert und gestand Frauen gleiche Rechte zu. Das war damals eine sehr, sehr große Sache. Nicht, dass es eine große Veränderung bewirkt hätte, denn das war ein Gesetz für den Fall, dass ein Mann kein Testament hinterlassen hat, dass ein Vater kein Testament hinterlassen hat. Also nehmen sie jetzt Unterricht darin, wie sie in ihrem letzten Willen ihre Töchter enterben können.

AMY GODMAN: Und nun, ob es Ihnen lieb ist, oder nicht, stehen Sie, Arundhati Roy, selbst in mehreren Fällen vor Gericht. Eine Klage hat damit zu tun, dass Leute - Männer aus Kerala - ihr Buch “Der Gott der kleinen Dinge”, oder wenigstens Teile davon, obszön genannt haben. (…)

ARUNDHATI ROY: Im Zusammenhang mit “der Gott der kleinen Dinge” wurde mir vorgeworfen, die öffentliche Moral zu verderben. Tatsächlich ist der Fall immer noch vor Gericht, und ich sage immer, dass es hier ein rechtliches Problem gibt, es sollte wenigstens heißen, dass ich sie “noch weiter” verderbe, denn ich kann nicht glauben, dass die öffentliche Moral unverdorben war, bevor ich die Bildfläche betrat. Aber - das indische Rechtssystem ist schwerfällig. 75% davon ist Schikane. Es geht nicht um Überzeugungen. Es geht nicht darum, was am Ende herauskommt. Es geht um das Erscheinen vor Gericht, um das Bezahlen der Anwälte, darum, jemanden zu zermürben, und so weiter.

Übersetzung: Csilla Morvai.

Veröffentlicht am

26. Oktober 2003

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