Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Alltäglicher institutioneller Rassismus

Von Dr. Alain Patrice Nganang - aus: Graswurzelrevolution Nr. 230 Sommer 1998, www.graswurzel.net

Allzu leicht gerät uns Deutschen in Vergessenheit, welche Ungeheuerlichkeiten Menschen aus anderen Ländern hierzulande tagtäglich erleben müssen. Die TäterInnen sind oft genug Sicherheitsbeamte und PolizistInnen, die nur ihre “Arbeit” tun. Das Opfer verlangt u.a., daß seine Würde durch eine offizielle Entschuldigung wiederhergestellt wird.


Alltäglicher institutioneller Rassismus


Ein Erfahrungsbericht eines Kameruner Studenten und Schriftstellers in der BRD

Ich bin Kameruner, bin am 17. März 1970 in Jaunde geboren und lebe seit 1993 in Deutschland, zunächst in Frankfurt/M. Ich wohne jetzt in Offenbach. Ich bin zum Zweitstudium im Fach griechische Philosophie an der Universität Frankfurt/M. eingeschrieben. Im Februar dieses Jahres erlangte ich in den Fächern Germanistik und Theaterwissenschaft den Grad eines Doktor phil. Ich bin außerdem Schrifsteller und habe einen Gedichtband, einen Roman und zahlreiche Artikel veröffentlicht.

Eine ganz normale Kontrolle

Am 21. April 1998 habe ich um 12 Uhr von Offenbach Hauptbahnhof den Regionalexpress bis zur Station Frankfurt Südbahnhof genommen. Um 12.10 Uhr habe ich dann eine der Linien U 1,2 oder 3 (ich weiß nicht mehr genau, welche) von Frankfurt Süd bis zur Hauptwache genommen.

Ich wurde zwischen den Stationen Frankfurt Süd und Schweizerplatz um 12.11 Uhr (so steht es auf dem Strafzettel) kontrolliert. Ich hatte mein Semester-Ticket dabei, das auch als Studienausweis für alle StudentInnen der Universität Frankfurt gilt. Der Kontrolleur (er hat sich geweigert, mir seinen Namen zu geben und hat mir nur seine Personalnummer gegeben: die ist 569) verlangte aber dazu noch nach meinem Personalausweis, denn auf dem Studentenausweis steht: “dieser Ausweis gilt nur in Verbindung mit dem Personalausweis.” Ich sagte ihm zur Erklärung, daß ich meinen Personalausweis vergessen hatte und fügte hinzu, daß das Semester-Ticket auch als Studienausweis gilt. Hier sei angemerkt, daß all dies auf der Bescheinigung fett gedruckt steht, und daß die Studienausweise mit Paßbild mit der Einführung des Semester-Tickets an der Universität Frankfurt/M. abgeschafft wurden und durch die Bescheinigung “Studienausweis/Semester-Ticket” ersetzt wurden. Ich bin immer mit dieser Bescheinigung gefahren und habe nie Probleme bei der Kontrolle gehabt. Als ich sagte, daß das Semester-Ticket auch als Studentenausweis gilt, sagte mir der Kontrolleur in einem wirklich beleidigenden Ton: “Sie sind doch Student und sagen, sie können lesen. Gucken Sie doch, was da steht!”, und verlangte meinen Personalausweis, mit der Drohung, er könnte die Polizei einschalten.

Ich bin immer davon ausgegangen, daß man als Nicht-Krimineller vor der Polizei keine Angst haben muß, und habe mich von dieser Aussage nicht beeindrucken lassen, zumal ich nichts Böses getan hatte: ist es böse seinen Ausweis zu vergessen, wenn man in Eile etwas erledigen muß? Ich war außerdem bereit die Strafe zu zahlen, die man für einen vergessenen Fahrschein immer zahlen soll: 10 Mark. Wir sind auf der Hauptwache ausgestiegen, wo er und einer seiner Kollegen mich zur Kontrollstelle geführt haben. Der Kontrolleur hatte mein Semester-Ticket in seine Tasche gesteckt und gesagt, ich würde es nur bei den Stadtwerken Frankfurt zurückbekommen, wenn ich meinen Personalausweis zeige. Und dabei hatte er noch keinen Strafzettel ausgestellt. Zwischendurch hat sich ein anderer (deutscher) Student eingeschaltet und gesagt, daß der gleiche Kontrolleur bei ihm auch nur die Bescheinigung “Studienausweis/Semester-Ticket” (die ich hatte) gesehen hatte, und als gültigen Fahrschein anerkannt hatte.

Ich wurde zur Kontrollstelle geführt, von wo aus der Kontrolleur mit der Personalnummer 569 die Polizei angerufen hat. Zwischendurch haben er und sein Kollege immer wieder beleidigende Worte gesagt: “Sie wollen uns für dumm verkaufen!”, “Sie halten uns doch nicht für blöd!” Weitere (fünf) Kontrolleure sind in den Raum gekommen und haben angefangen zu rauchen. Da ich kein Raucher bin, habe ich gefragt, ob ich in den danebenliegenden Raum gehen könnte, rechts von dem Raum, in dem wir waren. Der Kontrolleur mit der Personalnummer 569 hat gesagt, ich darf mich nicht von der Stelle rühren, worauf ich gesagt habe: “Ich habe nur meinen Personalausweis vergessen. Ich sitze doch nicht im Gefängnis!” Ein rauchender Kollege mit der Personalnummer 578, der die ganze Zeit etwas aus dem Telefonbuch rausgeschrieben hatte, hat mich angeschrieen, während er aufstand: “Das was Sie Gefängnis nennen, können Sie mich am Arsch!”

Ein Kontrolleur, der auch mittlerweile in den Raum gekommen war, hat mir nach langer Zeit doch erlaubt, zum anderen, leeren Nichtraucherraum zu gehen. Ich habe insgesamt eine Stunde lang in diesem kleinen Raum gewartet. Da ich gelangweilt war, bin ich aufgestanden und auf und ab gelaufen. Dabei habe ich an der Wand einen Vermerk bezüglich des Semester-Tickets gesehen. Bevor ich ihn aber lesen konnte, ist der Kontrolleur mit der Dienstnummer 569 gekommen. Er hat gesagt, daß ich nicht herumlaufen darf und hat verlangt, ich solle zum Raucherraum zurückkommen. Dies sagend hat er mich geschubst, worauf ich ihm gesagt habe, daß er mich doch nicht berühren darf. Seine Begründung war außerdem: ich darf nichts lesen, was auf der Wand steht, denn es sei innerbetrieblich. Im Raucherraum angekommen hat mich der Kontrolleur mit der Personalnummer 578 mit den Worten ausgeschimpft: “du glaubst du bist etwas, und dabei bist du nichts! Du bist nichts!” Und dies, ohne daß ich etwas gesagt hätte. In dem Raucherraum, wo ich schon vorher war, habe ich dann die restliche Zeit gewartet, d.h. zwei Stunden lang: bis ungefähr 14.30 Uhr. Der Kontrolleur, der selber unruhig wurde, hat die Polizei während dieser Zeit dreimal angerufen und hat mir immer gesagt, daß sie unterwegs war. Der Kontrolleur hat mir auch gesagt, daß wir den Raum nicht verlassen dürften, da er sonst seinen Kontrollbereich verlassen würde. Ich habe gefragt, ob ich anrufen könnte, um einen Freund zu informieren, worauf er gesagt hat, daß ich es in dem Raum, wo wir waren, nicht tun dürfte. Da ich den Raum auch nicht verlassen durfte, war klar, daß ich gar nicht telefonieren durfte.

Nach ungefähr drei Stunden Wartezeit sind zwei uniformierte PolizistInnen gekommen, eine Frau und ein Mann mit den Namen Schimmer und Seifert (die Namen haben sie mir später gegeben) vom 1. Polizeirevier. Ohne mich zu grüßen, und nachdem er sich mit dem Kontrolleur unterhalten hatte (ich habe das Gespräch nicht gehört), hat der Polizist nach meinem Personalausweis gefragt. Ich habe gesagt, ich dachte, daß das Problem schon zwischen dem Kontrolleur und ihm erörtert wurde, nämlich daß ich meinen Ausweis zu Hause vergessen hatte. Darauf hat er meinen Studienausweis/Semester-Ticket vom Kontrolleur genommen, hat ihn sich angeschaut und gefragt, ob der Kontrolleur mich schon durchsucht hatte, um sicherzustellen, daß ich “wirklich keinen Personalausweis dabei habe.” Der Kontrolleur hat gesagt, daß er dies doch nicht tun darf. Daraufhin hat die Polizistin meine Jacke, die auf dem Tisch lag, durchsucht und alle Papiere aus meinem Geldbeutel auf den Tisch geworfen. Mein Geldbeutel beinhaltete nicht nur meine Krankenversicherungskarte, sondern auch meine Bankkarten, meinen Leseausweis von der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M., meinen Leseausweis von der Deutschen Bibliothek, eine Kopie einer Auslandsanweisung, die ich gemacht hatte, Überweisungsaufträge an die Deutsche Bank für meine Monatsmiete und einen Überweisungsauftrag für die Universitätskasse. Auf all diesen Papieren stand mein Name drauf. Trotzdem hat er nochmals nach meinem Namen gefragt und nach meiner Adresse, die ich ihm gegeben habe. Daraufhin hat der Kontrolleur mit der Dienstnummer 569 gesagt, ich hätte ihm falsche Angaben gegeben. Er hat gesagt, ich hätte ihm eine falsche Hausnummer angegeben, was nicht stimmt. Ich kenne schließlich meine Adresse. Die Polizistin hat daraufhin meine Schlüssel in ihre Tasche gesteckt. Ich habe sie darauf aufmerksam gemacht, daß die Schlüssel doch mir gehören und sie hat sie wieder auf den Tisch gelegt. Der Polizist hat mir währenddessen immer wieder merkwürdige Fragen gestellt: er hat gefragt, was mein Name ist, was ich in Deutschland mache, wann ich geboren bin, was die Adresse von der Universität ist (obwohl er meinen Studienausweis der Universität Frankfurt/M. in seinen Händen hatte), ob ich schon in Frankreich studiert habe. Ich habe ihn darauf hingewiesen, daß all diese Daten auf meinem Studienausweis/Semester-Ticket, den er in seinen Händen hatte, gedruckt stehen, und er hat gesagt, er möchte meine Personalien sicherstellen.

Eine krimineller Akt der Entwürdigung

Dann hat er verlangt, daß ich mich an die Wand stelle, mit dem Rücken zu ihm, was ich auch gemacht habe. Er (der Polizist) hat meine Taschen geleert und mich am ganzen Körper abgetastet, als wäre ich ein Krimineller: mehrmals an den Beinen, mehrmals an den Handgelenken, sogar am Handrücken, mehrmals an den Achselhöhlen, und auch mehrmals im Genitalbereich. Ich habe ihn daraufhin gefragt, ob es immer noch der Personalausweis sei, wonach er an meinen ganzen Körper suche. Darauf hat er nicht geantwortet, sondern gelächelt. Seine Kollegin hat gesagt, daß sie nicht diskutieren möchten und der Polizist hat mir seinen Namen und den Namen seiner Kollegin aufgeschrieben mit der Bemerkung: “wenn Sie sich beschweren wollen, hier ist unsere Adresse!” Ich habe gefragt, ob ich auch die Namen der beiden Kontrolleure, die dabei waren, haben könnte, und er hat gesagt, daß er sie nicht dazu zwingen könne, worauf diese mir nur ihre Personalnummern gegeben haben. Der Polizist hat mir dazu gesagt, daß er die Namen von diesen Kontrolleuren notieren würde, und daß ich sie bei ihm jederzeit erfahren könnte, wenn ich mich beschweren wollte. Danach hat er die Polizeistation angerufen, um nach der Richtigkeit meines Namens zu fragen, und um zu sehen - wie er sagte -, ob ich “wirklich in Offenbach gemeldet bin.” Die Polizistin hat dann gesagt, ich solle meine Jacke anziehen und hat meine Schlüssel eingesteckt. Ich habe gefragt, ob ich jemanden anrufen könnte und der Polizist hat gesagt, ich dürfte dies nicht tun. Dann hat er gesagt, ich solle meine Hände hinter meinen Rücken bringen und hat mir Handschellen angelegt. Ich habe ihn gefragt, warum er mich so erniedrigen muß, woher er das Recht nimmt, mich so zu entwürdigen, worauf er antwortete, daß er seine Arbeit mache. Ich habe daraufhin geantwortet, daß ich doch ein Student und kein Krimineller bin, und er hat gefragt, ob ich ihn denn nie verstehen würde. Wenn ich denke, daß sogar Vergewaltiger und Serienkiller ihr Gesicht in diesem Land vor der Öffentlichkeit verstecken dürfen, dann ist meine öffentliche Vorführung durch Frankfurt mehr als ein rassistischer Akt, es ist ein krimineller Akt der deutschen Polizei an einem Menschen. Beide PolizistInnen haben mich nämlich von der Kontrollstelle auf der D-Ebene der Hauptwache (wo die Linien U1-3 fahren) über die U-Bahnstation der U6-7 und am Kaufhof vorbei auf die Zeil geführt, wo ihr Polizeiwagen stand. Ich bin diesen ganzen Weg mit Handschellen gegangen, und Leute haben mich angestarrt, manchmal nickend und grinsend, als wäre ich ein vulgärer Verbrecher.

Auf dem Weg von Frankfurt/M. nach Offenbach haben die beiden PolizistInnen angefangen zu rauchen. Ich habe sie darauf aufmerksam gemacht, daß ich kein Raucher bin, worauf die Polizistin erst dann sagte, mich jetzt duzend: “Hoffentlich stören wir dich nicht. Entschuldigung.” Dann haben sie zusammen gelacht. Ich habe gefragt, warum sie mir das Ganze antun, warum sie unbedingt darauf bestehen, mich zu erniedrigen. Sie haben nicht geantwortet. Ich habe außerdem gesagt, daß mir die Handschellen weh tun. Ich habe übrigens noch nie Handschellen getragen. Der Polizist hat nur gefragt, ob ich denn nicht verstehen kann, daß er seine Arbeit macht. Er hat bemerkt, daß das Wetter zu schön ist, um solche Arbeiten zu erledigen. Daraufhin habe ich gefragt, ob dieses Ganze doch vielleicht etwas mit meiner Hautfarbe zu tun hätte. Beide haben laut gelacht und die Polizistin hat gesagt: “Aha, dies habe ich doch längst erwartet!” Dabei hatte ich mich gefragt: hätten die beiden PolizistInnen Seifert und Schimmer einen deutschen Studenten, der die U-Bahn mit Semester-Ticket fährt und seinen Personalausweis zu Hause vergessen hat, genauso wie mich öffentlich entwürdigt und mit Handschellen nach Hause eskortiert? In Offenbach angekommen haben die PolizistInnen ihren Wagen weit weg von meinem Haus geparkt und mich, immer noch in Handschellen, den langen Bürgersteig entlang bis zu meiner Haustür geführt. Die Polizistin hat versucht die Haustür zu öffnen. Erst dann hat mich der Polizist von den Handschellen befreit. In meiner Wohnung angekommen habe ich alles gemacht, um meine Nerven nicht zu verlieren: ich habe ihnen sogar angeboten Platz zu nehmen, was der Polizist gemacht hat. Die Polizistin hat gesagt, sie möchte lieber stehen. Ich habe meinen Paß hervorgeholt. Der Polizist hat ihn und meine Aufenthaltsbescheinigung genau und lange kontrolliert. Dann hat er gesagt, ich hätte ihm auf der Hauptwache einen falschen Namen angegeben. Ich war entsetzt, zumal der Kontrolleur ihm den Studienausweis/Semester-Ticket gegeben hatte, worauf auch mein Name stand, und zumal er selber meinen Namen von diesen Papieren abgeschrieben hatte. Daraufhin habe ich ihm noch einmal meinen Studienausweis/Semester- Ticket gegeben.

Ich habe gefragt, ob ich einen Anruf machen dürfte, und er hat zugestimmt. Ich habe also meinen Freund angerufen und konnte aber kein Wort formulieren, um ihm den Vorfall zu erzählen. Tränen kamen mir in die Augen und ich bin in die Küche gegangen. Die Polizistin hat mir nachgerufen, ich solle mich nicht bewegen. Ich konnte ihr aber nicht mehr gehorchen. Beide sind mir in die Küche gefolgt. Ich saß am kleinen Tisch an dem Fenster zum Garten. Ich wollte mich bewegen, um etwas Wasser zu trinken und mich ein bißchen zu beruhigen. Die Polizistin hat mir den Weg versperrt und gesagt, ich dürfte es nicht tun. Daraufhin habe ich gesagt, daß es doch mein Haus ist, und daß ich hier trinke, wann ich will. Der Polizist hat es eingesehen und seiner Kollegin gesagt, daß ich es tun kann. Was ich auch getan habe. Dann hat mir der Polizist gesagt, daß ich ihm meine polizeiliche Anmeldung zeigen sollte. Ich habe sie aus meinen Unterlagen herausgesucht und vorgezeigt. Der Polizist hat sie kontrolliert, während seine Kollegin von meinem Haustelefon aus mehrere Anrufe machte (ich weiß nicht, wen und wohin sie auf meine Kosten anrief). Sie hat dann gesagt, es wäre alles o.k. Ich habe mich im Selbstgespräch gefragt, was für ein Land es ist, wo solche Sachen passieren und der Polizist hat gesagt: “es gibt schlimmere Länder!” Beide haben dann mein Haus verlassen. Es war 15 Uhr 40.

Veröffentlicht am

21. Juli 2003

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von