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Erst Bomben, dann kaufen. Ein Interview mit Naomi Klein

Von Scott Harris und Naomi Klein

Between the Lines / ZNet 15.07.2003

Die Militärokkupation im Irak verläuft nicht nach Plan, das heißt, nicht nach den von Washington schon längst vor dem Krieg gegen Saddam Husseins Regierung entworfenen Plänen. Am 1. Mai hatte Präsident Bush erklärt, die Hauptfeindseligkeiten im Irak sind vorbei. Seither wurden mehr als 30 amerikanische bzw. britische Soldaten in einer immer intensiver werdenden Serie von Guerilla-Anschlägen getötet. Jeden Tag kommt es im Durchschnitt zu 13 Auseinandersetzungen zwischen US-Soldaten und bewaffneten Irakern, die der Besatzung feindlich gegenüberstehen. Dennoch zögert die US-Militärführung, diesen Widerstand als ‘organisiert’ zu charakterisieren. Stattdessen behaupten Offizielle von Pentagon und Bush-Regierung noch immer, bei jenen Gruppen, die US-Truppen angreifen, handle es sich um Versprengte der Bath-Partei Saddam Husseins bzw. um mit der Al Kaida sympathisierende Terroristen. Die Feindseligkeiten gegenüber den Amerikanern im Irak werden angeheizt durch die zunehmende Zahl toter Zivilisten - erschossen von hypernervösen, erschöpften US-Soldaten. Und sie werden angeheizt durch das Hinauszögern einer irakischen Übergangsregierung und die nur punktuelle Wiederherstellung der Wasser- und Stromversorgung. Jüngste Äußerungen von L. Paul Bremer III - Präsident Bushs Irak-Administrator - die USA arbeiteten daran, Bagdads Staatsbetriebe zu privatisieren, verstärken die Feindseligkeit der Iraker weiter.

Scott Harris von ‘Between the Lines’ sprach mit der Autorin und Kolumnistin Naomi Klein. Sie vetritt die Ansicht, die Wirtschaftspläne der Bush-Administration für den Irak stellten lediglich ein Element innerhalb einer sehr viel breiter angelegten Strategie dar, die darauf abzielt, den multinationalen Konzernen Amerikas zu Macht und Reichtum rund um den Globus zu verhelfen.

Naomi Klein:
Ich denke, es ist klar: Wenn es soweit sein wird und die Iraker sehen endlich so etwas Ähnliches wie einen demokratischen Prozess - wer kann sagen, wann das ist, vielleicht in einem Jahr, vielleicht in zwei - egal, jedenfalls werden bis dahin alle wichtigen ökonomischen Entscheidungen gefallen sein, die mit darüber entscheiden, ob die neue Regierung handlungsfähig sein wird; diese Entscheidungen werden dann schon getroffen sein, die Verträge unter Dach und Fach - Verträge mit einer Laufzeit über viele, viele Jahre. Das ist etwas sehr Wichtiges, es geht um Demokratie. Ich meine, Bush sagt ja, bei dem Krieg sei es nicht wirklich um Massenvernichtungswaffen gegangen vielmehr um Freiheit und Demokratie. Also diese ganze Privatisierei, vor Einführung von Demokratie, das ist ein unglaublich übler Anschlag auf die grundlegenden Prinzipien der Selbstbestimmung. Ich denke, wir sollten sehr vorsichtig sein mit Sprüchen wie: “Oh, der Wiederaufbau verläuft so krisenhaft, es ist eine Katastrophe”. Für das irakische Volk ist es eine Katastrophe - nicht für Bechtel. Was ist geschehen. Sie haben das Land bombardiert, reinen Tisch gemacht, und nun bauen sie es exakt entsprechend ihren Vorstellungen wieder auf, entsprechend des sogenannten Washingtoner Konsensus beziehungsweise wie IWF und Weltbank es wollen. Demgemäß werden alle Staatsindustrien - einschließlich der Ölindustrie - privatisiert.

Gleichzeitig hat Paul Bremer erklärt - noch bevor er in Bagdad die Lichter wieder zum brennen brachte -, der Irak sei “offen für Geschäfte”, was heißen will, die ganzen ausländischen Exportgüter können über die Grenzen hereinströmen.

Irakische Unternehmen, die 13 Jahre unter Sanktionen litten und anschließend monatelang unter Plünderungen und ‘Blackouts’ aufgrund des Elektrizitätsmangels, bekommen nun zu hören: “Willkommen auf dem freien Markt”, jetzt könnt ihr euch im Wettbewerb mit den Multis bewähren. Natürlich müssen diese Unternehmen alle dichtmachen.

Das meine ich mit ‘Prozess’. In der ehemaligen Sowjetunion oder in Argentinien hat er 5 Jahre gedauert. Im Irak brauchte man ganze 2 Monate. Es ist wichtig, sich diese brutale Lektion in Sachen sogenannter ‘freier Marktwirtschaft’ vor Augen zu halten, dann wird einem klar, eine Wettbewerbschance für diese (Unternehmen) war von vorneherein nicht eingeplant. Meiner Meinung nach ist schon die bloße Vorstellung, sie könnten unter diesen Bedingungen wettbewerbsfähig sein, total absurd. Ich denke, es verdeutlicht zudem massiv, wie verlogen die Vorstellung ist, auf globaler Ebene könne es sowas wie einen freien Markt geben.

Scott Harris:
Sie haben die verschiedenen Formen der weltweiten Bewegung gegen Konzern-Globalisierung sehr genau mitverfolgt, in ihren letzten Büchern berichten Sie darüber. Sagen Sie uns doch bitte etwas über die Schnittstellen zwischen den einzelnen Gruppen gegen Konzern-Globalisierung bzw. über diese sagenhafte Friedensbewegung, die inzwischen praktisch auf allen Kontinenten der Welt Wurzeln zieht.

Naomi Klein:
Ich denke, da existieren zahlreiche Verbindungen. Meiner Meinung nach handelt es sich zwar nicht um eine einzige Bewegung, aber man ist in vielfacher Hinsicht verbunden.

Denken wir zum Beispiel an die koordinierten Friedensdemos am 15. Februar. Ohne die Netzwerke, die die Globalisierungsbewegung geschaffen hat - vom Weltsozialforum bis zu Indy Media - wäre das alles unmöglich gewesen.

Es hat den Demonstrationen eine wirkliche Stimme gegeben. Die Leute hatten das Gefühl, Teil von etwas wirklich Globalem zu sein, in einzigartiger, nie dagewesener Weise, denke ich.

Die Frage, wie können wir diese Verbindung weiter vertiefen, in einer Zeit fortgesetzter Kriege sowie der Okkupation … ich denke, es ist sehr wichtig, wir müssen uns auf das konzentrieren, was da vor sich geht, mit diesem sogenannten Wiederaufbau im Irak, mit dieser Privatisierung, die sich als Wiederaufbau tarnt. Meiner Meinung nach liegt das Thema Irak keineswegs abseits der Debatte über ‘global economy’ (und deren Vormarsch), es ist auch kein Nebenschauplatz vielmehr meiner Meinung nach der eigentliche Schlüssel zur Debatte. Wir haben eine Weltwirtschaftskrise, eine Rezession; viele Maßnahmen, die bei uns Thema sind, werden mit immer mehr Skepsis betrachtet, immer mehr abgelehnt. Nehmen wir zum Beispiel Lateinamerika. Hier wird der Idee eines Freihandelsabkommens zwischen den verschiedenen amerikanischen Ländern mittlerweile massiver Widerstand entgegengebracht. Daneben existierte dort schon immer ein konstanter Widerstand gegen neue Privatisierungen.

Das bedeutet aber, Unternehmen, die für ihr Überleben auf Wachstum angewiesen sind, werden zunehmend desperat. Im Grunde trifft das auf jedes Unternehmen zu - so funktioniert Kapitalismus nunmal. Und genau aus diesem Grund existiert das Phänomen, das wir jetzt erleben. Ich rede von “erst bomben, dann kaufen” - etwas hemdsärmelig ausgedrückt ist es das, was wir jetzt im Irak sehen. Offen gesagt, denke ich, es wird leider nicht die Ausnahme bleiben. Daher kann ich die Globalisierungsdebatte und die Debatte über den freien Handel auch nicht losgelöst von der Kriegsanalyse betrachten. Was wir gerade erleben, sind Kriege, die geführt werden, um den Weg für genau jene Politik zu ebnen, gegen die wir uns in der Globalisierungsbewegung seit 5 Jahren konsequent zur Wehr setzen.

Scott Harris:
Glauben Sie, dass die Antiglobalisierungs-Organisationen und die Friedensgruppen ihre Aufmerksamkeit jetzt auf die Irak-Nachkriegssituation richten - auf die dortige Privatisierung bzw. auf die Bedrohung, wie Sie sie beschreiben, dass dies nämlich eine Schablone, ein Modell für das künftige Vorgehen der USA und deren Konzern-Sponsoren sein könnte?

Naomi Klein:
Ich glaube, das setzt jetzt ein. Andererseits, wenn wir Linken ehrlich sind, werden wir zugeben, wir sind destabilisiert. Meine persönliche Meinung: das ist Teil von Bushs Strategie - mehr als alles andere. Sie besteht darin, sich wie Don Quichotte zu benehmen, unberechenbar - im Grunde wie ein Irrer (lacht) - und dadurch die gesamte potenzielle Opposition in einen permanenten Destabilisierungszustand zu versetzen. Dauernd fragt man sich, wie sieht sein nächster Schritt aus? War wirklich eine schwierige Sache in den letzten 1 1/2 Jahren, mit strategischen Überlegungen auf einen grünen Zweig zu kommen. Aber ich denke, es herrscht mit Sicherheit Konsens, dass wir unsere Orientierung wiederfinden müssen, wir müssen es irgendwie schaffen und uns darüber klarwerden, dass unsere Konfusion kein Zufall ist, es steckt Strategie dahinter.

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Naomi Klein hat den Besteller ‘No Logo’ (‘No Logo: Taking Aim at the Brand Bullies’/Picador) verfasst. Ihr neues Buch heißt: ‘Über Zäune und Mauern. Berichte von der Globalisierungsfront’ (‘Fences and Windows: Dispatches from the Front Lines of the Globalization Debate’/Flamingo) Naomi Kleins Homepage: www.nlogo.org

Scott Harris ist Executive-Producer von ‘Between the Lines’.
Unser Artikel ist ein Ausschnitt aus seinem Interview mit Naomi Klein in der Ausgabe vom 18. Juli 2003. ‘Between the Lines’ ist eine mit Preisen ausgezeichnete, nationale Radio-Nachrichtenwochenschrift ( www.btlonline.org )—


Quelle: ZNet Deutschland vom 19.07.2003. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Bomb Before You Buy”

Veröffentlicht am

19. Juli 2003

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