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Klimakiller und andere Terroristen

Von Andrea Noll - ZNet Kommentar 03.09.2003

“Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oft im Ausland liegen”
Javier Solana.

‘Ein Sicheres Europa in einer Besseren Welt’ - was für ein harmloser Titel für eine Präventivschlags-Agenda. Autor des Papiers ist Javier Solana, der EU-Beauftragte der GASP-Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Im Juni 2003, beim EU-Gipfel in Thelassoniki, hat er sein neues Papier vorgestellt. Im Herbst wird darüber erneut verhandelt, und es steht zu vermuten, dass das Papier - mit oder ohne Modifikationen - Grundlage unserer neuen gemeinsamen EU-Außen- und Militärpolitik wird. John Van Oudenaren (vom ‘American Institute for Contemporary German Studies, ‘Solana Security Ilanr’): “Kontrovers, das Papier spricht von der Existenz bestimmter (…) Länder, die sich “außerhalb der Grenzen der internationalen Gesellschaft gestellt” hätten. Diese Staaten, so wird empfohlen, müssten, was ihr Verhältnis zur EU angeht, für ihr Verhalten einen Preis bezahlen, für ihr internes wie externes “Schurken”-Verhalten (das Wort selbst wird nicht gebraucht)”.

Solanas Papier ist pures Dynamit, würde es doch das ultimative Ende unseres traditionellen westeuropäischen Defensiv-Konzepts bedeuten - ein Konzept, das dieser Teil Europas seit dem Zweiten Weltkrieg verfolgt. Der deutsche Verteidigungsminister Peter Struck (ein echter ‘Chickenhawk’): “Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt”. Die sogenannte ‘Struck-Doktrin’ passt nahtlos zur neuen Rambo-Doktrin Javier Solanas. Solana, ein Spanier, ist übrigens identisch mit dem früheren Nato-Generalsekretär: “Wir müssen eine strategische Kultur entwickeln, die ein frühzeitiges, rasches und wenn nötig robustes Eingreifen begünstigt. Wir sollten vor allem an Operationen denken, bei denen sowohl militärische als auch zivile Fähigkeiten zum Einsatz gelangen.” Aber warum das alles - weshalb meditiert Solana Präventivschlagspläne? Seiner Meinung nach droht der neuen EU Gefahr durch “gescheiterte Staaten”, wie er sie nennt: “In vielen Teilen der Welt haben eine schlechte Staatsführung, zivile Konflikte und die leichte Verfügbarkeit von Kleinwaffen zu einer Schwächung der staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen geführt (…) Somalia, Liberia und Afghanistan sind die bekanntesten Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit.” “In “gescheiterten” Staaten können militärische Mittel zur Wiederherstellung der Ordnung (…) erforderlich sein”. “Daher müssen wir bereit sein, vor dem Ausbrechen einer Krise zu handeln.” (Alles Zitate aus Solanas Strategie-Papier). Möchtegern-Global-Konquistador Javier “Pizzaro” Solana ist aber auch bekennender UN-Fan (wer immer das im Moment sein mag, die UN): “Die Charta der Vereinten Nationen bildet den grundlegenden Rahmen für die internationalen Beziehungen”, schreibt er. Vielleicht sollte er sich die Charta (und andere UN-Dokumente) erstmal gründlich durchlesen, bevor er in fremde Länder einmarschieren lässt. Schon mal vom Selbstbestimmungsrecht der Völker gehört? “Die Stärkung der Vereinten Nationen (…) muss ein vorrangiges Ziel für Europa sein”, so schreibt Solana.

Feuer mit Feuer bekämpfen

Bravo, bravissimo - Solanas Strategiepapier kommt grade zur rechten Zeit, um Europa vor einem dieser “gescheiterten Staaten” zu retten. “Die Qualität der Staatengemeinschaft hängt von der Qualität der Regierungen als tragendem Fundament ab. Der beste Schutz für unsere Sicherheit wäre eine Welt verantwortungsvoll geführter demokratischer Staaten”, so Solana. Jener ‘gescheiterte Staat’, von dem ich spreche, hat eine geistig minderbemittelte Führung, die nicht wirklich demokratisch gewählt ist. Dieser ‘gescheiterte Staat’ gefährdet fundamental unsere europäischen Interessen, und noch schlimmer, die vitalen ökologischen Interessen unseres Planeten. In Solanas eigenen Worten: “Der Temperaturanstieg, der von den meisten Wissenschaftlern für die kommenden Jahrzehnte prognostiziert wird, stellt zwar keine Bedrohung im üblichen strategischen Sinne dar, dürfte jedoch in mehreren Regionen der Welt weitere Turbulenzen und Migrationsbewegungen verursachen.” Europa leidet - letztes Jahr war es die Flut, dieses Jahr brennt der Kontinent vom Balkan bis zum Atlantik. In Portugal waren Anfang August 1/3 des Landes von Waldbränden bedroht, der nationale Katastrophenalarm musste ausgerufen werden. Furchtbare Brände auch in Spanien, Frankreich, Italien und Kroatien. In Deutschland herrscht die größte Dürre seit Menschengedenken, in Italien ist die Trinkwasserversorgung gefährdet. Kaum einer zweifelt noch, die globale Erwärmung ist schuld (u.a. unnatürliche Hitzeaufladung unter der Treibhausglocke) - durch CO-2 und andere Emissionsgase, eine menschgemachte, globale Katastrophe. Und ausgerechnet die USA sind der weltweit größte Klimakiller. “Die Welt muss sich an den Treibhauseffekt anpassen”, so der weise Ratschlag der Bush-Administration. Verrrückt. Wie soll sich der Eisbär an das Schmelzen der Pole ‘anpassen’? Wie die Bewohner der Inseln an das ‘Sinken’ ihrer Eilande? Und den Einwohnern des portugiesischen Vila de Rei soll Bush bitteschön persönlich erklären, wie man sich an das Abfackeln der eigenen Stadt ‘anpasst’. Treffen sich zwei Planeten im Universum: “Siehst schlecht aus, Erde, was fehlt dir?” “Ich habe Menschen” “Keine Angst, die Krankheit vergeht”. Den Kohlendioxid-Ausstoß vermindern? Sorry, kein Interesse, sagt Bush und steigt aus Kyoto aus. Seit 10 Jahren (Rio 1992!) verhandeln mehr als 100 Länder unter dem Dach der UN über ein Abkommen gegen die Erderwärmung. Das sogenannte Koyoto-Protokoll sieht u.a. vor, dass die 38 größten Industrienationen der Erde ihre Treibhausgas-Emissionen - die maßgeblich zur Erderwärmung beitragen -, bis zum Jahr 2012 um 5,2 Prozent unter das Level von 1990 drücken. Die EU geht mit gutem Beispiel voran und verpflichtet sich zu 8 Prozent (von denen Deutschland mehr als 2/3 übernehmen will). Bush hingegen: Das Abkommen ist nicht in unserem Interesse. So wird die Welt zur Geisel einer verrückten, engstirnigigen Vogelstraußpolitik. Die USA produzieren 25 Prozent aller Treibhausgase aller industrialisierten Nationen. Seit 1990 haben die USA ihren Kohlendioxidausstoß um 730 Millionen Tonnen pro Jahr erhöht! Im Vergleich: Europa, mit in etwa der gleichen Wirtschaftskapazität, hat seine Emissionen in den letzten 10 Jahren senken können - allen voran Großbritannien und Deutschland. Scheint so, als scheitere das Kyoto-Protokoll - mit seinen bescheidenen, bei weitem nicht ausreichenden Zielsetzungen - an der Trotzhaltung des größten globalen Klimakillers. Und das Wetter kann weiter verrücktspielen. Wie heißt es in Solanas Strategiepapier: “Für eine normengestützte Weltordnung gilt, dass die Gesetze mit Entwicklungen wie (…) globale Erwärmung Schritt halten müssen”. Also worauf warten wir noch? Marschieren wir mit unserer ‘schnellen EU-Eingreiftruppe’ in die ‘Gescheiterten Staaten von Amerika’ ein! Europa wird am Mississippi verteidigt, nicht am Hindukusch, Herr Struck! “Wir müssen eine strategische Kultur entwickeln, die ein frühzeitiges, rasches und wenn nötig robustes Eingreifen begünstigt”, Solanas eigene Worte. Aber Moment, Moment, was steht da: “Zusammenarbeit mit Partnern”: “… die transatlantischen Beziehungen (sind) unersetzlich. Gemeinsam handelnd können die Europäische Union und die Vereinigten Staaten eine eindrucksvolle Kraft sein, die sich für das Gute in der Welt einsetzt”.

Copykill

Die EU müsse endlich ihre Rolle als “globaler Akteur” akzeptieren, so Solana. Ein Akteur ist ein Schauspieler, wir dagegen Nebendarsteller. Wer glaubt, die EU werde irgendwann zum Empire (bzw. zu dem Empire) aufsteigen, träumt. Solanas Papier macht nur Sinn, wenn man sich die EU als Juniorpartner des American Empire vorstellt. Für die Rolle von John Waynes Hilfssheriff müssen wir allerdings einige Anpassungen an uns vornehmen - was Stil und Bewaffnung betrifft. Nur so sind wir würdig, an der Seite des Duke in den Sonnenuntergang zu reiten (Untergang wörtlich gemeint). Geht es nach der Neuen EU, muss unsere traditionell auf Selbstverteidigung ausgerichtete Sicherheitsdoktrin auf den Müll. Zusätzlich ist notwendig, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten ihre nationale Gesetzgebung entsprechend ausforsten (beispielsweise jene deutschen Gesetze, die unserer Beteiligung an einer Irak-Invasion im Wege standen). Durchaus kein Zufall, dass sich das Solana-Strategiepapier - von der Rolle der UN abgesehen - ganz wie Bushs neue ‘US National Security Strategy’ liest. Und die geplante EU Rapid Reaction Force (schnelle Eingreiftruppe) wird nichts anderes sein als ein Hilfstrupp der US-Streitkräfte - machen wir uns nichts vor. Die Europäische Union verfügt über keine unabhängige militärische Infrastruktur. Wir hängen am Tropf der Nato - das heißt, der USA. Die Menschen Europas - die Millionen im Friedenslager - sind dazu aufgerufen, gegen die neuen “Strategieziele” auf die STRASSE zu gehen. Andernfalls werden wir, wie die Briten, im amerikanischen Sumpf enden. Und noch etwas: Sollte es der Neuen EU tatsächlich gelingen, in militärischen Dingen “mit einer Stimme zu reden”, werden Entscheidungen über Krieg und Frieden künftig auf EU-Level fallen (mit einfacher Mehrheit). Die nationalen Parlamente wären entmachtet - und mit ihnen die nationalen Friedenslager. Die EU-Kriegsmaschinerie würde dann wesentlich geschmierter laufen als im Falle Jugoslawien, Afghanistan, Irak.

Globalisierung der zwei Geschwindigkeiten

Die Schuldigen, was die globale Erwärmung betrifft - Großunternehmen, die umweltgerechte Standards hinsichtlich Produktion und Qualität ihrer Produkte (Autos!) verweigern -, zeichnen gleichzeitig verantwortlich für jene ökonomische Exploitation, die sich ‘Globalisierung’ schimpft. Noch ironischer, die Länder der sogenannten ‘Dritten Welt’, die weniger Treibhausgase produzieren, haben umso mehr unter deren Folgen zu leiden. Und diese Folgen sind katastrophal. Aber was interessiert uns, dass Tuvalu wie Atlantis im Pazifischen Ozean ‘versinkt’ - solange es nicht Mallorca ist! Was interessieren uns die verheerenden Überschwemmungen in Indien, die jedes Jahr tausende Menschenleben kosten? Und was interessieren uns die sich ausbreitenden afrikanischen Wüsten? Aber die Zeiten ändern sich. Je massiver die globale Erwärmung, desto mehr sind wir selbst mitbetroffen. Dürren, Tornados und andere Katastrophen werden zunehmend auch zum Problem der hochindustrialisierten Länder Europas, Nordamerikas und Asiens. Die Konzern-Globalisierung schreitet rasch voran (mit kooperierenden Regierungen als Motor). Die globalisierten Bemühungen zur Klimarettung verlaufen im Schneckentempo.

Solana: “In einer Welt globaler Bedrohungen, globaler Märkte und globaler Medien hängt unsere Sicherheit und unser Wohlstand von einem funktionsfähigen multilateralen System ab. Daher sollten wir uns zum Ziel setzen, eine stärkere Weltgemeinschaft, gut funktionierende internationale Institutionen und eine normengestützte Weltordnung zu schaffen”. Und dieses “Ziel” will Solana mittels seiner militaristisch-neokolonialistischen Agenda erreichen. Es wird nicht gelingen. Krieg bringt keinen Frieden, ökonomische Ungerechtigkeit nicht den globalen Wohlstand und Freundschaft mit Klimakillern kein Ende der Erderwärmung. Wir, die Bewohner dieser Erde (vor allem die Bürger der USA), sind dazu aufgerufen, unsere eigene ‘schnelle Eingreiftruppe’ gegen Klimakiller zu bilden. Boykottieren wir Umweltverschmutzer und deren Produkte konsequent, zwingen wir unsere Regierungen, etwas gegen die Erderwärmung zu tun. Tragen wir zur Erholung des Planeten bei, damit sich der Planet nicht eines Tages von uns ‘erholt’.

Mehr zum Thema Erderwärmung und was wir dagegen tun können:
www.greenpeace.org/deutschland/news/klima

Das vollständige Solana-Papier (Deutsch) unter: http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Europa/solana-papier.html

Quelle: ZNet Deutschland vom 03.09.2003. Orginalartikel: “Climate Killers And Other Terrorists”

Veröffentlicht am

05. September 2003

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